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Gott und die Krokodile

Eine Reise durch den Kongo
BuchKartoniert, Paperback
268 Seiten
Deutsch
Pantheonerschienen am08.02.2011
Mitten ins Herz Afrikas

Andrea Böhm nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch den Kongo. Sie führt uns in die chaotische, vibrierende Hauptstadt Kinshasa. Sie folgt den Spuren eines afro-amerikanischen Missionars, der in den 1890er Jahren im Königreich der Kuba im Dschungel lebte, und begegnet mysteriösen Mayi-Mayi-Rebellen, die sich für unverwundbar halten. Sie begibt sich in die größten Diamantenfelder der Welt und in die zerrütteten Kivu-Provinzen im Osten des Landes, dem Schauplatz von »Afrikas erstem Weltkrieg«. Vor allem aber erzählt Andrea Böhm die Geschichten der Menschen, die ihr begegnen: Marktfrauen, die sich als Boxerinnen ein Zubrot verdienen; Musiker, die ihr Heil in Gott und Beethoven suchen; ein Kindersoldat, der mit seiner Mutter wieder vereint wird; Bergarbeiter, die mit bloßen Händen nach Bodenschätzen graben. Sie alle werden im täglichen Ausnahmezustand zu Meistern der Improvisation.

Ausstattung: mit Abbildungen
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR14,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR11,99

Produkt

KlappentextMitten ins Herz Afrikas

Andrea Böhm nimmt den Leser mit auf eine Entdeckungsreise durch den Kongo. Sie führt uns in die chaotische, vibrierende Hauptstadt Kinshasa. Sie folgt den Spuren eines afro-amerikanischen Missionars, der in den 1890er Jahren im Königreich der Kuba im Dschungel lebte, und begegnet mysteriösen Mayi-Mayi-Rebellen, die sich für unverwundbar halten. Sie begibt sich in die größten Diamantenfelder der Welt und in die zerrütteten Kivu-Provinzen im Osten des Landes, dem Schauplatz von »Afrikas erstem Weltkrieg«. Vor allem aber erzählt Andrea Böhm die Geschichten der Menschen, die ihr begegnen: Marktfrauen, die sich als Boxerinnen ein Zubrot verdienen; Musiker, die ihr Heil in Gott und Beethoven suchen; ein Kindersoldat, der mit seiner Mutter wieder vereint wird; Bergarbeiter, die mit bloßen Händen nach Bodenschätzen graben. Sie alle werden im täglichen Ausnahmezustand zu Meistern der Improvisation.

Ausstattung: mit Abbildungen
Details
ISBN/GTIN978-3-570-55125-7
ProduktartBuch
EinbandartKartoniert, Paperback
Verlag
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum08.02.2011
Seiten268 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht355 g
Illustrationenm. Fotos, farb. Fototaf u. Ktn.
Artikel-Nr.10177394
Rubriken

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Dies ist kein Buch ?ber Afrika. Dies ist auch kein Buch von einer Wei?n, die ihr Herz an Afrika verloren hat und deswegen die unendliche Weite des Kontinents, dessen Sternenhimmel, unber?hrte Tierwelt oder edle Massai-Krieger suchen muss. Dies ist ein Buch ?ber den Kongo, eines von ?ber 50 afrikanischen L?ern, das, zugegebenerma?n, eine recht gro? Fl?e des Kontinents einnimmt. Der Kongo ist eine schier unersch?pfliche Quelle von Rohstoffen und von Klischees: Zu Ersteren z?en Diamanten, Kupfer, Kobalt, Gold, Uran, Holz. Zu Letzteren: ?schw?l?, ?barbarisch?, ?voller Rebellen?. Wie es halt sein muss im ewigen Herz der Finsternis. Wie alle anderen Klischees haben auch diese einen wahren Kern: die Luftfeuchtigkeit im Kongo ist unangenehm hoch. Die Verbrechen, die dort in den vergangenen Jahrhunderten begangen wurden und immer noch begangen werden, k?nnen einem den Schlaf rauben. Und nat?rlich gibt es Rebellen. Sie machen nicht einmal ein Zehntel Prozent der Gesamtbev?lkerung aus, was zeigt, wie nachhaltig wenige Menschen Schicksal und Schlagzeilen eines Landes bestimmen k?nnen, weil sie im Besitz einer Kalaschnikow sind. Dar?ber hinaus leben im Kongo rund 60 Millionen Nicht-Rebellen. Auch sie pr?n die Geschichte ihres Landes. ?Wenn man beurteilen will, was ein Fremder ?ber ein Land schreibt, muss man wissen, wann der Autor zum ersten Mal dort gewesen ist?, hat der britische Historiker und Autor Timothy Garton Ash einmal gesagt. ?War es vor oder nach der Revolution, Besatzung, Befreiung