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Die Unsterblichen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
480 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am29.10.2018
Wie würdest du leben, wenn du wüsstest, an welchem Tag du stirbst? Sommer 1969: Wie ein Lauffeuer spricht sich in der New Yorker Lower East Side herum, dass eine Wahrsagerin im Viertel eingetroffen ist, die jedem Menschen den Tag seines Todes vorhersagen kann. Neugierig machen sich die vier Geschwister Gold auf den Weg. Nichtsahnend, dass dieses Wissen für jeden von ihnen auf unterschiedliche Weise zum Verhängnis wird. Simon, den Jüngsten, zieht es Anfang der 1980-er Jahre nach San Francisco, wo er nach Liebe sucht und alle Vorsicht über Bord wirft. Klara, verwundbar und träumerisch, wird als Zauberkünstlerin zur Grenzgängerin zwischen Realität und Illusion. Daniel findet nach 9/11 Sicherheit als Arzt bei der Army. Varya wiederum widmet sich der Altersforschung und lotet die Grenzen des Lebens aus. Doch um welchen Preis?

Chloe Benjamin gelangte mit »Die Unsterblichen« auf Anhieb in die Top Ten der Bestsellerliste der New York Times. Der Roman wurde mehrfach als »Best Book of the Year« ausgezeichnet und erscheint in mehr als 30 Ländern. Chloe Benjamin stammt aus San Francisco und lebt heute in Madison, Wisconsin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWie würdest du leben, wenn du wüsstest, an welchem Tag du stirbst? Sommer 1969: Wie ein Lauffeuer spricht sich in der New Yorker Lower East Side herum, dass eine Wahrsagerin im Viertel eingetroffen ist, die jedem Menschen den Tag seines Todes vorhersagen kann. Neugierig machen sich die vier Geschwister Gold auf den Weg. Nichtsahnend, dass dieses Wissen für jeden von ihnen auf unterschiedliche Weise zum Verhängnis wird. Simon, den Jüngsten, zieht es Anfang der 1980-er Jahre nach San Francisco, wo er nach Liebe sucht und alle Vorsicht über Bord wirft. Klara, verwundbar und träumerisch, wird als Zauberkünstlerin zur Grenzgängerin zwischen Realität und Illusion. Daniel findet nach 9/11 Sicherheit als Arzt bei der Army. Varya wiederum widmet sich der Altersforschung und lotet die Grenzen des Lebens aus. Doch um welchen Preis?

Chloe Benjamin gelangte mit »Die Unsterblichen« auf Anhieb in die Top Ten der Bestsellerliste der New York Times. Der Roman wurde mehrfach als »Best Book of the Year« ausgezeichnet und erscheint in mehr als 30 Ländern. Chloe Benjamin stammt aus San Francisco und lebt heute in Madison, Wisconsin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641207083
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2018
Erscheinungsdatum29.10.2018
Seiten480 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3722 Kbytes
Artikel-Nr.3830337
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Als Saul stirbt, sitzt Simon im Physikunterricht und
zeichnet konzentrische Kreise, die die Ringe einer Elektronenhülle darstellen sollen, aber für Simon überhaupt keinen Sinn ergeben. Er ist nie ein guter Schüler gewesen, dafür ist er viel zu verträumt, von seiner Legasthenie ganz zu schweigen, und wozu eine Elektronenhülle gut sein soll - die Umlaufbahn der Elektronen um den Atomkern -, ist ihm schleierhaft. In diesem Augenblick verkrampft sich sein Vater auf dem Rückweg von der Mittagspause auf dem Fußgängerüberweg in der Broome Street. Ein Taxi hupt und hält an. Saul sinkt auf die Knie. Sein Herz wird nicht mehr mit Blut versorgt. Sein Tod ergibt für Simon ebenso wenig Sinn wie die Bewegung der Elektronen in der Elektronenhülle eines Atoms: Beides passiert und ist im nächsten Moment vorbei.

Varya studiert am Vassar College, Daniel an der University of New York. Beide fahren sofort nach Hause. Keiner versteht es. Gut, Saul stand unter Stress, aber die schlimmsten Zeiten, die New York durchgemacht hat - die Finanzkrise, die Plünderungen während des großen Stromausfalls -, sind längst vorbei. Die Gewerkschaften haben die Stadt vor dem Bankrott bewahrt, und New York schaut wieder nach vorn. Im Krankenhaus erkundigt sich Varya nach den letzten Minuten im Leben ihres Vaters. Hatte er Schmerzen? Nur kurz, sagt die Schwester. Hat er noch etwas gesagt? Niemand kann sich erinnern, dass er das getan hätte. Was seine Frau und seine Kinder nicht überraschen dürfte, denn die sind es gewohnt, dass er oft und lange geschwiegen hat - und doch fühlt Simon sich um eine letzte Erinnerung an seinen Vater betrogen, der im Tod ebenso schweigsam ist, wie er es im Leben war.

