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Das Kind der Wellen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
448 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am10.08.2020
Bei einem tragischen Unfall am Meer verlor Lisa ihre Tochter in den Fluten. Unfähig ihr altes Leben wieder aufzunehmen, kehrt sie an die Nordsee zurück. Im Ferienhaus der Familie ist noch alles so, wie sie es damals hinterließen. Mit der unerwarteten Hilfe von Schreiner Lars und seinem Sohn dem Arktisforscher Jonas beginnt sie zu renovieren - und findet unter den alten Holzdielen die Notizen zu einem Märchen über eine Meerjungfrau. Der Verdacht, dass dieses auf realen Begebenheiten beruht, lässt die drei nicht los. Im alten Zeitungsarchiv lesen sie von einer blutjungen Frau, die 1920 ihr Kind am Strand verlor. War es ein Unfall oder Mord, wie die Leute damals behaupteten? Auf den Spuren der Meerjungfrau muss sich Lisa ihren verworrenen Gefühlen und dem eigenen Verlust stellen.

Rebecca Martin studierte Englisch und Deutsch in Frankfurt am Main und in Dublin, Irland. Ihre Leidenschaft gehört dem Reisen und dem Schreiben. Ihr Roman 'Die verlorene Geschichte' gelangte sofort nach Erscheinen auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, gefolgt von 'Der entschwundene Sommer', 'Die geheimen Worte' und 'Das goldene Haus' und die 'Die vergessene Freundin'. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Nahetal.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR9,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextBei einem tragischen Unfall am Meer verlor Lisa ihre Tochter in den Fluten. Unfähig ihr altes Leben wieder aufzunehmen, kehrt sie an die Nordsee zurück. Im Ferienhaus der Familie ist noch alles so, wie sie es damals hinterließen. Mit der unerwarteten Hilfe von Schreiner Lars und seinem Sohn dem Arktisforscher Jonas beginnt sie zu renovieren - und findet unter den alten Holzdielen die Notizen zu einem Märchen über eine Meerjungfrau. Der Verdacht, dass dieses auf realen Begebenheiten beruht, lässt die drei nicht los. Im alten Zeitungsarchiv lesen sie von einer blutjungen Frau, die 1920 ihr Kind am Strand verlor. War es ein Unfall oder Mord, wie die Leute damals behaupteten? Auf den Spuren der Meerjungfrau muss sich Lisa ihren verworrenen Gefühlen und dem eigenen Verlust stellen.

Rebecca Martin studierte Englisch und Deutsch in Frankfurt am Main und in Dublin, Irland. Ihre Leidenschaft gehört dem Reisen und dem Schreiben. Ihr Roman 'Die verlorene Geschichte' gelangte sofort nach Erscheinen auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, gefolgt von 'Der entschwundene Sommer', 'Die geheimen Worte' und 'Das goldene Haus' und die 'Die vergessene Freundin'. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Nahetal.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641256951
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum10.08.2020
Seiten448 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2036 Kbytes
Artikel-Nr.4941040
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2

EIN HALBES JAHR DAVOR

Lisa ließ sich tiefer ins Wasser sinken. Ihre Beine schoben sich nach oben, die Knie stießen durch die Wasseroberfläche, während ihr Gesicht darunter verschwand. Sie versuchte, die Augen offen zu halten, versuchte, dem Bedürfnis zu widerstehen, nach Atem zu ringen. Die Welt über ihr war ein verschwommenes Muster aus Hell und Dunkel, und dann war das Wasser plötzlich überall. Es drang in ihren Mund, der sich wie von selbst geöffnet hatte. Es drückte gegen ihren Rachen. Sie schluckte und schluckte. Ihr Körper bäumte sich auf, aber sie wollte nicht auftauchen. Sie wollte hierbleiben, unter Wasser, wo es schmerzte.

Luft.

Luft.

Luft.

Lisa kämpfte verzweifelt darum, in der Position zu verharren, mit dem Kopf unter Wasser. Aber ihr Körper weigerte sich einfach, drängte mit aller Macht nach oben. Wasser geriet in ihre Nase und in ihre Luftröhre. Ihr Körper wollte husten. Sie würgte.

Luft.

Luft.

Luft.

Sie schlug um sich. Sie kämpfte. Sie wollte nicht auftauchen, aber ihr Körper gehorchte ihr einfach nicht, ihr Körper wollte die Wasseroberfläche durchbrechen, und dann konnte sie sich endgültig nach Luft schnappen hören, hustend, keuchend, verzweifelt, mit weit aufgerissenem Mund.

Luft.

Luft.

Luft.

