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'Schwarze Bestien, rote Gefahr'

Rassismus und Antisozialismus im deutschen Kaiserreich. Dissertationsschrift - Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
BuchKartoniert, Paperback
425 Seiten
Deutsch
Campus Verlagerschienen am06.11.2006
Um den Kolonialkrieg des Kaiserreichs gegen die Herero und Nama in Afrika zu rechtfertigen, wurden diese als blutdürstige Bestien dargestellt. Frank Sobich zeigt, wie dieses Bild sich in der deutschen Öffentlichkeit durchsetzte, und verfolgt seine weitere Geschichte: Bei den Reichstagswahlen von 1907 wurden die "schwarzen Bestien" zusammen mit der "umstürzlerischen " Sozialdemokratie und dem angeblich feindlichen Ausland zu einer nationalen Bedrohung aufgebauscht.mehr

Produkt

KlappentextUm den Kolonialkrieg des Kaiserreichs gegen die Herero und Nama in Afrika zu rechtfertigen, wurden diese als blutdürstige Bestien dargestellt. Frank Sobich zeigt, wie dieses Bild sich in der deutschen Öffentlichkeit durchsetzte, und verfolgt seine weitere Geschichte: Bei den Reichstagswahlen von 1907 wurden die "schwarzen Bestien" zusammen mit der "umstürzlerischen " Sozialdemokratie und dem angeblich feindlichen Ausland zu einer nationalen Bedrohung aufgebauscht.
Details
ISBN/GTIN978-3-593-38189-3
ProduktartBuch
EinbandartKartoniert, Paperback
Erscheinungsjahr2006
Erscheinungsdatum06.11.2006
Reihen-Nr.909
Seiten425 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht592 g
Artikel-Nr.11933819
Rubriken

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
InhaltEinleitungForschungsgegenstände und Fragestellungen10Methode und Forschungsperspektive15Postkolonialer Perspektivwechsel und traditionelle Kolonialgeschichte18Volk, Nation und 'Rasse'19Rassismus und Nationalismus24Rassismus und Kolonialismus - Derivate des Nationalismus?27Kritik der Vorurteils- und Stereotypenforschung28Sinn und Funktionsweise rassistischer Vorstellungen31Die Macht rassistischer Vorstellungen34Quellenlage und Schreibweise371. Aufstände und Kriege in 'Deutsch-Südwest'Deutschland als Kolonialmacht42Deutschland und 'Deutsch-Südwest'47Die Gründe des Aufstands der Herero50Aufstand, Krieg und Vernichtung54Der Aufstand der Nama63Gefangenenlager und Zwangsarbeit65Bilanz des Krieges66Neue Politik und Verschärfung des kolonialen Rassismus682. Die Aufstände in der deutschen ÖffentlichkeitDie südwestafrikanischen Aufstände im Deutschen Reichstag73Der Aufstände in der bürgerlichen Presse79Die Aufständischen als Bestien: Die 'Gräueltaten' der Herero81Bürgerliche Analysen der Gründe für den Herero-Aufstand86Der Aufstände in der sozialdemokratischen Presse90Der Konflikt um die Missionare 97Kriegszieldiskussion in Deutschland100Das 'System Trotha' in der deutschen Öffentlichkeit1043. Das neue Bild der 'Schwarzen'Zwischen 'edlen Wilden' und 'geborenen Sklaven'112Die erste Vereindeutigung: Negatives Naturwesen115Kolonialer Wettlauf und die Biologisierung des Rassebegriffs118Zweiteilung des Naturwesen-Schemas: Kind und Tier122Kräfteverschiebungen im kolonialen Diskurs125Das neue Bild der 'Schwarzen' und der deutsche Rassismus130Politische Konjunktur und gesellschaftliche Feindbilder1394. Rassismus und AntisozialismusRassismus und kapitalistische Entwicklung145Französische Revolution und Entstehung des Proletariats149Die Pariser Kommune: Bedrohung durch die Masse 152Der Nationalstaat und die Angst vor dem Volk154"Da unten" - die Entdeckung der 'wilden' Welt der Arbeiter1571890 - neue Kampfbedingungen, neue Kampfformen161Der Reichsverband gegen die Sozialdemokratie163Zwischen Herrenstandpunkt und Sozialreform165Umorganisation der antiproletarischen Topoi167Widerlegungen sozialistischer