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Der fremde Freund. Drachenblut

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
174 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am11.03.20131. Auflage
»Ich bin unverletzlich geworden. Ich habe in Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt ließ mich irgendwo schutzlos. Aus dieser Haut komme ich nicht mehr heraus.« Das ist das Fazit der Ich-Erzählerin, Ärztin an einem Ostberliner Krankenhaus, kinderlos, geschieden. Von einem scheinbar ganz normalen Frauenleben berichtet sie, und doch werden hinter der kühlen, spröden Fassade die Ängste, das Mißtrauen und die Frustrationen sichtbar, die sie gnadenlos von der Welt, von sich selbst, der eigenen Kindheit und von Henry trennen, ihrem Freund, der im selben Hochhaus wohnt und der ihr bis zum Ende fremd bleibt. Schonungslos und suggestiv erzählt Hein von Einsamkeit und Beziehungslosigkeit in der DDR Anfang der achtziger Jahre. Mit der Novelle Der fremde Freund, die 1982 erschien und im Westen ein Jahr später unter dem Titel Drachenblut herauskam, erlebte Christoph Hein seinen literarischen Durchbruch.



Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut.
Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. Seine Romane sind Spiegel-Bestseller.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR10,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,00
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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

Klappentext»Ich bin unverletzlich geworden. Ich habe in Drachenblut gebadet, und kein Lindenblatt ließ mich irgendwo schutzlos. Aus dieser Haut komme ich nicht mehr heraus.« Das ist das Fazit der Ich-Erzählerin, Ärztin an einem Ostberliner Krankenhaus, kinderlos, geschieden. Von einem scheinbar ganz normalen Frauenleben berichtet sie, und doch werden hinter der kühlen, spröden Fassade die Ängste, das Mißtrauen und die Frustrationen sichtbar, die sie gnadenlos von der Welt, von sich selbst, der eigenen Kindheit und von Henry trennen, ihrem Freund, der im selben Hochhaus wohnt und der ihr bis zum Ende fremd bleibt. Schonungslos und suggestiv erzählt Hein von Einsamkeit und Beziehungslosigkeit in der DDR Anfang der achtziger Jahre. Mit der Novelle Der fremde Freund, die 1982 erschien und im Westen ein Jahr später unter dem Titel Drachenblut herauskam, erlebte Christoph Hein seinen literarischen Durchbruch.



Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut.
Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. Seine Romane sind Spiegel-Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518738955
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum11.03.2013
Auflage1. Auflage
Seiten174 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1149 Kbytes
Artikel-Nr.1245172
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Noch am Morgen der Beerdigung war ich unschlüssig, ob ich hingehen sollte. Und da ich nicht wußte, wie ich mich bis zum Mittag entscheiden würde, nahm ich den Übergangsmantel aus dem Schrank. Es war ein dunkelblauer Mantel, man konnte ihn für schwarz halten, mit einer Pelzschale von Kanin. Es war gewiß kein geeignetes Kleidungsstück für einen Sommertag, aber ich wollte auch nicht die ganze Zeit in einem dunklen Kostüm herumspazieren. Und in einem hellen Kleid auf dem Friedhof zu erscheinen, falls ich mich entschließen sollte, schien mir gleichfalls unpassend. Der Mantel war ein Kompromiß. Falls ich wirklich hingehen würde. Ich legte ihn über den Arm, bevor ich die Wohnungstür verschloß.

Am Fahrstuhl mußte ich warten. Der Offizier aus Frau Rupprechts Wohnung stand zwischen den beiden Türen des Fahrstuhlschachtes. Er drückte unaufhörlich die zwei Knöpfe. Auch er trug einen Mantel über dem Arm, eine Art Regenpelerine für Militärs. Vielleicht gehörte er nicht zur Armee, sondern zur Polizei. Ich weiß die Uniformen nicht zu unterscheiden. Unter der Pelerine ragte eine Tasche hervor, ein Diplomatenkoffer. Er hatte mir zugenickt, als ich kam, und sich dann wieder stumm den Knöpfen des Fahrstuhls zugewandt. Mit der Stiefelspitze klopfte er nervös einen Takt.

Irgendwo in der Tiefe des Schachtes hörte ich ein Rauschen, ein Vibrieren von Stahlseilen, das Versprechen auf eine erwünschte Veränderung, eine Hoffnung, die geduldig macht. Dann erschien das Licht hinter dem kleinen Glasfenster. Der Offizier schob die Tür zurück und stieg in den besetzten Fahrstuhl. Mit dem wulstigen Mantel auf dem Arm drängte ich mich ihm hinterher. Die unbewegten Gesichter wurden abweisender. Eine schweigende Fahrt in die Tiefe. Zweimal hielt der Lift, aber keiner verließ ihn und keiner kam herein. Stumm starrte ich in Gesichter, aus allernächster Nähe, und wurde ebenso stumm und direkt gemustert. Ein Sichkennenlernen mit allen Sinnen, unerwünscht, besonders kränkend für den Geruchssinn.