Als die Husterei nachließ, setzte sie sich auf. Ihr war taumelig zumute und auch ein wenig übel. Erschöpft ließ sie den Kopf gegen den Badewannenrand sinken. Atmete. Ihr Körper hatte gewonnen. Wieder einmal. Nach einigen Minuten stemmte sie sich aus der Wanne hoch und kletterte vorsichtig über den Rand. Sie bebte und fror im kalten Licht der Badbeleuchtung, während das Wasser von ihr auf den Boden tropfte. Aus dem Spiegel sah ihr ein bleiches Gespenst mit wirrem Haar entgegen, die Unterlippe schuppig rot, weil sie sich angewöhnt hatte, sie mit den Zähnen zu bearbeiten, ohne dass sie es recht merkte, die Augen ebenfalls gerötet, weil sie heute Morgen wieder einmal nicht hatte aufhören können zu weinen.

Das unkontrolliert geschluckte Badewasser schmerzte. Hatte Millie so etwas gespürt? Hatte ihre kleine, wunderbare dreijährige Tochter so etwas Ähnliches gespürt, nachdem ihre Mutter sie nur für einen Moment aus dem Blick verloren hatte, als die Wellen über ihrem Kopf zusammengeschlagen waren und sie endgültig umgerissen hatten? Hatte sie das gespürt? Wasser ... Wasser überall, in Mund und Nase und Augen, Wasser überall, Wasser, das sie schluckte und das wehtat im Brustkorb, als wollte es ihn sprengen, aber keine Luft mehr ... keine Luft ... keine Luft ...

Nein, für Millie war es schlimmer gewesen, denn Millie, ihre süße, kleine, unvergleichliche Tochter, hatte sich aus eigener Kraft nicht retten können. Sie war zu schwach gewesen. Sie war nach unten gedrückt worden und hatte keine Chance gehabt.

Millie ist ertrunken. Weil ich nicht aufgepasst habe.

Lisa fröstelte heftiger. Sie griff nach dem Handtuch, trocknete sich ab, kämmte sich ruppig die Haare, weil sie jeden Schmerz verdient hatte, sah ihr scheußliches Gesicht noch einmal im Spiegel an.

Die Fratze einer Mörderin.

Lisa schlüpfte in einen ausgeleierten Jogginganzug, den sie früher noch nicht einmal im Haus getragen hätte, wickelte sich ein Handtuch um den Kopf und ließ das Badewasser ab. Sie trat in den Flur. Wie ruhig es hier war. Das fiel ihr in solchen Momenten immer auf. Seit ihr Mann Lukas und ihre beiden Jungs ausgezogen waren, herrschte Stille in der Wohnung.

»Du musst etwas tun, Lisa«, hatte Lukas vor dem Auszug in diesem bittenden, eindringlichen Tonfall gesagt, den sie so hasste. »Irgendetwas musst du tun. Wieder eine Therapie anfangen, irgendwas, bitte ... so geht das nicht mehr. Du machst uns kaputt. Du machst unsere Familie kaputt. Uns alle.«

»Ich habe mein Kind verloren.«

»Du hast noch zwei Jungs, Johnny und Neo. Auch andere Eltern ...«

»Wag es nicht weiterzusprechen.« Ihre Stimme klang so scharf und so bitter, dass sie ihr selbst fremd vorkam, aber alles schien fremd, seit Millie nicht mehr da war, seit die Welt einen Riss bekommen hatte, der sich nicht mehr kitten ließ.

»... verlieren ihre Kinder«, beendete Lukas seinen Satz.

»Das ist etwas ganz anderes.« Lisa holte tief Luft. Es hatte durchaus lange gedauert, bevor Lukas sich wagte, so etwas überhaupt auszusprechen, dabei war sie sich sicher, dass er es schon lange dachte. In den ersten Wochen, sogar in den ersten Monaten nach dem Unfall war er sehr vorsichtig mit ihr umgegangen, hatte sie geradezu mit Glacéhandschuhen angefasst. Sie hatte auch das gehasst. Sie wusste, was geschehen war. Sie würde ihre Augen davor nicht verschließen. Sie wusste, was sie getan hatte. Sie kannte ihre Schuld, denn sie war schuldig, und sie konnte und musste es hören, immer und immer wieder. Lukas machte alles falsch.

»Was ist mit deinen anderen Kindern?«, fragte er.

»Was soll mit ihnen sein?«, blaffte Lisa zurück. »Sie sind alt genug. Sie schaffen das schon. Ich liebe sie ja.«

Ich liebe sie. Das muss genügen.

Im Flur blieb sie vor der Galerie mit Millies Bildern stehen. Stetig gesellten sich neue dazu. Sie hatten so viele Fotos von ihr gemacht, von ihrem kleinen Mädchen. Lisa würde heute mal wieder ihre Zeit damit verbringen, den Computer nach weiteren zu durchforsten. Sie war immer noch krankgeschrieben, arbeitsunfähig. Womöglich würde sie nie wieder arbeiten können. Womöglich würde es ihr irgendwann gelingen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Sie ging durch die Hölle, an jedem einzelnen Tag. Sie wollte das nicht mehr.

Für Millie hätte ich da sein müssen, aber ich habe versagt.