oder was immer die Z?r des Landes darstellt? Nat?rlich spielen auch die Biografie und die politischen ?erzeugungen des Autors eine Rolle. Aber meist ist der erste Besuch der pr?nde.? Ich habe das Land nicht bei einer Reise ins Kriegsgebiet kennen gelernt, sondern ?ber die Begegnung mit den Bewohnern seiner Hauptstadt Kinshasa. Kinshasa ist der Ausgangspunkt meiner Erkundung dieses Landes, der Ort, an dem dieses Buch seinen Anfang und sein Ende nimmt und an dem ich etwas sehr Entscheidendes begriffen habe. Auf dem H?gel des Universit?gel?es von Kinshasa befindet sich die morsche Anlage eines atomaren Forschungsreaktors. Der Reaktor ist schon lange nicht mehr in Betrieb, die Brennst? wurden, offenbar auf amerikanisches Betreiben, vor Jahren abtransportiert. Als ich eines Tages das nicht sehr stabil wirkende Tor zu der Anlage ?ffnete - mal reinschauen, dachte ich, wird ja nicht verboten sein -, pfiff mich ein grimmiger, sehr d?rrer Wachmann zur?ck. Nach einigen harschen Worten ?ber unbefugten Zutritt wechselte seine Stimmung, und er erz?te mit Stolz die Geschichte des Reaktors. Ein belgischer Geistlicher, Universit?rektor und Hobby-Nuklearphysiker namens Luc Gillon hatte noch zu Kolonialzeiten seiner Regierung die Idee eines kongolesischen Atommeilers in den Kopf gesetzt. 1959 ging der Reaktor, entworfen vom amerikanischen Konzern General Atomic, in Betrieb. Es war ein kleines Dankesch?n der Amerikaner, die ihrerseits Anfang der 40er Jahre aus der belgischen Kolonie Uran f?r ihr Manhattan Project und die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki geholt hatten. ?Stellen Sie sich vor, Madame?, sagte der Wachmann, ?wir h?en Atommacht werden k?nnen.? Die Begegnung mit dem Wachmann ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Nicht so sehr wegen des Gr??nwahns, mit dem manche Kongolesen den erb?lichen Zustand ihresLandes kompensieren. Sondern weil diese Episode deutlich machte, dass der Kongo nie, wie ich anfangs geglaubt hatte, am Rande der Weltgeschichte gestanden war. Er befand sich immer mittendrin. Sei es durch die Ausbeutung seiner Bodensch?e, die Politik seiner Machthaber oder die Interventionen des Auslands. Der Kongo ist weit mehr als eine belagerte Schatztruhe oder ein ewiges Katastrophengebiet. Er ist ein Schauplatz globaler Z?ren. Schlagworte wie ?Raubtierkapitalismus?, ?Globalisierung?, ?Rohstoffkriege?, ?humanit? Intervention?, ?Weltrecht? beschreiben Krisen und Wendepunkte unserer Zeit. Was kaum jemand wei? Die Ph?mene, die sich dahinter verbergen, sind oft zuerst im Kongo aufgetaucht. Hier errichtete der belgische K?nig Leopold II. in seiner Privatkolonie den ersten Gulag, das erste entstaatlichte System zur Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen. Hier begann vor gut hundert Jahren die erste moderne Menschenrechtskampagne - gegen den Monarchen und die ausl?ischen Firmen, die von dieser Ausbeutung profitierten. Hier setzte ein schrulliger Missionar den Bau des ersten Atomreaktors auf afrikanischem Boden durch. Anfang der 6oer Jahre k?ften im Kongo zum ersten Mal Blauhelme der Vereinten Nationen. Mitten in der Entkolonialisierung Afrikas wurde hier im Auftrag und unter Mithilfe westlicher M?te ein demokratisch gew?ter Regierungschef ermordet - Patrice Lumumba. Danach stellte das Land zwei traurige Rekorde auf: den der schlimmsten Pl?nderung der Staatskassen eines afrikanischen Landes durch Mobutu. Und den des schlimmsten Krieges auf dem Kontinent, an dessen Folgen bis zu f?nf Millionen Menschen gestorben sind. Inzwischen k?fen China, die USA, S?dafrika, Angola und Europa um die enormen Vorkommen an Erz, Uran, Gold und Diamanten. Die EU hat sich hier 2003 erstmals als Milit?acht ausprobiert. Die UN, vierzig Jahre sp?r wieder imLand, betreiben im Kongo ihr gr??es Experiment in Sachen Befriedung und Staatsaufbau (mit sehr bescheidenem Erfolg). Und in Zeiten des Klimawandels spricht sich langsam herum, dass im Kongo der zweitgr??e Regenwald nach dem Amazonasgebiet liegt. Der zweite Lungenfl?gel der Erde. Meine Erkundung dieses Lands beginnt im Westen und f?hrt nach Osten. Die