Unten angelangt, warf ich einen Blick auf die Briefkästen. Es waren nur Zeitungen zu sehen, die Post kam später. Am Schwarzen Brett hing noch die Todesanzeige. Ein Vordruck, auf dem mit blauem Kugelschreiber der Name, der Friedhof und eine Uhrzeit eingetragen waren. Irgend jemand hatte die Karte mit einer Reißzwecke angeheftet. Wahrscheinlich der Hausmeister. Er wird die Todesanzeige mit der Post erhalten haben. Irgendwann wird er über jeden eine solche Anzeige bekommen, über jeden, der hier stirbt. Und das wird, zusammen mit einem reparierten Wasserhahn und einer ins Schloß gefallenen Tür, die er mit einem Schraubenzieher und einer kräftigen Bewegung der Schulter wieder öffnet, der einzige persönliche Kontakt sein, den er mit den Mietern hat.

Ich glaube nicht, daß irgend jemandem diese Anzeige etwas bedeutet. In meinem Haus sterben zu viele Leute. Hier wohnen einfach zu viele alte Leute. Da hängen jeden Monat diese schwarzumränderten Karten im Hausflur, drei, vier Tage lang, bis sie jemand abreißt. Ich glaube nicht, daß Henry hier außer mir jemanden kannte. Er hätte es mir sicher gesagt.

Ich legte den Mantel hinten in den Wagen und fuhr in die Klinik.

Unter meiner Tür lag ein Brief. Der Chef bat mich, mit ihm am Nachmittag zum Bürgermeister zu gehen. Er hatte eine Aussprache verlangt, da die Wohnungskommission der Klinik zwei Zimmer gestrichen hatte. Unser Kontingent an Wohnraum war bislang nie eingeschränkt worden. Wir brauchen die Zimmer für neue Krankenschwestern, die wir aus der Provinz holen. Sie fangen bei uns nur an, wenn wir sie in Berlin mit einem Zimmer versorgen können. Weshalb ich mitgehen sollte, wußte ich nicht. Vielleicht nahm er an, ich sei noch immer die Sozialbeauftragte der Gewerkschaft. Ich hatte die Funktion im vergangenen Jahr abgegeben. Vielleicht wollte er auch nur etwas Unterhaltung. Der Chefarzt war dafür bekannt, daß er gern mit Gefolge auftrat. Ich sollte ihn gleich anrufen.

Viertel nach acht erschien Karla, die Schwester. Wie immer stürzte sie in mein Zimmer und sagte, daß sie sich ein kleines bißchen verspätet habe, ich wüßte ja, die Kinder. Karla verspätet sich jeden Tag ein kleines bißchen und immer mit einem Hinweis auf ihre Kinder. Vermutlich erwähnt sie ihre Kinder in der Annahme, bei mir ein schlechtes Gewissen zu wecken. Sie ist dieser Typ Frau, der unbeirrt an der Mutterrolle festhält. Das kuhäugige, warme Glück, das lassen wir uns nicht nehmen, da weiß man doch, wozu man lebt. Für die Kinder, die für die Kinder leben, die für die Kinder. Offenbar ist die Menschheit einem Zirkelschluß aufgesessen. Die Generationsfolge ein Ergebnis falscher Prämissen. Der Teufel als Meister der Syllogistik. Das könnte ein hübsches Erwachen geben. Vorerst aber haben wir einen Lebenssinn. Jedenfalls Karla. Sie weiß auch genau, warum meine Ehe geschieden wurde. Sie ist überzeugt, daß mein Mann mich verließ, weil ich ihm keine dicken Kinder in die Welt setzte oder weil ich keinen dicken Busen habe oder weil ich mich nicht schminke.

