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Bis die Zeit verschwimmt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
Deutsch
Thienemann-Esslingererschienen am18.01.2020Auflage
Eine Achterbahnfahrt der Gefühle: hochkarätiger Coming-of-Age-Roman für Mädchen ab 13. Zeit. Für Helene bleibt sie stehen, als ihre beste Freundin Cassie stirbt. Weiterleben kann sie nur, indem sie Antworten sucht - beim Amokläufer, bei seinen Opfern, bei den Hinterbliebenen. Helene verliert sich in Wut, Trauer und Schuld. Nur manchmal, zusammen mit Erik, kommt das längst vergessene Gefühl der Leichtigkeit zurück. Aber darauf kann Helene sich nicht einlassen, ohne Cassie zu verraten ...

Svenja K. Buchner wurde 1995 in Franken geboren. Schon in ihrer Schulzeit schrieb sie gern Geschichten, und auch während des Psychologiestudiums ließ das Schreiben sie nicht los. Inzwischen hat sie ihr Studium abgeschlossen und arbeitet mit Krebspatienten und deren Angehörigen in einer Akutklinik. 'Bis die Zeit verschwimmt' ist ihr erster Jugendroman.
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Produkt

KlappentextEine Achterbahnfahrt der Gefühle: hochkarätiger Coming-of-Age-Roman für Mädchen ab 13. Zeit. Für Helene bleibt sie stehen, als ihre beste Freundin Cassie stirbt. Weiterleben kann sie nur, indem sie Antworten sucht - beim Amokläufer, bei seinen Opfern, bei den Hinterbliebenen. Helene verliert sich in Wut, Trauer und Schuld. Nur manchmal, zusammen mit Erik, kommt das längst vergessene Gefühl der Leichtigkeit zurück. Aber darauf kann Helene sich nicht einlassen, ohne Cassie zu verraten ...

Svenja K. Buchner wurde 1995 in Franken geboren. Schon in ihrer Schulzeit schrieb sie gern Geschichten, und auch während des Psychologiestudiums ließ das Schreiben sie nicht los. Inzwischen hat sie ihr Studium abgeschlossen und arbeitet mit Krebspatienten und deren Angehörigen in einer Akutklinik. 'Bis die Zeit verschwimmt' ist ihr erster Jugendroman.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783522621755
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum18.01.2020
AuflageAuflage
SpracheDeutsch
Dateigrösse1149 Kbytes
Artikel-Nr.4923331
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Eins
Über Cassie

Es ist laut.

Menschen um mich herum, überall.

Sie schreien, weinen, versuchen, einander zu beruhigen.

Rennen.

Schließen einander in die Arme.

Und dazwischen immer wieder Sirenen in der Ferne, die näher kommen und erst in einigen Metern Entfernung abrupt zum Schweigen gebracht werden. Sanitäter rennen durch die Gegend, Körper werden auf Tragen verfrachtet und dann gehen die Sirenen auch schon wieder an, um kurz darauf begleitet von blauen Lichtern zu verschwinden. Wenn man genau hinhört, erkennt man, wie sie der Welt die Geschichte eines namenlosen Kindes erzählen, die keiner hören will; eine Geschichte, die dieser Welt genauso unaufhaltsam entgleitet wie die Sirene selbst.

»Wie geht es dir?« Mir wird ein Plastikbecher mit Wasser angeboten, den ich ignoriere. »Du musst trinken.« Aber ich muss gar nichts. Stattdessen starre ich auf den Seiteneingang meiner Schule, durch den Menschen mit Warnwesten huschen, sich kurz unterhalten, weitergehen. Durch den eilig Menschen geschleppt werden, einer nach dem anderen. Ihre Gesichter sind teils verdeckt; vielleicht sind das die Toten. Und die ganze Zeit über warte ich auf ihr Gesicht, darauf, dass sie endlich rauskommt, darauf, dass ich sie in den Arm nehmen und nach Hause bringen darf. Doch sie kommt nicht, weder in diesem Atemzug noch im nächsten, und das, obwohl jeder einzelne mich mehr schmerzt als alles Leid dieser Erde es je könnte.

»Kann ich jemanden für dich anrufen?« Die Sanitäterin legt mir sanft eine Hand auf die Schulter, die ich direkt abschüttle; ich würdige sie keines Blickes. »Wo ist sie?«, will ich fragen, aber aus meinem Mund kommt nichts als ein leises, stockendes Geräusch.

»Deine Eltern sollten informiert werden«, erklärt die Frau weiter.

»Wo ist sie?« Jetzt sind sie da, die Worte.

»Wer?« Der Frage folgt ein viel zu mitleidiger Blick.