Theorien1715. Sozialdemokratie, Kolonialpolitik und das deutsche KaiserreichPolitischer Klassenkampf und soziale Ausgrenzung177Die Arbeiterbewegung als Ersatzvaterland181Krisentheorie und Fortschrittsoptimismus184Das objektive Dilemma der Sozialdemokratie186Die "doppelte Loyalität" der Arbeiterbewegung188Zwischen liberaler und sozialistischer Kolonialkritik190Die sozialdemokratische Debatte über den Herero-Aufstand1936. Nationale Formierung und WeltpolitikOrganizistischer Nationalismus und 'Feindabwehr'200Völkischer und kulturalistischer Nationalismus201Nationalstaat und 'Reichsfeinde'206Der 'Staat der Junker' und sein Volk207Nationalisierung des Parteiensystems und Antiparlamentarismus210Von der großpreußischen Außenpolitik zur 'Weltpolitik'213Schutzzoll und Heeresstärke216Neue und alte Rechte2207. Die Auflösung des Reichstags: Eine Krise des Kaiserreichs?Kolonialskandale und 'Kolonialmüdigkeit'225Die innenpolitische Stimmung 1906228Die außenpolitische Interpellation Bassermanns228Die große Abrechnung mit der Kolonialpolitik232Das Vorspiel zum 13.12.1906235"Wenn Sie wollen, haben Sie die Krisis!"238Die Reaktionen der Parteien240Die Auflösung - Verzweiflungstat oder Krisenstrategie?2428. Bülow-Block und ZentrumRolle des Staatsapparates248Nationale Mobilisierung und Parteienkonkurrenz249Antisemiten und Block253Neue Rolle der Liberalen254Außerparlamentarische Schützenhilfe256Stimmen von der Basis259Bülow-Block - taktischer Streich oder tragfähiges Bündnis?260Die Bedeutung des 'Ultramontanismus'261Die Antwort des Zentrums2689. Innere Mobilmachung in den "Hottentotten-Wahlen"Traditionelle antisozialistische Polemik273"Schwarze Bestien" - zweite Aufführung275"Peter Moors Fahrtmehr
Prolog
Campus Forschungmehr
Leseprobe
Das Deutsche Kaiserreich und seine Kolonien sind in den letzten sechs, sieben Jahren wieder verstärkt in das öffentliche Interesse gerückt. Sei es, weil sich "Deutschlands erster Griff nach der europäischen Union " schon bald zum hundertsten Mal jährt - und auch ohne den I. Weltkrieg zu einer Urkatastrophe zu mystifizieren, verspricht dessen Vorgeschichte doch einigen Aufschluss über die Entwicklung des 20. Jahrhunderts zu geben. Sei es, weil die politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um den hundertsten Jahrestag des Aufstandes der Herero den Blick dafür geschärft haben, dass das Deutsche Reich wirklich Kolonien besessen hat, und dass die Unterwerfungs- und Ausrottungsfeldzüge des Dritten Reichs nicht eine Episode in der deutschen Geschichte darstellen, die sich aus einem ansonsten merkwürdigen, aber bis dahin eher etwas kurios-harmlosen Sonderweg ergeben haben. Sei es, weil heute als Endpunkt des "langen Wegs nach Westen" (Winkler) die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Europäischen Union zu einem Akteur von internationalem Gewicht geworden ist. Egal ob man "die gleichen Argumente, die gleichen Triebkräfte, die gleichen Schauplätze, die gleichen Achsen" am Werke sieht oder hofft, Deutschland werde seine "Mittellage" in einem ebenso "moderaten, wie moderierenden Sinne" verstehen - ein Blick auf die imperiale Vergangenheit Deutschlands verspricht den einen oder anderen Erkenntnisgewinn. (Sollten sich Parallelen ergeben, wäre freilich noch die Frage, was für Schlussfolgerungen sich daraus ergeben würden).Um die Wahrheit zu sagen, all diese Gründe hatten mit der Entstehung dieser Studie wenig zu tun. Als ich 1997 den Entschluss fasste, mich mit den "Hottentotten-Wahlen" und ihren Auswirkungen zu beschäftigen, war ich - sensibilisiert durch die gravierenden Einschränkungen des Asylrechts und die dem vorhergehenden öffentlichen Diskussionen fasziniert von der Wirkung einer