Route ergibt keine historische Chronologie. Die Spuren der kongolesischen Geschichte fand ich auf diesen Fahrten, wie ein Arch?oge Fundst?cke aus mehreren Epochen entdeckt. Spuren der Leopoldschen Herrschaft, der sp?n Kolonialjahre, der ?a Mobutu, der S?ldnerheere, verschiedener Religionsbewegungen, des bewaffneten Auf- und Widerstands, der Einmischung durch nahe und ferne M?te. Mitten in diesen Ruinen von Kolonialisierung und Globalisierung organisieren fast 60 Millionen Menschen auf bizarre, geniale, mitrei?nde oder kriminelle Weise ihr ?erleben, werden von den historischen und aktuellen Ereignissen immer wieder aus ihren Welten gerissen, reagieren mit Widerstand, Opportunismus, Improvisationskunst, Solidarit? Flucht in Religiosit?oder Geisterwelten. Dieses Buch erz?t vor allem vom Leben dieser Menschen und von meinem Versuch, dieses Leben zu begreifen. Ob mir das immer gelungen ist, mag ich nicht beurteilen. Aber ich hoffe, ich habe ihre Geschichten m?glichst genau wieder-Kapitel 1Kinshasa - Die Stadt der ProphetenBoulevard LumumbaDer Amerikaner war zum ersten Mal nach Kinshasa gereist. In den USA feierte man ihn als ber?hmten Schriftsteller. Hier, in dieser afrikanischen Hauptstadt kannte ihn niemand. Da ihn bei seiner Ankunft auch noch heftige Magenkr?fe plagten, stand der Besuch unter einem schlechten Stern. ?Da ist man nun am Rand des Herzen der Finsternis, in der alten Kapitale von Joseph Conrad's Horror, einst das teuflische Leopoldville, Zentrum des Sklaven- und Elfenbeinhandels?, schrieb Norman Mailer 1974, ?und man betrachtet das Ganze durch die reizbaren Augen eines Mannes mit maltr?erten Ged?en. Hat sich jemand schon mal so sehr danach gesehnt, wieder in New York zu sein?? Ich kam 28 Jahre sp?r in Kinshasa an. Die Stadt hatte inzwischen zwei Pl?nderungswellen sowie einige Feuergefechte hinter sich und befand sich in deutlich schlechterer Verfassung. Aber im Gegensatz zu Mailer hatte mein Magen die Reise klaglos hingenommen. Vielleicht fand ich deshalb die Umst?e meiner Ankunft eher faszinierend als entsetzlich. Es war bereits dunkel, am Flughafen N'djili war der Strom ausgefallen. Z?llner, Polizisten, Gep?tr?r und Geheimdienstler suchten mit der Leuchtanzeige ihrer Mobiltelefone nach geeigneten Opfern unter den Passagieren, die von der feuchten Hitze bereits leicht bet?t waren. Innerhalb von zwei Minuten hatte ich mir, tollpatschig nach Moskitos schlagend, Pass und Gep?zettel aus der Hand nehmen lassen.Ersteren bekam ich nach einer Viertelstunde gegen eine nicht n?r beschriebene ?Geb?hr? von 20 Dollar zur?ck. Letzteren nach zwei Stunden mit der Auskunft, mein Koffer sei verschwunden. Um mich herum war der L? auf den Pegel eines Wagnerschen Opernfinales angeschwollen. Wei?uniformierte Damen von der Gesundheitsbeh?rde verlangten lautstark Nachweise von Impfungen gegen Krankheiten, die ich nicht kannte - ein Problem, das mit zehn Dollar zu l?sen war. Z?llner beugten sich wie hungrige Kater ?ber das pralle Gep? von Kongolesinnen, die theatralisch Ohnmachtsanf?e simulierten, mit der Strafe Gottes drohten oder der Rache irgendeines Ministers, den sie angeblich kannten. Mittendrin standen, eilfertig l?elnd, Herren in Zivil, die sich protocol nannten und wei? Passagiere gegen ein Honorar von vierzig Dollar durch den Strudel zu f?hren versprachen wie Moses sein Volk durchs Rote Meer. Nach diesem Schleudergang taumelten die Ank?mmlinge ins Freie und verteilten sich je nach Status und Hautfarbe auf Gel?ewagen der UN, klimatisierte Luxuskarossen oder verbeulte, rostzerfressene Toyotas. Dann rollte die Karawane auf dem Boulevard Lumumba hinein in die Stadt. Als sei dem Leben nachts die B?rde genommen, dr?ten sich links und rechts der Stra? tausende von Menschen zwischen den Kero- sinlampen der Marktst?e. Sie schleppten K?rbe und S?e, sch?en sich aus ?berf?llten Sammeltaxis, schoben Karren und Fahrr?r. Sie feilschten um Preise f?r Zigaretten, Lutscher und Erdn?sse, diskutierten hitzig ?ber korrupte Politiker, formschwache Fu?allspieler und die j?ngsten Ger?chte ?ber Hexereien. Sie flickten Autowracks, stampften