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Paula Modersohn-Becker

Eine Biographie mit Briefen
TaschenbuchKartoniert, Paperback
336 Seiten
Deutsch
btberschienen am01.06.2007
Das anschauliche Porträt einer der bedeutendsten deutschen Malerinnen

Paula Modersohn-Becker: eine Frau und Künstlerin zwischen gesellschaftlichen Zwängen und künstlerischem Freiheitsdrang.

Als Vorläuferin und Wegbereiterin der modernen Malerei in Europa gehört Paula Modersohn-Becker (1876-1907) zu den außergewöhnlichen Persönlichkeiten der Kunstgeschichte am Beginn des 20. Jahrhunderts, deren Originalität und Größe erst heute richtig erkannt werden.
Tochter aus bürgerlichem Haus, verheiratet mit dem bekannten Landschaftsmaler Otto Modersohn (1865-1943), befreundet unter anderem mit Rainer Maria Rilke und der Bildhauerin Clara Westhoff, pendelnd zwischen den beiden Polen Worpswede und Paris, wo sie sich von den spätantiken Mumienportraits im Louvre ebenso anregen ließ wie von Cézanne, Gauguin und van Gogh, rang sie stets um ihre Freiheit - als Künstlerin und als Frau.
In ihrer jetzt neu bearbeiteten und erweiterten, mit Briefen und Tagebuchaufzeichnungen dokumentierten Biografie zeichnet Marina Bohlmann-Modersohn die menschliche und künstlerische Entwicklung der Malerin nach, die mit ihren monumentalen Mutter und Kind-Kompositionen und revolutionären Selbstakten aus den Pariser Jahren 1906/07 ihrer Zeit kühn voraus eilte. Anhand von reichem, teilweise unbekanntem Quellenmaterial schildert die Autorin die Höhen und Tiefen eines kurzen, aber ungeheuer intensiven Lebens, das nach der Geburt eines Kindes endete und beleuchtet schließlich - in einem hundert Jahre umspannenden Blick zurück - die wechselvollen Wege und Stationen der öffentlichen Wahrnehmung von Werk und Person Paula Modersohn-Beckers nach ihrem Tod.

Aktualisierte und ergänzte Neuausgabe zum 100. Todestag am 20. November 2007.

Ausstattung: 16 Seiten Fototeil
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Produkt

KlappentextDas anschauliche Porträt einer der bedeutendsten deutschen Malerinnen

Paula Modersohn-Becker: eine Frau und Künstlerin zwischen gesellschaftlichen Zwängen und künstlerischem Freiheitsdrang.

Als Vorläuferin und Wegbereiterin der modernen Malerei in Europa gehört Paula Modersohn-Becker (1876-1907) zu den außergewöhnlichen Persönlichkeiten der Kunstgeschichte am Beginn des 20. Jahrhunderts, deren Originalität und Größe erst heute richtig erkannt werden.
Tochter aus bürgerlichem Haus, verheiratet mit dem bekannten Landschaftsmaler Otto Modersohn (1865-1943), befreundet unter anderem mit Rainer Maria Rilke und der Bildhauerin Clara Westhoff, pendelnd zwischen den beiden Polen Worpswede und Paris, wo sie sich von den spätantiken Mumienportraits im Louvre ebenso anregen ließ wie von Cézanne, Gauguin und van Gogh, rang sie stets um ihre Freiheit - als Künstlerin und als Frau.
In ihrer jetzt neu bearbeiteten und erweiterten, mit Briefen und Tagebuchaufzeichnungen dokumentierten Biografie zeichnet Marina Bohlmann-Modersohn die menschliche und künstlerische Entwicklung der Malerin nach, die mit ihren monumentalen Mutter und Kind-Kompositionen und revolutionären Selbstakten aus den Pariser Jahren 1906/07 ihrer Zeit kühn voraus eilte. Anhand von reichem, teilweise unbekanntem Quellenmaterial schildert die Autorin die Höhen und Tiefen eines kurzen, aber ungeheuer intensiven Lebens, das nach der Geburt eines Kindes endete und beleuchtet schließlich - in einem hundert Jahre umspannenden Blick zurück - die wechselvollen Wege und Stationen der öffentlichen Wahrnehmung von Werk und Person Paula Modersohn-Beckers nach ihrem Tod.

Aktualisierte und ergänzte Neuausgabe zum 100. Todestag am 20. November 2007.

