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Auswilderung

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
250 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am15.09.2014Originalausgabe
Freizeit? Schlaf? Kein Kommentar. Dafür lebt Marina mit Anfang Dreißig den Traum einer ganzen Forschergeneration. Für ein Millionenprojekt der UN experimentieren sie und ihr Mentor Griffin mit Gorillas, die zwar wie Menschen aufwachsen. Aber sollten Gorillas auch Rechte haben? Was wären die Konsequenzen? Marina driftet immer tiefer ab in die Welt ihres Mentors, die von Fördergeldern bewegt wird. Im letzten Moment beschließt sie zu handeln - und manipuliert die Forschungsergebnisse. Auf einer Insel im Roten Meer läuft die Auswilderung der Tiere an. Das Problem: Die Gorillas wollen ihre Freiheit nicht mehr; einige werden depressiv; bald schon der erste Todesfall. Die UN macht Druck. Ihre Karriere, Griffin, alles steht vor dem Aus. Und Marina erkennt, dass sie viel weniger für die Freiheit der Gorillas kämpft als für ihre eigene. »Auswilderung« ist ein kühnes literarisches Debüt, wie es lange keines gab: Coming of Age in Zeiten des konditionierten Egoismus. Ein spannendes Porträt unserer Gegenwart, abgründig, unterhaltsam, bewusstseinserweiternd.


Bettina Suleiman, geboren 1978 in Dessau, schloss ihr Philosophiestudium mit einer Promotion über das Argument der Selbstverteidigung im israelischen-palästinensischen-Konflikt ab. Sie arbeitete für verschiedene Theater und NGOs in Israel. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Haifa. Auswilderung ist ihr erster Roman.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextFreizeit? Schlaf? Kein Kommentar. Dafür lebt Marina mit Anfang Dreißig den Traum einer ganzen Forschergeneration. Für ein Millionenprojekt der UN experimentieren sie und ihr Mentor Griffin mit Gorillas, die zwar wie Menschen aufwachsen. Aber sollten Gorillas auch Rechte haben? Was wären die Konsequenzen? Marina driftet immer tiefer ab in die Welt ihres Mentors, die von Fördergeldern bewegt wird. Im letzten Moment beschließt sie zu handeln - und manipuliert die Forschungsergebnisse. Auf einer Insel im Roten Meer läuft die Auswilderung der Tiere an. Das Problem: Die Gorillas wollen ihre Freiheit nicht mehr; einige werden depressiv; bald schon der erste Todesfall. Die UN macht Druck. Ihre Karriere, Griffin, alles steht vor dem Aus. Und Marina erkennt, dass sie viel weniger für die Freiheit der Gorillas kämpft als für ihre eigene. »Auswilderung« ist ein kühnes literarisches Debüt, wie es lange keines gab: Coming of Age in Zeiten des konditionierten Egoismus. Ein spannendes Porträt unserer Gegenwart, abgründig, unterhaltsam, bewusstseinserweiternd.


Bettina Suleiman, geboren 1978 in Dessau, schloss ihr Philosophiestudium mit einer Promotion über das Argument der Selbstverteidigung im israelischen-palästinensischen-Konflikt ab. Sie arbeitete für verschiedene Theater und NGOs in Israel. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Haifa. Auswilderung ist ihr erster Roman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518739198
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum15.09.2014
AuflageOriginalausgabe
Seiten250 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1484193
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Weiß symbolisiert Unschuld, Rot symbolisiert Gefahr. Die Schrift ist weiß und das Schild rot und groß genug, um die Botschaft in zwei Sprachen zu verkünden, auf Französisch und Englisch: Mortal Danger - No Trespassing. Nicht groß genug, um spezifizieren zu können, was hinter dem Zaun lauert und das Leben von unbefugten Eindringlingen gefährdet. Vermutlich Landminen, wir sind in Afrika.

