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Toxische Macht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
dtv Verlagsgesellschafterschienen am19.02.20211. Auflage
Das brisante Porträt der Gesellschaft und unserer Zeit Eher zufällig ist die 24-jährige Studentin Coco Frahm in den Monaten nach dem Lockdown an die Spitze der neuen Partei »Future« gelangt. Dabei hatte Coco auf dem Gründungscamp der Partei ihre Gedanken zur »neuen Langsamkeit« ganz spontan geäußert. Doch mit ihrem Anliegen, endlich ernst zu machen mit dem »Raus aus der Stress- und Konsumgesellschaft«, traf sie ins Herz der Menschen. Und nun könnte sie plötzlich Bundeskanzlerin werden. Mit 24! Doch »besorgte Bürger« wollen Coco stoppen. Notfalls mit Gewalt - solange es wie Selbstmord aussieht. Ausgerechnet Cocos Ex-Freund Maikel soll den schmutzigen Job übernehmen. In der Nacht vor dem entscheidenden Wahlsonntag treffen Coco und Maikel aufeinander ...

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,90
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextDas brisante Porträt der Gesellschaft und unserer Zeit Eher zufällig ist die 24-jährige Studentin Coco Frahm in den Monaten nach dem Lockdown an die Spitze der neuen Partei »Future« gelangt. Dabei hatte Coco auf dem Gründungscamp der Partei ihre Gedanken zur »neuen Langsamkeit« ganz spontan geäußert. Doch mit ihrem Anliegen, endlich ernst zu machen mit dem »Raus aus der Stress- und Konsumgesellschaft«, traf sie ins Herz der Menschen. Und nun könnte sie plötzlich Bundeskanzlerin werden. Mit 24! Doch »besorgte Bürger« wollen Coco stoppen. Notfalls mit Gewalt - solange es wie Selbstmord aussieht. Ausgerechnet Cocos Ex-Freund Maikel soll den schmutzigen Job übernehmen. In der Nacht vor dem entscheidenden Wahlsonntag treffen Coco und Maikel aufeinander ...

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423438568
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum19.02.2021
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2726 Kbytes
Artikel-Nr.5383618
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Immerhin wird er mal von sich sagen können, er habe mit der späteren Bundeskanzlerin geschlafen. Aber wer will so was schon hören? Peinliches Gepose von einem, der verloren hat.

Maikel schaut ihr zu, wie sie zum Schluss nochmals von der Bühne in die Menge ihrer jubelnden Anhänger winkt. Etliche tragen bunte Corona-Masken in den Regenbogenfarben der Partei. Ist das noch Nostalgie oder schon wieder die Sorge vor der nächsten Welle? Es heißt ja, ohne die Pandemie würde es FUTURE heute gar nicht geben oder zumindest nicht so. Und erst recht keine Kanzlerkandidatin namens Coco. Scheinbar beiläufig schiebt sie sich den Hut (den Hut!) ein Stück aus der Stirn, bis ihre blonden Fransen darunter hervorschauen. Sie lächelt ihr scheinbar schüchternes Coco-Lächeln, bevor sie sich umdreht und mit der schlaksigen Eleganz ihrer überlangen Gestalt im Hintergrund verschwindet.

Maikel wischt den Livestream von seinem Handybildschirm fort und tippt auf die Fußball-App. Werder wieder chancenlos. Maikel leider auch. Er lässt die Hand mit dem Handy sinken, reibt sich mit Daumen und Zeigefinger der anderen die Nasenwurzel, wie alte weiße Männer das in seiner Vorstellung so tun, und sagt schicksalsschwer: »Sie wird gewinnen. Es ist gelaufen.«

»Gelaufen ist es erst morgen um achtzehn Uhr«, erwidert Posch. »Bis die Wahllokale schließen, kann noch einiges passieren.«

Der alte weiße Mann sitzt gegenüber von Maikels Schreibtisch in dem schweren alten Ledersessel, den er wohl nur für sich selbst in Maikels Büro hat stellen lassen, weil er der Einzige ist, der da jemals drinsitzt. Noch nie hat Maikel hier Besuch empfangen, außer von Posch.

Reine Durchhalteparolen, denkt Maikel. Nicht, dass Posch auch noch von Wunderwaffen anfängt â¦ ha, ha. Einen gewissen Zynismus hat Maikel sich bewahrt, auch wenn er längst aufseiten der Leute steht, die er früher bekämpft hat. Und da ist auch noch ein kleiner Teil in ihm, der Coco den Sieg sogar gönnen würde. Warum muss er immer an Sex denken, wenn er sie sieht? Im Fernsehen oder auf Insta oder Facebook oder auf den Plakaten, mit denen das Land vollgepflastert ist.