Da der nächste Tag Sabbat ist, findet die Beerdigung am Sonntag statt. Sie versammeln sich in der Congregation Tifereth Israel, der konservativen Synagoge, in der Saul Mitglied war. Im Eingangsbereich gibt Rabbi Chaim jedem Familienmitglied eine Schere für die Kria.

»Nein, das mach ich nicht«, sagt Gertie, die man durch jeden Schritt des Beerdigungsrituals führen muss, so als handelte es sich um Bräuche eines Landes, das sie nie hatte besuchen wollen. Sie trägt ein Etuikleid, das Saul 1962 für sie genäht hat: robuste Baumwolle mit Abnähern in der Taille, vorne geknöpft und mit Gürtel. »Sie können mich nicht dazu zwingen«, fügt sie hinzu, während ihr Blick nervös zwischen dem Rabbi und ihren Kindern hin und her wandert, die sich alle gehorsam die Kleider über dem Herzen aufgeschnitten haben. Rabbi Chaim erklärt ihr, dass nicht er sie zwingen kann, sondern Gott, aber es stellt sich heraus, dass Gott es auch nicht kann. Am Ende gibt der Rabbi Gertie ein schwarzes Band zum Durchschneiden, dann nimmt sie ihren Platz ein, siegreich, wenn auch gekränkt.

Simon ist noch nie gern in die Synagoge gegangen. Als Kind glaubte er, dass es in diesem alten, dunklen Gemäuer spukte. Am schlimmsten waren die Gottesdienste: die endlosen stillen Gebete, die inbrünstigen Bitten um den Neuaufbau von Zion. Jetzt steht Simon vor dem geschlossenen Sarg, spürt die Luft, die in sein aufgeschlitztes Hemd dringt, und begreift, dass er das Gesicht seines Vaters nie wieder sehen wird. Er stellt sich Sauls abwesenden Blick und sein züchtiges, beinahe feminines Lächeln vor. Rabbi Chaim nennt Saul edelmütig, bezeichnet ihn als einen Mann von Charakter und Stärke, aber für Simon war er ein höflicher, schüchterner Mann, der allen Konflikten aus dem Weg ging - ein Mann, der so leidenschaftslos war, dass es an ein Wunder grenzt, dass er Gertie geheiratet hat, eine ehrgeizige, launenhafte Frau, die so gar nicht zu ihm zu passen schien.

Nach dem Gottesdienst folgen sie den Sargträgern zum Mount Hebron-Friedhof, wo Sauls Eltern begraben liegen. Beide Mädchen weinen - Varya still, Klara so laut wie ihre Mutter -, und Daniel scheint sich gerade so mit einer Mischung aus Pflichtgefühl und Benommenheit aufrecht zu halten. Aber Simon kann nicht weinen, nicht einmal, als der Sarg in die Grube hinuntergelassen wird. Er empfindet nur einen großen Verlust, nicht den Verlust des Vaters, den er gekannt hat, sondern des Mannes, der Saul gewesen sein könnte. Beim Abendessen haben sie immer an den gegenüberliegenden Enden des Tischs gesessen, beide tief in Gedanken versunken. Es war jedes Mal ein Schock, wenn einer von ihnen den Kopf hob und ihre Blicke sich begegneten - ein Versehen, aber eines, das ihre getrennten Welten miteinander verband wie ein Scharnier, bis einer von ihnen sich wieder abwandte.

Jetzt gibt es kein Scharnier mehr. So distanziert er auch gewesen sein mag, hat Saul Gold doch allen Familienmitgliedern ihre eigene Rolle zugestanden: Gertie war der General, Varya die gehorsame Älteste, Simon der unbeschwerte Jüngste. Wenn ihr Vater - ein sanfter, anscheinend kerngesunder Mann, dessen Cholesterinwerte niedriger waren als die ihrer Mutter, dessen Herz regelmäßig schlug - einfach tot umfallen konnte, was konnte dann noch alles schiefgehen? Welche anderen Naturgesetze konnten noch auf den Kopf gestellt werden? Varya verkriecht sich in ihrem Stockbett. Daniel ist zwanzig, kaum ein Mann, und doch begrüßt er die Gäste, bietet ihnen zu essen an, betet auf Hebräisch vor. Klara, in deren Teil des Kinderzimmers das größte Durcheinander herrscht, schrubbt die Küche, bis ihr die Arme schmerzen. Und Simon kümmert sich um Gertie.

Normalerweise ist es umgekehrt, normalerweise verwöhnt Gertie Simon mehr als die anderen. Sie wollte einmal eine Intellektuelle werden. Sie lag im Washington Square Park neben dem Brunnen und las Kafka und Nietzsche und Proust. Aber mit neunzehn hat sie Saul kennengelernt, der nach der Highschool in die Firma seines Vaters eingestiegen war, und mit zwanzig war sie schwanger. Gertie brach das Studium an der New York University ab, für das sie ein Stipendium hatte, und zog in eine Wohnung ganz in der Nähe der Firma Gold´s Tailor & Dressmaking, die Saul erben würde, wenn seine Eltern sich in Kew Garden Hills zur Ruhe setzten.

