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Schattenland

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am18.03.20211. Auflage
Ein glamouröses Filmfest, ein brutaler Serienmörder, ein Wettlauf gegen die Zeit Sein sechster Fall führt den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain zurück in seine Heimatstadt Deauville: Das internationale Filmfestival lockt Schauspieler und Regisseure aus aller Welt in die Normandie. Wenige Tage vor der Eröffnung wird der Leiter des Festivals brutal ermordet. Und das ist nur der Auftakt einer Reihe rätselhafter Verbrechen. Für Nicolas beginnt die mörderische Jagd auf einen vom Hass zerfressenen Serientäter. Während er versucht, eine junge Schauspielerin zu beschützen, muss er erkennen, dass die Vergangenheit ihn immer wieder einholt.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextEin glamouröses Filmfest, ein brutaler Serienmörder, ein Wettlauf gegen die Zeit Sein sechster Fall führt den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain zurück in seine Heimatstadt Deauville: Das internationale Filmfestival lockt Schauspieler und Regisseure aus aller Welt in die Normandie. Wenige Tage vor der Eröffnung wird der Leiter des Festivals brutal ermordet. Und das ist nur der Auftakt einer Reihe rätselhafter Verbrechen. Für Nicolas beginnt die mörderische Jagd auf einen vom Hass zerfressenen Serientäter. Während er versucht, eine junge Schauspielerin zu beschützen, muss er erkennen, dass die Vergangenheit ihn immer wieder einholt.

Benjamin Cors ist politischer Fernsehjournalist und hat viele Jahre für die >ARD TagesschauARD TagesthemenWeltspiegelSWR<. Er ist Deutsch-Franzose und hat die Sommer seiner Kindheit in der Normandie verbracht. Seine Krimireihe um den charismatischen Personenschützer Nicolas Guerlain hat eine große Fangemeinde, seine Bücher landen regelmäßig auf der Bestsellerliste.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423438322
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum18.03.2021
Auflage1. Auflage
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1571 Kbytes
Artikel-Nr.5424233
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Kapitel 1



Varengeville-sur-Mer, Normandie


Es begann stets mit dem Wimmern des Hundes.

Und es endete mit dem Tod, jedes Mal.

Mit seinem. Oder mit ihrem. Das waren die einzigen Optionen, die die Nacht ihm gewährte, ohne dass er selbst darüber entscheiden konnte. Nur eins war gewiss: Einer von ihnen würde sterben. Es gab kein Entrinnen, keine Flucht, es war ein Käfig aus Erinnerungen, eine sich immer enger zuziehende Schlaufe um seinen Hals. Ihr zu entkommen, wenigstens zeitweise, hatte ihn viel gekostet. Er hatte vieles aufgegeben, um an einen Punkt zu gelangen, an dem er wieder Hoffnung schöpfen konnte. Regelmäßig meinte er jetzt, ein Licht zu sehen, schwach noch, immer wieder verschwand es, wenn das Wimmern des Hundes erneut erklang, wenn das kalte Wasser sich über ihm schloss, wenn ein Schatten sich über ihn beugte.

So wie damals. Auf der Insel.

Er ertrank. Die Flut war da.

Das Licht des hellen Mondes drang durch das Wasser, die Frau, die Felsen hinter ihr warfen lange Schatten. Er hörte seinen eigenen Atem, das Rauschen des Blutes in seinen Ohren, es war lauter als sein eigenes Schreien. Er zerrte an seinen Fesseln, bäumte sich auf, hörte die Stimme des Mannes, das Lachen, den Triumph.

»Adieu.«

Diesmal war er es, der starb. Sie überlebte.

Es war das kleinere Übel. Es war leichter hinzunehmen.

 

Als Nicolas schweißgebadet und zitternd erwachte, blickte er auf den Radiowecker auf dem Nachttisch: 03:54 Uhr.

Draußen war es dunkel, sein Brustkorb hob und senkte sich, er schnappte nach der kühlen Luft, die durch die geöffnete Balkontür kam. Sie schmeckte salzig, ein plötzlicher Windzug ließ ihn erschauern. Auf seinen Handgelenken, auf seinen Knöcheln: keine Spuren der Fesseln, nur das zerwühlte Laken auf seinem Bett, das schweißgetränkte Kopfkissen, sein eigener schmaler Schatten an der Wand, als er die Nachttischlampe anknipste.

