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Heimliche Helden

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am28.05.2013
Präzise, überraschende und respektvoll perfide Porträts großer Autoren - aus weiblicher Sicht.
Die Klassiker der Literatur: In der erdrückenden Mehrzahl sind sie männlich. Eine Ödnis für Leserinnen? Keineswegs! Die virtuose Leserin Ulrike Draesner präsentiert uns ihre ganz eigene Ruhmeshalle männlicher Autoren: präzise, überraschende und respektvoll perfide Porträts von Helden wie Heinrich von Kleist, Thomas Mann, Karl Valentin und vielen anderen.
Männer haben es schwer. Denn sie müssen Helden sein. Nicht wenige der »klassisch« gewordenen Autoren haben sich in kriegerischen, heldischen Rollen versucht. Aber hat das Schreiben nicht per se etwas Unheroisches, ja Subversives? Ulrike Draesner spürt den Ursprüngen der Idee vom Helden nach, sie zeigt Schriftsteller in ihren heldischen und hinreißend unheldischen Posen und erzählt mit stupendem Wissen und großer Originalität von ihren Leseabenteuern. Und wie schon bei den Essays zu den »Schönen Frauen«, wo sich Flaubert unter die Autorinnen gemogelt hat, darf sich mit Tania Blixen auch eine Autorin zu den heimlichen Helden gesellen.

Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane, Essays und Gedichte vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021) für ihr Gesamtwerk, das multimediale Arbeiten und Übersetzungen einschließt. Die Jahre 2015 bis 2017 verbrachte Draesner in England. Nach verschiedenen internationalen Gastdozenturen und Poetikvorlesungen ist sie seit April 2018 Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Draesner lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR19,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

KlappentextPräzise, überraschende und respektvoll perfide Porträts großer Autoren - aus weiblicher Sicht.
Die Klassiker der Literatur: In der erdrückenden Mehrzahl sind sie männlich. Eine Ödnis für Leserinnen? Keineswegs! Die virtuose Leserin Ulrike Draesner präsentiert uns ihre ganz eigene Ruhmeshalle männlicher Autoren: präzise, überraschende und respektvoll perfide Porträts von Helden wie Heinrich von Kleist, Thomas Mann, Karl Valentin und vielen anderen.
Männer haben es schwer. Denn sie müssen Helden sein. Nicht wenige der »klassisch« gewordenen Autoren haben sich in kriegerischen, heldischen Rollen versucht. Aber hat das Schreiben nicht per se etwas Unheroisches, ja Subversives? Ulrike Draesner spürt den Ursprüngen der Idee vom Helden nach, sie zeigt Schriftsteller in ihren heldischen und hinreißend unheldischen Posen und erzählt mit stupendem Wissen und großer Originalität von ihren Leseabenteuern. Und wie schon bei den Essays zu den »Schönen Frauen«, wo sich Flaubert unter die Autorinnen gemogelt hat, darf sich mit Tania Blixen auch eine Autorin zu den heimlichen Helden gesellen.

Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane, Essays und Gedichte vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021) für ihr Gesamtwerk, das multimediale Arbeiten und Übersetzungen einschließt. Die Jahre 2015 bis 2017 verbrachte Draesner in England. Nach verschiedenen internationalen Gastdozenturen und Poetikvorlesungen ist sie seit April 2018 Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Draesner lebt mit ihrer Tochter in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641092221
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum28.05.2013
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4232 Kbytes
Artikel-Nr.1259185
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



WESEN AUS MUSKEL, MAKEL UND MENSCH

Gedanken zum Helden mit Hilfe des Nibelungenliedes

Als wäre es ein Computerspiel.