FUTURE! Fürchtet euch nicht!

Er kratzt sich am Hinterkopf, als wäre da ein Phantomschmerz. Klar, er hätte sich einen neuen Hut kaufen können, aber das wäre Quatsch gewesen, denn der ist ja längst ihr Markenzeichen.

»Kannst jetzt mit Lächeln aufhören, Coco.«

Kerim sagt das, als wäre es witzig gemeint, doch das ist es nicht. Coco weiß, dass ihr Lächeln immer öfter einfriert.

Puh â¦ es ist vorbei.

Endlich vorbei.

Das heißt - es könnte morgen erst so richtig anfangen. Alles. Aber zumindest der Wahlkampf ist zu Ende. Drüben vor der Bühne, auf dem Marktplatz, rufen noch immer tausend Leute ihren Namen. Der improvisierte Backstagebereich hier bietet ihr ein bisschen Privatsphäre.

»Du warst so wunderbar, Coco«, sagt Tabea und reicht ihr die Wasserflasche.

»Wir waren alle wunderbar, das ganze Team«, erwidert Coco, wie sie es an dieser Stelle immer tut. Sie setzt an und trinkt. »Ihr seid alle wunderbar, vor allem â¦ ähm, du.«

»Sina«, sagt das Mädchen verlegen.

»Sina, klar. Entschuldige.«

»Nicht schlimm«, sagt Sina.

»Doch«, widerspricht Coco bitter. »Ist es.«

Gott, peinlich! Noch vor einem halben Jahr wäre ihr das nicht passiert. Dabei ist Sina eine Sensation, macht gerade Abi und kandidiert parallel für den Bundestag. Zwar hat sie keine Chance auf das Direktmandat, hier in â¦ verdammt, wie heißt jetzt die Stadt noch mal? Also jedenfalls hier in der ostdeutschen Provinz, aber Sina ist die Nummer eins auf der Landesliste von Sachsen-Anhalt, sie wird es nach Berlin in den Bundestag schaffen, eine Sensation, wie gesagt, aber wer kann sich denn bitte gleich so viele Sensationen auf einmal merken? Die Partei ist ja voller sensationeller Leute mit sensationellen Geschichten. Die eigentliche Sensation sollte die Partei selbst sein. FUTURE.

In achtzehn Monaten von null auf dreiundzwanzig Prozent.

Die Fülle an Sensationen verdampft in Cocos Kopf. Immer öfter. Wie jetzt gerade. Ein diffuser Dunst. Dabei ist sie doch selbst dieser Tage die größte aller Sensationen: Coco, Studentin, vierundzwanzig, laut Umfragen vielleicht Deutschlands nächste Kanzlerin. Den Tag heute mitgerechnet, ist sie während des Wahlkampfes einhundertdreimal aufgetreten, in einhundertdrei verschiedenen Städten, manchmal drei an einem Tag, erst gestern waren sie noch in â¦ ja, wo denn bloß? Neue Langsamkeit steht fett auf den Plakaten, es steht fett über dem Wahlprogramm, sie hat es Tausende Male ausgesprochen, bis der Slogan völlig hohl geworden ist. Langsamkeit?

Coco legt den Kopf in den Nacken. Wenn sich jetzt ganz langsam einer der Querträger der Bühnenkonstruktion da oben lösen und direkt auf sie stürzen â¦ tragisches Ende einer Blitzkarriere â¦ plötzlich und unerwartet â¦

Sie versucht, das Bild fortzuwischen.

Draußen singen sie ihren Namen. Es klingt wie im Fußballstadion: »Coco Kanzlerin, schalalalala!«

Noch ein kurzer Blick nach oben. Der Träger sitzt bombenfest.

Sie gibt Tabea die Flasche zurück und fragt: »Steht dein Angebot noch? Du weißt schon - das Wochenendhaus deiner Eltern.«

»Klaro.«

»Gute Idee«, sagt Kerim, der mitgehört hat. »Da können wir ein bisschen runterkommen vor dem großen Tag.«

Coco legt eine Hand auf Kerims Arm und sagt leise, aber bestimmt: »Ich fahre allein.«

Kerim klappt den Mund auf, sagt aber nichts.

