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Wir sind die Stadt!

Kulturelle Netzwerke und die Konstitution städtischer Räume in Leipzig. Dissertationsschrift - Großformatiges Paperback. Klappenbroschur
BuchKartoniert, Paperback
289 Seiten
Deutsch
Campus Verlagerschienen am06.10.2008
Städte unterscheiden sich in ihrer Struktur und Anlage, in ihrem Potenzial, ihrer Geschichte und den Images, die sie hervorrufen. Obwohl die Differenzen im weltweiten Wettbewerb an Bedeutung gewinnen, wird die globale Angleichung der Städte zurzeit weitaus umfassender erforscht. Vor diesem Hintergrund verschiebt die neue Reihe die Perspektive von der Stadt auf diese Stadt. Städte werden in ihrer historisch gewachsenen und technisch-materiell fundierten Gestalt so analysiert und ins Verhältnis gesetzt, dass strukturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten in den Blick geraten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der eigenen Logik, die der Entwicklung jeder Stadt zugrunde liegt, sowie auf dem »lokalen Wissen«, das zur Lösung von Problemen beitragen kann. Die Herausgabe der Reihe erfolgt im interdisziplinären Verbund von Stadtforschern und Stadtforscherinnen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Bauwesen und Architektur.mehr

Produkt

KlappentextStädte unterscheiden sich in ihrer Struktur und Anlage, in ihrem Potenzial, ihrer Geschichte und den Images, die sie hervorrufen. Obwohl die Differenzen im weltweiten Wettbewerb an Bedeutung gewinnen, wird die globale Angleichung der Städte zurzeit weitaus umfassender erforscht. Vor diesem Hintergrund verschiebt die neue Reihe die Perspektive von der Stadt auf diese Stadt. Städte werden in ihrer historisch gewachsenen und technisch-materiell fundierten Gestalt so analysiert und ins Verhältnis gesetzt, dass strukturelle Differenzen und Gemeinsamkeiten in den Blick geraten. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der eigenen Logik, die der Entwicklung jeder Stadt zugrunde liegt, sowie auf dem »lokalen Wissen«, das zur Lösung von Problemen beitragen kann. Die Herausgabe der Reihe erfolgt im interdisziplinären Verbund von Stadtforschern und Stadtforscherinnen aus den Sozial- und Geisteswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Bauwesen und Architektur.
Details
ISBN/GTIN978-3-593-38767-3
ProduktartBuch
EinbandartKartoniert, Paperback
Erscheinungsjahr2008
Erscheinungsdatum06.10.2008
Reihen-Nr.2
Seiten289 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht406 g
Illustrationen2
Artikel-Nr.10922317

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
InhaltVorwort1.Einleitung2.Ökonomie, Kultur und Stadt2.1 Die Ökonomie der Symbole2.2 Kunst versus Kulturwirtschaft?2.3 Stadtkultur als soziologische Kategorie2.4 Zusammenfassung3.Raum, Ort und Zeit3.1 Marxistische Raumtheorie3.2 Globalisierung und Lokalisierung3.3 Dualität von Raum3.4 Zusammenfassung4.Untersuchungsdesign4.1 Moderne Gemeindeforschung4.2 Dichte Beschreibung trifft Grounded Theory4.3 Feldzugang Exkurs: "Revue: Le Jardin Negligé"4.4 Erhebungsmethoden und Auswertungsstrategien4.5 Zusammenfassung5.Was ist Leipzig?5.1 Historische Eckpunkte der Stadtentwicklung5.2 Das Dornröschen-Motiv: Über Leipzig als "schlafende Prinzessin" und diverse Versuche des Wachküssens5.3 Kulturwirtschaft in Leipzig5.4 Zusammenfassung6.Öffentliche Wohnzimmer: Neues zur Situation der CoucheckeKulturelle Netzwerke und Sticky PlacesRaumsoziologie des WohnzimmersWhen Ilse Met Erika...Öffentlichkeit/PrivatheitGeschmack und KlassePersistenz des Lokalen7."Philemon und Baucis und die Faust AG": Von der Auseinandersetzung mit dem Erbe der ostdeutschen ModerneAufstieg und Niedergang des Brühl-EnsemblesVorbild: Situationistische Internationale"Performative Architektur"Bildproduktion und ErinnerungDie Moderne als Antike8.Fazit: Räume des DazwischenNetzwerkübersichtenIndex265Literatur273mehr
