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Alles wird gut

von
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
352 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am16.08.2021
Wie konnte es so weit kommen? Elin - Mitte 50, Allgemeinärztin seit 20 Jahren und genauso lange verheiratet mit Aksel - ist kurzerhand in ihre Praxis gezogen. Während Aksel jede freie Minute mit Skilanglauf verbringt, schickt Elin eines Abends schon leicht angeschickert eine Nachricht an ihren Jugendfreund Bjørn - der antwortet prompt. Elin fühlt sich das erste Mal seit Langem wieder richtig lebendig. Aus Alltagsresignation wird erwartungsvolle Aufbruchsstimmung. Doch eine langjährige Ehe und das gutsituierte Leben im Reihenhaus lassen sich nicht so leicht abschütteln. Das ist die Ausgangssituation des vielfach ausgezeichneten Romans, der mit entlarvender Ehrlichkeit das Beziehungsleben der modernen Großstädter in mittleren Jahren unter die Lupe nimmt.

Nina Lykke, geboren 1965 in Trondheim, Norwegen wuchs in Oslo auf. Ihren Durchbruch als Schriftstellerin hatte Lykke mit ihrem Roman »Aufruhr in mittleren Jahren«, der in Norwegen eines der am meisten besprochenen Bücher des Jahres war. Für »Alles wird gut« wurde sie mit dem Bragepreis, dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis ausgezeichnet. Der Roman stand monatelang auf der Bestsellerliste und ist in 15 Ländern erschienen.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR20,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextWie konnte es so weit kommen? Elin - Mitte 50, Allgemeinärztin seit 20 Jahren und genauso lange verheiratet mit Aksel - ist kurzerhand in ihre Praxis gezogen. Während Aksel jede freie Minute mit Skilanglauf verbringt, schickt Elin eines Abends schon leicht angeschickert eine Nachricht an ihren Jugendfreund Bjørn - der antwortet prompt. Elin fühlt sich das erste Mal seit Langem wieder richtig lebendig. Aus Alltagsresignation wird erwartungsvolle Aufbruchsstimmung. Doch eine langjährige Ehe und das gutsituierte Leben im Reihenhaus lassen sich nicht so leicht abschütteln. Das ist die Ausgangssituation des vielfach ausgezeichneten Romans, der mit entlarvender Ehrlichkeit das Beziehungsleben der modernen Großstädter in mittleren Jahren unter die Lupe nimmt.

Nina Lykke, geboren 1965 in Trondheim, Norwegen wuchs in Oslo auf. Ihren Durchbruch als Schriftstellerin hatte Lykke mit ihrem Roman »Aufruhr in mittleren Jahren«, der in Norwegen eines der am meisten besprochenen Bücher des Jahres war. Für »Alles wird gut« wurde sie mit dem Bragepreis, dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis ausgezeichnet. Der Roman stand monatelang auf der Bestsellerliste und ist in 15 Ländern erschienen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641265854
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum16.08.2021
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1734 Kbytes
Artikel-Nr.5691664
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


1

Kein Mensch kennt die unterschwelligen Strömungen in der Bevölkerung so gut wie ein Hausarzt. Ich habe alles durch, glutenfrei, laktosefrei, zuckerfrei, jede Schlagzeile in den Zeitungen und im Netz, die gesunden Menschen einredet, wenn sie kein Brot oder keinen Käse mehr essen, renkt sich alles wieder ein. Menschen mittleren Alters verstehen nicht, warum sie immerzu müde sind. Das liegt daran, dass Sie alt werden, sage ich dann, aber sie denken, dass das mit dem Alter für sie nicht gilt, so wie sie auch denken, dass das mit dem Tod für sie nicht gilt. Dass in ihrem speziellen Fall eine Ausnahme gemacht wird. Für sie ist es selbstverständlich, dass ihr Körper einwandfrei funktioniert, und es überrascht sie, wenn er es eines Tages nicht mehr tut. Wenn der Stuhlgang eines Tages Zicken macht, sich der Schlaf nicht einstellen will oder die Muskeln nicht mitspielen. Sieben­undvierzig ist doch nicht alt, sagt der siebenundvierzigjährige Patient. Doch, sage ich, siebenundvierzig ist alt genug, um nicht mehr so weitermachen zu können wie bisher. Aber das wollen sie nicht wahrhaben. Sie wollen weitermachen wie bisher, und dann bestellen sie sich im Netz einen bestimmten Saft oder ein grünes Pulver, oder sie wollen eine spezielle Allergie oder Lebensmittelunverträglichkeit bescheinigt bekommen, damit sie doch so weitermachen können wie bisher, wenn sie nur diesen besonderen Saft trinken oder dieses spezielle Pulver schlucken oder irgendein Hauptnahrungsmittel weglassen oder sich von Pelztieren fernhalten.