»Wo ist sie?«, wiederhole ich, während wieder Sanitäter durch den Seiteneingang kommen, mit einem verdeckten Körper auf einer Trage, im Laufschritt auf uns zukommen, an uns vorbei, während mein Herz immer schneller schlägt. »Wo ist sie?«, schreie ich, springe auf, schlage die Hand der Sanitäterin an meiner Schulter weg, will losrennen, aber spüre sofort Arme um mich. Große, starke, unerbittliche Arme, die mich festhalten und mir den Atem rauben, während alles aus mir herausbricht und mein Körper unter Tränen immer wieder dieselbe Frage schreit.

Die Sanitäter laufen an uns vorbei.

Sie fahren weg.

Die Trage fährt weg.

Wie alle anderen davor.

Und mich lassen sie alleine, alleine mit den Hinterbliebenen, alleine mit der Sanitäterin und ihrem Kollegen mit den starken Armen, und während ich die Welt um mich herum wahrnehme wie durch eine dicke Glasscheibe, verliere ich jegliches Gefühl für Zeit und Raum. Sie reden auf mich ein, irgendwann fängt es an zu regnen, irgendwann setzen sie mich auf die Rückbank und fahren mit mir los, und irgendwann sitze ich in einem sterilen Sprechzimmer, bekomme viel zu viel Desinfektionsmittel auf meinen Ellenbogen gesprüht, einen Verband, tausend Fragen gestellt, die ich weder verstehe noch verstehen will und auch nicht beantworte, ich werde von irgendeiner Krankenschwester inspiziert, die erst stundenlang an meinem Verband und dann an meinen Armen und meinem Kopf herumfummelt, ohne dass ich weiß, was sie da eigentlich tut, und am Ende, als ich es endlich geschafft habe, steht da meine Mutter im Gang.

Gut zwanzig Meter entfernt.

Mit Tränen in den Augen.

Ich lasse mich umarmen, lasse zu, dass sie in meine abgetragene Sweatjacke weint, mir über den Kopf streichelt, mit dem Arzt redet, mit der Schwester, mich irgendwann zum Auto führt. All das zieht komplett an mir vorbei, denn für mich zählt nur eines.

Cassie.

Mein Name ist Helene Mey. Ich bin fünfzehneinhalb Jahre alt. Im Mai werde ich sechzehn. Ich habe nicht viele Freunde.

Genauer gesagt zwei.

Aber das macht mir nichts aus, da ich der Überzeugung bin, dass die meisten Menschen nach meiner Definition überhaupt keine Freunde haben, sondern nur flüchtige Begegnungen für bestimmte Lebensabschnitte, die ihnen dabei helfen, eine Zeit lang das Bild des eigenen Lebens weiterzuzeichnen, um dann zu verschwinden, ohne auch nur den Ansatz einer Signatur zu hinterlassen. Sie kommen und gehen, und was bleibt, sind mehr oder minder liebevoll gemalte Striche auf dem Gemälde eines anderen, doch diese gehen unter mit den Jahren, und ihre Urheber werden alle gleichermaßen vergessen, was auf der einen Seite traurig ist, auf der anderen Seite aber zu selbstverständlich, als dass sie die Traurigkeit dieses Aspekts je bemerken könnten.

Die Begegnungen, die ich habe, bleiben.

Sie heißen Cassie und Erik.

Cassie zeichnet mein Bild mit, seitdem ich denken kann. Auf zarte, unaufdringliche, liebevolle Weise, sie zeichnet in Pastelltönen, die so unauffällig sind, dass man befürchten könnte, sie würden zu schnell untergehen zwischen all den anderen, schreienden Farben des Lebens. Doch sie gehen nicht unter, denn ich schaue sie an, jeden Tag. Genauso, wie ich Erik anschaue - müsste ich ihm eine Farbe geben, wäre es vielleicht ein dunkles, ruhiges Blau, so wie ein tiefer Ozean, oder besser noch Waldgrün, wie die Bäume einer lauen Sommernacht. Sein Grün ist noch nicht so lange da wie Cassies Pastelltöne, und deswegen gehört ihm auch weniger von meinem Lebensbild, aber auch das macht nichts, weil ich weiß, dass beide bleiben und weiterzeichnen werden, genau wie ich bei ihnen bleiben will. Und sollten wir eines Tages gehen, werden wir dennoch nie vergessen sein - ein Gedanke, der mich selbst an grauen Tagen an die Farben des Daseins erinnert.

Jeden Morgen habe ich Cassie vom Bahnhof abgeholt.