Prolog
Neue Reihe: Interdisziplinäre Stadtforschung Herausgegeben vom Forschungsschwerpunkt »Stadtforschung« an der TU Darmstadtmehr
Leseprobe
1 EinleitungIm Mai 2007 veröffentlichte das monatlich erscheinende Leipziger Stadtmagazin Kreuzer die Titelstory "Wir sind die Stadt!". Das "Wir" beziehen Chefredakteur Björn Achenbach sowie die beiden Titelstory-Autoren Thyra Veyder-Malberg (Ressort Politik) und Robert Schimke (Ressort Kunst) auf Subkulturaktivisten, Künstlerinnen, Betreiber von Szeneläden, auf Nachbarschaftswerkstätten, Jugendprojekte und Bürgervereine. Sie meinen damit Menschen, die an ihren "persönlichen Visionen" bauen und dafür die in Leipzig vielfach vorhandenen "Freiräume zur Selbstverwirklichung" nutzen (Kreuzer 05/2007: 12ff.). In Leipzig blühe deshalb eine heterogene und kleinteilige Nischenökonomie, welche die Stadt viel nachhaltiger und positiver präge als die wenigen prestigeträchtigen Großprojekte. Nach der erfolgreichen Ansiedlung einer Reihe global operierender Unternehmen wie BMW, Porsche und DHL, und der gescheiterten Bewerbung um die olympischen Spiele 2012 müsse sich der Blick von der Weltbühne wieder zurück auf die Stadtteile richten. Denn das "kreative Heer der Träumer, Spinner, Lebenskünstler und Idealisten" hauche Leipzig "den viel gepriesenen frischen Atem ein" (ebd.: 16). Dass die meisten dieser Selbstverwirklicher ein Leben am Rande der Existenz führen, bleibt von den Autoren der Titelstory nicht unerwähnt. Dennoch sei Leipzig eine besonders gute Stadt für diese Akteure, denn "die prekäre Situation" gehe aufgrund niedriger Lebenshaltungskosten mit "einem guten Lebensgefühl" einher (ebd.: 15). "Leipzig fühlt sich trotz schlechter Wirtschaftsdaten dynamisch an. [...] Es lebt sich so komfortabel in dieser Nische, dass der Anschluss an die große Ökonomie gar nicht erforderlich ist. Während andernorts alle Zeit und Kraft dafür draufgeht, die Miete zu verdienen, bleibt hier viel Raum für Entwicklung und persönliche Lebensqualität" (ebd.). Die Kreuzer-Titelstory, die im Folgeheft (Kreuzer 06/2007) durch einen Gastkommentar des Geografen Bastian Lange vom Leibniz-Institut für Länderkunde (Leipzig) zur "kreativen Wissensökonomie" aufgegriffen wird, darf als gezieltes Einmischen in die Imagepolitik der Stadt verstanden werden. Lange betont mit Verweis auf die Thesen des US-amerikanischen Regionalökonomen Richard Florida die Wichtigkeit eines "kreativen und innovativen Milieus" für das Wachstum einer Stadt und fordert neue Koalitionen zwischen Kulturpolitik und Wirtschaftsförderung, um den "kreative[n] Ausgangshumus" Leipzigs bestmöglich zu "befördern" (Kreuzer 06/2007: 7). Diese Argumente müssen zunächst vor dem Hintergrund einer lokalen Debatte um die Zukunftsvisionen der Stadt Leipzig gelesen werden. Im Herbst 2006 und im Frühjahr 2007 wurde in den lokalen Medien und im Rathaus der Entwurf eines Kulturentwicklungsplanes diskutiert, der Leipzigs Image bis 2015 als "Musikstadt" entwarf, und zwar entlang der Säulen Johann Sebastian Bach (der als Thomaskantor von 1723 bis 1750 in Leipzig wirkte), Gewandhausorchester (einem der ältesten, 1743 von Bürgern gestifteten Orchester mit Weltruhm), Thomanerchor (dessen Wurzeln bis ins Jahr 1212 reichen) und Oper. Nach Ansicht der Marketingspezialisten sollte die Stadt zukünftig in