Ausstattung: 16 Seiten Fototeil
Zusammenfassung
Details
ISBN/GTIN978-3-442-73643-0
ProduktartTaschenbuch
EinbandartKartoniert, Paperback
Verlag
Erscheinungsjahr2007
Erscheinungsdatum01.06.2007
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht334 g
Illustrationen16 Seiten Fototeil
Artikel-Nr.10753572
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Dresden-Friedrichstadt und die Schwachhauser Chaussee in Bremen1876 ?1892Der 8. Februar 1876 war ein stürmischer Tag. Das königliche Dresden lag unter dunklen, schnell dahinziehenden Wolken, schwere Schauer wechselten mit Schneegestöber. Schon seit Tagen war die Elbe vom Sturm aufgewühlt. Eisschollen trieben an ihren Ufern entlang. Das Hochwasser ? man konnte es den Wasserstandsanzeigen auf der Königin-Carola-Brücke entnehmen ? stieg bedrohlich. Rund um die Uhr war Carl Woldemar Becker damit beschäftigt, seinen Leuten Anweisungen zu geben, wie die erst vor kurzem unter seiner Leitung fertiggestellten Bahndämme am Fluß zu schützen seien, die aufgrund des heftigen Wellenschlags an manchen Stellen bereits einzubrechen drohten. Die Lage war heikel. Nicht nur große Summen standen auf dem Spiel, sondern auch der Ruf Carl Woldemar Beckers als Bau- und Betriebsinspektor der Berlin-Dresdener Eisenbahngesellschaft. In der Wohnung der Familie Becker im ersten Stock des Hauses in der Schäferstraße 42/Ecke Menageriestraße in Dresden-Friedrichstadt wartete die dreiundzwanzigjährige Mathilde Becker unterdessen auf die Geburt ihres dritten Kindes. Die Wehen hatten schon vor Mitternacht eingesetzt und waren in den frühen Morgenstunden so stark geworden, daß die werdende Mutter glaubte, jeden Moment könne das Kind kommen. Pausenlos rüttelte der Sturm an den Fenstern des Eckhauses. Die kleine Flamme in der gläsernen Petroleumlampe flackerte unruhig. Wann nur würde es endlich vorbei sein? Um kurz vor elf Uhr mittags war es soweit: Mathilde Becker brachte ein Mädchen zur Welt. Sein Name: Minna Hermine Paula. Ungern hatte Carl Woldemar Becker seine Frau in dieser Situation allein gelassen. Sein Blick beim Abschied war sorgenvoll gewesen, ängstlich fast. Zwar kümmerte sich eine Pflegerin um die junge Wöchnerin, aber sie war ungeschickt und der dramatischen Lage so wenig gewachsen, daß Mathilde Becker die Anwesenheit dieser Frau eher lästig als hilfreich empfand und den Augenblick herbeisehnte, da ihr Mann wieder bei ihr wäre. Nur wenige Tage nach der Entbindung verspürte die junge Mutter plötzlich einen starken Schmerz in der rechten Brust. Sie bekam hohes Fieber. Der Hausarzt diagnostizierte eine Brustentzündung. Die Geburt ihrer Tochter Paula war die einzige ihrer insgesamt sieben Geburten, von der sich Mathilde Becker erst ein halbes Jahr später erholen sollte. Noch im Geburtsjahr des Kindes, das am 17. April vom Diakon Frommhold der Friedrichstädter Matthäuskirche in seinem Elternhaus getauft wurde, verließen Carl Woldemar und Mathilde Becker die Schäferstraße und zogen in die nahegelegene Friedrichstraße in das Haus Nr. 46 um, das der Witwe des sächsischen Ingenieurs Professor Johann Andreas Schubert gehörte. Besonders schön war es in diesem Viertel nicht. Industrieunternehmen begannen sich anzusiedeln. Erst kürzlich war die Friedrichstadt zum Fabrikbezirk erklärt worden. In den Erdgeschossen der alten, mehrstöckigen Häuser hatten Schuster und Schneider, Drechsler und Eisengießer ihre Werkstätten, Metzger und Möbelhändler ihre Läden. Nur vereinzelt fand sich ein bürgerliches Haus. Aber von seiner geräumigen Dienstwohnung in der Friedrichstraße hatte es Carl Woldemar Becker nicht weit bis an seinen Arbeitsplatz, denn Friedrichstadt war der Spezialbahnhof der Eisenbahnlinie Berlin?Dresden mit einem Güter- und Rangierbahnhof und einem