Sie wollen nicht auf mich hören, wenn ich ihnen sage, sie müssten es etwas langsamer angehen lassen, zufrieden sein, sich ausgewogen ernähren und bewegen, in dieser Reihenfolge. Ich habe keine Lust mehr, das ständig sagen zu müssen, und sie haben keine Lust mehr, es ständig zu hören, aber es ist die Wahrheit, und sie ist langweilig.

Es ist Freitagmorgen, fünf vor acht. In fünf Minuten rollt die Lawine los. Schickt den Feind herein, wie ein Kollege es ausdrückt. Und selbst heute noch, nach all den Jahren, sitze ich manchmal hier am Schreibtisch in der Praxisgemeinschaft im zweiten Stock eines alten Wohnblocks am Solli Plass und verstehe plötzlich nicht mehr, warum draußen Leute darauf warten, zu mir hereinkommen zu dürfen. Sie haben sich in der Arbeit freigenommen, um hierherzukommen, aber warum? Mein Kopf ist still und leer. Auf dem Schreibtisch liegen ein paar Papiere, dort steht ein Computerbildschirm, daneben befindet sich ein Stethoskop, hier drüben ist eine Maschine auf Rädern, aber wozu wird das alles gebraucht, das ganze Zeug, und was soll hier drinnen passieren, was wird erwartet. Warum bin ich hier. Links das Fenster, hinter mir das Bücherregal mit Büchern und Zeitschriften, an der gegenüberliegenden Wand Poster mit Schaubildern von menschlichen Körpern - es sieht aus wie das Behandlungszimmer eines Arztes, aber wo ist der Arzt, hier bin ja nur ich. Wo sind die Erwachsenen, wie bin ich hier gelandet? Das Ganze muss ein Missverständnis sein. Vielleicht kann ich mich einfach aus dem Staub machen. So tun, als müsste ich aufs Klo, mich an den Leuten vorbeischleichen, die draußen sitzen, und einfach verschwinden.

Aber schon rückt die Welt wieder in den Fokus, und ich gehe zur Tür, öffne sie und rufe den ersten Patienten herein, natürlich tue ich das, jetzt bin ich wieder im Flow, und kurz darauf steckt meine Hand in einem Handschuh, und ich reibe mir die Finger mit Gleitmittel ein, auf der Behandlungspritsche liegt ein Mann, die Hosen in den Kniekehlen, das weiße Hinterteil herausgestreckt, und als ich die beiden Pobacken auseinanderziehe, sehe und rieche ich, dass er sich bei seinem letzten Klogang nicht ordentlich abgewischt hat, ja dass er sich gar nicht abgewischt hat, obwohl er wusste, dass er aufgrund von Hämorrhoiden und Afterjucken einen Arzt aufsuchen würde, und ich habe kein Problem damit, professionell aufzutreten, die Hämorrhoiden zu beurteilen und anschließend in aller Ruhe einen Finger einzuführen und, wenn ich schon dabei bin, das Rektum und die Prostata abzutasten, dann den Finger herauszuziehen, den Handschuh wegzuwerfen, zum Waschbecken zu gehen, mir mit fast chirurgischer Gründlichkeit die Hände zu waschen und das Procedere mit dreimaligem Drücken auf den Desinfektionsspender zu beenden.

»Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich das Fenster aufmache«, sage ich. »Ich muss hier mal kurz durchlüften.«

In der Zwischenzeit hat er sich angezogen. Jetzt sitzt er da und sieht aus wie ein stinknormaler Bürger, und die rötlich blauen Knubbel, die seinen ungewaschenen Anus umranken, sind wieder unter einer Hose mit Bügelfalten versteckt.

»Tut mir leid. Aber zurzeit traue ich mich nicht, mich ordentlich abzuwischen, ich habe Angst, dass was aufplatzt.«

»Ist schon okay.«

Ist es nicht, kommt es von Tore.

