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Das Mädchen im Strom

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
350 Seiten
Deutsch
Klett-Cotta Verlagerschienen am01.03.20171. Auflage 2017
Sie ist das hübscheste, frechste und mutigste Mädchen an den Stränden des Rheins - und sie ist Jüdin. Die Geschichte der Gudrun Samuel ist die Geschichte einer ganzen Generation junger Frauen, die die Naziherrschaft und der Krieg zur Flucht gezwungen haben. Ein beeindruckendes und mitreißendes Zeugnis einer Epoche. Als Mädchen ist sie im Rhein hinter den Kohleschleppern hergeschwommen. Sie hat den jungen Männern in Mainz die Köpfe verdreht. Doch als die Nazis an die Macht kommen und die junge Jüdin Gudrun Samuel sich entscheidet, mit gefälschten Papieren Deutschland zu verlassen, wird sie gefasst und kommt in Gestapo-Haft. Ihr gelingt die Flucht, aber sie ist nun nicht mehr das Mainzer Mädchen Gudrun, sondern die Flüchtende Judy: in der transsibirischen Eisenbahn und im Judenghetto von Shanghai. Sie überlebt den Krieg, doch die Odyssee geht weiter. Das Mädchen im Strom ist ein ergreifender Roman über das einzigartige Schicksal einer Frau im 20. Jahrhundert.

Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln.Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen.Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, »Kriegsenkel«, »Nachkriegskinder« und »Kriegsspuren« sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextSie ist das hübscheste, frechste und mutigste Mädchen an den Stränden des Rheins - und sie ist Jüdin. Die Geschichte der Gudrun Samuel ist die Geschichte einer ganzen Generation junger Frauen, die die Naziherrschaft und der Krieg zur Flucht gezwungen haben. Ein beeindruckendes und mitreißendes Zeugnis einer Epoche. Als Mädchen ist sie im Rhein hinter den Kohleschleppern hergeschwommen. Sie hat den jungen Männern in Mainz die Köpfe verdreht. Doch als die Nazis an die Macht kommen und die junge Jüdin Gudrun Samuel sich entscheidet, mit gefälschten Papieren Deutschland zu verlassen, wird sie gefasst und kommt in Gestapo-Haft. Ihr gelingt die Flucht, aber sie ist nun nicht mehr das Mainzer Mädchen Gudrun, sondern die Flüchtende Judy: in der transsibirischen Eisenbahn und im Judenghetto von Shanghai. Sie überlebt den Krieg, doch die Odyssee geht weiter. Das Mädchen im Strom ist ein ergreifender Roman über das einzigartige Schicksal einer Frau im 20. Jahrhundert.

Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln.Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen.Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, »Kriegsenkel«, »Nachkriegskinder« und »Kriegsspuren« sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783608100839
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum01.03.2017
Auflage1. Auflage 2017
Seiten350 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2147093
Rubriken
Genre9200
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Inhalt/Kritik

Leseprobe

GUDRUN


1 Als Gudrun noch sehr klein war, hatte sie den Hüten ihrer Mutter Namen gegeben. Sie hießen Liesel, Marga oder Ivo und konnten viel bewirken. Liesel sorgte bei Mama für gute Laune, Marga gab ihr etwas Verträumtes und Ivo machte sie unnachgiebig. Doch im Lauf der Jahre verloren die Hüte ihren Einfluss auf Mutters Stimmung. Etwas jedoch blieb. Nie ließ sie es sich entgehen, wenn Mama sich zum Ausgehen zurechtmachte, und so kam es, dass ein elfjähriges Mädchen mit dunklem Pagenkopf seine Turnübungen auf dem Hotelbett unterbrach. In ihrer Schulklasse gehörte Gudrun Samuel zu den Besten in Turnen, ihr Lieblingsfach, sie war besonders gut in Akrobatik und wollte im Zirkus auftreten. Gudrun war ein dickes Kind mit runden Armen und Doppelkinn und dabei so gelenkig wie jedes kleine Mädchen, das sich immerfort bewegt und Stillsitzen hasst.

Helene Samuel zögerte nie bei der Wahl ihrer Garderobe. Das war ein Ritual voller Ruhe und Selbstgewissheit: die prüfenden Blicke in den Spiegel, das Geradeziehen der Strumpfnähte, das Hantieren mit Kamm und Puderdose und der Duft, Mamas Duft, den sie nach ihrem Abschiedskuss zurückließ. Sie war eine schmale, hochgewachsene Frau mit dunklem Teint und geschwungenen Augenbrauen. Manchmal sagte der Vater: Meine persische Königin, darf ich bitten? Dann reichte er ihr den Arm und sie verließen die Wohnung, um in die Oper zu gehen.

