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Einfach so

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
446 Seiten
Deutsch
Suhrkamp Verlag AGerschienen am12.12.20161. Auflage
Einfach so erzählt die Geschichte einer Frau, die in New York zu Hause ist. Sie schreibt Nachrufe für eine Zeitung, lebt mit ihrem Ehemann, einem Künstler, in einem weitläufigen Loft, hat drei aufmüpfige, aber wohlgeratene Kinder, und wenig Außergewöhnliches, nichts Dramatisches drängt sich in den Ablauf ihrer Tage. Das Außergewöhnliche liegt in ihr selbst, in ihrer Art, die Umwelt wahrzunehmen: Soll sie ein koscheres Huhn kaufen, oder darf sie auf die Instanthühnerbrühe zurückgreifen? Kann sie sich von den reichen Gastgebern mit deren Mercedes zur Dinnerparty kutschieren lassen? Ihre Lebensgeschichte - sie ist die Tochter jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt haben - ist immer präsent, und ihr Beruf - durch den sie häufig Begräbnisse zumeist völlig fremder Menschen besuchen muß - verstärkt das Gefühl für die Zerbrechlichkeit des Glücks.



Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.
Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextEinfach so erzählt die Geschichte einer Frau, die in New York zu Hause ist. Sie schreibt Nachrufe für eine Zeitung, lebt mit ihrem Ehemann, einem Künstler, in einem weitläufigen Loft, hat drei aufmüpfige, aber wohlgeratene Kinder, und wenig Außergewöhnliches, nichts Dramatisches drängt sich in den Ablauf ihrer Tage. Das Außergewöhnliche liegt in ihr selbst, in ihrer Art, die Umwelt wahrzunehmen: Soll sie ein koscheres Huhn kaufen, oder darf sie auf die Instanthühnerbrühe zurückgreifen? Kann sie sich von den reichen Gastgebern mit deren Mercedes zur Dinnerparty kutschieren lassen? Ihre Lebensgeschichte - sie ist die Tochter jüdischer Eltern, die den Holocaust überlebt haben - ist immer präsent, und ihr Beruf - durch den sie häufig Begräbnisse zumeist völlig fremder Menschen besuchen muß - verstärkt das Gefühl für die Zerbrechlichkeit des Glücks.



Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.
Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783518750667
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum12.12.2016
Auflage1. Auflage
Seiten446 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2145160
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

EDEK ZEPLER HATTE FRÜHER IMMER POLNISCHE MÄDCHEN gebumst. Die meisten von ihnen waren Dienstmädchen, und er hatte sie im Stehen in den Fluren der Häuser gebumst, in denen sie arbeiteten.

Esther Zepler hatte erst kürzlich davon erfahren. Sie saß in ihrem Büro und dachte über ihren Vater nach. Etwas feinfühliger wäre er ihr lieber gewesen. Sie verstand nicht, wie jemand Lust haben konnte, einen völlig fremden Menschen in einem Hausflur zu bumsen. Sie verstand sehr gut, warum die Mädels es machten. Die sparten sich die zwei Zloty jährliche Meldegebühr, die sie als Bewohnerinnen der Häuser zu entrichten gehabt hätten.

Es war Edeks Aufgabe, diese Gebühr einzuheben. Vor dem Krieg hatte Edeks Vater, Esthers Großvater, etliche Mietshäuser in Lodz besessen. Die Wohnungen waren an jüdische Familien vermietet, und die meisten dieser Familien hatten ein polnisches Dienstmädchen. Es gab also viele Dienstmädchen, die Esthers Vater in vielen Hausfluren bumsen konnte.

Esther war sich nicht einmal sicher, wie man im Stehen bumste. Sie stellte es sich sehr unbequem vor. Diese Art Bumsen nennt man Kniewackler, sagte ihr Mann. Vielleicht wackelten einem die Knie, dachte sie, weil man gegen die Schwerkraft ankämpfen mußte. Vermutlich war es der Mann, dem die Knie wackelten.

Das mit den Dienstmädchen und ihrem Vater hatte Esther nicht von ihm erfahren. Ihr Sohn erzählte es ihr. Ihr Vater, entschied sie, mußte das Ganze für eine Information unter Männern gehalten haben, die er an seinen Enkel weitergeben wollte. Mit Esther hatte er niemals über Sex gesprochen. Einmal erzählte er ihr, ihre Mutter, die vor einigen Jahren gestorben war, habe sich nicht viel aus Sex gemacht. »Es war ihr nicht wichtig«, erklärte er stolz. Damals hatte Esther sich gefragt, was er wohl sagen würde, wenn er wüßte, daß sie selbst über Jahre hinweg Tausende von Dollars dafür ausgegeben hatte, auf einer Analytikercouch unter anderem zu lernen, Sex als wichtig zu empfinden.