rassistischen und nationalistischen Kampagne auf die sozialistische Arbeiterbewegung und ihre Funktion beim Anpassungsprozess der Sozialdemokratie. Die Aufstände in Südwestafrika selber waren mir aus meinem Geschichtsunterricht in Erinnerung, damals bildeten sie aber gerade mal die bekanntesten Punkte eines insgesamt eher randständigen Themas. Das Interesse an der Funktionsweise einer solchen öffentlichen Kampagne und ihrer Wirkung ist geblieben, aber es sind mit der Zeit andere Fragen hinzugekommen: Nach dem Verhältnis von Realität und rassistischer Wahrnehmung, nach der Bedeutung und dem Eigensinn von negativen und positiven Bildern für rassistische Weltbilder, nach Genese und Bedeutung des Antisozialismus, nach dem Verhältnis von privatem Ressentiment, öffentlicher Meinung und Außenpolitik. Einige frühe Arbeitshypothesen, wie etwa die Vermutung, die Kampagne gegen die Herero und Nama sei stark sexualisiert gewesen, oder die Annahme, die Kriegsbegeisterung 1914 habe ein klassen- und regionenübergreifendes Phänomen dargestellt, mussten als falsch aufgegeben werden. Punkte, die mir zunächst zentral erschienen, etwa die Nationalisierung des Parteiensystems oder die Eigendynamik des "Elektionismus" der Sozialdemokratie, sind mit der Zeit an den Rand des Forschungsinteresses gerückt. Das, was diese Arbeit als Erweiterung anderer Untersuchungen der "Hottentotten-Wahlen" zu leisten versucht, die inhaltliche Analyse des Wahlkampfes 1906/1907 anhand von Flugblättern, eröffnete sich als Forschungsperspektive erst in der heißen Phase, als diese Arbeit im Kopf des Autors bereits - andere - Gestalt angenommen hatte. Forschungsgegenstände und FragestellungenDie folgenden Kapitel fokussieren die mittlerweile umfassend untersuchten Aufstände der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika 1904-1907 und die ebenfalls gut untersuchten, aber deutlich weniger präsenten Wahlen und den Wahlkampf 1906/1907 in dreierlei Hinsicht: Zum einen als bislang ignorierte Vorgeschichte der Kampagne gegen die "schwarze Schmach" 1919, die bleibende Bedeutung für das Bild von Schwarzen in Deutschland hatte; zum zweiten als weitgehend unterschätzte Etappe des Anpassungs- und Nationalisierungsprozesses der sozialistischen Arbeiterbewegung und zum dritten als bislang zumeist fehlgedeutete neue Stufe nationaler Mobilisierung in einer Epoche sich immer weiter verschärfender internationaler Spannungen. Aufgabe dieser Arbeit soll es sein, zu zeigen, wie sich aufgrund der öffentlichen Verarbeitung zweier Aufstände in den Kolonien in den Jahren 1904-1906 das Bild von schwarzen Menschen in Deutschland veränderte, wie dieses veränderte Bild in einer bestimmten politischen Situation, nämlich den sogenannten "Hottentotten-Wahlen" politisch nutzbar gemacht wurde, wie dieses Bild mit dem Bild des revolutionären Proletariers und der Bedrohung durch das feindliche Ausland in einer machtvollen nationalistischen und rassistischen Kampagne zusammengeschlossen wurde und welche Auswirkungen dies sowohl auf das Kaiserreich, als auch auf seine Alternativgesellschaft, die Arbeiterbewegung, hatte. Bis zum Aufstand 1904 spielten weder schwarze Menschen noch die Kolonien jenseits kurzer Kampagnen eine größere Rolle im öffentlichen Bewusstsein des deutschen Kaiserreichs. Die Berichterstattung über den Aufstand konzentrierte sich auf die Darstellung von angeblichen Gräueltaten der Herero und Nama, deren weitgehende Vernichtung mit diesen Taten gerechtfertigt wurde. Das durch diese Berichterstattung entworfene Bild der schwarzen , mordlüsternen Bestie führte zur - zunächst noch umstrittenen - Etablierung eines bestimmten Konzepts von schwarzen Menschen. Das bisher