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Böse Lügen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
464 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am19.10.2015
In einer kleinen Gemeinschaft wie der auf den Falklands gehen keine Kinder verloren. Und wenn doch, so kann es sich nur um einen tragischen Unfall handeln, schließlich sind die rauen Küsten der Inselgruppe nicht ungefährlich. Doch als zum dritten Mal ein kleiner Junge verschwindet, glaubt kaum noch jemand an einen Zufall. Die Bewohner müssen befürchten, dass einer von ihnen ein Mörder ist. Auch Catrin Quinn, die nach dem Tod ihrer beiden Söhne ein zurückgezogenes Leben führt, wird in die Suche hineingezogen. Mit jeder Stunde steigen Misstrauen und Hysterie, bis eine regelrechte Hexenjagd beginnt. In ihrem Zentrum stehen Catrin selbst; Rachel, ihre beste Freundin aus Kindertagen; und Catrins ehemaliger Liebhaber Callum. Alle drei hüten Geheimnisse, die sie bis in ihre Träume verfolgen. Und sie vertrauen niemandem - nicht einmal sich selbst. Schließlich wären sie zu allem fähig ...

Sharon Bolton, geboren im englischen Lancashire, hat eine Schauspielausbildung absolviert und Theaterwissenschaft studiert. Ihr Debütroman »Todesopfer« machte sie über Nacht zum Star unter den britischen Spannungsautor*innen. Seitdem wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Dagger in the Library für ihr Gesamtwerk. Sharon Bolton lebt mit ihrer Familie in Oxford.
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Produkt

KlappentextIn einer kleinen Gemeinschaft wie der auf den Falklands gehen keine Kinder verloren. Und wenn doch, so kann es sich nur um einen tragischen Unfall handeln, schließlich sind die rauen Küsten der Inselgruppe nicht ungefährlich. Doch als zum dritten Mal ein kleiner Junge verschwindet, glaubt kaum noch jemand an einen Zufall. Die Bewohner müssen befürchten, dass einer von ihnen ein Mörder ist. Auch Catrin Quinn, die nach dem Tod ihrer beiden Söhne ein zurückgezogenes Leben führt, wird in die Suche hineingezogen. Mit jeder Stunde steigen Misstrauen und Hysterie, bis eine regelrechte Hexenjagd beginnt. In ihrem Zentrum stehen Catrin selbst; Rachel, ihre beste Freundin aus Kindertagen; und Catrins ehemaliger Liebhaber Callum. Alle drei hüten Geheimnisse, die sie bis in ihre Träume verfolgen. Und sie vertrauen niemandem - nicht einmal sich selbst. Schließlich wären sie zu allem fähig ...

Sharon Bolton, geboren im englischen Lancashire, hat eine Schauspielausbildung absolviert und Theaterwissenschaft studiert. Ihr Debütroman »Todesopfer« machte sie über Nacht zum Star unter den britischen Spannungsautor*innen. Seitdem wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Dagger in the Library für ihr Gesamtwerk. Sharon Bolton lebt mit ihrer Familie in Oxford.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641170257
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum19.10.2015
Seiten464 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse4201 Kbytes
Artikel-Nr.1704964
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2

In der kurzen Zeit, die ich auf See war, ist hier irgendetwas passiert. Die meisten Bewohner der Falklandinseln leben in Stanley, aber es ist trotzdem eine kleine Gemeinde. Nur ungefähr zweitausend Menschen in so um die siebenhundert Häusern. Vor drei Stunden, als ich ausgelaufen bin, haben die winzigen Lichtpunkte von hundert oder mehr Kürbislaternen die Hügel gesprenkelt wie Sterne, jetzt aber sind sie alle ausgebrannt. Um diese frühe Morgenstunde sollte Stanley eigentlich in fast völliger Finsternis daliegen. Dem ist aber nicht so. Ich sehe ein Polizeiauto die Küstenstraße entlangfahren, und im Hafen funkeln noch mehr Blaulichter.

Es ist fast auf den Tag genau drei Jahre her, seit ich das letzte Mal in den Hafen eingelaufen bin und die Polizei mich erwartet hat.

»Es hat einen Unfall gegeben.« Drei Jahre später kann ich noch immer Bens Stimme aus dem Bordfunkgerät dringen hören, knisternd und zittrig. »Ned und Kit sind beide auf dem Weg ins Krankenhaus, aber mehr weiß ich nicht. Fahr so schnell wie möglich hin.«

Hastig beendete er die Verbindung, und ich malte mir das Schlimmste aus. Nur eben doch nicht das Allerschlimmste. Das verbot ich mir. Ich stellte mir vor, wie sie Schmerzen litten. Ich stellte mir ihre kleinen Körper zerschlagen und zerbrochen vor, zerschnitten von rasiermesserscharfem Metall. Den ganzen Weg bis nach Stanley hörte ich ihre Stimmen in meinem Kopf, wie sie nach Mummy riefen, nicht verstehen konnten, warum ich nicht da war, wenn sie mich am dringendsten brauchten. Ich malte mir abgerissene Gliedmaßen aus, Narben auf ihren Gesichtern. Nie stellte ich sie mir als leblose Körper vor, die Seite an Seite im Leichenschauhaus lagen.