Sie hielt Sex nicht für unwichtig, sie dachte einfach nicht sehr oft daran. Sie genoß ihn, wenn er sich ergab, aber sie freute sich nicht darauf wie auf ein Essen oder eine Reise.

Eine Freundin erzählte ihr einmal, daß sie nach sieben Tagen ohne Sex völlig frustriert sei. Esther, die sexuelle Frustration nicht kannte, war beunruhigt, als sie das hörte. In den folgenden sechs Monaten schrieb sie jedesmal, wenn sie mit ihrem Mann geschlafen hatte, ein großes grünes S rechts oben auf die Seite ihres Taschenkalenders. Dann zählte sie die S zusammen. Es waren sechsundzwanzig. Also knapp einmal pro Woche. Esther war erleichtert.

Sex war wirklich etwas Seltsames. Da konntest du jede Nacht nackt neben einem Mann schlafen, ohne an Sex zu denken, aber wenn man dich nackt zu einem anderen ins Bett legen würde, hättest du nichts anderes mehr im Kopf als Sex. Seinen. Deinen.

In den Konzentrationslagern dachten die Häftlinge nicht an Sex. Esther wußte das, sie hatte es gelesen. Es erschien ihr logisch. Natürlich denkt niemand, dessen Leben in Gefahr ist, an Sex.

Sie wünschte sich, das Bild ihres Vater loszuwerden, wie er diese polnischen Dienstmädchen bumste. Es wurde ihr schlecht davon.

Sie betrachtete ihr Spiegelbild in einem glasgerahmten Druck von Cy Twombly, der an der Wand hing. Ihr neuer Haarschnitt gefiel ihr. Mit einundvierzig hatte sie immer noch dichtes Haar, obwohl es langsam dünner wurde. Sie hatte gelesen, daß bei Frauen zwischen sechzehn und fünfunddreißig die Haare am dichtesten seien.

Esther und ihr Mann lebten seit einem Jahr in New York. Ihr Mann war Maler, abstrakter Landschaftsmaler. Ein Künstler, dessen Bilder den Charakter einer Landschaft wiedergaben, nicht ihre Topographie.

Er gehörte zu den führenden abstrakten Malern Australiens. In Amerika hätte es großen Wohlstand bedeutet, ein bekannter Künstler zu sein. Nicht so in Australien. In Australien stellte er seit zweiundzwanzig Jahren aus - seit er zwanzig war.

Letztes Jahr hatte er seine erste Ausstellung in New York gehabt. Die New York Times hatte ihn »einen begabten Maler« genannt, »der etwas zu sagen hat«.

Esther räumte ihren Schreibtisch auf. Sie arbeitete als Nachrufredakteurin, Bereich Amerika, für den London Weekly Telegraph. Der Job war ihr von einem australischen Journalisten vererbt worden, einem alten Kollegen vom Melbourne Age. Sie hatte ihm tausend Dollar für eine Kopie seines New Yorker Adreßbuchs bezahlt.

Im allgemeinen gab ihr der London Weekly Telegraph vierundzwanzig Stunden Zeit für einen Nachruf. Esther mußte kleine Artikel verfassen, dreihundert bis fünfzehnhundert Wörter, abhängig von der Wichtigkeit der verstorbenen Person. Der Job wurde gut bezahlt. Für einen Nachruf von tausend Wörtern bekam sie dreihundertfünfzig Dollar. Sie schrieb zwei bis drei Nachrufe in der Woche.

Im Durchschnitt mußte Esther dreißig Telefonate führen, um die Informationen für einen Nachruf zusammenzubekommen. Das Wichtigste, was man über den Verstorbenen herauszufinden hatte, waren Geburtsdatum und -ort, Beruf, besondere Leistungen, eine Kurzfassung des Werdegangs, Familienstand, Anzahl und Wohnsitz der Kinder.

Dafür mußte sich Esther oft durch ein Gewirr von früheren und jetzigen Ehefrauen durcharbeiten und recherchieren, wer wo lebte. Dann mußte sie die Lebensleistung auswählen, deretwegen man sich an diesen Menschen erinnern würde.

Es war nicht besonders schwer. Sobald sie sämtliche Informationen beisammenhatte, rückte alles an seinen Platz, und das Leben dieses Menschen las sich so einfach wie eine Landkarte. Esther wunderte sich oft darüber, daß eine Fremde wie sie das Leben eines Menschen aus vierzig oder fünfzig Zeilen Notizen zusammenfügen konnte.

Die meisten waren Männer. Sie machte diesen Job jetzt seit einem Jahr, und das Verhältnis der Nachrufe auf Männer und Frauen, die sie verfaßt hatte, betrug zehn zu eins. Zehn Nachrufe auf Männer für jeden auf eine Frau. Und das lag, wie sie wußte, nicht daran, daß mehr Männer starben.