Maniok, schaukelten sich unter dem Zeltdach einer Erweckungskirche in Ekstase oder bei Bier und kongolesischem Rumba in einen Tanzrausch. In dieser ersten Nacht begriff ich eines: Man kann sich dieser Stadt nicht n?rn. Man wird von ihr geschluckt. Zur Unabh?igkeit hatte die belgische Kolonialmacht dem Kongo eine Geschichte von 75 Jahren brutaler Ausbeutung und Massenmord sowie eine ziemlich solide Infrastruktur hinterlassen. Das war 1960. Kinshasa hie?damals noch Leopoldville und hatte rund 400 000 Einwohner. Zum Zeitpunkt von Norman Mailers Besuch war deren Zahl auf zwei Millionen gestiegen. Inzwischen lebten hier ?ber acht, vielleicht sogar zehn Millionen Menschen in einer Stadt, in der so gut wie nichts mehr funktionierte und so gut wie alles organisiert werden konnte. Jede Mega-City hat Slums und Armenviertel, urbane Desasterzonen ohne Strom, Trinkwasser und Kanalisation, ohne funktionierende Schulen, Polizei und Feuerwehr. Aber nur im Kongo hatte der Staat sich und seine Hauptstadt so gr?ndlich ruiniert. Kein anderes Stadtvolk musste st?ig so viele neue Uberlebensstrategien erfinden wie die Kinois. Und so viele Spitznamen. Aus Kin, la Belle (Kinshasa, die Sch?ne) wurde Kin, la Poubelle (Kinshasa, die M?lltonne). Dann, je nach Aktualit?anderer Katastrophen, Sarajevo, Afghanistan, Kosovo, Tschetschenien oder Bagdad. Mochte sich die Welt auch nicht um ihr Schicksal scheren, die Kinois taten einfach so, als w? ihr Elend CNN-w?rdig. Eine Stadt, die einen schluckt, erweckt das Bed?rfnis zu fliegen. Einmal aus der Vogelperspektive auf Kinshasa schauen und wenigstens so tun, als k?nnte man in diesem Moloch die ?ersicht behalten. Der Einzige, der bei meinem ersten Besuch einen Blick von oben bieten konnte, war ein gewisser Monsieur Mulambi, Angestellter des kongolesischen Informationsministeriums. Monsieur Mulambi war der scheinbar letzte Beamte im leer gepl?nderten Geb?e des staatlichen Rundfunksenders. Da der Lift nicht funktionierte, stapfte ich achtzehn Stockwerke hoch in sein B?ro, in dem sich au?r Monsieur Mulambi noch ein ramponierter Schreibtisch und ein Telefon aus den sechziger Jahren befanden, ?bergab ihm schwei?ebadet 100 Dollar und erhielt daf?r die schriftliche Erlaubnis, ?dieKultur der Hauptstadt unter strengster Beachtung der menschlichen W?rde und der Gesetze der Demokratischen Republik Kongo dokumentieren? zu d?rfen. Monsieur Mulambi, ein kleiner Herr, der seine bizarren Arbeitsbedingungen mit der pikierten W?rde eines englischen Butlers ignorierte, gew?te als Zugabe einen Rundblick durch die verdreckten B?rofenster auf seine Stadt: Im Westen, auf sandigen H?geln, liegt Binza-Ma Campagne, ein Villenviertel, das in der Regenzeit allj?lich ein paar H?er durch Erdrutsch verliert. Im Norden, unweit der rostbraunen Fluten des Kongo-Flusses, ragt das Grand Hotel, ehemals Hotel Intercontinental, empor, in dem je nach Sicherheitslage abwechselnd Kriegsherren und Weltbank-Experten logierten. ?tlich davon sah ich den F?hafen, wo sich jeden Morgen H?ler, Stra?nkinder und Verhexte versammelten, um Waren ?ber den Fluss nach Brazzaville zu transportieren, der Hauptstadt des kleinen Nachbarlandes mit dem verwirrend ?lichen Namen ?Republik Kongo?. Stadteinw?s wurde der Platz f?r die Lebenden und Toten immer enger, in der Hitze flimmerten die D?er von Matonge, dem Kneipen- und Musikviertel, und Makala mit dem ber?chtigten Zentralgef?nis sowie die Gr?r des gro?n, l?st ?berf?llten Friedhofs von Kasa Vubu. Der Boulevard Lumumba zog sich wie ein Bandwurm Richtung S?dosten durch Massina und N'djili, im Volksmund ?Quartiers Chinoises? genannt, die chinesischen Viertel, weil eigentlich nur in China so viele Menschen auf so engem Raum leben k?nnen. Tief im S?den breitete sich ?ber einem H?gel der Campus der Universit?Kinshasa aus mit dem stillgelegten nuklearen Forschungsreaktor, der mit jedem Erdrutsch n?r an einen Abgrund r?ckte. Im Osten erhob sich ein grauer Betonklotz, Kinshasas ?Stadion der M?yrer?, so genannt, weil Mobutu an dieser Stelle einst Oppositionelle aufh?en lie? Ein paar hundert Meter weiter lag das kleinere Oval des