Nicolas setzte sich im Bett auf und wartete, bis das Wimmern des Hundes verklang, bis es überging in das beruhigende Geräusch der Brandung, die nicht weit entfernt, am Fuß der Klippen, gegen die Felsen schlug. Er fuhr sich durch das Gesicht, sah auf den Vorhang vor der Balkontür, der sich jetzt wieder leicht im Wind bewegte, sich wölbte.

»Schlaf weiter, Rachmaninoff«, murmelte er schließlich und schwang die Beine über den Bettrand. Für einen Augenblick schloss er die Augen, sammelte seine Reserven, von denen er nun wusste, dass sie endlich waren. Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick auf das Muster der beigen Tapete, auf die gerahmten Fotografien an der Wand. Das Meer, die Klippen, das glänzende Deck eines Fischerboots.

Er drückte eine Taste auf dem Radiowecker, hörte, wie ein Moderator das Wetter für den kommenden Tag verkündete: Sonne satt an der Küste, es würde heiß werden. Nicolas musste diesmal etwas länger überlegen, als die ersten Takte eines Liedes erklangen.

»Na komm schon«, murmelte er, stand auf, hielt sich für einen Augenblick an der Wand fest, weil die Gedanken in seinem Kopf sich drehten, weil die Erinnerungen an die Nacht auf Chausey ihn niederdrückten, manchmal auch noch jenseits seiner Träume. Schließlich ging er zu dem Tisch, auf dem sein Notizbuch lag, er schlug es auf und schrieb »Manhattan-Kaboul« auf eine leere Seite.

»Ein Punkt für mich, alter Mann«, sagte er in die Stille seines Zimmers hinein und dachte für einen Augenblick an Tito, seinen alten Nachbarn, der vermutlich gerade ebenfalls nicht schlief, in seiner Wohnung in Paris. Nicolas überlegte, ob er ihn anrufen sollte, beließ es aber bei dem Gedanken, der kam und ging, so wie das Wimmern des Hundes kam und ging.

Es gehörte zu Rachmaninoff, Titos Mischlingshund, der ihm und Julie vor mittlerweile mehr als fünfzehn Monaten das Leben gerettet hatte.

Zumindest vorerst.

Die kleine Schachtel mit Medikamenten lag immer griffbereit neben einem Glas Wasser auf dem Tisch. Er wäre einfacher, er würde schnell wieder einschlafen.

»Nicht heute«, sagte er zu sich selbst. Die Ecken der Postkarte auf dem Nachttisch neben der Lampe waren stark abgegriffen, fast schon rund. Nicolas nahm sie mit der rechten Hand, die immer noch leicht zitterte, betrachtete sie für einen Augenblick, bis er spürte, wie er ruhiger wurde, wie sein Atem sich verlangsamte und er wieder festen Halt fand.

Marseille. Die Fischerboote im Hafenbecken. Ein kleines Café am Quai du Port.

Sie war da. Und es ging ihr gut. So wie ihm.

Irgendwann.

 

Zehn Minuten später öffnete Nicolas leise eine Seitentür des »Hôtel de la Falaise«, die hinaus in den Garten führte, und stahl sich hinaus in die Nacht. Der Kies knirschte unter seinen Füßen, als er den Weg entlangging, zwischen zwei großen Hortensiensträuchern hindurch, an den Tennisplätzen vorbei und den Tischen auf dem Rasen. Die gelben Sonnenschirme waren zusammengeklappt, die Stühle ins feuchte Gras gelegt. Der Mond beleuchtete die Rasenfläche vor ihm, er konnte hinter der kleinen Hecke das dunkle Meer sehen, darüber einen wolkenlosen Nachthimmel, an dem die Sterne funkelten wie Tausende kleiner Signallampen. Hinter ihm war das Rascheln des Efeus an der Außenwand des Hotels zu hören, durch das der Wind fuhr. Während er am Pool vorbeilief, zog er seine Trainingsjacke zu und blickte auf die Uhr.

In einer Stunde würde er wieder hier sein, Myriam, die Besitzerin des Hotels, würde bereits wach sein und in der Küche das Frühstück vorbereiten. Sie würde ihm erst einen Kaffee hinstellen, dann die Rührschüssel, in das er mehrere Eier schlagen würde, bis sie genug hatten für die Crêpes und das Rührei für die Gäste. Sie würden nicht viel sprechen, sie würde auch nicht fragen, wie er geschlafen hatte. Myriam wusste, wenn Nicolas am frühen Morgen in ihrer Küche erschien, dann war das Wimmern des Hundes wieder zu hören gewesen.