Dann zoomt die Kamera langsam raus und das Schild bekommt einen Rahmen aus grauem Maschendraht und himmelblauer Plastikfolie, gekrönt von einer Rolle Stacheldraht. Vorsichtiger Schwenk nach links, und wir sehen den Zaun in seiner ganzen Pracht. Die Metallpfosten ? alle zehn oder vielleicht auch nur fünf Meter ein schlankes silberglänzendes Y ? erstrecken sich bis zum Horizont. Der nicht weit entfernt ist, das Gelände ist uneben, der Zaun zieht sich eine leichte Steigung hinauf. Wie weit die Sicht geht, lässt sich an den Schildern abzählen, Mortal Danger, vier oder fünf davon in regelmäßigen Abständen, alle hundert Meter vielleicht.

Ein Bellen, ein Grunzen, ein hastiger Schwenk nach rechts: Was ist das? Eine dunkle Gestalt balanciert auf einem Y, einen nackten Fuß auf jedem Ende, bis zu den Knien im Stacheldraht. Die Kamera weiß nicht, wo sie zuerst hinschauen soll, auf die Zehen, die sich um die Pfosten klammern ? wie geht das, ohne vom Draht zerschnitten zu werden? ?, oder auf die massige Gestalt selbst, den riesigen Schädel, die stark vorgewölbten Augenbrauen, das dichte Körperhaar. King Kong? Dann springt sie ? drei Meter?, fünf Meter? ?, und es sieht kinderleicht aus. Sie landet auf den Füßen, geht in die Knie und schnellt wieder hoch, und im selben Moment taucht eine schwarze, behaarte Hand hinter dem blauen Plastik auf, umfasst das Y, und eine zweite, kleinere Gestalt zieht sich daran nach oben, blitzschnell und mühelos. Sie scheinen geübte Kletterer zu sein, die zwei, die drei, fünf sind es am Ende. Eine Minute, länger brauchen sie nicht, und schon stehen sie auf der anderen Seite. Der Größte von ihnen rennt entschlossen in Richtung Kamera. Sekunden nur, und er wird sie erreicht haben.

Die Einstellung wechselt, die Kamera streift die Savanne, die weißlichen Gräser, grünlich-graue Bäumchen, alles sonnenverbrannt und verwackelt. Eine staubige Windschutzscheibe, die linke Hand des Kameramanns umklammert das Lenkrad. Und dann noch einmal die fünf, während der Flucht hat proudexplorer sie aus dem Seitenfenster gefilmt, auf gut Glück draufgehalten oder auf gut Glück losgefahren, Schau-nach-vorne muss nicht sein in der Wüste. Die Bilder muss er im Kasten haben, und als er sie kommentiert, als er uns erklärt, was wir da eigentlich sehen, überschlägt sich die Stimme des stolzen Hobbyforschers vor Aufregung, vor Aussicht auf Geld und Ruhm.

In den ersten vierundzwanzig Stunden wurde der Clip zwanzigtausend Mal angeklickt. Innerhalb einer Woche hätte er die hunderttausend locker überschritten. Aber schon einen Tag nach dem Upload war er nicht mehr aufrufbar, waren die zu erwartenden Werbeeinnahmen im Eimer.

Es ist zwei, drei Jahre her, dass das Video auf YouTube aufgetaucht ist. Ein Must-See: Wer diese verwackelten Bilder nicht kennt, hat die einzigen Aufnahmen verpasst, die von Griffins Projekt je an die Öffentlichkeit gelangt sind. Sicher halfen die abschreckenden Gerüchte, von dem verprügelten Journalisten; von dem Aktivisten, den die Subjects angeblich in Stücke rissen. Das sind keine Kuscheltiere, war die Botschaft. Griffin hatte die Subjects nicht jahrelang menschlicher Gesellschaft entwöhnt, um am Ende einen Pulk Gaffer und Hobbyforscher auf sie loszulassen. Wer wissen will, wie die Sache weiterging, der kommt an ihm nicht vorbei.