Es mischt Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Moderne und Archaik, schon als es entsteht. Es bildet Konglomerate, Hybride. Zeitebenen und historisches Wissen in unserem Sinn sind ihm gleichgültig: Alles ist Material, alles wird gemischt. Es liebt Ausstattungen, beschreibt Gegenstände des Schmuckes oder Kampfes, enthält eine Schatzsuche, einen Zwergenstreit, magische Objekte wie Tarnkappe und Balmung, das Schwert, bietet ein Stück road-movie, einen übellaunigen Fährmann, Vorausdeutungen und Wasserfeen. Vor allem aber macht es aus Versatzstücken und Utensilien, Regeln und Rollen gebaute Spielfiguren lebendig: König, Lehnsherr, Kämpfer, Hofstaat, Held. Diese - männliche - Seite ist etwas einfacher besetzt als die weibliche, wenn auch Spiegelsymmetrie hergestellt wird. Dem mythisch-realen Helden Siegfried, gebadet in Drachenblut, steht die mit magischen Kräften ausgestattete isländische Herrscherin Brünhilde gegenüber. Elternlos, wie es sich für eine Heldin geziemt, reich.

Beide Protagonisten werden entmachtet. Siegfried heißt degen und helt , Sigelindes kühnes Kind. Brünhilde, schön und kräftig, tritt als frouwe und Königin auf. Sie verliert, so ist es gesetzt, ihre überfraulichen, ja übermenschlichen Kräfte bei der Entjungferung. Nicht gesetzt: dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugeht. Gunther, König der Burgunder in Worms, wirbt um Brünhilde, besiegt sie aber in drei Kampfesproben nur mit Hilfe Siegfrieds und der Tarnkappe. Dabei tritt Siegfried als Lehnsmann Gunthers auf.

So sind wir mitten im Stoff. Mehrfach täuscht man Brünhilde sowohl über die soziale als auch über die Männlichkeits-Rolle Siegfrieds. Am Ende muss der Recke aus Xanthen sogar noch in Gunthers Hochzeitsnacht helfend beispringen. Er zwingt Brünhilde aufs Bett - und entjungfert sie? Oder bleibt das doch Gunther, dem Ehemann, vorbehalten, der die Szene im Dunkel des Zimmers miterlebt?

Ir ungefüeges willen,des si ê dâ jach.
der künic iz allez hôrte,swi er niht ensprach.
er druhtes´ an daz bette,daz si vil lûte erschrê;
ir tâten sîne krefteharte grÅzlîchen wê.1

Der König »hörte es alles«: »swi er niht ensprach« (obwohl er nichts sagte). Der andere, Siegfried, drückte Brünhilde so auf die Schlafstatt, dass sie »vil lûte« (sehr laut) aufschrie, so große Schmerzen fügten seine Kräfte ihr zu.

Aus Gunthers weiteren Reaktionen möchte man folgern, dass die zwischen den Männern vereinbarten Regeln eingehalten wurden. Im letzten Augenblick schlüpft Siegfried von Brünhilde - und Gunther in sie hinein. Die Symbolebene der Handlung allerdings spricht eine andere Sprache. Sowohl Brünhildes Gürtel als auch ihren Fingerschmuck nimmt Siegfried aus dem Zimmer mit. Den äußeren Schutz um die Jungfräulichkeit, und den kleineren Ring. Also doch alles?

Die Szene ist großartig: komisch, grotesk, einprägsam, gnadenlos, körperlich. Eine Reihe von Fragen wirft sie auf, vor allem diese: Was sind das für Helden, die hier agieren? König der eine, schwach. Der andere, sagenumwobener Überwinder der Nibelungen, unter einer Tarnkappe versteckt. Verbündet, um Brünhilde niederzuringen, was die Recken selbst zu zweit kaum schaffen.

Was für Helden sind das?

Das Nibelungenlied wurde 1755 wiederentdeckt. Bald häuften sich die Versuche, es zum Nationalepos der Deutschen zu erklären. Unter den Nationalsozialisten sollte die sogenannte »Nibelungentreue« Soldaten dazu anhalten, selbst in aussichtslosen Kriegssituationen wie vor Stalingrad bis zum blutigen Untergang zu kämpfen. Nach dem Modell Hagen: Ich sterbe, aber reiße möglichst viele andere mit in den Tod. Heute nennt man so etwas Selbstmordattentat.