Im Klammergriff schlimmer Erinnerungen gebe ich zu viel Gas; ich sollte nicht mit solcher Geschwindigkeit in den Hafen einfahren. Hier gibt es Felsen, mehr als ein Schiffswrack, verborgene Hindernisse, die mein Boot in Stücke reißen können. Ich zwinge mich, Fahrt wegzunehmen, und warte darauf, dass auch mein Herzschlag und mein Atem langsamer werden. Beides erweist sich als schwerer zu kontrollieren als der Gashebel. Und doch muss ich den Schein des Normalseins wahren, des Zurechtkommens. Ein Weilchen muss die menschliche Hülle um mich herum noch halten.

Jemand wartet an meinem üblichen Anlegeplatz auf mich, einer von den ehemaligen Fischern, die inzwischen im Ruhestand sind. Er wohnt mit zwei Frauen in einem Cottage am Hafen; die Leute sind sich einig, dass es seine Mutter und seine Schwester sein müssen, doch wetten will niemand darauf. Er heißt Ralph Larken, hinter seinem Rücken auch Roadkill Ralph genannt. Als ich ihm die Heckleine zuwerfe, sehe ich, dass er unter seinem Ölzeug eine ausgeblichene gestreifte Pyjamahose trägt. Die Hosenbeine stecken in riesigen schwarzen Seestiefeln, und in dem merkwürdigen trüben Licht sieht er damit aus wie ein Pirat. Ich springe mit der Bugleine an Land. »Was ist denn los?«

»´n Kind wird vermisst.«

Ich starre ihn an und frage mich innerlich, wer von uns beiden es wohl laut aussprechen wird. Er tut es.

»Schon wieder eins.« Mit einem Kopfnicken deutet er auf eine Menschengruppe an der Hafenmauer. Ich kann Polizeiuniformen erkennen, jemanden in Militärkluft. »Die warten auf Sie«, sagt er. »Haben Ihre Positionslichter gesehen.«

Noch ein vermisstes Kind. Ich trieb noch immer haltlos im Strudel meiner eigenen Trauer, als das erste verschwand, vor etwas über zwei Jahren, aber ich weiß noch, dass die Leute sich erzählten, es sei ein schrecklicher Unfall gewesen, wenngleich ungeklärter Natur. Als das zweite verschwand, meinten dieselben Leute, wir hätten einfach fürchterliches Pech. Und jetzt ein drittes?

Jemand hat sich aus der Gruppe an der Mauer gelöst und kommt auf mich zu. Es ist diese junge Polizistin, die, die niemand ernst nimmt, weil sie so wahnsinnig jung und so wahnsinnig groß ist und weil sie sich anscheinend nicht rühren kann, ohne irgendetwas umzuschmeißen. Constable Skye McNair ist einer von den Menschen, von denen andere behaupten, sie würden sie gern mögen, weil sie ihnen leidtut und weil sie als mitfühlend gelten möchten. Ich habe niemandem etwas zu beweisen, also gebe ich zu, dass mich ihre Ungeschicklichkeit nervt.

Als ich sie jetzt kommen sehe, geht mir zum ersten Mal durch den Kopf, dass sie unheimlich lebendig aussieht. Ihr Haar, lang und drahtig und von exakt der Farbe frisch gekochter Orangenmarmelade, fliegt ihr um den Kopf, und ihr im Mondlicht papierblasses Gesicht verrät mir, dass sie angespannt und ziemlich aufgeregt ist. Ein paar Zentimeter um sie herum scheint die Nacht nicht ganz so dunkel zu sein.

»Catrin, entschuldigen Sie.« Sie ist viel größer als ich, beugt sich zu mir hin und biegt sich dann ein wenig zurück, als hätte sie Angst, mich zu bedrängen. »Ich muss wissen, ob Sie heute Nacht da draußen noch jemand anderes gesehen haben? Irgendwelche Boote, die Sie nicht kannten?«

Ich sage Nein. Mehrere große kommerzielle Fischkutter haben den Hafen ungefähr zur selben Zeit verlassen wie ich, aber die kannte ich alle. Viele Inselbewohner fischen nachts, aber normalerweise in kleineren Booten, dicht an der Küste.

»Es tut mir leid, das ist bestimmt sehr schwer.« Skye weiß anscheinend nie, was sie mit ihren Händen machen soll. Im Augenblick wedelt sie damit herum. »Ich weiß ja, es ist fast genau die Zeit ...«

Vor drei Jahren war Skye noch nicht da. Sie war in England auf der Polizeischule. Und doch weiß sie, dass sich in zwei Tagen der Tag jährt, an dem mir mein Leben verloren gegangen ist.

»Was ist passiert, Skye?« Ich schaue kurz zu Ralph hinüber, der Queenie streichelt. »Irgendwas von wegen einem vermissten Kind?« Ich sage nicht noch einem vermissten Kind. Das ist wohl nicht nötig.