Aber komm erst mal an ihn ran. Glaub bloß nicht, es sei leicht, sich seine Gunst zu erarbeiten. Du hast mit Auszeichnung studiert und Empfehlungen bekommen? Das hat die halbe Welt. Du machst Überstunden und dich nützlich, nimmst dabei klaglos hin, dass du nie auftauchst unter den Ko-Autoren und in den Danksagungen, auch wenn du die Daten erhoben hast, nicht Griffin? Erwarte kein Schulterklopfen für Selbstverständlichkeiten. Es ist ein Akt der Gnade und nicht weniger, wenn dein Name eines Tages neben seiner Tür zu lesen ist, The super student is: Marina Heuter. Dann koste deine fünfzehn Minuten mit aller Macht aus. Sind sie erst vorbei, führt kein Weg zurück.

Warum darf ich mir das hier dann ansehen? Wie komme ich zu der Ehre?

Gorti_6, Tag 2, 14:07 Uhr, sagt die Einblendung am unteren Bildschirmrand, große weiße Buchstaben, kaum lesbar auf dem Hintergrund der hellgelben Savanne, der staubigen, ungepflasterten Straße, und dort am Straßenrand taucht sie wieder auf, die Fünfergruppe. Ich erkenne keinen von denen, die dort ihres Weges ziehen, mit stoischem Gleichmut und neuerdings auf allen vieren. Die Aufnahmen sind aus einiger Entfernung gemacht worden.

Beim nächsten Cut sind wir in den Bergen, wo die Subjects mit erstaunlichem Tempo einen dicht bewachsenen Hang hinaufsteigen. Der Einsatz ihrer langen Arme beschleunigt die Fortbewegung augenscheinlich und macht sie müheloser. Ihre kurzen Beine sind dabei von Vorteil: Ihre Oberkörper sind im Laufen aufgerichtet, und sie haben auch so alles im Blick, den Urwald um sie herum, das Grün, Grün und nochmals Grün. Von Zivilisation ist weit und breit keine Spur, und mir kommen fast die Tränen vor Rührung. Es hat Leute gegeben, die eine Auswilderung für leidvoll oder gar unmöglich hielten. Ich wünschte, die könnten das hier jetzt sehen. Gorti_6, Tag 3, 17:12 Uhr, ich kann ihre Gesichter nicht erkennen, aber ich bin mir sicher, dass sie ganz aus dem Häuschen sind vor Glück.

Gorti steht für Gorillas Return to Innocence, ein den erhabenen Zielen der Studie angemessener Titel, den Griffin vermutlich ironisch gemeint hat. Die Ziffer weist darauf hin, dass wir es mit Gruppe 6 zu tun haben.

»Dreiundsechzig Kilometer liegen hinter ihnen«, informiert das Voice-Over, eine geschulte Altstimme, warm und sympathisch, unterdrückter niederdeutscher Akzent, »zwanzig und mehr am Tag.« Mit der Disziplin und Hingabe von Pilgern, als hätten sie keine andere Wahl, marschieren die Subjects von Gorti_6 zwölf Stunden am Tag - wohin eigentlich?, frage ich mich -, reißen nur en passant Beeren und Früchte von Büschen und Bäumen und verschlingen sie im Gehen. Rast machen sie kaum. Von Tag zu Tag werden ihre Körper ausgezehrter. Von Freude keine Spur mehr, es ist deprimierend, die Subjects stellen sich in freier Wildbahn kaum geschickter an als, sagen wir, Griffin und ich es täten, ausgesetzt in der Walachei. Ich frage mich, warum sie nicht besser vorbereitet sind; was Griffin in all den Jahren mit ihnen gemacht hat.