Noch einmal: Was für Helden sind hier unterwegs?

Form, Historie und »Ich«

Das mehr als 800 Jahre alte Nibelungenepos erzählt von der komplexen Anordnung einer Welt im Umbruch. Hunderte von Figuren statten das Drama mit Kampfes- und Feierkörpern aus; einige wenige Protagonisten bestimmen das Geschehen. Sie tragen Zeichen der Auserwähltheit und Individualität, sie entwickeln verschiedene und verschieden starke Obsessionen, für die sie mehr oder minder geeignete Werkzeuge in die Hände bekommen.

Das hochmittelalterliche Lied setzt auf Wiederholung und einen einfachen Grundbeat: Jeder Vers der vierzeiligen Strophen besteht aus einem Anvers aus vier betonten Silben und einem Abvers mit drei Betonungen. Nur der vierte Vers ist auch im Abvers vierhebig, sodass die Strophe sich besonders gut schließt. Die Ritterliteratur um König Artus hingegen, die ebenfalls zu Beginn des 13. Jahrhunderts entsteht, wird in durchlaufenden Verspaaren erzählt, sie wirkt dadurch glatter. Das Nibelungenlied, alt im Stoff, verwendet eine sangbare (nicht unbedingt gesungene), klar zäsurierte Form. Der Stil wechselt zwischen schon damals eher altmodischen Ausdrücken und der kunstvollen Literatursprache der Höfe.

Handlung und Sound: Einführung der Hauptfiguren eins, zwei, drei. Erste Spannung, Kampfszene, Wahl der Ausstattung, Schlacht. Töten, Feiern, Liebe, erneuter Kampf. Heute spräche man von gut gesetzten Plotpoints. Die Gegner variieren: 1000 Mann gegen 40 000 praktische Sachsen und tapfere Dänen, zwölf glänzende, in phantastische Gewänder gekleidete Recken aus den Niederlanden in Worms am Rhein. Oder: ein Zwerg und ein Riese. Und: Hagen, Onkel, Ratgeber, Spinne im Netz.

Dazu einer, der erzählt, wie schlimm es wird, wie viel Blut noch fließen wird. Er treibt den Zauber voran: Frauen kommen ins Spiel. Kriemhild, die (noch) Zahme, lebt als Mädchen zuhause in Worms, regiert von ihrer Mutter, drei Brüdern und dem höfischen Code. Sie ist es zufrieden, sich zu verlieben und den Mann ein Jahr lang aus den Fenstern ihrer Kemenate anzusehen. Brünhilde hingegen, Schlimmste und Schönste aller meiden , kann keiner überwinden außer dem fiesen Heldengespann Gunther und Siegfried. An dieser Stelle beginnt das alte Epos, das man nach den Nibelungen nennt, ohne dass es von ihnen handelte, die gemeine und herrliche, aufregende und schwierige Geschichte eines männlichen Heldentums zu erzählen, das ohne das weibliche nicht zu denken ist. Und umgekehrt.

Die historischen Wurzeln des Epos mögen in der Zeit der Völkerwanderung liegen (Attila und seine Hunnen, der Untergang der Burgunder, die den Rhein verlassen); das Nibelungenlied nimmt sich jede Freiheit gegenüber diesem Stoff. Mythos, Historie, Erfindung und Phantasie sind ihm als Quellen gleichermaßen willkommen. Es erzählt eine alte Geschichte vom Haben und vom Zorn. Von Fortpflanzung und Zerstörung. Von Kriegen und ihrem Preis: was dafür bezahlt, was dabei gewonnen wird.

Die Gesellschaft des 13. Jahrhunderts steht uns fern. Wir bewundern Kathedralbauten, lauschen gregorianischem Gesang, knabbern am Hildegard-von-Bingen-Keks aus dem Biosupermarkt. Mittelalter: Fluchtraum von Imagination und Sage - mythisches Grundgemenge. Doch die Epen über die Nibelungen oder die Ritter um König Artus erzählen viel aus der Wirklichkeit ihrer Zeit, wenn man es ihnen abzulauschen versteht.