»Eine von den Touristenfamilien.« Sie blickt sich nach der Menschenmenge hinter uns um. »Nicht vom Kreuzfahrtschiff. Sie sind selbst angereist, haben in einem von den Gästehäusern in der Stadt gewohnt. Mittags haben sie in der Nähe von Estancia gepicknickt. Die Kinder haben im Gras gespielt. Sie haben den Jüngsten aus den Augen verloren.«

Estancia ist eine Farmsiedlung, ungefähr dreißig Kilometer entfernt, an der südöstlichen Spitze einer großen Bucht.

»Er ist erst drei.« Skye sieht aus, als würde sie gleich losheulen.

Drei Jahre alt. Die beiden Kinder, die davor verschwunden sind, waren älter, aber nicht viel. Beides Jungen. Ein dreijähriges Kind, stundenlang von seiner Familie getrennt, ganz allein, mitten in der Nacht. Bestimmt friert er, hat Hunger und schreckliche Angst. Ist verlassen zu werden nicht die größte Furcht kleiner Kinder? Auf dieser Insel wird er sich nachts vorkommen, als sei er von der ganzen Welt verlassen worden.

»Wurde schon gesucht?«

Skyes Gesicht zuckt ein wenig, als sie sich zusammenreißt. »Wir hatten den ganzen Tag Leute da draußen im Einsatz. Und ein paar sind auch noch mal hingefahren. Callum Murray zum Beispiel. Er ist mit ein paar Männern aus den Kasernen losgezogen. Wir warten darauf, von ihnen zu hören.«

»Ist das da die Familie?« Ohne mir wirklich Mühe zu geben, erkenne ich die Mutter, eine rundliche, dunkelhaarige Frau von Ende dreißig. Ihr ganzer Körper wirkt wie nach innen zusammengeballt, als hätte sie Angst, sie würde in Stücke gehen, wenn sie loslässt. Wenn ich näher herangehen würde, wäre jegliches Fleisch, das dort vielleicht einmal gewesen ist, aus ihrem Gesicht verschwunden, sodass nur noch über Knochen gespannte Haut zurückgeblieben sein wird, das weiß ich. Ihre Augen werden aussehen wie tot. Sie wird so aussehen wie ich.

Nur dass dort, wo es darauf ankommt, Welten zwischen uns liegen. Sie hat noch Hoffnung.

»Das ist die Familie.« Jetzt steht Skye anscheinend auf einem Bein. »Die Wests. Das Ganze wird echt schwierig, jetzt sind da auch noch Leute von dem Kreuzfahrtschiff zugange, und, na ja, ich will ja nicht unhöflich sein, aber die sind nicht gerade eine Hilfe. Anscheinend finden sie, wir sollten Häuser und Grundstücke zwangsdurchsuchen. Die wollen, dass wir ein Auslaufverbot für sämtliche Boote im Hafen verhängen, ab sofort. Können Sie sich vorstellen, was uns die Fischer erzählen, wenn wir sagen, sie können morgen früh nicht rausfahren?«

»Ich bezweifle, dass viele auf euch hören werden.« Autorität wird hier toleriert, aber nur bis zu einem gewissen Grad.

»Und die Angehörigen sind doch schon aufgelöst genug. Das Letzte, was die brauchen, ist, dass ihnen die Leute alle möglichen verrückten Ideen in den Kopf setzen.«

Ich bin versucht zu erwidern, dass die verrückten Ideen in Anbetracht unserer jüngsten Vergangenheit in Sachen vermisste Kinder wohl schon präsent sein dürften.

»Das ist alles ganz furchtbar.« Während Skye weiterredet und ich so tue, als würde ich zuhören, gehen wir auf mein Auto zu. »Seit neun Uhr sind wir zu fünf Vorfällen gerufen worden. Chief Superintendent Stopford versucht, die Kreuzfahrer alle wieder auf das Schiff zu schicken, aber die wollen nicht gehen, bevor der Kleine gefunden worden ist. Das wird eine schlimme Nacht.«

Da ich weiß, dass es von mir erwartet wird, murmele ich halblaut, sie solle mir Bescheid sagen, wenn ich irgendetwas tun kann, und verdrücke mich. Queenie springt ins Auto, und ich mache mich auf den Weg zu meinem Haus auf der Westseite der Halbinsel Cape Pembroke, eine winzige Landspitze zwischen dem Doppelhafen von Stanley und dem Ozean.

Ich denke nicht an das vermisste Kind. Oder vielmehr, ich denke schon daran, aber nur insoweit, wie es mich betrifft. Wenn für alle Boote ein Auslaufverbot verhängt wird, wenn...

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Autor

Sharon Bolton, geboren im englischen Lancashire, hat eine Schauspielausbildung absolviert und Theaterwissenschaft studiert. Ihr Debütroman »Todesopfer« machte sie über Nacht zum Star unter den britischen Spannungsautor*innen. Seitdem wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Dagger in the Library für ihr Gesamtwerk. Sharon Bolton lebt mit ihrer Familie in Oxford.