dominante, kulturalistisch-rassistische Bild vom "Neger" als erziehungsbedürftigem Kind, das mit anderen Bildern ("Wilder", "unbeschwerter Naturmensch") koexistierte, wurde durch ein neues, eindeutiges, tendenziell biologistisch-rassistisches Bild vom "Neger" als Tier in den Hintergrund gedrängt - ohne dass die anderen Bilder dadurch vollständig verschwanden. Nun existiert Rassismus nicht jenseits politischer Konjunkturen: Die Wahlbewegung, wie man damals den Wahlkampf nannte, von 1906/1907 griff dieses noch nicht völlig durchgesetzte Bild auf und stellte es zusammen mit weiteren Bedrohungen in einen politischen Kontext. Es geht im Folgenden also um eine Rekonstruktion der Reorganisation gesellschaftlicher Zuschreibungen, das heißt ab wann und in welcher Weise die Schwarzen im öffentlichen Bewusstsein als Feinde erschienen. Dabei wird sich zeigen, dass rassistisches Denken die Gruppen, die es hasst oder liebt, nicht jedes Mal neu erfindet: Vorhandene Vorstellungen werden neu bewertet, in einen neuen Kontext gestellt und/oder ihnen eine neue Qualität zugesprochen, bislang verbreitete, dazu widersprüchliche Vorstellungen werden entweder direkt angegriffen oder existieren beziehungslos neben dem neuen Bild her, bis sie verschwinden oder einen neuen rassistischen Sinn bekommen. Die sozialistische Arbeiterbewegung spielte spätestens seit 1890, eigentlich bereits seit Mitte der 1870er Jahre, eine zentrale Rolle in allen politischen Konflikten des Kaiserreichs. Die imaginierte Bedrohung durch eine sozialistische Revolution prägte die politische Kultur, die Handhabung der politischen Struktur, das Recht, die Sozialpolitik, das Verhältnis zwischen Klassen, Schichten und anderen sozialen Gruppen im Kaiserreich. Das Bild des umsturzlüsternen Proletariers, das damals die Öffentlichkeit bewegte, hatte eine lange Tradition. Die ersten rassistischen Bilder über andere Menschen bezogen sich vor allem auf die eigenen unteren Klassen . In der vorliegenden Arbeit soll auch die sukzessive Veränderung der Bilder der gefährlichen Klassen , die parallel zu und verflochten mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft verlief, untersucht werden - sowohl als Teil der Geschichte des Rassismus, als auch als Kampfmittel gegen die sozialistische Arbeiterbewegung. In einem Prozess der Exteriorisierung wurde das Wilde als negatives Gegenbild zur bürgerlichen Kultur zwischen 1800 und 1890 zunehmend außerhalb der Gesellschaft gesucht: In Afrika, Asien und Amerika und in der entstehenden Subkultur der Proletarier. Während die letzten positiven Bedeutungselemente in Bezug auf die Schwarzen verschwanden, wurden die Bilder von der ungezügelten Zerstörungslust des Mobs immer weiter auf die Arbeiter, auf die sozialistische Arbeiterbewegung, später nur noch auf die organisierten Kommunisten in der Arbeiterbewegung zentriert. Schließlich entstand durch die Oktoberrevolution 1917 und die Kriegsniederlage des Deutschen Reichs eine Situation, in der der Antisozialismus und der Antisemitismus in Deutschland, unterfüttert von einem massiven antislawischen Feindbild, eine zugkräftige Verbindung in Form der Vorstellung einer jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung eingehen konnten. Die Bilder vom umsturzlüsternen Proletarier und von der schwarzen Bestie hatten aufgrund ihrer Genese und ihres Inhalts ein hohes Verknüpfungspotential. Aber ihre Entwicklung, die sich 1906/1907 sozusagen kreuzte, war gegenläufig: Die Schwarzen wurden immer weiter rassifiziert, die deutschen Arbeiter als Arbeiter ent-rassifiziert und als Deutsche nationalisiert. Wie sehr der Integrationsprozess der sozialistischen Arbeiterbewegung in Form, Strategie und Programm bereits