einem Atemzug mit den Musikstädten Salzburg und Wien genannt werden und so zahlreiche Touristen in die Stadt locken. Dies kritisierend, macht das Stadtmagazin Kreuzer mit seiner Titelgeschichte zu den "Selbstnutzer[n], Werkstätten, Kunsträumen und Pingpong-Kneipen" (ebd.: 12) einen Dualismus zwischen dem historisch-hochkulturell inspirierten Leitmotiv der Stadtvermarkter und den als weitaus stadtprägender empfundenen kleinteiligen und selbstorganisierten Initiativen in Leipzig auf: "Leipzig entwickelt sich von unten, und Leipzig wird von oben entwickelt - nur will beides momentan nicht zusammenpassen" (Kreuzer 05/2007: 3).Mit Langes Verweis auf die derzeit äußerst populären Ansichten Richard Floridas und der damit verbundenen Diskussion über den Zusammenhang von Kreativität, Wirtschaft und Stadt wird eine wichtige Hintergrundmelodie für die lokale Auseinandersetzung um die Kultur beziehungsweise Identität der Stadt Leipzig angestimmt. Spätestens, seitdem Florida 2002 seinen Bestseller The Rise of the Creative Class vorgelegt hat, ist weltweit die Rede vom ökonomischen Potential urbaner Kulturvielfalt. Ein Grund dafür mag die Tatsache sein, dass Florida, der seine Einsichten aus statistischen Korrelationen zwischen geschickt aggregierten Indizes und der ökonomischen Entwicklung US-amerikanischer Städte gewinnt, eine "creativity theory" von nahezu biblischer Einfachheit formuliert: "My view of creativity and cities revolves around a simple formula, the 3 T's of economic growth: technology, talent, and tolerance" (Florida 2005: 6). Städte, so Florida, in denen überproportional viele Universitätsabsolventen leben ("talent"), denen es gleichzeitig gelungen ist, Unternehmen aus dem wissensintensiven Hochtechnologiesektor anzusiedeln ("technology") und die sich durch eine besondere Form der Offenheit gegenüber nichtbürgerlichen Lebensformen auszeichnen ("tolerance"), weisen in Floridas Statistiken die höchsten ökonomischen Wachstumsraten und damit die größten Zukunftschancen aus. Denn diese Städte sind es, die zu Zentren der "creative class" werden, eine bei Florida weitgefasste und an sich hochmobile Gruppe von "scientists and engineers, university professors, poets and novelists, artists, entertainers, actors, designers, and architects, as well as [...] nonfiction writers, editors, cultural figures, think-tank researchers, analysts, and other opinion-makers" (2005: 34). Zu diesen kommen die Anbieter wissensbasierter Dienstleistungen aus den Bereichen Gesundheit, Recht und Finanzen. Insgesamt macht die "kreative Klasse" bei Florida rund ein Drittel der Beschäftigten in der US-amerikanischen Wirtschaft aus. Und dieses eine, ökonomisch offensichtlich wichtigste Beschäftigungsdrittel wird Florida zufolge zunehmend von einem urbanen Flair, von heterogenen städtischen Kulturszenen und von einer offenen, toleranten Atmosphäre zum Beispiel gegenüber Homosexuellen, Subkulturaktivistinnen oder Bohemiens angezogen. Der Kultursoziologe Albrecht Göschel merkt an:"Auch für diese Berufsgruppen gilt demnach, was man bislang nur von Künstlern annahm, dass sie Kultur suchen, ihre Arbeitsplätze aber im Zweifelsfall dann selber schaffen. Kultur wird damit in einer ganz anderen Dimension als bisher vermutet als weicher Standortfaktor gerechtfertigt, Kulturpolitik in entsprechender Weise als potenzielle Steuerungspolitik der Stadtentwicklung erkennbar. Um kreative Potenziale in technischen und ökonomischen Wirtschaftsbereichen anzulocken oder in einer Stadt zu halten, muss man demnach nicht erst deren Arbeitsplätze schaffen, also Wirtschaftsförderung