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Biopolitik und Sittlichkeitsreform

Kampagnen gegen Alkohol, Drogen und Prostitution 1880-1950
BuchKartoniert, Paperback
385 Seiten
Deutsch
Campuserschienen am02.10.2014
Unter dem Banner von Sittlichkeit und öffentlicher Gesundheit wurden zwischen 1870 und 1940 das »Intime« und das »Private« zum Gegenstand breiter gesellschaftlicher Reformbewegungen. Der Band zeigt, wie sich in diesen Jahrzehnten ein intensives globales Engagement gegen Alkohol, Drogen, Geschlechtskrankheiten und sexuelle Devianz entfaltete. Die Motive der Sittlichkeitsreformer und ihre organisatorische Infrastruktur werfen ein neues Licht auf globale Vernetzungsprozesse, auf die Muster kolonialer Herrschaft und die Expansion des »Moral Empire«.mehr
Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR45,00
E-BookPDF1 - PDF WatermarkE-Book
EUR39,99

Produkt

KlappentextUnter dem Banner von Sittlichkeit und öffentlicher Gesundheit wurden zwischen 1870 und 1940 das »Intime« und das »Private« zum Gegenstand breiter gesellschaftlicher Reformbewegungen. Der Band zeigt, wie sich in diesen Jahrzehnten ein intensives globales Engagement gegen Alkohol, Drogen, Geschlechtskrankheiten und sexuelle Devianz entfaltete. Die Motive der Sittlichkeitsreformer und ihre organisatorische Infrastruktur werfen ein neues Licht auf globale Vernetzungsprozesse, auf die Muster kolonialer Herrschaft und die Expansion des »Moral Empire«.
Details
ISBN/GTIN978-3-593-50165-9
ProduktartBuch
EinbandartKartoniert, Paperback
FormatPaperback (Deutsch)
Verlag
ErscheinungsortFrankfurt
ErscheinungslandDeutschland
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum02.10.2014
Reihen-Nr.18
Seiten385 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht500 g
Illustrationendiv. Abbildungen
Artikel-Nr.32129329
Rubriken

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Einleitung: Sittlichkeitsreform, Biopolitik und Globalisierung
Jana Tschurenev/Francesco Spöring/Judith Große7
I.Protestantische Mission und der frühe transnationale Sittlichkeitsaktivismus
Die US-amerikanische Missionsexpansion und der Aufstieg des amerikanischen "Empires" im späten 19. Jahrhundert
Ian Tyrrell49
II.Psychiatrie, Sozialhygiene und die "wissenschaftliche Kodierung" des Moralischen
Im Zeichen der Degeneration: Psychiatrie und internationale Abstinenzbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert
Martin Lengwiler85

"Du musst Apostel der Wahrheit werden": Auguste Forel und der sozialhygienische Antialkoholdiskurs, 1886-1931
Francesco Spöring111

"Keineswegs nur eine Frage der Medizin": Opiate und Kokain in den 1910er und 1920er Jahren in Deutschland
Annika Hoffmann145
III.Transnationale Diskurse und nationale Mobilisierungsprozesse
Der Kampf gegen Prostitution: Zwischen Sittlichkeitsreform, Feminismus und Medizin, 1864-1914
Judith Große177

"Volksgesundheit" und Modernisierung: Temperenz, Eugenik und Nation in den biomedizinischen Debatten des späten Zarenreichs und der baltischen Nationalbewegungen, 1890-1914
Björn M. Felder217

Der europäisch-US-amerikanische Koka(in)diskurs und seine Auswirkungen in den Anden, 1870-1940
Thomas Fischer253
IV.Regulierungen und Effekte
Britische Sittlichkeitsreform und das "Laster wider die Natur" im kolonialen Indien
Manju Ludwig291

Die Ursprünge der Drogenpolitik in Westafrika: Cannabis, Ärzte und der nigerianische Staat
Gernot Klantschnig325

Sexualerziehung und Charakterbildung: Das Erbe der Moralreform während der US-Okkupation Japans, 1945-1952
Robert Kramm-Masaoka349