angelegt war, wird ebenso zu diskutieren sein, welche Auswirkungen die Ausgrenzungsideologie und Ausgrenzungspraxis auf die Arbeiter und auf das Verhältnis der Kulturbewegung des Proletariats zu den kolonialisierten Wilden hatte. Liest man viele auch heute noch gängige Darstellungen des Kaiserreichs, so fragt man sich, wie Deutschland 1914-1918 einen Weltkrieg führen konnte. Das deutsche Kaiserreich, so die bis Mitte der 1990er Jahre dominierende Sicht, sei ein im hohen Maße umstrittener, von inneren Konflikten zerrissener und politischen Krisen gelähmter, von Abenteurern, Hofschranzen und unfähigen Säbelrasslern geleiteter und einer parasitären Schicht ungebildeter Landadeliger ausgebeuteter Staat gewesen. Es sei ihm nie gelungen, die wachsende Opposition zu integrieren; in einem Akt selbstmörderischer Verzweiflung und/oder chauvinistischem Größenwahn sei man in Krieg und Untergang gezogen. Daran sind nicht erst in den letzten Jahren immer wieder Zweifel angemeldet worden, die nicht nur auf die große Integrationskraft des imperialen Nationalismus wilhelminischer Prägung, sondern auch zu Recht auf ähnliche Krisenerscheinungen in anderen Nationen hingewiesen haben. Es soll im Weiteren nicht darum gehen, die Krisen, die politischen Konflikte oder auch nur den Anteil persönlicher Borniertheit bei der Führung der Staatsgeschäfte abzuleugnen. Es geht also nicht darum, die zunehmende Integration weiter Bevölkerungsgruppen in einen sich immer weiter nach rechts verschiebenden nationalen Konsens den vielfältigen Krisenerscheinungen entgegenzusetzen. Fruchtbringender ist es bei der Interpretation von Konflikten - die es weiter gab und die zum Teil sogar zunahmen - den Konsens wahrzunehmen, in den sie sich integrierten und in dem sie sich dann bewegten. Dies soll mit der außenpolitischen Isolierung des Reichs vermittelt werden, die nicht nur Folge einer ungeschickten Politik, sondern auch der wachsenden politischen und wirtschaftlichen Macht Deutschlands und seiner hochgesteckten Ziele war. Die "Hottentotten-Wahlen" von 1907, die zur Abstimmung über die Weltpolitik stilisiert wurden, waren nicht nur von der Wahlkampagne, sondern auch vom Resultat her bedeutend. In der Wahlkampagne kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen der alten, gouvernementalen und der neuen, völkischen Rechten, die einen biologistisch-sozialdarwinistischen Rassismus und einen zunehmend aggressiven außen- und innenpolitischen Kurs vertrat. Das Resultat der Wahlen war die Integration des Großteils der Liberalen, die Disziplinierung des Zentrums und der Beginn der Domestizierung der Sozialdemokratie. Diese Arbeit wird sich aber nicht nur mit offiziellen Ein- und Ausgrenzungspraktiken und ausformulierten rassistischen Doktrinen beschäftigen, sondern ebenso mit der "politische[n] Vorstellungswelt des Herrn Jedermann" . Diese ist keine quantité négligeable; aus ihr folgt gesellschaftliche Praxis, darum sind auch Alltagsvorstellungen ein Politikum. Rassistische Vorstellungen sind heute längst fester Bestandteil des Alltagsverstandes, d.h. Teil der "akkumulierten, für selbstverständlich gehaltenen und oftmals widersprüchlichen Annahmen und Überzeugungen, die Menschen benutzen, um der sozialen Welt eine ideologische Struktur aufzuprägen, innerhalb derer sie handeln können". Es geht darum, herauszufinden, wie sie dies wurden. Das erste Kapitel wird sich mit der deutschen Kolonialpolitik, dem Aufstand in Deutsch-Südwestafrika (DSWA), seinen Ursachen, seiner Verlaufsform und der deutschen Antwort auf diese Infragestellung der deutschen Kolonialherrschaft beschäftigen - kurz: die Realität darstellen, auf die sich die Diskurse über die Herero und Nama