Ausbesserungswerk. Es war ein großes Gelände mit breiten Gleisanlagen. Lokomotiven pfiffen schrill, Lastkarren rumpelten über die Bahnsteige. Ununterbrochen dröhnten die Hammerschläge der Werkleute. Von der eisernen, vom Ruß der Schlote und Züge geschwärzten Eisenbahnbrücke hatte man einen weiten Blick: Drüben, im Südosten, hob sich die Silhouette der königlichen Residenzstadt Dresden gegen den lichtblauen Himmel ab. Türme und Kuppeln, Brücken und Terrassenanlagen. Das Schloß, Kirchen, Museen und ein prächtiges Hoftheater. »Blühe, deutsches Florenz, mit deinen Schätzen der Kunstwelt! Stille gesichert sei Dresden ? Olympia uns!« So hatte Johann Gottfried Herder die Stadt während seiner Aufenthalte an den grünen Ufern der Elbe gefeiert. Das Schönste am neuen Beckerschen Zuhause war der große Garten. Ein Garten mit vielen schmalen Sandwegen, verwunschenen Ecken und Blumenbeeten, auf denen Narzissen und Reseden, Goldlack und Levkojen blühten. Still war es hier, und es duftete warm und üppig. Paula, das Kind, liebte diesen Garten, in dem ein alter Schuppen stand. Sie liebte auch den Spielplatz des Großen Ostrageheges an der Elbe nördlich der Friedrichstadt, wo sie und ihre Geschwister am Strand Butterbemmen aßen. Oft machten Carl Woldemar und Mathilde Becker mit ihren Kindern einen Ausflug zum Carolasee im Großen Garten und ließen sich in der Gondel über das Wasser schaukeln, und zu den größten familiären Vergnügungen gehörte die alljährlich im Sommer auf den Elbwiesen oberhalb Dresdens stattfindende Volkswiese, ein buntes Fest mit Buden und Karussells. An warmen Sommertagen bestiegen die Beckers am Sonntag die Droschke und fuhren hoch zum »Weißen Hirsch« vor den Toren der Stadt mit seinen großen Waldparks, Wanderwegen und Freiluftbädern. Als Paula zehn Jahre alt war, hatte sie in der freien Natur eines der einschneidenden Erlebnisse ihrer Kindheit: Beim Spielen in einer großen Sandkuhle in Hosterwitz bei Dresden mit ihren beiden Lieblingscousinen Maidli und Cora Parizot, erstickte die elfjährige Cora unter einer zusammenstürzenden Sandgrubenwand. »Wir konnten uns retten«, wird Paula Becker später an Rainer Maria Rilke schreiben. »Dieses Kind war das erste Ereignis in meinem Leben. (?) Mit ihr kam der erste Schimmer von Bewußtsein in mein Leben.« Paula Becker wuchs mit fünf Geschwistern auf. Da war ihr Bruder Kurt, der Erstgeborene, der 1873 auf die Welt kam. Ihm folgte 1874 Bianca Emilie, Milly genannt. Der Bruder Günther wurde 1877 geboren, 1880 Hans. Dieses Kind starb mit zwei Jahren an den Folgen einer Diphtherie. Die beiden Jüngsten waren die 1885 geborenen Zwillinge Herma und Henry. Die Bindung unter den Geschwistern war groß. Die wohl engste Beziehung aber sollte Paula zu ihrer fast um zehn Jahre jüngeren Schwester Herma haben. Der Vater entstammte einer deutsch-baltischen Familie. Carl Woldemar Becker wurde 1841 in Odessa am Schwarzen Meer geboren und wuchs dort auf. Sein Vater, Paul Adam von Becker, hatte es als Sprach- und Literaturwissenschaftler an einer Hochschule in Odessa zu Ansehen und Wohlstand gebracht. Er war zum kaiserlich-russischen Staatsrat ernannt und geadelt worden. Die Familie Becker gehörte, wie die meisten der in die baltischen Länder Rußlands Ausgewanderten, zur führenden gesellschaftlichen Schicht. Sie war deutschsprachig und pflegte durch Korrespondenz und viele Reisen die Verbindung zur Heimat. 