Sie führen uns zurück in eine Gesellschaft, die kein Konzept einer Psyche des Menschen und ihrer inneren Ausprägungen kennt. Vor allem aber erzählen sie von Gemeinschaften vor der Bildung des Begriffes des Einzelnen. Das Mittelhochdeutsche kennt hier nur ein Wort, eine : Es heißt nicht einer sein , sondern allein - hilflos, elend, fremd (eine, elline, ellen, ellende). Wer nur für sich ist, ist verlassen. In Gefahr. Man lebt auf dichtem Raum, es gelten die Horde, die Gruppe, das gemeinsame Ich. Solches Leben sich vorzustellen fällt schwer, wenn die Vorstellung mehr als ein Genrebild werden soll. Was mag es geheißen haben, in einem Gemeinwesen aufzuwachsen und zu leben, das den Einzelnen nicht kennt und nicht bezeichnet, das sich das Subjekt nicht vorstellt und es höchstens in Schuldenrechnungen vor Gott braucht, die man aber ebenfalls kollektiv handhabt - man verschuldet sich mit anderen und entbindet sich auch über sie. In seiner Monographie Der Glanz der Abstraktion leitet Peter Czerwinski aus Schlachtenbeschreibungen der hochmittelalterlichen Epik ab, wie der einzelne Menschenkörper als Teil einer kollektiven Bewegung, ja Einheit verstanden wurde, Element eines Schwarms, nicht individualisiert. Erst vor diesem Hintergrund des »Zusammenseins« wird die Rolle des Helden greifbar. Er ist die Probe auf etwas wie Individuation. Der Versuch, ein gefüllteres »Ich« zu erfinden, es überhaupt zu denken, zu fühlen.

Er ist die Figur, die real und metaphorisch über die Grenze reitet. Allein. Die im Wald auf Ungeheuer trifft.

Der Held als Individuationsspiel. Als Modul, entwickelt aus einer Gemeinschaft, die ihn braucht, um sich ihrerseits zu entwickeln. Er wird aufgestellt und behängt. Ausprobiert. Er reitet ein. Man sucht zu verstehen, wer er ist, wofür er (als Mann, als Frau) taugt. Heldenepos ist ein spätes Etikett. Das Nibelungenlied weiß über den Helden nicht Bescheid. Es widmet sich ihm und entfaltet ihn. Es zeigt, wie prekär er ist.

Held: der Ein-Viele sein

Dass das Nibelungenlied Tausende streitbarer Recken sowie Hunderte schöner Frauen bewegt, ist nicht angeblich mittelalterlicher Ausstattungs- und Übertreibungssucht geschuldet: Die Menge und die wenigen Einzelnen in ihren Auswirkungen auf alle sind das Thema des Epos. Es geht um den oder die eine - und ihre...


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Kritik
"Draesner schreibt äußerst anschaulich über Literatur und bemüht sich gleichzeitig um begriffliche Klarheit. [...] Den Werken der Vergangenheit kann man nahekommen, wenn man sich ins Ungeschützte der Gegenwart begibt und den Sprung in die Erzählung wagt - das beweist Ulrike Draesners bemerkenswerte Essayistik."
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Autor

Ulrike Draesner, 1962 in München geboren, wurde für ihre Romane, Essays und Gedichte vielfach ausgezeichnet. Zuletzt erhielt sie den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds (2021) für ihr Gesamtwerk, das multimediale Arbeiten und Übersetzungen einschließt. Die Jahre 2015 bis 2017 verbrachte Draesner in England. Nach verschiedenen internationalen Gastdozenturen und Poetikvorlesungen ist sie seit April 2018 Professorin am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Draesner lebt mit ihrer Tochter in Berlin.