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Einzeln sein

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
288 Seiten
Deutsch
Hanser, Carl GmbH + Co.erschienen am23.08.20211. Auflage
Wie kommen wir damit zurecht, auf uns allein gestellt zu sein? Rüdiger Safranski über den Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft. Eine ganz besondere Geschichte der Philosophie
Jeder Mensch ist zunächst einmal ein Einzelner. Das kann zur Belastung werden, vor der ein Leben in Gemeinschaft schützt, das kann aber auch den Ehrgeiz wecken, die eigene Individualität zu kultivieren. Zwischen beiden Polen unserer Existenz hat es immer wieder eindrucksvolle Versuche gegeben, einzeln zu sein. Davon erzählt Rüdiger Safranski in seinem neuen Buch. Er beginnt bei Michel de Montaigne und führt über Rousseau, Diderot, Kierkegaard, Stirner und Thoreau bis zur existentialistischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Dabei nähert er sich aus immer anderen Richtungen der Frage, wie weit wir es ertragen, Einzelne zu sein - eine Frage, die sich ganz überraschend in unser alltägliches Leben gedrängt hat.

Rüdiger Safranski, geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Wissenschaftlicher Assistent, Herausgeber und Redakteur der Berliner Hefte, Dozent in der Erwachsenenbildung, seit 1986 freier Autor. Für sein in 26 Sprachen übersetztes Werk wurde er u.a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2014), mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie (2019) und Klassiker! (2019, mit Michael Krüger und Martin Meyer). Er lebt in Badenweiler.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR26,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextWie kommen wir damit zurecht, auf uns allein gestellt zu sein? Rüdiger Safranski über den Gegensatz zwischen Individuum und Gesellschaft. Eine ganz besondere Geschichte der Philosophie
Jeder Mensch ist zunächst einmal ein Einzelner. Das kann zur Belastung werden, vor der ein Leben in Gemeinschaft schützt, das kann aber auch den Ehrgeiz wecken, die eigene Individualität zu kultivieren. Zwischen beiden Polen unserer Existenz hat es immer wieder eindrucksvolle Versuche gegeben, einzeln zu sein. Davon erzählt Rüdiger Safranski in seinem neuen Buch. Er beginnt bei Michel de Montaigne und führt über Rousseau, Diderot, Kierkegaard, Stirner und Thoreau bis zur existentialistischen Philosophie des 20. Jahrhunderts. Dabei nähert er sich aus immer anderen Richtungen der Frage, wie weit wir es ertragen, Einzelne zu sein - eine Frage, die sich ganz überraschend in unser alltägliches Leben gedrängt hat.

Rüdiger Safranski, geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Wissenschaftlicher Assistent, Herausgeber und Redakteur der Berliner Hefte, Dozent in der Erwachsenenbildung, seit 1986 freier Autor. Für sein in 26 Sprachen übersetztes Werk wurde er u.a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2014), mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie (2019) und Klassiker! (2019, mit Michael Krüger und Martin Meyer). Er lebt in Badenweiler.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783446271685
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum23.08.2021
Auflage1. Auflage
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5703505
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Kapitel 1
Die Renaissance und der neu erwachte Sinn für den Einzelnen


Jeder ist ein Einzelner. Aber nicht jeder ist damit einverstanden und bereit, etwas daraus zu machen. Es kommt stets darauf an, wie der Einzelne die Probleme seiner Einzelheit annimmt und erträgt, Einsamkeit etwa oder schicksalhafte Gegebenheiten aus biologischen Prägungen und gesellschaftlichen Zufällen. Übernimmt man sie oder hadert mit ihnen, versucht man sie zu verbergen vor sich und den anderen? Entwickelt man das Eigene, oder gleicht man sich an? Meistens entscheidet man sich für irgendetwas dazwischen, und doch gibt es auch die Flucht in das Nicht-Eigene, wobei keiner er selbst ist, sondern jeder wie der andere.

Wer als Einzelner seine Eigenheit entdeckt und annimmt, möchte zwar sich selbst gehören, aber doch auch zugehörig bleiben. Diese Spannung bleibt. Denn man kann die Vereinzelung unfreiwillig erleiden, und man kann sie freiwillig in Kauf nehmen im Kampf um seine Eigenheit. Dabei lockern sich wohl die Bindungen an die Familie und andere Gesellschaftsverbände. Wer sich als Einzelner erlebt, steht im Freien, ohne sich deshalb schon befreit zu fühlen. Denn er merkt, wie sehr er auf Anerkennung angewiesen bleibt, insgeheim oder ausdrücklich. Der Einzelne, der auf seiner Eigenheit besteht, begnügt sich nicht mit dem einfachen Dazugehören, er will vielmehr in dem anerkannt werden, was ihn von anderen unterscheidet. Nicht das Gleichsein, sondern der Unterschied soll anerkannt werden.