1862 kehrte Paul Adam von Becker mit seiner Familie nach Dresden zurück. Während seiner Jugendjahre in Rußland war auch Carl Woldemar Becker oft auf Reisen gewesen. Er hielt sich in Paris und London auf, lernte Französisch und Englisch und sprach fließend Russisch. Einen gewissen herben Akzent im Deutschen würde er nie ablegen können. Trotz seiner literarischen Neigungen galt sein überwiegendes Interesse den neueren Naturwissenschaften, so daß sich der junge Mann schließlich zu einem technischen Studium entschloß. Er wollte Ingenieur werden. Im Zeitalter der zunehmenden Technisierung und Industrialisierung ein Beruf mit Zukunft, wie er glaubte. Die Entscheidung des Sohnes wird bei Paul Adam von Becker zwar nicht gerade auf Widerstand gestoßen sein, aber erklären können hat er sie sich wohl kaum. Schließlich gehörte seine Familie einer Gesellschaftsschicht an, aus der vorwiegend Gelehrte und Geistliche, Juristen und vielleicht noch Ärzte hervorgingen. Aber auch Woldemar Beckers Bruder Oskar wählte einen Weg, der dem Vater nicht recht gewesen sein kann. Am 14. Juli 1861 unternahm der Student Oskar Becker auf der Lichtentaler Allee in Baden-Baden einen Attentatsversuch auf den preußischen König: »Seine Majestät« habe der Einigung Deutschlands im Weg gestanden, lautete die Begründung für die Aktion. Oskar Becker wurde zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt. 1866 begnadigte ihn König Wilhelm I. Nach Abschluß seines Studiums fand Carl Woldemar Becker eine Anstellung bei der Berlin-Dresdener Bahn, die ihren Hauptsitz in Dresden-Friedrichstadt hatte. Der Beginn, davon ging er aus, einer verheißungsvollen Beamtenlaufbahn. 1872 heiratete der einunddreißigjährige Bahnbeamte die 1852 geborene Mathilde von Bültzingslöwen. Die zwanzigjährige Tochter des bis 1866 in Lübeck stationierten Offiziers Adolph Heinrich Ludwig Friedrich von Bültzingslöwen hatte zwar einen guten Schulabschluß, ansonsten jedoch keine weitere Ausbildung. Aber das junge Mädchen war intelligent, wach, wissensdurstig und sprachbegabt. Mathilde las gern, liebte das Theater, die Musik, die Malerei. Ihre drei Brüder hatten sich in Übersee eine Existenz aufgebaut. Der Zusammenhalt zwischen den Familien Becker und von Bültzingslöwen, die beide aus dem sächsisch-thüringischen Raum stamm ten, muß außergewöhnlich stark gewesen sein. Die Bereitschaft der begüterten Verwandten, den weniger wohlhabenden Familienmitgliedern zu helfen, war groß. Diese Tatsache sollte sich auf den Lebensweg der jungen Paula Becker noch entscheidend auswirken. Im Jahr 1888 siedelten Carl Woldemar und Mathilde Becker mit ihren Kindern in die norddeutsche Hanse- und Handelsstadt Bremen über. Aus beruflichen Gründen. Bei der »Preußischen Eisenbahnverwaltung im Bremischen Staatsgebiet« übernahm Carl Woldemar Becker wieder den Posten des Bau- und Betriebsinspektors. Ein fremder Arbeitsplatz. Eine fremde Stadt. Eine vorwiegend von alteingesessenen Patriziern und wohlhabenden Handelsherren geprägte, hanseatisch verschlossene Gesellschaft, die Fremden den Zugang schwermachte. In der Beckerschen Dienstwohnung im Hause Schwachhauser Chaussee 29, wieder eine Wohnung mit Garten, ging es vergleichsweise bescheiden zu. Aber Mathilde Becker verstand es hervorragend, in ihrer heiter-herzlichen und liebevollanteilnehmenden Art Menschen auf Anhieb für sich zu gewinnen. Es gelang ihr sehr bald, interessante Kontakte herzustellen und das neue Bremer Zuhause zu einem Ort regen kulturellen Austausches und zu einem Zentrum für einen großen Freundeskreis zu machen. Heinrich Vogeler, der junge Kaufmannssohn aus Bremen, gehörte dazu. Der Kunsthistoriker Gustav Pauli, der 1905 Direktor der Bremer Kunsthalle wurde, und der Schriftsteller Rudolf Alexander Schröder kamen häufig. Eine enge Freundin Mathilde Beckers war Christiane Rassow, die Tochter des Bremer Bürgermeisters Friedrich Grave und Frau des späteren Senators Gustav Rassow. Sie engagierte sich ganz besonders stark für das vor allem vom Kunstverein und vom Künstlerverein geprägte kulturelle Leben in der Hansestadt und setzte sich für die Gründung eines