Manchmal sah sie ihn mit ruhigem Blick an, die Falten um ihre Augen zogen sich etwas zusammen, den Kopf etwas zur Seite geneigt.

»Wer ist diesmal gestorben?«, fragte sie dann mit sanfter Stimme.

Heute war er es gewesen, und Nicolas hatte gelernt, dass diese Nächte leichter zu ertragen waren.

Besser er als Julie.

 

Es wurde dunkler, als er in die Schatten der Birken eintauchte, die am Ende des Grundstücks standen, eng beieinander, weil sich so der Wind oberhalb der Klippen besser ertragen ließ. Nicolas nahm den schmalen Pfad hinunter zum Meer, er führte steil hinab, dorthin, wo die Brandung lauter war und das Schnattern der Seevögel.

Basstölpel, Albatrosse, Lachmöwen - Nicolas konnte sie mittlerweile gut auseinanderhalten, er hatte sich ein Buch über die Pflanzen- und Tierwelt an der Alabasterküste gekauft, manchmal saß er auf der Terrasse des Hotels und blätterte darin, während die anderen Gäste ihn aus den Augenwinkeln argwöhnisch beobachteten.

Ein einzelner Mann, keine Begleitung - angeblich wohnte er ständig hier. Ein gutes Thema für den Nachmittagstee.

 

Als er den Strand erreichte, wichen die letzten Schatten aus seinem Kopf, der Traum löste sich langsam auf. Chausey, das eiskalte Wasser, der Schuss, die Hand, die ihn niederdrückte - all das wurde abgelöst vom Geräusch der Wellen, vom feuchten Sand, den er jedes Mal in die Hand nahm, vom Wasser, das gegen seine Schuhe schwappte, weil er sich so dicht wie möglich ans Meer stellte. Er atmete tief ein, bis er all das Gute dieses Ortes in sich aufgesogen hatte. Es war seine Therapie, und sie wirkte besser als jedes Medikament, das er ausprobiert hatte.

Dicht an den hohen Felsen von Vasterival entlang lief er nun Richtung Osten. Der grobkörnige Sand kostete ihn anfangs einige Mühe, dann fanden seine Beine ihren Rhythmus, er spürte den Wind im Gesicht, das Salz in der Luft. Es war noch immer dunkel, das erste fahle Licht eines neuen Tages hatte sich noch nicht aus dem Hinterland über die Felskante geschoben, noch bewegte er sich im Dunkel der gewaltigen Felswand, die sich viele Kilometer entlang der Alabasterküste erstreckte.

Nicolas dachte kurz an die erste Nacht im Hotel, den ersten Lauf zwischen Felsen und Meer, es war ebenfalls tiefste Nacht gewesen, vor etwas mehr als einem halben Jahr. Die kalte Luft hatte in der Lunge gebrannt, und die Nacht war schlimmer gewesen.

Alles war schlimmer gewesen, bevor er hierhergekommen war.

Draußen auf dem Meer blinkte eine Boje, weiter im Norden konnte er schwach die Lichter eines Frachters erkennen. Er lief jetzt direkt an der Wasserkante, ab und an spülte eine Welle kalten Wassers in seine Laufschuhe, er fühlte, wie sein Körper zur Ruhe kam, er atmete gleichmäßig, spürte seine Beine wieder, seine Hände.

 

Es war seine Mutter gewesen, die ihn nach Varengeville eingeladen hatte. Myriam war eine alte Freundin, sie führte das abgelegene Hotel im äußersten Norden der Normandie seit dem Tod ihres Mannes allein, mithilfe einiger Angestellter. Im Laufe der Zeit hatte sich das »Hôtel de la Falaise« zu einem Geheimtipp entwickelt, die Ruhe oberhalb der Klippen, die unfassbare Aussicht von der Terrasse, die grünen, geschwungenen Hügel des Pays de Caux im Rücken - es war ein Ort wie aus der Zeit gefallen.

Und somit einen Versuch wert.

Das waren zumindest die Worte seiner Mutter gewesen, als sie ohne Vorwarnung an seiner Wohnungstür an der Place Sainte-Marthe geklingelt hatte, seinen alten Nachbarn Tito neben sich. Die beiden hatten seinen Koffer gepackt und ihn dann ins Auto gesetzt.

»Es ist einen Versuch wert«, hatte seine Mutter gesagt, und sie sollte recht behalten.

 

Eine Woche zuvor hatte er...
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