Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Der eiserne Sommer

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
360 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am18.08.2014Originalausgabe
München 1914: Während die Bevölkerung wie im Taumel das hundertjährige Bestehen des königlichen Leibregiments feiert, wird am Isarufer die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Die Todesumstände gelten als »pikant«, und die Behörden würden den Fall am liebsten unter den Teppich kehren. Doch der junge Kommissär Reitmeyer macht sich gegen den Willen seiner Vorgesetzten auf die Suche nach dem Mörder. Seine Ermittlungen führen ihn von den Arbeitervierteln bis in die Villen der Großbürger. Und in das berühmt-berüchtigte Café Neptun, Vergnügungsort der Offiziere. Ausgerechnet dort stößt er auf eine heiße Spur.
Weil er per Gesetz nicht gegen das Militär ermitteln darf, drängt der Polizeipräsident persönlich Kommissär Reitmeyer, seine Ermittlungen in einem Mordfall einzuschränken. Da macht Reitmeyer eine ungeheuerliche Entdeckung, die nicht nur ihn selbst zum Abschuss freigibt - unmittelbar vor Kriegsausbruch könnte sie das ganze Land in den Untergang stürzen ...



Angelika Felenda hat Geschichte und Germanistik studiert und arbeitet als literarische Übersetzerin in München.
mehr
Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextMünchen 1914: Während die Bevölkerung wie im Taumel das hundertjährige Bestehen des königlichen Leibregiments feiert, wird am Isarufer die Leiche eines jungen Mannes gefunden. Die Todesumstände gelten als »pikant«, und die Behörden würden den Fall am liebsten unter den Teppich kehren. Doch der junge Kommissär Reitmeyer macht sich gegen den Willen seiner Vorgesetzten auf die Suche nach dem Mörder. Seine Ermittlungen führen ihn von den Arbeitervierteln bis in die Villen der Großbürger. Und in das berühmt-berüchtigte Café Neptun, Vergnügungsort der Offiziere. Ausgerechnet dort stößt er auf eine heiße Spur.
Weil er per Gesetz nicht gegen das Militär ermitteln darf, drängt der Polizeipräsident persönlich Kommissär Reitmeyer, seine Ermittlungen in einem Mordfall einzuschränken. Da macht Reitmeyer eine ungeheuerliche Entdeckung, die nicht nur ihn selbst zum Abschuss freigibt - unmittelbar vor Kriegsausbruch könnte sie das ganze Land in den Untergang stürzen ...



Angelika Felenda hat Geschichte und Germanistik studiert und arbeitet als literarische Übersetzerin in München.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518739327
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum18.08.2014
AuflageOriginalausgabe
Reihen-Nr.1
Seiten360 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1078 Kbytes
Artikel-Nr.1473877
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2

»Herr Kommissär Herr Kommissär?«

Es klopfte ein paar Mal. Reitmeyer rührte sich nicht. In ihm war Stille. Gespannte Konzentration. Dann ein Rascheln, hauchzart, ein seidiges Flirren die Streicher ein Körper, ein riesiger Vogel, der sein Gefieder rückt, bevor er sich schwerelos ins Blau erhebt. Fächelnde Celli, schmiegsame Flöten, samtdunkler Bass. Dann immer schneller und schneller, seine Finger greifen wie rasend Achtel, Sechzehntel, Zweiunddreißigstel, prestissimo, immer höher schwingt er sich hinauf, mit ihm die Bläser, die Hörner und Tuben, alles Holz, alles Blech, jagen dahin in trunkenem Taumel, im Rausch der Musik Doch plötzlich ein Becken, scharf wie ein Schnitt, ein Horn wie ein Schrei. Der Dirigent senkt die Arme, schlägt mit dem Taktstock ans Pult, immer heftiger, niemand gehorcht. Quietschende Töne, scharrende Bögen, dann Stimmen Kommandos Motorengeheul ein Klopfen

»Herr Kommissär?«

Mit einem Ruck fuhr Reitmeyer hoch und wischte dabei einen Stapel Papiere zu Boden. »Scheiß, verreckter«, murmelte er und ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. Benommen starrte er einen Moment lang auf die Aktenberge, die sich auf seinem Schreibtisch türmten, dann auf Brunner, der in der Tür stand. Wie lange hatte er geschlafen? Kurzer Blick auf die Uhr, bloß ein paar Minuten. Aber während dieser kurzen Zeit die ganze Ouvertüre zum Thannhäuser gespielt. Im Nationaltheater, als erste Geige, mit Mottl am Pult.