Wenn sie Nachrufe auf Frauen zu schreiben hatte, gab sie sich besonders Mühe. Sie schrieb fünfzig bis sechzig Wörter mehr, als verlangt wurden. Bis heute war nicht einer von ihnen gekürzt worden.

Nachrufe wurden stets in einer förmlichen, höflichen Sprache verfaßt, da die meisten Zeitungen höflich zu Toten waren. Aber unterschiedliche Nachrufe konnten durchaus unterschiedliche Bilder einer Person liefern. Esther hatte das Gefühl, durch die Auswahl dessen, was betont und wer zitiert wurde, die Art und Weise bestimmen zu können, in der die verstorbene Person der Welt präsentiert wurde.

Das Schreiben von Nachrufen galt als einer der niedrigsten Posten bei der Zeitung, aber Esther mochte den Job. Sie bezog eine merkwürdige Befriedigung daraus, die losen Fäden des Lebens fremder Menschen zu verknoten. Sie machte Ordnung für sie, brachte sie korrekt auf den Weg. Sie war sich nicht sicher, wohin dieser Weg führte. Sie versuchte, nicht darüber nachzudenken.

Die meisten Zeitungen verfügten über eine Kartei mit vorbereiteten Nachrufen. Diese Kartei hieß allgemein die Leichenhalle. Die Leichenhallen der Zeitungen waren voll von vorbereiteten Nachrufen auf berühmte und bedeutende Leute. Diese Akten enthielten Kommentare, Zitate, Erinnerungen und Fotos. Wurde ein solcher Nachruf gebraucht, fügte man ihm am Anfang einen neuen Absatz hinzu.

Esther war ständig auf der Suche nach wichtigen Leuten, die wahrscheinlich in absehbarer Zeit sterben würden. Wenn sie in Zeitungen und Zeitschriften Artikel über Prominente und Politiker las, achtete sie immer auf deren Gesundheitszustand. Sie legte sich kleine Biographien über Leute an, die ihrer Meinung nach bald sterben würden.

Esther selbst hatte mit dem Tod noch nicht viel zu tun gehabt. Nicht einmal ihre eigene Mutter hatte sie tot gesehen. Sie ging davon aus, daß die meisten Leute, über die sie schrieb, wahrscheinlich sehr teure Särge hatten. Vermutlich lagen sie in einem Nest aus weißen Satinrüschen. Vielleicht hatten sie ein paar Pretiosen neben sich im Sarg. Orden, Fotos, ein oder zwei Briefe. Sie wußte nicht, ob man die Menschen mit ein paar Dingen aus ihrem Leben oder ganz allein begrub.

Als Esther zehn Jahre alt war, starb der Vater von Caroline, ihrer besten Freundin. Caroline hatte ihrem Vater einen langen Brief geschrieben und ihre Mutter gefragt, ob sie ihm den in den Sarg legen dürfe. »Natürlich darfst du«, hatte Carolines Mutter geantwortet. »Vorausgesetzt, es steht nichts drin, worüber Dad sich aufregen würde.« Darüber hatte Esther noch lange nachdenken müssen.

Sie wußte nicht viel über den Tod und über Beerdigungen. Vor einigen Jahren hatte sie einen jungen Mann kennengelernt, der in einem Bestattungsinstitut arbeitete. »In dem Geschäft mußt du immer dran denken«, hatte er gesagt, »daß du vor einem Begräbnis auf keinen Fall was essen darfst. Wenn der Tote so ein Fettsack ist, und du hast gerade was gegessen, mußt du todsicher furzen, wenn du den Sarg aufhebst.«

Es war ein ruhiger Vormittag. Die Zeitung hatte kein einziges Mal angerufen. Sie nahm ein schmales Bändchen mit dem Titel Fakten des Holocaust zur Hand. Sie las schon die ganze Woche in dem Buch.

Ihre Eltern waren beide im Konzentrationslager gewesen. Man hatte sie im Ghetto von Lodz zusammengetrieben und eingesperrt, bevor sie nach Auschwitz verfrachtet wurden. Ihre Mutter war von Auschwitz nach Stutthof gebracht...
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Autor

Lily Brett wurde 1946 in Deutschland geboren. Ihre Eltern heirateten im Ghetto von Lodz, wurden im KZ Auschwitz getrennt und fanden einander erst nach zwölf Monaten wieder. 1948 wanderte die Familie nach Brunswick in Australien aus. Mit neunzehn Jahren begann Lily Brett für eine australische Rockmusik-Zeitschrift zu schreiben. Sie interviewte und porträtierte zahlreiche Stars wie Jimi Hendrix oder Mick Jagger.Heute lebt die Autorin in New York. In regelmäßigen Kolumnen der Wochenzeitung DIE ZEIT hat Lily Brett diese Stadt porträtiert. Sie ist mit dem Maler David Rankin verheiratet und hat drei Kinder.