Mädchengymnasiums in Bremen ein. Die Freunde mochten Mathilde Beckers Begeisterungsfähigkeit und Phantasie. Wenn es um die Gestaltung von familiären oder öffentlichen Festen ging, war sie diejenige, die ideenreich zu organisieren verstand. Gemeinsam wurde gesungen und gemalt, gedichtet und Theater gespielt. Innerhalb des weitverzweigten Bekker-Bültzingslöwischen Familienverbandes spielte Mathilde Becker eine zentrale Rolle. Carl Woldemar Becker mag die temperamentvolle, gelegentlich auch zu schwärmerische und deshalb oft oberflächlich wirkende Art seiner Frau nicht immer behagt haben. Der eher streng wirkende, aber in Wirklichkeit warmherzige und gütige Woldemar Becker war ein introvertierter Mensch, ein ernster, stiller Mann, mit einem ausgeprägten Pflichtbewußtsein und Verantwortungsgefühl, der zu Schwermut und Depression neigte und als schwierig und gelegentlich hart in seinem Urteil galt. Für die wilhelminische Zeit jedoch und im Vergleich zu der Mehrzahl seiner Mitbürger aus dem liberalkonservativen Lager war er ein ausgesprochen aufgeschlossener, geistig reger Mensch, der neben seinem Interesse am technischen Fortschritt auch einen ausgeprägten Sinn für philosophische Fragen und künstlerische Themen hatte. Paula Beckers Kinder- und Jugendjahre fielen in die sowohl politisch als auch kulturell bewegte Zeit des deutschen Kaiserreichs unter Wilhelm I. und Reichskanzler Bismarck. Der industrielle Fortschritt und das damit heranwachsende Industrieproletariat, wissenschaftliche Forschung und Entdeckungen veränderten die Gesellschaft von Grund auf. Die Städte wurden größer, die Maschine begann, den Menschen zu ersetzen. Während die Fabrikarbeit am Fließband für die Frauen aus der Arbeiterschicht zunehmend selbstverständlich wurde, galt die Berufstätigkeit von Frauen in den kultivierten bürgerlichen Kreisen immer noch als nicht »gesellschaftsfähig«. Ihre Töchter wurden allenfalls zu Erzieherinnen oder Lehrerinnen ausgebildet. Als »Gouvernanten« konnten sie die Zeit bis zu ihrer Ehe sinnvoll überbrücken, und sollten sie unverheiratete »Fräulein« bleiben, war ihnen so eine gewisse ökonomische Unabhängigkeit gesichert. Die nationale Politik des deutschen Kaisers wirkte sich auch auf die Kunst in Deutschland aus. Ebenso wie in den übrigen europäischen Ländern prägte die akademisch bestimmte Natur- und Genremalerei den Geschmack des ausgehenden Jahrhunderts. Großformatige Historienbilder und romantische Landschaften schmückten die Wände der Museen und repräsentativen Bauten. Gegen die Kunstpolitik der Gründerzeit revoltierten die meisten Künstler in Deutschland erst zu Beginn der neunziger Jahre, als sich in Frankreich und England bereits eine Avantgarde zu bilden begann, Impressionismus und Symbolismus sich formten. Mit ihren Sezessionsgründungen in Berlin und München lehnten sich Maler wie Max Liebermann, Walter Leistikow und Lovis Corinth gegen das von oben verordnete pathetisch-nationale Denken auf und setzten sich für mehr künstlerische Freiheit ein. Die Maler forderten eine stärkere Auseinandersetzung mit den künstlerischen Entwicklungen jenseits der Grenzen Deutschlands, insbesondere Frankreichs. Paris, das Ende des 19. Jahrhunderts als Sammelbecken moderner Strömungen galt und sich mitten in einem Prozeß gärender intellektueller Unruhe und intensiver schöpferischer Aktivitäten befand, wurde das Ziel der Künstler aus aller Welt und zum Inbegriff einer passionierten, kunstbegeisterten Boheme. 