betreiben. Die Entwicklung einer bestimmten kulturellen Atmosphäre scheint eher wirkungsvoll zu sein" (2007: 41). Kritisch fährt Göschel fort, wenn er sagt, dass"[s]o gut wie nichts von dem, was Florida als Kennzeichen der kreativen Klasse aufführt, [...] nicht bereits seit langem aus Untersuchungen zum Wertewandel bekannt [ist]. Es ist nur eben bisher noch nicht so kommensurabel dargestellt worden. Was also als kreative Klasse daherkommt, ist im Grund nichts anderes, als der sich unaufhaltsam weiter durchsetzende, vor allem gehobene Dienstleistungsberufe erfassende Wertewandel, der seit den 1980er Jahren in der Wertewandelforschung sehr klar erfasst ist" (Göschel 2007: 41).Im heraufbeschworenen Kampf um die besten Köpfe dieser vermutlich gar nicht so neuen "urban middle class" (vgl. auch Peck 2007) versucht derzeit jede Stadt, die als zukunftsgewandt gelten will, auf der 3-T-Skala zu punkten. Freilich mit unterschiedlichem Erfolg. In einem im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) von der Unternehmensberatung Roland Berger Strategy Consultants durchgeführten Städteranking zur Standortwahl der "kreativen Klasse" in Deutschland (vgl. "Städte im Wettbewerb" 2008: S1ff.) landet Leipzig von zehn untersuchten Städten auf dem letzten Platz (Kreativitäts-Index: 6,4). Die vorderen Plätze belegen München (12,5), Stuttgart (11,0), Hamburg (8,7), Frankfurt (8,4) und schließlich Berlin (8,3). Noch vor Leipzig liegen Köln (7,8), Düsseldorf (7,5), Mannheim (7,3) und Nürnberg (6,8). Messgrößen dieses Städterankings waren die drei, auf den bundesdeutschen Kontext zugeschnitten Florida-Ts, die am Ende zu einem alles umfassenden "Kreativitäts-Index" aggregiert wurden. Nun lässt sich über Sinn und Zweck von Rankings, die vorgeben, komplexe Gebilde (wie Städte) zu erfassen, trefflich streiten. Die Ergebnisse der Berger-Studie zeigen vor allem eins: Was hier unter dem Begriff der "Kreativität" verhandelt und gemessen wird, ist in erster Linie ein Maß für den monetären Wohlstand einer Stadt beziehungsweise Region. Vergleicht man die Werte für den Kaufkraftindex dieser zehn Städte, dann erhält man eine nur unwesentlich abweichende Rangordnung. Auch hier liegt Leipzig hinter all den genannten Städten. Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass daran so schnell auch keine noch so ausgefeilte, auf "urbane Kulturvielfalt" setzende städtische Marketingstrategie etwas ändern würde. Denn was Florida in seiner simplen Formel so werbewirksam verpackt, ist nichts anderes als die wörtliche Umschreibung schlichter statistischer Korrelationen zwischen den drei T-Indizes und dem ökonomischen Wachstum von Städten (in den USA) und nicht - wie vielfach fehlinterpretiert - ein (global anwendbares) Kausalgesetz. Dennoch öffnet die Debatte um die vermeintlich neue Wichtigkeit urbaner Sub- und Off-Kulturen sowie Kunstmilieus eine neue Perspektive auf Stadtkultur. An dieser Stelle setzt die vorliegende Arbeit an.Ausgangspunkt sind eben jene städtische Kulturszenen, die - folgt man Floridas These - den "kreativen Ausgangshumus" für Leipzigs Zukunft bilden müssten. Im Fokus der Studie stehen Akteure der lokalen Kulturwirtschaft, das heißt Betreiber von Clubs, von selbstkuratorisch bespielten Ausstellungsräumen und Galerien, Initiatorinnen lokaler Filmprojekte und (Pop)Musikevents sowie freie Architekten, Autorinnen und Künstler. Allerdings - und hier unterscheidet sich die vorliegende Arbeit von der Perspektive Floridas und seiner Anhänger - zielt das Erkenntnisinteresse nicht darauf ab, den makroökonomischen Mehrwert kultureller Tätigkeiten zu