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Herzschlag der Angst

Thriller
dtv Deutscher Taschenbuch Verlagerschienen am01.07.2021
Was geschah wirklich mit Molly Clarke? Ein heftiger Sturm und ein leeres Auto irgendwo am Straßenrand. Ein Brief, der in einem Hotel in der Nähe zurückgelassen wird. Eine zerbrochene Familie, die nicht mehr zusammenfand. Alles zusammen scheint einen klaren Fall zu ergeben: Molly Clarke hat ihre Familie verlassen, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. So sieht es jedenfalls die Polizei. Doch zwei Wochen nach Mollys Verschwinden erhält ihre 21-jährige Tochter Nic eine Nachricht, die alles verändert. Sie hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter, aber nun ist sie die Einzige, die wirklich nach Molly sucht. Und je näher Nic der Wahrheit kommt, desto größer wird die Gefahr, in der sie selbst schwebt.

Wendy Walker ist Anwältin mit Schwerpunkt Familienrecht. Sie lebt in Connecticut und hat bereits mehrere Bestseller veröffentlicht.
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Produkt

KlappentextWas geschah wirklich mit Molly Clarke? Ein heftiger Sturm und ein leeres Auto irgendwo am Straßenrand. Ein Brief, der in einem Hotel in der Nähe zurückgelassen wird. Eine zerbrochene Familie, die nicht mehr zusammenfand. Alles zusammen scheint einen klaren Fall zu ergeben: Molly Clarke hat ihre Familie verlassen, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. So sieht es jedenfalls die Polizei. Doch zwei Wochen nach Mollys Verschwinden erhält ihre 21-jährige Tochter Nic eine Nachricht, die alles verändert. Sie hat ein angespanntes Verhältnis zu ihrer Mutter, aber nun ist sie die Einzige, die wirklich nach Molly sucht. Und je näher Nic der Wahrheit kommt, desto größer wird die Gefahr, in der sie selbst schwebt.

Wendy Walker ist Anwältin mit Schwerpunkt Familienrecht. Sie lebt in Connecticut und hat bereits mehrere Bestseller veröffentlicht.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783423439213
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum01.07.2021
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1501
Artikel-Nr.5702568
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Tag eins


Der Himmel wird dunkel, während ich fahre.

Ich befehle mir, mich zu konzentrieren. Nur auf die schwarze Asphaltstraße und die doppelte gelbe Linie in der Mitte zu schauen.

Es ist, als befände ich mich in einem Tunnel, herausgeschlagen aus den braunen Maisfeldern, die sich rechts und links der Straße ins Unendliche erstrecken. Dunkelheit umgibt mich. Sie ist überall.

Ich höre, wie die Frau im Radio vom Sturm spricht, aber meine Gedanken an die Ereignisse dieses schrecklichen Tages überlagern ihre Stimme.

Auf diesem Abschnitt der Route 7 reiht sich eine neuenglische Kleinstadt an die andere - nicht die reizenden Dörfer, die man weiter südlich findet, sondern ehemalige Industriezentren, die nun verfallen.

Unbestelltes Ackerland, heruntergekommene Häuser, leer stehende Fabriken ragen wie Grabsteine empor. Ich frage mich, wo hier Menschen leben. Wo sie einkaufen. Wo sie arbeiten und essen gehen. Warum sie noch hier sind.

Ich ziehe die Schultern hoch und drücke den Rücken durch, weil ich mich so unbehaglich fühle. Es ist jedes Mal das Gleiche. Diese Städte verfolgen mich bis spät in die Nacht.

In der Ferne taucht ein Tankstellenschild auf. Eine Gas n Go. Sie liegt an der Kreuzung der Route 7 und einer gespenstischen Straße, die ins Zentrum einer dieser Kleinstädte führt. Ich bin noch nie dort abgebogen und werde es auch nie tun. Alle Reisenden, die vom südlichen Connecticut ins westliche Massachusetts fahren, scheinen genau hier tanken zu müssen. In der Umgebung dürfte es ein halbes Dutzend Internate und kleine Colleges geben, die man von der Route 7 aus erreicht. Manchmal erkenne ich Autos oder Gesichter wieder, wenn ich hier anhalte.

Und heute muss ich anhalten. Die Tankanzeige bedeutet mir, dass ich kaum noch Benzin habe.

Von der Gas n Go aus brauche ich noch zwei Stunden, bis ich ganz im Süden des Bundesstaates bin, wo ich wohne. Das grüne Willkommensschild liegt schon hinter mir. Willkommen in Connecticut.