Kurz nach Varyas Geburt - in Sauls Augen, dem das peinlich war, viel zu früh - nahm sie eine Stelle als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei an. Abends war sie nach wie vor die respekteinflößende Chefin der Familie, aber morgens zog sie sich ein Kleid an, legte aus einem winzigen Tiegel etwas Rouge auf, brachte die Kinder zu Mrs Almendinger und machte sich leichten Herzens auf den Weg zur Arbeit. Nach Simons Geburt jedoch beschloss Gertie, nicht fünf, sondern neun Monate zu Hause zu bleiben, aus denen schließlich anderthalb Jahre wurden. Sie trug ihn ständig auf dem Arm. Wenn er weinte, reagierte sie nicht ungehalten, sondern liebkoste ihn und sang für ihn, als sehnte sie sich nach einer Erfahrung, die sie immer abgelehnt hatte, weil sie wusste, dass sie sie nie wieder erleben würde. Kurz nach Simons Geburt suchte sie, während Saul bei der Arbeit war, ihren Arzt auf und kam zurück mit einer Packung Verhütungspillen, die sie in der hintersten Ecke ihrer Schublade mit der Unterwäsche versteckte.

»Si-mon!«, ruft sie jetzt, laut und lang gezogen wie ein Nebelhorn. »Gib mir das«, sagt sie dann zum Beispiel und zeigt auf ein Kissen, das neben ihren Füßen liegt. Oder sie sagt in einem tiefen, geheimnisvollen Ton: »Ich habe eine wunde Stelle. Ich liege schon zu lange im Bett«, und obwohl Simon insgeheim davor zurückschreckt, untersucht er die Schwellung an ihrer Ferse. »Das ist keine wunde Stelle, Ma«, sagt er. »Das ist eine Blase.« Aber sie ist schon ganz woanders mit den Gedanken und bittet ihn, ihr das Kaddisch zu bringen oder etwas Fisch und Schokolade von der Essensplatte, die Rabbi Chaim für die Schiwa mitgebracht hat.

Simon könnte meinen, dass Gertie es genießt, ihn herumzukommandieren, wenn er nicht wüsste, wie sie nachts weint - so leise, dass nur er es hört -, wenn er nicht sähe, wie sie, zusammengerollt wie ein Fötus, auf dem Bett liegt, das sie zwanzig Jahre lang mit Saul geteilt hat, und aussieht wie das junge Mädchen, das sie war, als sie ihn kennenlernte. Sie sitzt die Schiwa mit einer religiösen Hingabe, die Simon ihr niemals zugetraut hätte, denn Gertie ist immer eher abergläubisch als gläubig gewesen. Sie spuckt dreimal aus, wenn ein Trauerzug vorbeizieht, wirft Salz in die Luft, wenn ein Streuer umfällt, und weigerte sich, wenn sie schwanger war, an einem Friedhof vorbeizugehen, was die Familie zwischen 1956 und 1962 ständig zu allen möglichen Umwegen zwang. Jeden Freitagabend begeht sie den Sabbat mit verbissener Ausdauer, als wäre er ein Gast, den sie nicht loswerden kann. Aber in dieser Woche schminkt sie sich nicht. Sie trägt weder Schmuck noch Lederschuhe. Und als wollte sie Buße tun, weil sie sich geweigert hat, den Kria-Schnitt zu machen, trägt sie das schwarze Etuikleid Tag und Nacht, ohne sich um den eingetrockneten Klecks Bratensoße zu scheren. Da die Golds keine hölzernen Schemel besitzen, setzt sie sich auf den Boden, um das Kaddisch zu beten, und versucht sogar, im Buch Hiob zu lesen, wofür sie sich den Tanach vor die zusammengekniffenen Augen hält. Wenn sie die Bibel weglegt, sieht sie sich mit wirrem Blick um wie ein Kind, das seine Eltern verloren hat, und dann kommt der Ruf - »Si-mon!« - nach etwas Greifbarem, dann verlangt sie nach frischem Obst oder einem Stück Kuchen oder einer Decke, einem Waschlappen, einer Kerze, oder dass er ein Fenster öffnet, weil ihr zu warm ist, oder dass er eins schließt, weil es zieht.

Als genug Gäste für ein Minjan da sind, hilft Simon ihr, ein Hauskleid überzuziehen und in ihre Pantoffeln zu schlüpfen, und sie kommt aus ihrem Zimmer, um zu beten. Heute sind Sauls langjährige Angestellte gekommen: die Buchhalter, die Näherinnen, die...

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Autor

Chloe Benjamin gelangte mit »Die Unsterblichen« auf Anhieb in die Top Ten der Bestsellerliste der New York Times. Der Roman wurde mehrfach als »Best Book of the Year« ausgezeichnet und erscheint in mehr als 30 Ländern. Chloe Benjamin stammt aus San Francisco und lebt heute in Madison, Wisconsin.