»Der reinste Eiskeller hier drin.« Brunner schüttelte den Kopf und schlurfte, ein Bein schwerfällig nachziehend, durchs Büro. Seitdem ihm bei einer Arbeiterdemonstration ein ausschlagendes Pferd die Kniescheibe zertrümmert hatte und er im Außerdienst nicht mehr einsetzbar war, ging er im Präsidium »auf Streife«. Ihm entging keine Unpünktlichkeit, keine Knitterfalte in der Uniform, kein nachlässig geputzter Schuh. Jeglicher Schlendrian war ihm nur Ausdruck der drohenden Gefahr, dass alle Unordnung, aller Aufruhr, das ganze Chaos von der Straße in die Amtsstuben hereinschwappte.

»Und das Fenster sperrangelweit aufreißen! Dabei ham wir Schafskälte. Mit Einbruch von Bodenfrost heut Nacht!«

»Ich hab halt frische Luft gebraucht«, erwiderte Reitmeyer und bückte sich, um die auf dem Boden liegenden Papiere aufzuheben. »Was ist denn das für ein Lärm da draußen?«

»Die Bereitschaft rückt aus. Ein Streik in Sendling.« Brunner schloss das Fenster. »Die Anwohner fühlen sich belästigt. Streikposten raufen sich mit Leuten, die zur Arbeit wollen. Jetzt hams doch ihren Tarif.«

Reitmeyer stöhnte auf. »Wer weiß denn, um was es bei dem Streik überhaupt geht. Und Tariflöhne gelten auch nicht für alle.«

»Trotzdem, das ist noch lang kein Grund zum Rumkrakeelen und Rumraufen.« Brunner warf einen Blick auf die Aktenberge. »Sitzen S' wieder seit aller Herrgottsfrüh da? Immer noch an der Arbeit für 'n Klotz?« Brunner wusste Bescheid. Reitmeyer sollte »Material« zusammenstellen für Klotz, den Oberinspektor, der nächste Woche mit dem Polizeipräsidenten zu einer Konferenz nach Berlin fahren wollte. Bloß ein paar Zahlen, nur ein paar Fakten, hatte es geheißen, um den Herrn in Berlin unsere Arbeit zu illustrieren. Aber es hatte nicht lange gedauert, bis ihm schließlich aufgegangen war, dass er möglichst geschliffen einen ganzen Vortrag ausformulieren sollte. Mit dem Klotz in Berlin glänzen wollte.

»Sind'S immer noch nicht fertig?«

Reitmeyer gab keine Antwort. Stattdessen strich er sich ein paar Mal übers Gesicht und zuckte die Achseln. Wie hätte er Brunner erklären können, womit er sich tatsächlich herumschlug. Das Problem waren doch nicht die Zahlen. Sondern dass er mit ihnen einen gefährlichen Trend belegen sollte, vor dem die Presse und natürlich alle Oberen der Polizeiapparate lauthals warnten. Nur gab die Statistik dazu nichts her, man konnte den beklagten lawinenartigen Anstieg des Verbrechertums nicht beweisen. Selbst ein Artikel in einer namhaften Fachzeitschrift, den er Klotz vorgelegt hatte, konnte den nicht vom Gegenteil überzeugen. Dieser Artikel sei eine Ausnahme, meinte er. Allerdings eine höchst bedauerliche, und sie zeuge nur von der mangelnden Verantwortung, die gewisse Kreise bei der Frage von Sicherheit und Ordnung an den Tag legten. Um schließlich nicht selbst in den Ruf zu kommen, für diese gewissen Kreise, also für Sozialisten, Anarchisten und sonstige Umstürzler Sympathien zu hegen, musste er sich etwas einfallen lassen. Hier ging's ums Politische. Und das war immer ein Minenfeld.

Reitmeyer schob seinen Stuhl zurück. Damit konnte er sich jetzt nicht weiter beschäftigen. Sein regulärer Dienstalltag stand an. Aber später, nach Feierabend, durfte er sich wieder die Freizeit mit dem ungelösten Problem versüßen. »Ich lauf schnell ins Donisl rüber und trink einen Kaffee«, sagte er und nahm seine Jacke.

»Da werden S' kaum Zeit haben. Die bringen gleich den Grafen von der Haftzelle rauf. Das hat der Steiger so haben wollen. Gleich in der Früh, hat er gsagt.«

»Welchen Grafen?«

»Der gestern verhaftet worden ist. Am Bahnhof. Weil er aus dem Vier Jahreszeiten abghauen ist.«

»Wegen der Zechprellerei?«, fragte Reitmeyer. »Ja, dann sollens ihn halt raufbringen, wenn der Steiger da ist.« Er wandte sich genervt ab. Immer traf Brunner eigenmächtige Anordnungen, selbstherrliche Entscheidungen. Immer schaffte er so Tatsachen, mit denen sich schließlich alle abfanden, weil keiner die Energie aufbrachte, sich gegen den zähen Widerstand des Polizeiwachtmeisters zur Wehr zu setzen, der ständig Befehle unterlief und Anweisungen umdeutete oder bewusst missverstand.