Von der Einzelheit her lassen sich Gesellschaftstypen unterscheiden, je nachdem ob sie die Einzelheit begünstigen und gar zum Gesellschaftszweck erheben oder sie eher hemmen. Es geht also nicht nur darum, wie viel Einzelheit der Mensch überhaupt will und erträgt, sondern auch darum, welche gesellschaftlichen Begünstigungen oder Beeinträchtigungen er dabei erfährt.

Vieles spricht dafür, dass es, vor allem in Westeuropa, eine gesellschaftliche Entwicklung in Richtung Individualisierung gegeben hat und noch gibt. Zuletzt hat Andreas Reckwitz mit Blick auf die Spätmoderne von einer Logik des Singulären gesprochen. Schon Norbert Elias hatte die Grundzüge dieser Entwicklung analysiert und Jacob Burckhardt sie am Beispiel der italienischen Renaissance geschildert, diesem nach der griechischen Antike wohl zweiten großen Durchbruch einer Individualkultur.

Wenn der Einzelne auf sich selbst aufmerksam wird, neigt er dazu, sich der Gesellschaft insgesamt gegenübergestellt zu sehen, als handelte es sich um zwei Substanzen, hier drinnen das Ich, dort draußen die Gesellschaft und dazwischen das Spiel der Wechselwirkungen. Norbert Elias hat auf die optische Täuschung hingewiesen, die diesem Modell zugrunde liegt. Wir stehen nämlich der Gesellschaft niemals einfach gegenüber, denn wir sind und bleiben stets in ihr enthalten, auch dann, wenn wir uns von ihr vermeintlich absetzen. Individualisierung ist selbst ein gesellschaftlicher Prozess. Sie steht nicht in einem Gegensatz zur Gesellschaft, sondern ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Differenzierung, die es dem Einzelnen erlaubt, sich für bedeutungsvoll zu halten. Das Ich, das sich in seiner vermeintlichen Unverwechselbarkeit der Gesellschaft entgegensetzt, unterliegt einer Selbsttäuschung und weigert sich einzusehen, dass die Gesellschaft â¦ nicht nur das Gleichmachende und Typisierende, sondern auch das Individualisierende (ist). Daraus entsteht notwendigerweise ein Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Gesellschaftlichkeit, zwischen Ich und Wir. Im Blick auf die Geschichte dieses Spannungsverhältnisses konstatiert Norbert Elias: Auf den früheren Stufen â¦ neigte sich die Wir-Ich-Balance zumeist stark nach der Seite des Wir. Sie neigt sich in neuerer Zeit oft recht stark nach der Seite des Ich.

In der Epoche der italienischen Renaissance, an der Schwelle zur Neuzeit, hatte sich diese starke Ichbezogenheit glanzvoll gezeigt. Jacob Burckhardt schildert die individualisierende Wende der Welt- und Selbstwahrnehmung: Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewusstseins - nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst - wie unter einem gemeinsamen Schleier träumend oder halbwach. Der Schleier war gewoben aus Glauben, Kinderbefangenheit und Wahn; durch ihn hindurchgesehen erschienen Welt und Geschichte wundersam gefärbt, der Mensch aber erkannte sich nur als Rasse, Volk, Partei, Korporation, Familie oder sonst in irgendeiner Form des Allgemeinen. In Italien zuerst verweht dieser Schleier in die Lüfte; es erwacht eine objektive Betrachtung und Behandlung des Staates und der sämtlichen Dinge dieser Welt überhaupt; daneben aber erhebt sich mit voller Macht das Subjektive; der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches.

Die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse Oberitaliens, in denen sich die Geburt des Individuums in dem von Burckhardt bezeichneten Sinne vollzog, befanden sich auf einer Entwicklungshöhe, die im restlichen Europa erst Generationen später erreicht wurde.