Ich werde um kurz nach neun zu Hause ankommen. Mein Ehemann John wird im Fitnessstudio sein. Oder bei der Arbeit. Mit einem Freund in der Kneipe. Meine Tochter Nicole ist sicher auch irgendwo unterwegs. Irgendwo weit weg von mir. Sie ist gerade einundzwanzig geworden, ihr stehen alle Möglichkeiten offen. Möglichkeiten, die mich nachts wach halten, während ich auf die Uhr sehe. Auf die Tür horche.

Die Hunde werden bellen und an meinem Mantel hochspringen. Sie wollen etwas zu fressen. Die Zuneigung sparen sie sich für meinen Mann auf. Er hat sie angeschafft, nachdem Annie gestorben war, also sind es eher seine Hunde als meine.

Das Haus wird nach Reinigungsmittel und Trocknertüchern mit Lavendel riechen, weil heute Donnerstag ist, und am Donnerstag kommt der Putzdienst. Ich frage mich, ob sie daran gedacht haben, die Asche aus dem Kamin in unserem Schlafzimmer zu fegen. Es ist Ende Oktober und kalt genug für ein Kaminfeuer. John schaut gerne im Bett fern, während das Feuer knistert. Wie gestern Abend. Er schlief schon, als ich nach oben kam, wobei mir gerade einfällt, dass ein frisches Holzscheit aufgelegt war. Die Schlussfolgerung daraus kommt umgehend, und ich drücke die Hand auf meinen Mund.

Bin ich zu sensibel? Bin ich einfach zu sehr ich, zu Molly? Ich höre diese Gedanken mit Johns Stimme. Sei nicht so Molly. Er gebraucht meinen Namen jetzt als abwertendes Adjektiv. Aber nein - ich irre mich nicht, es lag ein Scheit auf dem Feuer. Also hatte er sich schlafend gestellt.

Der Tag heute geht mir nicht aus dem Kopf.

Mein Sohn Evan besucht ein Internat hier in der Gegend. In der neunten Klasse wurde er ins Footballteam aufgenommen. Jetzt ist er in der elften und fängt in dieser Saison als Lineman an. Jeden zweiten Donnerstag fahre ich diese Strecke, um mir seine Heimspiele anzusehen. Die Saison ist zur Hälfte vorbei, sie sind Tabellenführer. Sie können dieses Jahr sogar Meister werden.

Für die Hin- und Rückfahrt brauche ich jeweils vier Stunden. John hält mich für verrückt, weil ich das zweimal im Monat mache. Er sagt, Evan sei es ohnehin egal. Nicole drückt es brutaler aus. Sie sagt, Evan wolle mich gar nicht dort haben. Dass ich ihm peinlich sei. Dass er kein kleiner Junge mehr sei und keine Mommy dabeihaben muss, die ihm zuschaut.

Sie hat recht, er hat sich verändert. Er weiß um die Macht, die er auf dem Spielfeld besitzt. Ich habe es heute zum ersten Mal bemerkt. Etwas in seiner Haltung, seinem Gang. In seinen Augen.

Und in seiner kalten Härte. Ich frage mich, seit wann sie da ist. Ob sie neu ist. Oder nur neu für mich.

Ich hatte am Eingang zum Umkleidetrakt gewartet. Wie in Zeitlupe lasse ich die schmerzliche Szene noch einmal vor mir ablaufen.

Wie er mit seinen Freunden auf das Gebäude zukam, die riesige Tasche über der Schulter, die hohen Turnschuhe mit den offenen Schnürsenkeln, die Baseballkappe nach hinten gedreht, ein verstohlenes Grinsen, weil sie vermutlich über ein Mädchen redeten.

In diesem Moment, bevor er mich entdeckte und sein Gesicht sich veränderte, war ich sehr stolz auf ihn.

Mein Junge, mein süßer Evan, das pflegeleichte mittlere Kind, bewegte sich, als gehörte ihm die ganze Welt. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, während ich darauf wartete, dass er mich an der Tür stehen sah.

Dann bemerkte er mich.

Seine Augen wurden groß, und er schaute weg. Er kam näher, doch sein Blick kehrte nicht zu mir zurück. Er schob sich zwischen zwei seiner Freunde und betrat das Gebäude, ließ mich stehen.

Erst jetzt, hundertachtundsiebzig Kilometer später, spüre ich den Schmerz, den seine Geringschätzung verursacht hat.