»Ich brauch ein paar Stunden nur für mich, okay?«

»Sicher.«

Sie wendet sich um, nimmt den Hut ab und fährt mit den Fingern über das dunkel schimmernde Band. Sie will allein sein, aber eigentlich auch nicht. Sie muss mit jemandem reden.

Gott, wie bescheuert! Sie hat seit Monaten praktisch nichts anderes mehr getan, als zu reden. Gefühlt mit allen achtzig Millionen Menschen in diesem Land, bis auf einen einzigen. Den, mit dem sie eigentlich am allerbesten reden kann. Den hat sie seit fast einem Jahr nicht mehr gesprochen.

Aber seine Handynummer hat sie noch.

Maikel kann es nicht lassen, er greift wieder nach dem Handy und suhlt sich in den Bildern und Videos. Twitter, Insta, Facebook, sie ist überall.

#post_corona_welt

#future

#wahlkampfabschluss

#cocomania

#cocokanzlerin

#die-mit-dem-hut

#fürchteteuchnicht

#neue_langsamkeit

Sie haben alles versucht. Posch und Maikel, die Akademie, die alternativen Medien bis hin zu Bot- und Trollarmeen. Aber ganz egal, was sie unternahmen: Coco und ihre Partei sind bloß immer stärker geworden.

Von wegen, FUTURE spielt die junge gegen die alte Generation aus? Unsinn. In der jubelnden Menge drängen sich Menschen jedweden Alters. Von wegen, FUTURE macht nur Politik für hippe Großstadt-Wessis? Unsinn. Die Abschlusskundgebung fand soeben in Quedlinburg statt, Landkreis Harz, Sachsen-Anhalt. Von wegen, ein Wahlsieg der Klimahysterikerinnen von FUTURE würde Zehntausende Menschen in die Arbeitslosigkeit stürzen? Unsinn. Auf der Bühne stand gerade sogar der berüchtigte Braunkohle-Bob und faselte von neuen Jobs in der Lausitz. Coco hat einfach â¦

Wieso steht jetzt ihr Name auf dem Display? Das Handy vibriert in seiner Hand. Maikel braucht eine Weile, um zu begreifen. Dann wirft er Posch einen Blick zu. Der glotzt in sein Cognacglas. Maikel zögert. Nach »damals« rief sie ihn eine Weile lang ständig an, er ging kein einziges Mal dran. Wann haben ihre Anrufe eigentlich aufgehört? Auch schon lange her.

Schließlich tippt er auf das grüne Icon.

»Hi.«

»Hey, Maikel. Ich weiß, du wunderst dich, dass ich dich gerade jetzt anrufe, und ich könnte fast verstehen, wenn du mich gleich wegdrückst.«

Komisch, plötzlich wieder ihre Stimme zu hören. Nicht im Fernsehen, Radio, Internet, sondern einfach so.

»Ich gratuliere dir erst morgen«, brummt Maikel.

Posch hebt den Kopf.

»Kann ich dich sehen? Ich muss â¦ einfach dringend mit jemandem reden. Das ist alles so â¦ die ganze Situation, ich meine: Gott, die Leute wollen, dass ich Kanzlerin werde und ich hab â¦ ich muss einfach mit dir reden. Können wir uns sehen? Wo bist du gerade?«

»Im Büro, in Zscheproda. Die Akademie, für die ich arbeite - du hast vermutlich davon gehört.«

»Ich bin in der Nähe vom Harz, ich â¦«

»Ich weiß.« Er muss lächeln. »Quedlinburg. Sieht man ja auf allen Kanälen.«

Poschs Augen werden größer.

»Tabea, also Tabeas Eltern, die haben ein kleines Ferienhaus im Südharz. Ich bin auf dem Weg dahin. Hast du Zeit?«

Er kann Nein sagen. Schade, keine Zeit. Er kann anschließend zu Posch sagen, das wäre bloß irgendein alter Kumpel gewesen, jemand aus Maikels Zeit bei FUTURE. Wenn er jetzt Ja sagt â¦ obwohl - das ist ja noch kein Todesurteil. Er kann es sich immer noch überlegen. Er hätte ein paar Stunden Fahrt, um eine Entscheidung zu treffen. Es liegt in seiner (in seiner!) Hand.

»Ja.«

»Danke! Echt. Ich schick dir die Adresse. Bis später.« Kurze Pause. »Ich freu mich.«

»Ich mich auch«, murmelt er und legt das Handy weg. Zittern seine Finger?

»Das war...

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