Aber an diesem Vormittag in Zürich war alles anders. Unruhig ging Helene vor dem Spiegel auf und ab, probierte den schwarzen Hut aus, dann den grauen, griff wieder zum ersten, seufzte laut. So hatte Gudrun ihre Mutter noch nie erlebt. Aufgeregt wie ein Huhn, Lippenstift auf den Zähnen.

Mama? Geht es dir nicht gut, Mama?

Helene reagierte nicht. Stattdessen ging sie zum Gepäck, das neben der Zimmertür zur Abreise bereitstand, und öffnete eine dritte Hutschachtel. Sie enthielt ein dunkelgrünes Samtgebilde, flach und steif, in der Form eines übergroßen Baretts, das schräg zu tragen war und auffällig über den Kopf hinausragte. Wenn die Mutter es aufsetzte, hatte sie Ähnlichkeit mit der Reiterin auf dem Ölgemälde in Vaters Arbeitszimmer, einer edlen Dame, die einem Fuchs hinterherjagte. Diesmal nicht. Mama sah furchtbar unglücklich aus. Sie ließ die Schultern hängen. Was war nur los? Das Mädchen erhob sich vom Bett, und als es seine Mutter von der Seite ansah, machte es eine Entdeckung: Sie war plötzlich dick geworden. Das Kleid spannte über einer unförmigen Taille. Das konnte nicht sein. Gudrun sah genauer hin. Doch, so war es.

Was es bedeutete, war ihr bekannt, so ungefähr jedenfalls. Eine Elfjährige hat ihre Augen und Ohren überall. Wenn sie auf dem Schulhof mit den älteren Mädchen zusammenstand, sprachen die häufig darüber, was Mann und Frau im Bett miteinander machten. Es hatte mit Kinderkriegen zu tun, so viel stand fest. Dann bekam die Frau einen dicken Bauch.

Zwei Stunden später befanden sich Mutter und Tochter auf der Heimfahrt, nachdem ein Hotelboy Koffer und Hutschachteln in einem überheizten Zugabteil verstaut hatte. Es roch nach Dampf und Zigarrenrauch. Jedes Mal, wenn die Eisenbahn hielt, wünschte sich Gudrun, es möge noch ein anderer Erwachsener mit Kind dazukommen, vergeblich. Bevor sie zu der kurzen Reise in die Schweiz aufgebrochen waren, hatte Mama ihr einen Besuch im Züricher Zoo versprochen, aber dazu war es wegen Dauerregen nicht gekommen. Nun hatte sie ihr ein Buch hingelegt und gesagt, darin gehe es um eine Leni oder Lilli, die Geschichte sei gewiss eine schöne Abwechslung. Doch Gudrun reichte schon der Buchdeckel: Ein Mädchen steif wie eine Puppe war darauf zu sehen, es trug eine Schürze mit Rosenmuster und eine riesige Schleife im blondgelockten Haar. Bücherlesen passte nicht zu ihr, wie Gudrun fand. Das taten nur Kinder, die blass und unsportlich waren oder die niemand in der Klasse mochte.

Helene war eingenickt, selbst im Schlaf noch aufrecht, die Hände im Schoß gefaltet. Der kleine schwarze Hut, für den sie sich letztlich entschieden hatte, saß noch immer vorbildlich auf der hochgesteckten Frisur. Das Kind schüttelte den Kopf. Bei Mama und Papa konnte es sich solche Ferkeleien nicht vorstellen, wie die Heftchen sie zeigten, die während des Unterrichts heimlich weitergereicht wurden. Es musste also einen anderen Grund geben für den dicken Bauch. Vielleicht wusste Ralphie mehr.

Gudrun schaute sich um. Eine mit rotem Plüsch bezogene Sitzbank reichte vom Fenster bis zur Tür, die Vorhänge zum Gang zugezogen. Eine gute Gelegenheit. Sie zog ihre Schuhe aus, danach ihr Kleid - ein Hängerchen, von der Mutter befürwortet, weil es die Fettröllchen kaschierte. Die Bank bot genug Platz für Purzelbäume hin und zurück. Damit konnte man sich schon eine Weile beschäftigen. Hin und zurück. Sie steigerte ihr Tempo, kam richtig in Fahrt. Hin und zurück. Irgendwann knallte sie mit den Füßen gegen den Aschenbecher, das scheppernde Geräusch weckte die Mutter auf.

Lass das mal, Gudrunsche, dafür bist du wirklich schon zu groß. Zieh dich wieder an.

Als der Zug sich der deutschen Grenze näherte, erwachte Helenes Unruhe. Sie stand auf, öffnete das Fenster, schnappte nach Luft.

Ist dir schlecht, Mama?