Mein Blick verschwimmt. Ich wische die Tränen weg. Herrgott, höre ich John sagen. Sei nicht so Molly! Er ist ein Teenager.

Doch die Gedanken bleiben, der Anblick seines Rückens, als er den Flur entlangging.

Ich schaue zu den Wolken empor. Dieser Sturm ist ein Hurrikan. Ich fahre mitten hinein.

Auch das war ein Grund, weshalb John mir von der Fahrt abgeraten hatte. Die Schule könnte das Spiel wegen des Sturms absagen, und selbst wenn nicht, wäre ich ihm auf dem Rückweg ausgesetzt.

Der Sturm. Dass Evan mich nicht wollte.

Und Annie. Er hatte ihren Namen nicht ausgesprochen, doch er stand zwischen uns.

Heute ist ihr Todestag. Heute vor fünf Jahren haben wir unser jüngstes Kind verloren. Sie war neun Jahre alt.

Nein. Ich will nicht an Annie denken. Ich will nicht zurückgehen. Ich will vorwärtsgehen.

Einen Fuß vor den anderen setzen.

Das habe ich in der Trauerberatung gelernt. Und ich habe früher an der Mittelschule Naturwissenschaften unterrichtet. Ich weiß, dass man Probleme analysiert, indem man sie in ihre Bestandteile zerlegt und Hypothesen aufstellt. Genauso bin ich mit der Trauer umgegangen. Objektiv. Klinisch. Wir sind nicht dafür geschaffen, den Tod eines Kindes mitanzusehen. Ihn zu ertragen. Ihn zu überleben. Trotzdem berufen wir uns, wie bei jedem anderen menschlichen Defekt, auch in diesem Fall auf die Wissenschaft, um unsere eigene Biologie zu überlisten. Wir können ein Gehirn, das entzweigerissen ist, mit solchen Mantras wieder zusammenfügen. Mantras, die in klinischen Versuchen getestet wurden. Die von Fachkollegen geprüft und in TED-Talks vorgestellt und in Selbsthilferatgebern empfohlen werden.

Du setzt einfach einen Fuß vor den anderen, Molly. Jeden Tag nur einen Schritt mehr.

Hätte ich nicht noch weitere Kinder, um die ich mich kümmern musste, hätte ich diese Schritte niemals tun können. Ich wäre gestorben. Hätte mich sterben lassen. Einen Weg gefunden, um zu sterben. Diesen Schmerz konnte man nicht überleben. Und dennoch habe ich überlebt.

Vorwärts.

Doch der Tag entrollt sich weiter, zurück zum heutigen Morgen.

Nicole war gerade von einer ihrer Nächte zurückgekommen. Ich wusste nicht, wo sie geschlafen hatte. Ihre Haut ist blass, ihre Haare sind lang und widerspenstig. Sie ist vom Laufen schlank geworden. Sie läuft und läuft, bis sie von Kopf bis Fuß empfindungslos ist. Innen und außen. Danach schläft sie den ganzen Tag. Bleibt wieder die ganze Nacht weg. Sie ist eine schlanke, wilde, aufsässige Kriegerin. Aber noch immer voller Schmerz.

Wo bist du die ganze Nacht gewesen?, hatte ich gefragt. Es folgte der übliche Dialog. Es gehe mich nichts an â¦ aber es geht mich sehr wohl etwas an, weil sie in meinem Haus lebt, und was war eigentlich mit ihrer Zulassungsprüfung zum College und dem Versuch, sich selbst aus diesem Loch zu befreien â¦ Ich sei schuld, dass sie in dem Loch steckt, wegen Annie, der Trauer und weil nicht jeder einfach darüber hinwegkommt â¦ aber wann wird sie endlich aufhören, den Tod ihrer Schwester als Entschuldigung dafür zu benutzen, dass sie in der Abschlussklasse von der Privatschule geflogen ist, ihre Collegezulassung verloren hat und seither in keine Schule gegangen ist?

Sie hatte mit den Schultern gezuckt und mir geradewegs in die Augen gesehen. Wann war sie so geworden? Bereit, jeden abzuwehren, der ihr zu nahe kommt.

Was ist denn mit dir? Wann gehst du wieder arbeiten?, hatte sie gefragt.

Sie erinnert mich gern daran, dass auch ich aufgehört habe zu leben - ich atme, das schon, aber ich lebe nicht mehr richtig.

Heute Morgen hatte ich keine Antwort für meine Tochter. Heute Nachmittag hatte ich keine Antwort für meinen Sohn.

Ich habe Evan nach...
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