erfassen. Vielmehr soll der Frage nachgegangen werden, was die Projekte und Initiativen der hier beschriebenen Akteure für die Kultur beziehungsweise die Identität einer Stadt, in diesem Fall für Leipzig, bedeuten (vgl. ausführlich Kapitel 2.3). Diese Projekte und Initiativen haben häufig temporären Charakter. Gruppen formieren sich für eine Filmproduktion, eine Bandgründung, eine Clubshow, ein zweiwöchig betriebenes Café, eine künstlerische Intervention oder die Aufnahme eines Hörspiels und lösen sich nach Beendigung des Projektes wieder auf. Als Potentialität aber existieren sie weiter: Man bleibt in Kontakt, behält unter Umständen sogar das gemeinsame Label und wenn sich ein neues Projekt ergibt, kommt man wieder zusammen oder bildet neue Kooperationen. Auf diese Weise entstehen kulturelle Netzwerke, die lokale Effekte produzieren, auch wenn sie oft überregional organisiert sind. Um sich gesellschaftlich zu verorten, so die Annahme, wenden die Akteure dieser kulturellen Netzwerke symbolische, soziale, ökonomische und letztlich räumliche Praktiken an, die sinnverstehend rekonstruiert werden sollen. Die Stadtsoziologie richtete in den letzten Jahren das Augenmerk verstärkt auf die räumlichen Arrangements der Gesellschaft (vgl. Berking 1998; Sturm 2000; Noller 2000; Löw 2001a; Schlögel 2003; Schroer 2006). Diesem "spatial turn" liegt die Einsicht zugrunde, dass Gesellschaft nicht allein in ihrer Historizität, in ihrem Gewordensein entzifferbar ist, sondern auch über die Räume, die sie hervorbringt, verstanden werden muss. Sozialtheoretisch basiert die vorliegende Studie auf Anthony Giddens' Konzept der "Dualität von Struktur" (Giddens 1988), das Martina Löw raumsoziologisch zu einer "Dualität von Raum" (Löw 2001a) weiterentwickelt hat. Der Grundgedanke ist, dass Individuen als soziale Akteure handeln (und dabei Räume herstellen), ihr Handeln aber von ökonomischen, rechtlichen, sozialen, kulturellen und letztlich räumlichen Strukturen abhängt (vgl. ausführlich Kapitel 3.3). Räume sind somit das Resultat von Handlungen, gleichzeitig strukturieren Räume Handlungen, das heißt Räume können Handlungen sowohl begrenzen als auch ermöglichen. Das gilt auf der Mikroebene genauso wie auf der Makroebene von Gesellschaft. Von diesen zentralen Annahmen ausgehend gilt die Hauptaufmerksamkeit in dieser Studie dem Wie der Konstitution von Räumen in kulturellen Netzwerken. Meine Forschungsfrage lautet: Wie stellen die Akteure in ihren alltäglichen Interaktionen, die als Auseinandersetzung mit der sie umgebenden gebauten Materialität und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer Praxis gelesen werden sollen, Räume her und welche Deutungsschemata - in Form sinnhafter Wirklichkeitskonstruktionen, lokaler Wissensbestände sowie kollektiver Wertesysteme - spielen dabei eine Rolle?Um die Praktiken der Akteure sinnverstehend zu rekonstruieren, habe ich eine ethnografische community study durchgeführt. Community studies sind als Instrument soziologischer Feldforschung im Kontext der Chicago School of Urban Sociology entstanden (vgl. Neckel 1997; Löw 2001b). Sie zeichnen sich durch einen spezifischen Zugang zur Alltagswirklichkeit sozialer Gruppen aus. Das Interesse ist auf die subjektive Perspektive der Akteure gerichtet, auf die Art, wie sie agieren, auf institutionelle Rahmenbedingungen reagieren und dabei ihrem Leben Sinn verleihen. Der Zugang zu meinem Feld erfolgte über Beobachtungen und Erfahrungen, die ich als Teil einer Künstlergruppe sammeln konnte. Im November 2001 begann ich mit dem Architekten Jens Fischer, der Künstlerin Katja