Stadions Tata Rapha? benannt nach einem belgischen Missionar. Dort wurde die Stadt einst f?r eine Nacht zum Mittelpunkt der Welt und Norman Mailer Zeuge eines Wunders. Und ich h?rte in dieser Nacht zum ersten Mal den Namen Kinshasa.Stadion Tata Rapha?Angel Moway war gef?rchtet f?r ihre schnelle F?hrhand, die sie in diesem Augenblick auf meinem Kinn platzierte. Zum dritten Mal in zwei Minuten. Ihre Tochter Herveline sa?im Strampelanzug unter dem verdreckten Sandsack und quietschte vergn?gt. Es gibt in Kinshasa nicht viele Kinder, deren M?tter eine Gerade landen k?nnen. Angel, eine Bantamgewichtlerin mit d?nn geflochtenen Z?pfen, t?elte locker, schlug Kombinationen gegen meine Deckung, lauerte auf die n?ste L?cke. Sie machte ihrem Namen alle Ehre. Selbst w?end des heftigsten Schlagabtausches behielt ihr Gesicht einen engelsgleichen Ausdruck sanfter Konzentration. Es war Samstagnachmittag, in Judex' Club trudelten Boxer zum Training ein und passierten unger?hrt die Halbw?chsigen, die am Eingang wild gestikulierten und schrien. Sie hatten in einem nahe gelegenen Schuppen ein ausgesetztes Neugeborenes gefunden, eingewickelt in ein zerrissenes Hemd. Jetzt wollten sie Taxigeld, um den S?ling ins Waisenhaus zu bringen. ?Babys, Babys, Babys!?, sagte Judex, ?ich erkl? den Frauen immer: Haltet euch die Kerle vom Leib, sonst seid ihr sofort schwanger.? ?Dsch??dex!? So hatte sich der Mann bei unserer ersten Begegnung vorgestellt. ?Ganz einfach: Coach Dsch??dex.? Klein, drahtig, auf dem Kopf eine speckige Baseballm?tze, darunter ein Vogelgesicht mit weit auseinanderliegenden Augen, als erwarte er jederzeit einen Haken von der Seite. Ich hatte Judex zuf?ig auf einem Parkplatz entdeckt, wo er, ausgestattet mit zwei zerfledderten Boxhandschuhen und einemBadelatschen als Schlagpratze, eine Gruppe K?fer trainierte. Darunter befanden sich zu meiner Verbl?ffung mehrere Boxerinnen, die er als ?Frauennationalmannschaft? vorstellte. Das war 2002. Das Land taumelte damals zwischen Krieg und Friedensgespr?en. Konvois von warlords, die bei Verhandlungen in Kinshasa um Ministerposten schacherten, rasten durch die Stadt. An der Bar des Hotel Intercontinental war die kongolesische Variante der Globalisierung zu besichtigen: ukrainische Waffenschmuggler, libanesische Diamantenh?ler, Offiziere aus Simbabwe und Angola, die Milit?ilfe gegen Rohstoffkonzessionen anboten. Judex k?mmerte das wenig. Die K?fe fanden weit weg im Osten des Landes statt, und f?r Krieg und Politik interessierte er sich nur dann, wenn Putschger?chte oder Gro?emonstrationen seinen Trainingsplan st?rten. Sein Alter gab er damals mit 53 Jahren an, was er im Laufe unserer Bekanntschaft stetig nach unten korrigierte. Ansonsten waren seine Zahlen pr?se und konstant. ?Vier Mal nationaler Meister, vier Mal Afrika-Meister im Weltergewicht - 101 K?fe, 97 Siege, drei Remis, eine Niederlage.? Das war die Chronologie seiner sportlichen Karriere, damals Ende der siebziger Jahre, als der Kongo noch Zaire hie?und die Zeiten himmlisch schienen. Zumindest im R?ckblick. Nun, ?ber ein Vierteljahrhundert sp?r, hatte Judex endlich seinen eigenen Club: Eine ehemalige Turnhalle unterhalb der Zuschauerr?e des Stadions Tata Rapha? ?Judex Boxing? hatte jemand mit blauer Farbe an die Wand gepinselt. Es gab keinen Ring, keinen Kopf- und Mundschutz, die Springseile bestanden aus W?heleinen, die Handschuhe - Judex besa?inzwischen drei Paar - waren an den N?en aufgeplatzt. Gegen eine Geb?hr konnten G?e mittrainieren, vorausgesetzt, sie gew?hnten sich an das ewige Halbdunkel, die L?cher im aufgerissenen Boden, den Geruch von Gem?se, Urin und Holzkohle und an die Schattenwesen, die durch die G?ehuschten. In den Eingeweiden des Stadions wohnten Kriegsfl?chtlinge, deren D?rfer im Osten zerst?rt worden waren; Obdachlose, die sich die Mieten in den Slums von Kinshasa nicht leisten konnten; junge Boxer, die auf Meisterschaftstitel hofften. Im Laufe der Jahre hatte diese Wohngemeinschaft der Traumatisierten und der Tr?er die Sprossen der Turnleiter zu Feuerholz verarbeitet, morsche Barren zu W?hest?ern und ein altes Trampolin zum Schlafplatz umfunktioniert. Nur das verblichene Plakat an der Wand, das an den glorreichsten Tag dieses Stadions erinnerte, wagte lange Zeit niemand anzur?hren. ?30. Oktober 1974: George Foreman vs. Muhammad Ali. Weltmeisterschaftskampf im Schwergewicht. 