Dann saß ich auf dem Boden am Gleis und wartete, bis die vertraut blecherne Stimme aus den Lautsprechern das Einfahren des nächsten Zuges verkündete; an warmen Tagen legte ich mich auf den Rücken und streckte mein Gesicht der Sonne entgegen. »Deine Hosen werden doch ganz dreckig«, hatte mich einmal ein alter Herr von siebzig oder achtzig Jahren angesprochen, mit Gehstock und Hornbrille auf der Nase und einem braunen Hut über dem grauen Haar, aber ich habe nur von unten zu ihm hochgeblinzelt, um dann zu erwidern: »Dann wasche ich sie.«

»Dahinten sind doch Bänke«, hat er gesagt, die Nase gerümpft und etwas umständlich seinen Hut zurechtgerückt. »Bringt man euch das heutzutage nicht bei, dass man sich auf Bänke setzt und sich nicht irgendwo hinlegt?«

»Doch, das tut man. Aber man bringt uns auch bei, weniger engstirnig zu denken und die Kommentare anderer Menschen an passenden Stellen zu ignorieren. Letzteres war mir wichtiger.« Nach ihm hat mich keiner mehr angesprochen, und das, obwohl ich im Sommer stets so lange am Bahnsteig lag, bis Cassies Zug anhielt und sich die Türen öffneten, um einen Schwall Menschen herauszulassen. Zugtüren am Morgen sind wie Dämme, die brechen: Dahinter wird gedrängelt, immer mehr, und sobald der Weg frei ist, scheint der Bahnsteig mit Menschen überflutet zu sein.

Cassie und ich gingen gemeinsam zur Schule, jeden Tag. Und immer, wenn wir dort ankamen, sah ich ihn. Er saß dann in halb zerrissenen, zu weit über den Knöcheln endenden Jeans auf einer Bank etwas abseits des Seiteneingangs, jeden Morgen mit demselben starren Blick und derselben Falte auf der Stirn, und während seine Shirts mit den Tagen die Farbe wechselten, blieben seine Augen stets leer.

Ich kannte ihn nicht.

Keiner kannte ihn.

Und unsere Blicke trafen sich trotzdem jedes Mal.

Doch es gefiel mir nicht, es hatte mir nie gefallen, ihn anzusehen, und noch weniger der Gedanke an seinen Blick in meinem Nacken, wenn wir stets grußlos vorübergingen. Denn er lächelte nicht, der Junge, er lächelte niemals, und je öfter ich darüber nachdachte, umso mehr ernüchterte mich die Erkenntnis, dass ich wohl nie erfahren würde, warum er nicht lächelte.

Als wir reinkommen, sitzen mein Vater und Jens am Küchentisch. Mein Vater mit zerzaustem Haar, als wäre er eben erst aufgestanden, und Jens mit Dreitagebart und langen, braunen Haaren, die er sich am Hinterkopf mit einem Haargummi zusammengeknotet hat. Er trägt ein graues T-Shirt mit Tomatensoßenflecken und darüber ein offenes, ausgewaschenes Hemd in rot-blauem Karomuster. Seit einer Woche sehe ich ihn nun damit rumrennen, und es wundert mich, dass er nicht allmählich stinkt wie die Pest.

Mein Vater steht auf und umarmt mich, wie meine Mutter, und auch er weint.

Jens und ich sind die Einzigen, die nicht weinen, und ehrlich gesagt bin ich ihm dafür sehr dankbar. Er umarmt mich auch nicht, er sitzt nur da und schaut mich an, schiebt wortlos eine Tasse mit meinem Lieblingskakao zu mir rüber, während mein Vater mich auf einen der Stühle drückt.

»Brauchst du etwas, Liebling?« Die Hände meiner Mutter sind kalt, als sie mir die Haare hinter die Ohren streicht. Ich hasse das. »Du zitterst, Himmel noch mal, ich bring dir eine Decke.« Eigentlich will ich ihr widersprechen, habe aber keine Energie dafür und lasse mich daher zudecken, während mein Vater im Wohnzimmer meine Lieblings-CD von Metallica einlegt und so laut aufdreht, dass ich es gut bis hierher hören kann.

»Was soll denn der Old-School-Scheiß?«, beschwert sich Jens.

Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Wie geht´s Hannah?«, bemühe ich mich trotz aller Umstände um Etikette, während es im selben Moment klingelt und sie schon zwei Minuten später in der Küche...
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Svenja K. Buchner wurde 1995 in Franken geboren. Schon in ihrer Schulzeit schrieb sie gern Geschichten, und auch während des Psychologiestudiums ließ das Schreiben sie nicht los. Inzwischen hat sie ihr Studium abgeschlossen und arbeitet mit Krebspatienten und deren Angehörigen in einer Akutklinik. "Bis die Zeit verschwimmt" ist ihr erster Jugendroman.
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