Der Rekord liegt bei zweihundertzwanzig Kilometern durch Savanne, Urwald und Sümpfe. Nach zwölf Tagen war Gorti_3 am Ende gewesen, hatte die Gruppe sich mit allerletzter Kraft vorwärts geschleppt, sodass Griffins Leute die Sache hatten abbrechen müssen. Der Tod eines Subjects wäre die größte mögliche Katastrophe. Gewehrt hatte Gorti_3 sich nicht. Die Kollegen hatten sich nur zeigen müssen, und die Subjects waren auf sie zugelaufen. Ich meinerseits schaffe es nicht, ihnen auch nur ein Stück entgegenzugehen, ich spüre meine Beine nicht, mein ganzer Körper versagt. Je näher die Subjects mir kommen, umso stärker wird der vertraute, jahrelang entbehrte Duft, herb-männlich, weiblich-süß, ich sauge ihn auf, als könnte ich einen Vorrat anlegen. Wer weiß, ob ich ihn je wieder riechen werde. Die Subjects grunzen, sie freuen sich, mich zu sehen. Ich will sie fragen, warum sie sich dieser Tortur unterzogen haben, statt einfach dort zu bleiben, wo wir sie ausgesetzt hatten, in ihrem neuen Zuhause. Da schrecke ich hoch, werde in meinem Schreibtischstuhl wach, den Geruch noch in der Nase; ein Blick auf den Bildschirm genügt, wo das Video ungerührt weiterläuft, und weg ist er. Die Grunzlaute sind in Wahrheit die Jubelschreie von Gorti_6, ausgelöst von Anzeichen menschlicher Aktivität. In einem Tal zu ihren Füßen haben sie eine lose Ansammlung rostiger Dächer entdeckt. Trampelpfade durchziehen die kahle Erde zwischen den Hütten, Braun- und Ockertöne dominieren auch hier, gesprenkelt vom Grün eines Baums, eines Buschs. In angemessener Entfernung umzieht ein Ring aus Plastikmüll die Behausungen. Der Lärm von Motoren, Werkzeugen und Kindern vertreibt die Stille, Staub wirbelt auf und schwebt als Wolke über dem Dorf. Ausgerechnet das küren die Subjects zu ihrem Ziel, ausgerechnet dahin rennen sie jetzt. Die Skeptiker werden das gern sehen. Sie haben es von Anfang an gewusst.

Eine Minute später, an Tag 4, 11:12 Uhr, ehe sich die Bevölkerung mit Gewehren oder Macheten gegen den vermeintlichen Angriff wehren kann, kommen die Forscher ihr zuvor. Narkosepfeile bohren sich in das Fleisch der Subjects. Die zucken zusammen, ihre Bewegungen werden langsamer und unsicherer, schließlich bleiben sie stehen. Zwei legen sich hin, drei fallen. So endet der Ausflug von Gruppe 6. So enden die meisten dieser Expeditionen.

Einen Schnitt später kündigt das Knacken von Zweigen den nächsten Versuch dieser Familie Robinson an. Sie sind zurück. Wieder wurden sie ausgesetzt in der Wildnis. Vorläufig sitzen die fünf zusammengekauert im Gras neben dem Käfig, in dem sie sich heute Morgen aufs Neue wiedergefunden haben. Geben sie sich schließlich geschlagen? Nein. Als sie Gesicht und Hände zufällig in die am Gitter angebrachte Kamera drehen, schnappe ich Gesprächsfetzen auf: Nach Hause? Geheimsprache, stumme Sprache. Weiß Griffin, dass er ihnen nicht einmal die hat austreiben können?

»Sechzehn...
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Autor

Bettina Suleiman, geboren 1978 in Dessau, schloss ihr Philosophiestudium mit einer Promotion über das Argument der Selbstverteidigung im israelischen-palästinensischen-Konflikt ab. Sie arbeitete für verschiedene Theater und NGOs in Israel. Heute lebt sie mit ihrem Mann in Haifa. Auswilderung ist ihr erster Roman.
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