15 Runden. Ein Geschenk des Pr?denten Mobutu an das Volk und eine Ehre f?r alle Schwarzen.? Judex deutete in Richtung der Sands?e. ?Hier hat Er sich aufgew?t.? Er. Der Gr??e. Muhammad Ali, der Schwergewichtler mit den schnellsten Beinen und dem schnellsten Mundwerk in der Geschichte dieses Sports. Bis zu jenem 30. Oktober 1974 kannten die meisten Europ? und Amerikaner den Kongo allenfalls aus S?ldnerromanen oder aus Joseph Conrads Herz der Finsternis. Ich kannte das Land ?berhaupt nicht. Das ?erte sich mit dem Gong zur ersten Runde dieses Weltmeisterschaftskampfes um vier Uhr morgens im Stadion Tata Rapha?- 22 Uhr an der amerikanischen Ostk?ste und somit beste Sendezeit f?r die USA. Judex' Versionen ?ber seinen Aufenthaltsort w?end des Kampfes variierten: Mal wollte er mit seinem Onkel mitten unter den Zuschauern gewesen sein, mal daheim in Kinshasa mit der Familie vor dem Fernseher. Wahrscheinlich war es ein Radio. Wie auch immer, Judex beteuerte, in jener Nacht dasselbe Spektakel verfolgt zu haben wie ich, gerade dreizehn, mit meinem Vater einige tausend Kilometer entfernt in unserem M?nchner Wohnzimmer: Vier, f?nf Runden lang dr?te Foreman, der haushohe Favorit, Ali in die Seile und drosch wie ein h?nenhafter Holzf?er auf ihn ein. In der sechsten Runde erlahmte er. In der achten passierte das Wunder: Ali schlug ihn k. o. Mehr noch als der Kampf blieb mir der fr?hliche Gesang des Publikums im Ged?tnis: ?Ali, boma ye! Ali, boma ye! Ali, t?te ihn?, was nicht als Aufruf zum Mord, sondern als Ausdruck der Zuneigung zu Ali gemeint war. In jener Nacht schwor sich Judex, Boxer zu werden. Genauso zu werden wie jener Schwarze aus Amerika, der nicht nur den Weltmeistertitel erobert, sondern auch Kinshasa zur B?hne eines grandios-bizarren Welttheaters gemacht hatte. Aber Ali, der geniale Selbstdarsteller, f?hrte in diesem St?ck nicht Regie. Die F?n zog ein Mann, der sich f?r Boxen wenig interessierte, ein Mann, der selbst nicht schlug, sondern schlagen lie?Es ist ein schw?ler Tag Anfang September 1974, als Ali in Kinshasa aus dem Flugzeug steigt - im Schlepptau seine riesige Entourage: Trainer, Manager, Masseur, Sparringspartner, Verwandte und Funktion? der ?Nation of Islam?, jener muslimischen Bewegung von Afro-Amerikanern, der er sich angeschlossen hat und die in den USA eine radikale Abschottung von der wei?n Gesellschaft vertritt. Der Kampf gegen George Foreman ist Alis letzte Chance, den Weltmeistertitel wieder zu gewinnen, den man ihm in den USA nach seiner Wehrdienstverweigerung im Vietnam-Krieg aberkannt hat. Eine hauchd?nne Chance in Anbetracht von Foremans monstr?ser Schlagkraft. Weil sich au?r einem afrikanischen Staatschef namens Joseph D?r?obutu niemand bereit erkl? hat, das hohe Preisgeld von zehn Millionen Dollar aufzubringen, wird der Fight in Kinshasa, der Hauptstadt von Zaire, angesetzt. Ali ist vom Austragungsort anfangs ?berhaupt nicht begeistert. Black Power hin oder her - was Afrika betrifft, pflegt er dieselben Klischees wie die meisten seiner wei?n wie schwarzen Landsleute: primitiver Urwald mit primitiven Einwohnern. The Rumble in the Jungle, das Grollen im Dschungel. So tauft er das bevorstehende Spektakel und prophezeit allen Anh?ern Foremans ein b?ses Ende ?im Kochtopf der Kannibalen?. Mobutu und seine Minister finden Alis ber?hmten Sprachwitz zun?st ?berhaupt nicht komisch. Joseph D?r?obutu, ehemals Journalist, Milit?ffizier und Armeestabschef, ist seit seinem Putsch 1965 an der Macht. Seinem Land hat er eine Kampagne der afrikanischen Erneuerung, der ?Authentizit?, verordnet. Minir?cke, Krawatten, christliche Namen gelten als unafrikanisch. Westliche Ideen wie Pressefreiheit und Mehrparteiensysteme ebenfalls. Die kolonialen Namen der St?e wurden afrikanisiert, aus L?oldville ist Kinshasa geworden. Das Land und den Fluss hat Mobutu in ?Zaire? umgetauft. Sich selbst nennt er nun Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa za Banga, was in der deutschen ?ersetzung klingt wie der Anfang eines Karl May- Romans: ?Der machtvolle Krieger, der dank seiner Ausdauer und seines Siegeswillens von Eroberung zu Eroberung sehreitet und Feuer in seiner Spur hinterl?t.? In den westlichen Medien spottet man ?ber die Propagandashow eines geltungss?chtigen Autokraten. Aber hinter der Kampagne der authenticit?teckt mehr: Die Unabh?igkeit des Landes liegt keine anderthalb Jahrzehnte zur?ck, es hat zwei Sezessionskriege und eine selbst f?r afrikanische Verh?nisse extrem brutale Kolonialzeit hinter sich. Rund 200 ethnische Gruppen, die von den belgischen Kolonialherren geschickt gegeneinander ausgespielt wurden (oder sich gegeneinander ausspielen lie?n), vier Hauptsprachen und zahlreiche Regionalsprachen - all das ergibt reichlich Konfliktstoff. Mobutu will diesem jungen, zerrissenen Staat innerhalb weniger Jahre mit k?nstlicher Symbolik, Personenkult - und, wann immer n?tig, Gewalt - verordnen, wof?r europ?che L?er Jahrhunderte brauchten: eine nationale Identit? anerkannt und respektiert von den eigenen Landsleuten und vom Rest der Welt. Doch die ist just zu dieser Zeit mit den Folgen von ?krise und Watergate-Skandal besch?igt und interessiert sich wenig f?r das neue Zaire. Der Boxkampf samt Rahmenprogramm soll das ?ern. Foreman trifft einige Tage nach Ali auf dem Flughafen N'djili mit kleinerem Gefolge ein. Er hat einen seiner geliebten Sch?rhunde an der Leine, was sich PR-taktisch als schwerer Fehler erweist. Der Sch?rhund erinnert die Kinois an die Polizeihunde der belgischen Kolonialherren. Kinshasas Sympathien liegen nun endg?ltig auf Seiten Alis, zumal der seine Kannibalen-Witze aus dem Programm gestrichen hat und die ?fentlichkeit mit launigen Auftritten unterh?. Die Nachhut der amerikanischen Invasion bildet eine gef?lich ?berladene Maschine mit den Musikstars B. B. King und James Brown an Bord samt B?hnenanlage, Instrumenten, Groupies, reichlich Whiskey und Marihuana. Dem Kampf aller K?fe soll das Konzert aller Konzerte vorausgehen, ein gemeinsamer Auftritt der amerikanischen Granden des Blues und Soul mit den afrikanischen Superstars Manu Dibango, Miriam Makeba und Tabu Ley Rochereau. ?er allem schwebt und wacht ?der gro? Krieger? mit seinem Leopardenk?chen auf dem Kopf, dessen undurchdringliches Gesicht auf tausenden Plakaten in der Stadt zu sehen ist. Alles l?t nach Mobutus Drehbuch f?r diesen ersten schwarzen Mega-Event: Der gro? afrikanische Staatschef hat gerufen, die amerikanischen Meister des Sports und der Musik, die Nachfahren der Sklaven, sind gekommen. Au?rdem eine Armada wei?r Sportjournalisten. Und eben Norman Mailer, Ali-Fan und Box-Fanatiker, der, von seiner Magenverstimmung genesen, ein Buch schreiben wird ?ber diesen Kampf, ?ber diese, wie er es nennt, ?Kr?nung eines schwarzen K?nigs?. Muhammad Ali, der Boxer, und Norman Mailer, sein Chronist, entdecken in den folgenden Wochen Kinshasa - und sehen v?llig verschiedene Welten. Ali verwandelt sich innerhalb weniger Tage vom Sp?tter ?ber das primitive Afrika in einen staunenden Bewunderer. Aufgewachsen im Amerika der Rassentrennung, sieht er ein Land, in dem schwarze Professoren in H?rs?n dozieren, schwarze Gener? die Armee kommandieren, schwarze Piloten Flugzeuge steuern, Schwarze auf breiten Boulevards Mercedes fahren - und zwar als Besitzer, nicht als Chauffeure. Dass Mobutu alles andere als ein Menschenfreund ist, begreift Ali nat?rlich auch. Statt dessen Politik zu kommentieren, stiehlt er ihm f?r einige Wochen einfach die Show. Alis Trainingsl?e durch die Stra?n geraten zu kleinen Triumphz?gen. Der Prophet des Boxens und der Black Power feiert, wie ?blich, sich selbst. Und er feiert seine kongolesischen ?Br?der und Schwestern?, in deren Augen er zu sehen glaubt, was er bei seinen schwarzen Landsleuten in Amerika so schmerzlich vermisst: Stolz auf die eigene Hautfarbe. Mailer sieht ein Land, in dem schwarze Gener? das Volk kujonieren, schwarze Bonzen ihre Luxuskarossen zur Schau stellen, und