Von der Treppe drang Stimmengewirr herauf. Jemand beschwerte sich lauthals über die polizeiliche Vorgehensweise und drohte mit empfindlichen Konsequenzen, die diese Behandlung nach sich zöge. Brunner verdrehte die Augen. »Da bringens ihn schon«, sagte er und deutete auf einen jüngeren Mann, der zwischen zwei Wachleuten hereingeführt wurde. Trotz der guten Kleidung, einem dunklen Anzug mit Seidenhemd und Einstecktuch, wirkte der Delinquent etwas ramponiert, das Jackett zerknittert, das Haar zerwühlt. Nach nur einer Nacht in der Haftzelle war von der vormaligen Eleganz nicht mehr viel übrig.

»Ich protestiere auf das Schärfste«, legte der Mann sofort los. »Ich verfüge über Beziehungen und werde mich an höchster Stelle «

Reitmeyer hob die Hände. »Ja, ja, das können S' uns alles im Verhör erzählen.« Und zu Brunner gewandt: »Jetzt schaffen S' den bloß schleunigst raus, bis wir ihn selber holen lassen!«

»Ja, aber«, Brunner warf einen Blick auf die Wanduhr. »Es ist doch gleich acht.«

»Aber noch nicht Dienstbeginn«, rief Reitmeyer. »Und so lang will ich hier drinnen meine Ruh haben, Herrschaftszeiten!« Er machte eine scheuchende Bewegung. »Also, Abmarsch, alle miteinander!«

Brunner setzte zu einem Protest an, folgte dann aber grummelnd dem Verhafteten und seinen Bewachern zur Tür hinaus. Reitmeyer trat ans Fenster, holte ein paar Mal tief Luft und blinzelte in die grelle Morgensonne hinaus. In ein paar Minuten würde der Oberinspektor auftauchen, und er hatte immer noch nichts zu Papier gebracht, das er ihm präsentieren konnte. Er hätte die Sache von vornherein ablehnen sollen.

Aus dem gegenüberliegenden Raum ertönte quietschend die Kurbel der Maschine, mit der Brunner seine Bleistifte spitzte.

»Herr Kommissär, guten Morgen, Herr Kommissär!«

Reitmeyer zuckte zusammen und drehte sich um. Korbinian Rattler, der Polizeischüler, stand vor ihm. Aufgeregt trat er von einem Bein aufs andere und drehte die Mütze in den rot angelaufenen Händen.

»Ich wollt bloß fragen, Herr Kommissär, ob ich heut noch einmal in die Fotografierstelle darf?« Das Haar klebte ihm an der Kopfhaut, was seine abstehenden Ohren und die lange Höckernase noch mehr zum Vorschein brachte. Ohne die abwehrende Geste seines Vorgesetzten zu beachten, sprudelte er weiter. »Gestern hab ich schon gelernt, wie man richtige Aufnahmen macht. Für die Verbrecherkartei. Man muss auf der Mattscheibe zwei Linien im Winkel von 15 Grad anbringen «

Von gegenüber ertönte das Geräusch eines scharrenden Stuhls. »Den Rattler hab ich heut in die Registratur eingeteilt!«, rief Brunner.

Reitmeyer hob die Hände und ließ sie wieder fallen. »Da hörst du's.« Er hatte keine Lust, sich gleich wieder mit Brunner anzulegen und dessen Planung umzuschmeißen. Vor allem nicht wegen dem Rattler, den Brunner ohnehin im Verdacht hatte, seinen mühsamen Kampf gegen Zucht- und Disziplinlosigkeit zu sabotieren. Allein schon deswegen, weil er die Frechheit besaß, eigenständig zu denken, wissbegierig zu sein und zu lesen.

Reitmeyer sah den Jungen einen Moment lang an und war schon versucht, ihm nachzugeben, ihm die Registratur zu ersparen, wo stumpfsinnige Sortierarbeit auf ihn wartete. Aber mit einem Blick auf seinen Schreibtisch entschied er sich dagegen. Für Diskussionen mit Brunner, die leicht ins Grundsätzliche ausarteten, wenn es um den Polizeischüler ging, hatte er im Moment keine Zeit.

»Meld dich halt noch mal am Nachmittag«, sagte er, »ich schau dann, ob ich was für dich hab.«

Rattler nickte und ließ den Kopf hängen. Als er sich umdrehte, stieß er fast mit Oberinspektor Klotz zusammen, der mit forschem Schritt ins Büro trat.

»Herr Oberinspektor.«

Klotz nickte dem Kommissär zu. Dann klappte er den aufgestellten Kragen herunter und hauchte in die Hände. »Frisch, sehr frisch heute Morgen. Sibirisch geradezu, dieser Kälteeinbruch. Also normal ist das nicht.«

Normal war bei Klotz nie etwas,...
mehr