Heinecke und dem Künstler Reinhard Krehl eine Arbeitskooperation, der wir das Label niko.31 gaben. Wir mieteten zu viert ein Büro in einem innerstädtischen Plattenbau unweit des Leipziger Hauptbahnhofs. Gemeinsam entwickelten wir unterschiedliche Projekte in den Bereichen Stadtplanung und Kunst (vgl. ausführlich Kapitel 4.3 sowie Kapitel 7). Mir ermöglichten die "teilnehmende Beobachtung" im Kontext von niko.31 und die vielen Gespräche und Diskussionen, die wir führten, den Einblick in den Arbeitsalltag freischaffender Kulturproduzenten und eine sehr persönliche Erfahrung des ökonomischen Überlebenskampfes in diesem Feld. Zwischen der Beendigung meines Studiums im Jahr 2000 und der Annahme einer Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Darmstadt im August 2002 hatte ich versucht, über eine Mischfinanzierung (Teilstipendium der Stiftung Bauhaus Dessau, mehrere Werkverträge, diverse Jobs als wissenschaftliche Hilfskraft) mit (Stadt)Soziologie Geld zu verdienen. Die Mitgliedschaft in der Künstlergruppe niko.31 ist ebenfalls Ausdruck dieser strategischen Bemühungen.Mit der Gründung von niko.31 begann ich - das vorliegende Dissertationsprojekt bereits im Hinterkopf - ein Feldtagebuch zu führen, in dem ich Zeitungsartikel, Flyer und Fotos sammelte und meine persönlichen Erfahrungen als Kulturproduzentin und Beobachtungen innerhalb der Projektarbeit von niko.31 festhielt. Im Verlauf der rund fünf Jahre andauernden Feldphase (von Ende 2001 bis Ende 2006) ist auf diese Weise ein umfangreiches Archiv entstanden. Um den Radius meines Untersuchungsfeldes über meine Beobachtungen bei niko.31 hinaus zu erweitern, entschloss ich mich zur Durchführung von Experteninterviews (vgl. Meuser/Nagel 1991; 1997) mit Akteuren der Leipziger Kulturwirtschaft. Experteninterviews haben den Vorteil, dass sie "auf Augenhöhe" geführt werden können und es möglich wird, die Interviewpartnerinnen als Experten für den entsprechenden Gegenstand anzusprechen, sie in ihrer biografischen Motiviertheit aber in den Hintergrund treten zu lassen. Diese Interviewform ist für die vorliegende Studie deshalb sinnvoll, weil die Akteure in ihrem stadträumlichen Handeln untersucht werden sollen, somit biografische Bezüge nur im Hinblick auf dieses Handeln relevant werden. Insgesamt liegen der Arbeit 14 Experteninterviews zugrunde.Methodologisch orientieren sich Darstellung und Auswertung des empirischen Materials an einer Kombination aus dichter Beschreibung (vgl. Geertz 1987) und grounded theory (vgl. Glaser/Strauss 1967). Während die dichte Beschreibung dazu dient, den Bedeutungskontext - den (glokalen) Rahmen - darzulegen, innerhalb dessen Handlungen verständlich, nämlich dicht, beschreibbar werden, ermöglicht die Forschungslogik der grounded theory die Explikation empiriegesättigter, eng an den Daten entwickelter (Raum)begriffe. Der wesentliche Unterschied zu hypothesenprüfenden Verfahren ist der kreative, "freche" Umgang (vgl. Hildenbrand 2000) mit theoretischem Vorwissen. Eine Studie nach der grounded theory soll auf der Basis eines zu erläuternden (und das erhobene Material zweifelsohne strukturierenden) Vorwissens Erklärungen für bislang rätselhafte Phänomene formulieren (vgl. ausführlich Kapitel 4).mehr
Kritik
"Steets liefert eine packende Beschreibung und Analyse. (...) Ein excellenter Abriss der raumtheoretischen Auseinandersetzung der letzten Jahrzehnte mit der Stadt." (Bauwelt, 01.10.2009)

"Eine theoretisch hervorragend informierte wie empirisch äußerst reflexive Arbeit" (H-SOZ-U-KULT, 01.03.2010)
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