ein schwarzer Diktator seinem Volk die R?ckkehr zu afrikanischen Wurzeln verordnet, w?end er in Europa Prachtvillen aufkauft und in Kinshasa rosa Champagner trinkt und Exekutionskommandos aussendet. Angeblich sogar ins Stadion Tata Rapha? das damals ?Stadion des 20. Mai? hei?, weil Mobutu am 20. Mai 1967 seine Einheitspartei der ?Revolution?n Volksbewegung? gegr?ndet hatte. ?Welch eine Arena!?, notiert Mailer f?r sein Buch, das sp?r unter dem Titel The Fight ver?ffentlicht wird. ?Achten Sie auf die Architektur. Dies ist nicht nur ein Ort, um Menschen zu versammeln, sondern auch ein Ort, um sie zu kontrollieren und, wenn n?tig, zu beseitigen.? Mobutu hat, davon ist Mailer ?berzeugt, wenige Monate vor dem Kampf f?nfzig Kriminelle in den G?en des Stadions exekutieren lassen. Wom?glich sogar in den Umkleide-Kabinen der Boxer. Zur Abschreckung. Auf dass nicht einmal ein Taschendiebstahl das gro? Ereignis beeintr?tigen kann. ?Mailer??, fragte Judex, als wir eines Samstag hinaus ins Stadion zum Aufw?en trabten, obwohl ich das bei 30 Grad ?berfl?ssig fand. ?Mailer? Kenne ich nicht.? Wir spurteten die Treppe hoch und drehten einige Runden entlang der obersten Zuschauerr?e. Die Reihen boten Platz f?r 40 000 Zuschauer. Damals, in der Nacht des Kampfes, hatten sich dar?ber hinaus Zehntausende auf dem Fu?allfeld um den Ring gedr?t, hatten Ali wie einen Volkshelden mit Sprechch?ren empfangen und waren beim Anblick Foremans schlagartig verstummt. ?Weil er?, sagte Judex, immer noch mit Ehrfurcht in der Stimme, ?so riesig war.? Der Coach und ich starrten auf das Feld. Drei Spieler ?bten Elfmeter zwischen den Sandkuhlen des Strafraums. Auf den br?chigen Betontreppen machtenCatcher in hautengen Spandex-Hosen Liegest?tze. Eine M?henmannschaft spielte auf dem Vorplatz Basketball. M?er mit gew?lbtem Bizeps wuchteten Hanteln, montiert aus Autoachsen. Alle rannten, stemmten oder warfen mit jenem weihevollen Ernst im Gesicht, mit dem Angel boxte. Als sei der Sport ein Gottesdienst, der seine Gl?igen ?ber den Gestank und Verfall der Stadt erhob. Nur mir fehlte es an der n?tigen W?rde. Ich keuchte und sehnte mich nach einem K?bel Eiswasser. Kinder johlten hinter mir her. Eine schwei?riefende, schwer atmende Wei? mit hochrotem Kopf - das bekamen sie nicht jeden Tag zu sehen. ?Hinrichtungen sagte Judex, locker neben mir joggend, ?Quatsch. Hier wurde ?berhaupt niemand hingerichtet. Das ist ein Sportstadion, kein Gef?nis.? Ich bekam zu wenig Luft, um einzuwenden, dass Diktatoren in der Welt schon h?iger Sportstadien in Gef?nisse verwandelt hatten. Au?rdem konnte ich Judex' vehementen Widerspruch verstehen. Es ging um seinen Club, um seine Geschichte: Die Geschichte des kleinen Trainers Judex Tshibanda Wata, der an der St?e des historischen Triumphes des gro?n Muhammad Ali die erste Boxerinnen-Generation im Kongo trainierte. Dazu passten keine Massaker in Duschr?en. Natalie, so hie?die erste Frau, der Judex Boxhandschuhe ?berstreifte. Das war 1995. Kinshasa trug l?st den Spitznamen Kin, la poubelle, Kin, die M?lltonne. Mobutus Regime siechte dem Ende entgegen, seine Armee hatte zweimal hintereinander die Hauptstadt gepl?ndert. In dieser Untergangsstimmung Frauen Leberhaken und Liegest?tze beizubringen, hielten Judex' M?erfreunde f?r h?chst bedenklich. ?Die haben mich f?r verr?ckt erkl?.? Frauen zu K?ferinnen zu machen, war in ihren Augen eine Anstiftung zur Revolution. Und Revolutionen waren das Letzte, was die Stadt jetzt noch brauchte.mehr
Kritik
»Ein hervorragendes, eindringlich geschriebenes Buch einer mutigen Autorin, der man nur zu einem der vielleicht besten deutschsprachigen Bücher zu diesem Thema gratulieren kann.« stepin.de, 17.03.2011mehr

Autor

Andrea Böhm, geboren 1961, lebte über zehn Jahre als freie Journalistin in den USA und schrieb u. a. für die tageszeitung, Die Zeit und GEO. 2004 erhielt sie den Theodor-Wolff-Preis, seit 2006 ist sie Redakteurin der Zeit. Regelmäßig bereiste sie in den letzten Jahren den afrikanischen Kontinent und ist eine ausgewiesene Kennerin des Kongo. Auf ihrem Blog berichtet Andrea Böhm von ihren Reisen.