Autorinnen und Autoren383

Dank385>
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Prolog
Globalgeschichtemehr
Leseprobe
Do Everything!, hieß die Losung, die Frances Willard (1839-1898), die langjährige und einflussreiche Präsidentin der US-amerikanischen Woman?s Christian Temperance Union (WCTU), im Oktober 1893 ausgab. In ihrer Auftaktrede zur zweiten Konferenz des internationalen Dachverbandes, der World?s Woman?s Christian Temperance Union (WWCTU) in Chicago, erklärte sie ihren Genossinnen: "that every question of practical philanthropy or reform has its temperance aspect, and with that we are to deal." Zu den Beschlüssen der Versammlung gehörte es nicht nur, das Banner der völligen Enthaltung von alkoholischen und narkotischen Giften hochzuhalten und die Prohibition dieser "twin curses of Eastern and Western civilizations" als grundlegendes Prinzip jeder rechtmäßigen Regierung zu fordern. Die Delegierten, die sich als Vertretung der christlichen Frauen der Welt begriffen, bekräftigten schließlich ihre Überzeugung "that the recognition of woman?s equal right and the according to her of equal power in government, is the most effectual means to promote the growth and success of all moral reforms."
Die US-amerikanische WCTU war 1873 aus dem "Frauenkreuzzug" gegen den Alkohol hervorgegangen und hatte sich bald zu einer landesweiten Organisation der umfassenden "moral reform" (Sittlichkeitsreform) und einer der Haupttriebkräfte der Frauenstimmrechtsbewegung entwickelt. Ihr "antivice activism" richtete sich einerseits gegen jeglichen Gebrauch von Rauschmitteln, auch den medizinischen, andererseits gegen moralische "Unreinheit" ("impurity"), d.h. Prostitution, normabweichendes Sexualverhalten und "obszöne" Druckerzeugnisse. Aber auch der Tabakgenuss, das Glückspiel und die Vernachlässigung der christlichen Sonntagsheiligung waren den Reformerinnen ein Dorn im Auge. Die WCTU kann damit in die Tradition der organisierten protestantischen Sittlichkeitsreform gestellt werden, die im späten 18. Jahrhundert mit Gesellschaften wie der britischen Society for the Suppression of Vice ihren Ausgang genommen hatte und, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, sich im späten 19. Jahrhundert zu einem Phänomen globaler Reichweite entwickelte.
Der vorliegende Band geht der Frage nach, wie sich insbesondere seit den 1880er Jahren in verschiedensten Ländern und Weltregionen ein intensives Engagement gegen Alkohol und Narkotika sowie gegen Prostitution, Geschlechtskrankheiten und als widernatürlich bzw. unmoralisch eingestufte Sexualpraktiken entfaltete. Damit soll er einerseits Forschungen zu transnationalen sittlichkeitsreformerischen, gesundheits- und bevölkerungspolitischen Kampagnen im deutschsprachigen Feld der Globalgeschichtsschreibung stärker sichtbar machen. Andererseits bringt er neue Forschungen zu zwei Themenkomplexen - der Regulierung bewusstseinsverändernder Substanzen und Sexualpolitik - zusammen, die bisher noch kaum in Verbindung gesetzt wurden. Er geht den Schnittmengen und Gemeinsamkeiten von verschiedensten Kampagnen gegen "Unsittlichkeit" nach, die in einem breiten und vielfältigen Reformdiskurs um generative Reproduktion, nationale Effizienz und gesellschaftlichen Fortschritt eng miteinander verknüpft waren. Anhand des gemeinsamen Rahmens von Sittlichkeitsreform und biopolitischer Regulierung möchten wir somit eine Deutung des "antivice activism" um die Wende zum 20. Jahrhundert als globales Phänomen vorlegen. Dieses entfaltete sich sowohl im Zusammenhang mit transnationalen zivilgesellschaftlichen Vernetzungsprozessen als auch im Kontext imperialer Globalisierung.