Als Karla den Kleiderschrank öffnete und meinen Mantel sah, fragte sie, ob ich zu einer Beerdigung gehe. Ich ärgerte mich jetzt, daß ich ihn nicht im Wagen gelassen hatte. Ihre Frage entschied, daß ich am Nachmittag auf den Friedhof gehen werde. Alle Überlegungen waren durch diesen Trampel über den Haufen geworfen. Ich spürte, wie mich der Ärger innerlich verkrampfte. Nun kamen die üblichen Bemerkungen, ein Verwandter, ach, ein Freund, ja, das ist schlimm, war er noch jung, ach, das ist sehr schlimm, wie gut ich Sie verstehe, Sie sehen auch ganz blaß aus. Ich beschäftigte mich mit Akten. Karla zog sich jetzt um. Da im Vorzimmer Kartei und Schränke standen, hatte man unseren Garderobenspind in mein Zimmer gestellt. So mußte sich auch die Schwester hier umziehen, waschen, kämmen. Karla pflegt ihren Körper sehr ausführlich. Sie bringt es fertig, stundenlang im Büstenhalter vor mir herumzuturnen, mit ihren Fingernägeln beschäftigt oder mit irgendwelchen Hautcremes. Einmal sagte sie zu mir, sie sei schwitzig, ein Ausdruck, der mir Übelkeit verursacht. Während Karla sich umzog, rief ich den Alten an. Ich sagte ihm, daß ich am Nachmittag zu einer Beerdigung gehen müsse. Er erwiderte nichts. Ich war erleichtert, daß er nicht versuchte, mir zu kondolieren. Ich sagte ihm noch, daß die neue Kollegin aus der augenärztlichen Abteilung jetzt meinen Gewerkschaftsposten habe. Sie war so neu gewesen, gegen ihre Wahl in diese Funktion hatte sie keine überzeugende Ausrede gefunden. Ich sagte dem Chefarzt, sie sei jünger und hübscher. Er tat entrüstet und sprach von meinem Charme, dem er für immer verfallen sei. Dann legte er auf. Karla ging ins Vorzimmer. Später hörte ich, wie sie die Tür aufschloß und die Patienten aufrief.

Kurz vor dem Mittagessen kam Herr Doyé zu mir. Er ist zweiundsiebzig Jahre alt und Hugenotte. Verheiratet mit einer gelähmten Frau, was ihn aber nicht davon abhält, es regelmäßig mit ihr zu treiben, wie er sagt. Er erzählt gern über sein Sexualleben. Wahrscheinlich ist das der Grund, weshalb er wöchentlich hier erscheint. Krank ist er nicht. Er sitzt fünf Minuten bei mir, schwätzt, was er für ein Kerl war und immer noch ist. Dann werfe ich ihn raus, und er setzt sich zu Karla oder ins Wartezimmer, um weiter zu erzählen. In der vorigen Woche brachte er mir einen Lippenstift mit. Er drängte mich, ihn gleich zu benutzen. Als ich ihn herausdrehte, war es ein kleiner, dunkelroter Phallus aus Kunststoff. Er fand das sehr witzig. Er sagte, daß wir zwei ja Bescheid wüßten, uns bräuchte man nichts zu erzählen. Er ist ein schmuddliger, widerlicher und sehr netter Kerl. An manchen Tagen vertrage ich ihn recht gut und höre ihm zu. Manchmal kotzt er mich an, und ich schmeiß ihn schnell raus.

Heute redete er nur über die Beerdigung, zu der ich gehe. Er hatte mit Karla gesprochen, und das dumme Ding hatte es ihm erzählt. Nun wollte er herauskriegen, wie gut ich mit Henry befreundet war und ob ich es mit ihm »getrieben« hätte. Schließlich setzte er sich wieder zu Karla. Karla beklagt sich öfter, daß er sie anfaßt, aber ich bin nicht sicher, daß es ihr mißfällt. Ich denke, sie gehört zu den Frauen, denen gegenüber ein Mann sich alles erlauben kann, einfach weil er ein Mann ist. Jedenfalls werde ich den alten Doyé nicht zurechtweisen, wie es Karla verlangt. Sie ist eine erwachsene Frau und kann für sich selber einstehen. Warum soll ich ihretwegen einen traurigen Alten kränken, der bei uns nur die Zeit totschlagen will, bis das Fernsehprogramm beginnt.

Beim Mittagessen sah ich, daß der Chef die neue Kollegin bereits an seinen Tisch geholt hatte. Er zwinkerte mir von weitem zu und wies auf sie. Ich setzte mich an meinen Platz und löffelte eine Gemüsesuppe. Die Kollegen wußten von der Beerdigung und stellten ein paar Höflichkeitsfragen. Aber eigentlich interessierte es keinen, und wir sprachen bald wieder über das übliche. Einem Kollegen aus der Röntgenabteilung hatte man vor drei Wochen den Wagen gestohlen. Er besaß ihn erst zwei oder drei Monate und hatte ihn für den doppelten Taxwert gekauft. Die Polizei hat ihm erklärt, daß es aussichtslos sei, den Wagen wiederzufinden, und ihn an die Versicherung verwiesen. Und die Versicherung will ihm nur einen Teil des Taxwertes ersetzen. Seit drei Wochen redet er über nichts anderes, und die meisten Kollegen können sich darüber gleichfalls ereifern. Ich glaube, wenn er den Autodieb erwischen könnte, er würde ihn erschlagen. Der hippokratische Eid hat eben seine Grenzen. Wie alles.

Nach dem Essen ging ich mit Anne einen Kaffee trinken. Anne ist drei Jahre älter als ich. Sie war Zahnärztin und mußte den Beruf vor...
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Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut.Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis. Seine Romane sind Spiegel-Bestseller.