Ein bisschen, Kind, aber mach dir keine Sorgen. Es geht bald vorüber.

Ein Pfiff, dann drosselte der Zug sein Tempo. Dampfwolken zogen am Fenster vorbei. Helene Samuel hüllte sich in ihren Mantel mit Fuchskragen. Die Eisenbahn hielt. Zwei Grenzbeamte gingen auf dem Bahnsteig vorbei, dann kamen sie zur Passkontrolle ins Abteil. Sie stellten ein paar Fragen und wünschten der gnädigen Frau und dem Fräulein Tochter eine gute Weiterreise. Vor einem Westhimmel, der sich aufgehellt hatte, flatterte eine schwarz-rot-goldene Fahne.

Nach dem Abendessen im Speisewagen wurde Gudrun müde. In den folgenden Stunden schlief sie. Spät in der Nacht erreichten sie Mainz. Wilhelm Samuel holte sie ab. Benommen stolperte das Mädchen durch den menschenleeren Bahnhof. Später saß es auf der Rückbank von Vaters Limousine, roch die Ledersitze und seine Orientzigarette, verstand nicht, was die Eltern sprachen, hörte nur ihre leisen, gereizten Stimmen.

Beim Frühstück ging der Streit zwischen Vater und Mutter weiter. Helene Samuel, wie immer beherrscht in Ton und Haltung, hielt ihrem Mann vor, er hätte sie nicht auf diese Reise schicken dürfen. Gudrun verstand noch immer nicht, worum es ging. Vielleicht würde ihr Ralphie später alles erklären. Sie schaute zu ihm hinüber. Der vier Jahre ältere Bruder saß geistesabwesend dabei, ihn schien das alles nicht zu interessieren.

Einmal mit den Vorwürfen angefangen, konnte Helene nicht mehr aufhören. An der Grenze habe sie ein furchtbarer Schrecken überkommen. Wenn jemand ihr Übles gewollt hätte. Wenn sie überfallen worden wäre â¦

Wenn, wenn, wenn. Wilhelm widersprach laut und bissig. Was willst du denn noch? Ist doch alles famos gelaufen. Schade nur, dass man die Geschichte niemandem erzählen kann: die Coupons, um den Bauch meiner Frau gewickelt â¦ Er lachte auf. Seine Laune konnte von jetzt auf gleich umschlagen zum Schlechten oder zum Guten. Ich muss dich loben, Helene. Alles hat jetzt seine Ordnung. Wir können uns glücklich schätzen, in diesen schweren Zeiten einen Mann wie Brüning zu haben.

Den Reichskanzler zu unterstützen hielt Wilhelm Samuel, der im Krieg einfacher Soldat gewesen war, für seine patriotische Pflicht. Aus keinem anderen Grund hatte er Helene dazu überredet, sein Vermögen heimlich aus der Schweiz zurück nach Deutschland zu holen. Daher wiederholte er am Frühstückstisch den Satz, der seit einigen Monaten sein Lieblingsspruch war: Ein anständiger Deutscher lässt sein Geld im Land.

Helene lächelte. Je nun, Wilhelm, was lässt dich heute denken, dass dein Geld in Deutschland sicher ist? Als deine Mutter noch die Geschäfte führte, hatte sie mehr Vertrauen zu Schweizer Banken â¦

Schluss jetzt! Lass die alte Hexe aus dem Spiel! Er sprang hoch, warf seine Serviette auf den Teller und rannte aus dem Raum. Seine Frau folgte ihm ohne Hast. Gudrun hörte, wie sie im Flur beschwichtigend auf ihn einredete. Sie war plötzlich wieder schlank geworden.

2 Der Glücksfall in Gudruns Kindheit hieß Annemarie Holl. Die kleine Frau mit Kurzhaarfrisur und Brille kam in das Haus der Samuels, als Gudrun noch nicht zur Schule ging. Vier Jahre blieb sie. Fräulein Holl, die sich nie anders als in Grau- oder Brauntöne kleidete, besaß eine Ausbildung als Lehrerin und außerdem natürliche Autorität. Ganz gleich, was sie sagte, ihre Stimme klang stets entspannt. Ihre größte pädagogische Tat bestand darin, dass sie Helene Samuel beibrachte, Gudruns Widerborstigkeit...
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Autor

Sabine Bode, Jahrgang 1947, begann als Redakteurin beim »Kölner Stadt-Anzeiger«. Seit 1978 arbeitet sie freiberuflich als Journalistin und Buchautorin und lebt in Köln.Sie ist eine renommierte Expertin auf dem Gebiet seelischer Kriegsfolgen.Ihre Sachbücher »Die vergessene Generation«, »Kriegsenkel«, »Nachkriegskinder« und »Kriegsspuren« sind Bestseller und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.