Obgleich die politische Reglementierung von Rauschmitteln und Prostitution eine lange Vorgeschichte hat, vollzogen sich - so unsere Ausgangsthese - ab den 1880er Jahren, und noch einmal intensiviert in der Zwischenkriegszeit, einige entscheidende Veränderungen im Bereich der Sittlichkeitsreform, die noch bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wirkten. Vor allem kam der Kontrolle von Alkohol und Drogen sowie der Regulierung von generativer Reproduktion und Sexualität im Kontext biopolitischer Denkweisen neue Dringlichkeit zu. Der Kampf gegen das "Laster" richtete sich im Untersuchungszeitraum nicht nur verstärkt an der Wissenschaft als Legitimationsinstanz aus. Im entstehenden Spannungsfeld eines zunehmenden zivilgesellschaftlichen Internationalismus und Prozessen der nationalen Mobilisierung wurden zunehmend auch weiter gefasste vorgestellte Gemeinschaften ins Visier genommen. Es lassen sich daher, wie der vorliegende Band zeigt, Tendenzen einer globalen Durchsetzung des modernen biopolitischen Ansatzes in der Regulierung des Sozialen ausmachen. Dies ist sowohl in Hinblick auf die Ausbreitung des Suchtparadigmas und der "Rhetorik der Droge" , als auch auf die Verbreitung eines neuen Verständnisses von Reproduktion und sexueller Normalität im Sinne des Sexualitätsdispositivs von Bedeutung. Wir gehen dabei allerdings nicht von einer einfachen Ablösung religiösmoralischer Begründungen des Engagements gegen "schlechte Angewohnheiten" durch einen wissenschaftlich-säkularen Diskurs um "soziale Krankheiten" aus, sondern möchten gerade die vielfältigen Verbindungslinien und Überschneidungsbereiche zwischen beiden hervorheben.
Der rasante Aufstieg global agierender Sittlichkeitsreformbewegungen hatte im "Kampf gegen den Alkohol" im frühen 19. Jahrhundert seinen Ausgang genommen. Basierend auf dem Engagement und der Kooperation verschiedener lokaler, regionaler und internationaler zivilgesellschaftlicher Vereinigungen wie der WWCTU oder dem Internationalen Guttemplerorden (IOGT) ging aus dem "Kreuzzug" evangelikaler Temperenz-Gesellschaften angloamerikanischen Ursprungs in den 1870er Jahren eine sozial und kulturell höchst heterogene zivilgesellschaftliche Bewegung hervor, die Akteurinnen und Akteure auf allen Kontinenten miteinander verband. Während in Nordeuropa, den USA und England von einer "Volksbewegung" gesprochen werden kann, fanden Mäßigkeits- und Abstinenzvereine breite Unterstützung auch in anderen Weltgegenden. Im "Kampf gegen den Alkohol" engagierten sich sowohl Minenbesitzer als auch organisierte Arbeiter, sowohl Wortführer imperialer "Zivilisierungsmissionen" als auch prominente antikoloniale Stimmen, wie "Mahatma" Gandhi. In Südasien, West- und Südafrika sowie Ost- und Südosteuropa fungierten temperance-Organisationen als Vorläufer und Medium nationalistischer Diskurse und Bewegungen. Vor allem aber wurde in den (ehemaligen) britischen Siedlerkolonien, in Südamerika und Nordeuropa der Aktivismus von Frauengruppen gegen Trunkenheit und häusliche Gewalt zum Wegbereiter der Frauenstimmrechtsbewegung. Die Forderung nach Abstinenz wurde von autoritären Kräften und sozialistischen Revolutionären gleichermaßen aufgegriffen. Das zivilgesellschaftliche Engagement gegen den Alkohol kann insgesamt als eine themenzentrierte Querschnittsbewegung verstanden werden, in der sich die verschiedensten politischen, sozialen und religiösen Strömungen trafen. Diese erstaunliche Breite der Antialkoholbewegung ist sicher einer der Faktoren, die im Gefolge des Ersten Weltkrieges zu einer globalen "Welle" staatlicher Prohibitionsgesetzgebungen führten.
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Autor

Judith Große und Francesco Spöring sind wissenschaftliche Mitarbeiter an der ETH Zürich. Jana Tschurenev ist Forschungsstipendiatin am Center for Modern Indian Studies an der Universität Göttingen.