Nein, sie brauchte keine Therapie, die ihr dabei half, Millie zu vergessen. Sie wollte nicht, dass alles wieder gut wurde. Bla, bla, bla ... Nichts würde je wieder gut sein. Sie wusste das. Nichts sollte je wieder gut sein, das war ihre verdiente Strafe.

Lukas dagegen war sehr hoffnungsvoll gewesen, anfangs.

»Wie kannst du Millie nur einfach vergessen?«, hatte sie ihn gefragt.

»Ich habe sie nicht vergessen, Lisa. Ich trauere um sie, aber ich weiß eben, dass wir noch zwei andere Kinder haben, Neo und Johnny. Was ist mit ihnen? Sie brauchen unsere Liebe und unsere Zuwendung. Sie haben ein Recht darauf. Auch sie haben ihre Schwester verloren.«

»Sie leben immerhin.«

Das war der erste Bruch gewesen. Lukas war an diesem Abend erstmals mit den Kindern zu seinen Eltern gefahren und danach immer öfter. Stück für Stück hatten sie sich voneinander entfernt: das gemeinsame Schlafzimmer, gemeinsame Zeit, gemeinsames Essen. Sie hatte begonnen, die Therapie zu schwänzen. Er war dahintergekommen und hatte ihr schwere Vorwürfe gemacht.

»Du hast mir gar nichts zu sagen«, hatte sie ihn angefahren. Etwa eine Woche später war er mit den Kindern ganz ins Haus seiner Eltern gezogen.

»Es ist nicht weit weg, du kannst uns besuchen, wann immer du willst. Unsere Tür steht offen, aber du musst etwas ändern.«

Sie hatte geschwiegen.

Im Briefkasten wartete heute ein Umschlag auf sie. Johnny, ihr Zehnjähriger, hatte ihr wieder einmal geschrieben. Er war jetzt in der vierten Klasse und würde bald auf die weiterführende Schule wechseln. Sie wusste nicht, wie es ihm ging oder wie es in der Schule lief. Sie wollte es auch gar nicht wissen. Wie sollte sie über eine Zukunft nachdenken, die es für Millie nicht mehr gab? Das konnte sie nicht.

Lisa öffnete die kleine Schublade an der Garderobe und stopfte den Brief zu den anderen ungeöffneten Umschlägen, dann schob sie das Schublädchen mit Gewalt wieder zu. Sie schaute sich im Garderobenspiegel an, die Lichtverhältnisse waren hier schmeichelnder als im Bad. Da war ein Werbeaufkleber, den eines der Kinder dort hingeklebt hatte. Du bist ein Gewinn, stand da. Lisa hatte geschimpft. Aber die Kinder hatten einander nicht verraten, sondern zusammengehalten - ein schöner Moment und umso schmerzhafter, als sie jetzt daran dachte. Sie hielt inne. Ein Gedanke, der sie schon länger umtrieb, drängte sich wieder in ihr Bewusstsein.

Na gut, dachte sie. Dann soll es wohl so sein. Sie drehte sich um und ging ins Schlafzimmer, wo sie wahllos Kleidungsstücke in ihre Reisetasche stopfte. Sie würde noch einmal ins Ferienhaus ihrer Familie fahren, an die Küste, wo alles passiert war, und Millie endlich folgen.

Lisa war fast ohne Pause durchgefahren, zuerst auf der A5 in Richtung Nordhessen, dann auf der A7, vorbei an Göttingen, Hannover und Hamburg, Itzehoe, Heide. Sie hatte das Radio an, ohne jedoch wirklich hinzuhören; irgendein Gedudel, unterbrochen von Nachrichten, die sie nicht interessierten. Sie hatte irgendwo Kaffee getrunken und war auf der Toilette gewesen. Sechs, eher sieben Stunden Autofahrt - und sie hatte nichts gegessen. Ihr fiel das kaum auf, weil es ihr so unwichtig war. Millie aß auch nichts mehr. Millie aß nie wieder etwas. Wie fühlte sich das an, nie wieder zu essen? Inzwischen konnte Lisa ihre Hosen nur noch mit Gürtel tragen. Natürlich hätte sie neue kaufen können, aber wozu? Bald würde sie ohnehin keine mehr brauchen.

Je weiter sie nach Norden kam, desto konkreter wurde die Idee, mit der sie aufgebrochen war. Sie hatte sich lange nicht mehr so ruhig und sicher gefühlt, lange nicht mehr so entschieden.

Es dämmerte schon, als sie endlich in die hell bekieste Einfahrt ihres Ferienhauses einbog. »Die kleine Villa« - so nannte man es hier in...

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Rebecca Martin studierte Englisch und Deutsch in Frankfurt am Main und in Dublin, Irland. Ihre Leidenschaft gehört dem Reisen und dem Schreiben. Ihr Roman "Die verlorene Geschichte" gelangte sofort nach Erscheinen auf die SPIEGEL-Bestsellerliste, gefolgt von "Der entschwundene Sommer", "Die geheimen Worte" und "Das goldene Haus" und die "Die vergessene Freundin". Die Autorin lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf im Nahetal.