1. KAPITEL »Was meine Gedanken jetzt am meisten beschäftigt«1892?1895Frühjahr 1892. Nur wenige Tage nach ihrer Konfirmation, am 7. April, packt die sechzehnjährige Paula Becker ihre Koffer und geht in Begleitung ihres Vaters an Bord des großen Schiffes, das in Calais auf die Reisenden nach England wartet. Das Gedränge ist groß. Alle Plätze sind besetzt, als der Dampfer zu den Klängen einer Blaskapelle ablegt. In den Gängen türmt sich das Gepäck, die Luft ist schlecht. Paula versucht sich einen Weg auf das Oberdeck zu bahnen. Sie hat ihren kleinen grünen Hut ganz fest auf den Kopf gedrückt, damit ihn der Wind nicht davonträgt. Darunter das Haar, zu einem Zopf geflochten, der rötlichbraun schimmert. England! Wenn Paula hätte entscheiden können, stünde sie jetzt nicht an Deck dieses Schiffes. Warum diese Einladung nach England? Bei Tante Marie werde sie es gut haben und viel lernen, hatten die Eltern sie zu ermutigen versucht und ihr vorgeworfen, sie mache sich keine rechte Vorstellung von der Realität des Lebens. Sie müsse doch, wie es sich für ein Mädchen aus bürgerlichem Haus gehöre, Englisch lernen und kochen und auch in den wichtigsten hauswirtschaftlichen Dingen Bescheid wissen. Wie gern wäre sie zu Hause geblieben! Gerade jetzt, nachdem die Schule abgeschlossen war, hätte sie endlich mehr Zeit zum Zeichnen gehabt. In England war die Halbschwester Woldemar Beckers, Marie Bekker, mit dem wohlhabenden britischen Kaufmann und einstigen Plantagenbesitzer Charles Hill verheiratet. »Willey« hieß der großzügige Wohnsitz der Hills, ein Gut in der Nähe Londons. Tante Marie, von all ihren Tanten Paula die liebste, muß eine warmherzige und fürsorgliche, zugleich aber auch sehr strenge Frau mit äußerst klaren Vorstellungen von der standesgemäßen Ausbildung und Erziehung eines jungen Mädchens gewesen sein. Sprachen lernen, einen Haushalt führen können ? das war das eine. Aber es gehörte auch dazu, daß ein Mädchen Klavier und Tennis spielen konnte und zu reiten verstand. Paula macht alles, was Tante Marie von ihr verlangt. Sie setzt sich sogar an die Nähmaschine. Weißnähen, Wäsche durchsehen, flikken, säumen. Spaß macht ihr die Hausarbeit nicht unbedingt. Aber, so tröstet sich die Sechzehnjährige über die an sie gestellten Forderungen hinweg, ihre Hände sind nicht ungeschickt, und schaden kann ihr diese Schulung auch nicht. Zu ihren liebsten Aufgaben zählt Paula das Melken. »Cowslip« heißt die ihr anvertraute Kuh. Sehr bald schon weiß das Stadtkind aus Bremen, wie man Milch zu Butter verarbeitet. Freitags ist immer Buttertag. Ihrer Großmutter Cora von Bültzingslöwen berichtet die Enkelin aus England: Meine liebe Großmama, eben habe ich zwölf ganze Pfund Butter gemacht, ganz allein, ich bin natürlich furchtbar stolz darauf.29. Juli 1892 Das Gut der Hills lag in einer besonders schönen, von dichten kleinen Wäldern, satten Wiesen und vereinzelten Gewässern geprägten Landschaft. Wann immer es ihr die Zeit erlaubte, suchte Paula Becker eine stille Lichtung am Waldrand auf, die sie bereits bei ihren ersten Streifzügen durch die Umgebung entdeckt hatte. Sie liebte es, dort in der Stille zu sitzen. Stundenlang, das Strickzeug in der Hand, ein Buch oder den Skizzenblock. Einfach nur schauen, beobachten. Das war das Schönste. Eichhörnchen. Kaninchen. Das Spiel der Tiere, ihre Bewegungen. »Neulich habe ich mir kleine Kaulquappen gefangen und habe sie mir alle Tage angesehen, wie sie sich zu Fröschen entwickelten. Das war riesig interessant«, schrieb Paula nach Hause.mehr
Kritik
"Frisch und anregend erzählt. Das Kolorit dieses biographischen Zeitbildes stimmt!" Süddeutsche Zeitungmehr

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Autor

Marina Bohlmann-Modersohn ist in Bremen geboren und arbeitete nach ihrem Studium an der Sorbonne für die Pariser Redaktion des »Spiegel«. Langjährige Arbeitsaufenthalte führten sie nach London, München und Hamburg. Marina Bohlmann-Modersohn ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt heute als freie Autorin bei Bremen.