Politisch gab es in Oberitalien keinen homogenen, von einer Zentralgewalt durchherrschten Raum, weder das Heilige Römische Reich noch die päpstliche Universalkirche war stark genug, um den Aufstieg der Stadtstaaten, besonders den von Florenz, hindern zu können. Auch politisch also war nicht die Form des Allgemeinen (Burckhardt) vorherrschend, sondern die partikulare Macht der Städte, die untereinander höchst gewaltsam konkurrierten. Die einzelnen Stadtherrschaften, ob republikanisch oder autokratisch, verhielten sich in der Arena des polyzentrischen Kräftespiels wie eigensinnige Individuen, denen es darum ging, sich abzugrenzen, sich zu behaupten und womöglich den eigenen Machtbereich auszudehnen. Dieser teilweise mörderische Wettbewerb der Mächte entfesselte zugleich eine beispiellose kulturelle Dynamik. Es gab partikulare Herrschaften, keine Oberherrschaft. Das Allgemeine verschwand im Besonderen. Der Papst, eigentlich das geistige Oberhaupt des Abendlandes, war eine Macht unter anderen. In Mailand herrschten die Sforza, in Florenz die Medici, in Mantua die Gonzaga, in Ferrara die Este, dazu die Seerepubliken Genua und Venedig, die über Europa hinausblickten. Der Kirchenstaat der Päpste, eigentlich das geistige Oberhaupt des Abendlandes, war eine Macht unter anderen und lauerte zusammen mit dem aragonischen Königreich Neapel vom Süden her wie der Kaiser und der französische König vom Norden her auf eine Gelegenheit, in dieses machtpolitisch zersplitterte und doch kulturell erblühende Oberitalien, einem frühen Laboratorium des modernen Europa, einzugreifen. Als dann später die Zentralmächte, zuerst Frankreich und später Habsburg, ihre Oberherrschaft über diesen Raum errichteten und damit der politischen Zersplitterung ein Ende setzten, war es auch mit der kulturellen Blüte vorbei, wobei sich wieder einmal zeigt, dass politische Einheitsgebilde der kulturellen Entwicklung nicht günstig sein müssen. So war es schon im antiken Griechenland, das kulturell blühte in der Epoche der zahlreichen Stadtstaaten und das seine kulturelle Produktivität einbüßte, als es nur noch Teil des mazedonischen und dann des Römischen Reiches war. Auch Deutschland fand zur kulturellen Hochblüte um 1800 in einem politisch zersplitterten Land, während die Reichsgründung 1870 kulturelle Verflachung mit sich brachte. Der machtpolitisch zersplitterte Raum, dieser höherstufige Individualismus der verschiedenen Machtgebilde im oberen Italien, gehört jedenfalls zu den Voraussetzungen einer Renaissance, die auch sonst das neue Selbstbewusstsein von Individualität begünstigte und zum Ausdruck brachte.

Der Individualismus der Renaissance bedeutet, dass der Einzelne ermuntert oder auch gezwungen wird, sich seiner selbst bewusst zu werden, weil die traditionellen Bindungen, Gesetze und Glaubenswelten ihre Autorität verlieren. Das ist auch eine Wirkung der Geldwirtschaft, die sich hier deutlich früher als im übrigen Europa durchsetzt. Geld versachlicht die Herrschaftsbeziehungen und vereinzelt jene Menschen, die auf dem Lande, herausgelöst aus dem feudalen Verband, zu individuellen Pächtern und in den Städten, entbunden vom Zunftzwang, zu sogenannten freien Arbeitern werden. Auch das bedeutet Individualisierung, nämlich den ökonomischen Herren nunmehr als Vereinzelte gegenübertreten zu müssen. In den oberen Rängen der Gesellschaft sind Rittertum und feudale Herren verschwunden und haben Platz gemacht für eine Geldaristokratie, die sich nicht durch Herkommen, sondern durch wirtschaftlichen Erfolg legitimiert. Oberitalien und die Toskana erleben zur Zeit der Renaissance eine Blüte des Frühkapitalismus, der mit seinen...
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Autor

Rüdiger Safranski, geboren 1945, studierte Philosophie, Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte. Wissenschaftlicher Assistent, Herausgeber und Redakteur der Berliner Hefte, Dozent in der Erwachsenenbildung, seit 1986 freier Autor. Für sein in 26 Sprachen übersetztes Werk wurde er u.a. mit dem Thomas-Mann-Preis (2014), mit dem Ludwig-Börne-Preis (2017) und dem Deutschen Nationalpreis (2018) ausgezeichnet. Zuletzt erschienen: Hölderlin. Komm! ins Offene, Freund! Biographie (2019) und Klassiker! (2019, mit Michael Krüger und Martin Meyer). Er lebt in Badenweiler.
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Safranski, Rüdiger