bezogen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Verarbeitung dieses Aufstandes in der deutschen Öffentlichkeit, den öffentlich geführten Debatten über die Gründe des Aufstandes, den Charakter der Eingeborenen und die zukünftige Politik in DSWA. Das dritte Kapitel hat die Entwicklung des rassistischen Denkens und der Bilder von Schwarzen in der deutschen Öffentlichkeit zum Thema; insbesondere, ob und wie die öffentliche Diskussion über die Aufstände Veränderungen des rassistischen Diskurses bewirkt hat. Im vierten Kapitel werden die sich ändernden Vorstellungen über die unteren Klassen als bedrohliche Wilde untersucht und die Herausbildung des wilhelminischen Antisozialismus als einer spezifischen Ausgrenzungsideologie rekonstruiert. Das fünfte Kapitel zeigt die Arbeiterbewegung als eine Reaktion auf die vielfältigen Ausgrenzungen und stellt heraus, welche Auswirkung der Antisozialismus für die Programmatik und Lebenswelt der Arbeiterbewegung hatte und wie ihr Verhältnis zu den Kolonien und den Kolonialisierten dadurch beeinflusst wurde. Im sechsten Kapitel wird der deutsche Nationalismus in seiner Betonung der organischen Einheit der Nation charakterisiert, das deutsche Kaiserreich als ein Staat analysiert, der einerseits gegenüber seinem Volk misstrauisch war und durch seine Politik dies auch verschärfte, sich andererseits erfolgreich um die Erzeugung von Basislegitimität bemühte. Das siebte Kapitel hat die Aufgabe, die Vorgeschichte der Wahlen darzustellen, die Gründe für die Reichstagsauflösung zu untersuchen und die politische Großwetterlage Ende 1906 zu charakterisieren, um die Wahlen und den Wahlkampf besser einordnen zu können. Daran schließt sich das achte Kapitel an, das "Innenansichten" aus einer rassistischen, nationalistischen und antisozialistischen Kampagne bietet, gängige Charakterisierungen der "Hottentotten-Wahlen" und des Bülow-Blocks in Zweifel zieht und die politischen Konflikte innerhalb des Regierungslagers ebenso wie seine inhaltliche Geschlossenheit zeigt. Im neunten und zehnten Kapitel werden anhand von Wahlkampfmaterialien die Themen des Wahlkampfs von sozialdemokratischer und nicht-sozialdemokratischer Seite analysiert und dabei die zentralen Thesen dieser Arbeit über die ideologische und imagologische Relevanz der Wahlen ausgeführt. Das elfte Kapitel beschäftigt sich mit den Auswirkungen und Folgen des Wahlausgangs. Es dekonstruiert den Mythos, die Sozialdemokratie habe eine Niederlage erlitten, zeigt aber auch auf, wie es gelang, diese Bewährungsprobe der Sozialdemokratie in eine Niederlage zu verwandeln und welche Auswirkungen dies hatte. Das zwölfte Kapitel schließlich zeigt die weitere Entwicklung des 1904 etablierten und 1907 verfestigten neuen Bildes der Schwarzen und rekonstruiert die zunehmende Sexualisierung schwarzer Männer in der deutschen Öffentlichkeit. In einem kurzen Resümee werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefasst und weitere Forschungsfragen und Forschungsperspektiven erörtert.Aufgrund des weiten thematischen Bogens dieser Arbeit habe ich darauf verzichtet, den Forschungsstand in der Einleitung zusammenzufassen und werde die Forschungsliteratur in den jeweiligen Kapiteln darstellen und diskutieren. Im Weiteren sollen die wesentlichen Begriffe - Ideologie, Nationalismus, Rassismus, rassistische Vorstellung - diskutiert und das Forschungsinteresse dieser Arbeit erläutert werden.mehr
Kritik
"Das Buch gehört zu den Werken, die heute den Diskurs in den postcolonial studies um die Auswirkungen des Kolonialismus auf die europäischen Gesellschaften entscheidend mitbestimmen.", Jahr Buch für Forschung zur Geschichte der Arbeiterbewegung, 01.09.2012mehr