Tore ist ein menschliches Skelett in Lebensgröße, das in der Ecke zwischen Waschbecken und Tür steht. Es ist aus Plastik und mein einziger Zeuge für das, was hier im Raum passiert. Als ich es gekauft habe, habe ich ihm spaßeshalber einen schwarzen Herrenhut aufgesetzt, damals hatte ich noch Sinn für so was, die Bedeutung von Humor im Arzt-Patienten-Verhältnis, die heilende Wirkung des Lachens. Wie eifrig wir damals waren, wir wollten die Welt und das Gesundheitswesen verändern und den Patienten in seiner Gesamtheit sehen, bla, bla, bla. Wir hielten uns für eine Ausnahme, für etwas Besonderes, diese Arztpraxis sollte etwas ganz Außergewöhnliches sein, und vielleicht ist es das, was uns alle am Ende antreibt und uns morgens aufstehen lässt, dieser unerschütterliche Glaube daran, dass wir etwas Besonderes sind, eine Ausnahme.

Es ist nicht okay. Ganz und gar nicht, fährt Tore fort, er hätte das Toilettenpapier anfeuchten und sich vorsichtig damit abwischen können. Es gibt ganz viele Möglichkeiten. Er hätte sich im 7-Eleven Feuchttücher besorgen und damit abwischen können, bevor er hierherkam. Nichts davon hat er getan. Und wenn er dazu fähig ist, einem Menschen, den er nicht kennt, einen Hintern mit ­frischen Fäkalienresten ins Gesicht zu strecken, wozu ist er dann sonst noch fähig? Was hat er sonst noch zu verbergen, welche Leichen hat der Mann sonst noch im Keller?

Während ich mich selbst über Bewegung, Flüssigkeitsaufnahme und Ballaststoffe reden höre, versuche ich, Tores erregte Stimme und den intensiven Geruch zu verdrängen, der vor wenigen Minuten den Raum erfüllt hat und immer noch in der Luft hängt.

Während des Studiums habe ich in einem Pflegeheim gejobbt. Dort habe ich gelernt, strikt zu trennen, und schon nach einer Woche konnte ich Kotreste von Körpern, Wänden und Rollstühlen entfernen und direkt im Anschluss in die Kantine gehen, um ein Frikadellenbrötchen zu essen. Ich zog wasserdichte Schotten ein zwischen hier und dort, zwischen vorher und jetzt, und nicht zuletzt: zwischen mir und den Patienten.

Heute vertrage ich gar nichts mehr. Im Takt mit all dem anderen, was sich mit den Jahren abnutzt und abschwächt, scheint meine Fähigkeit, Dinge voneinander zu trennen, ebenfalls nachzulassen, heute muss ich aktiv an Sachen arbeiten, die noch vor wenigen Jahren ganz von selbst passiert sind.

Ich rede gegen die glasklaren Bilder an, die ein Eigenleben auf meiner Netzhaut führen. Ich rede von Salben und Zäpfchen und stelle am PC ein Rezept aus, aber die Bilder laufen weiter, sie werden schlimmer, sie werden unbeschreiblich, meine eigenen scharfen Zähne beißen in die Hämorrhoiden, sodass Blut und Kot herausspritzen. Wo kommt das her? So war ich früher nicht. Ich habe weitaus schlimmere Dinge erlebt, habe Abszesse entleert, die nicht nur die Umstehenden vollgespritzt haben, sondern mehrfach auch Decke und Wände. Ich habe Wunden versorgt. Ich habe alles an Körperflüssigkeiten gesehen und auch alles gerochen, was ein Mensch an Gerüchen ausdünsten kann, ich kann mich nicht von etwas Kot aus der Fassung bringen lassen. Aber die Schotten sind nicht länger dicht, und alles will nur noch raus. Wenn ich mich nicht zusammenreiße, gibt es einen Skandal, was wiederum zur Folge hätte, dass ich hier nicht mehr bleiben kann, und wie soll es dann mit mir weitergehen, wo doch dieses Sprechzimmer und diese Uniform das Letzte sind, was mir geblieben ist.

Du kannst ganz beruhigt sein, bemerkt Tore. Der Skandal hat längst stattgefunden.

Aber nicht hier, antworte ich. Noch ist hier nichts passiert.

Die Hämorrhoiden verlassen das Sprechzimmer. Ich aktualisiere die Krankenakte, mache die Tür auf und nenne den Namen des nächsten Patienten. Doch auf dem Flur sitzt nur ein Mann mit Brille und Pferdeschwanz, er schüttelt den Kopf. Ich schaue den Flur hinauf und hinunter, gehe sogar zu dem großen Wartezimmer und sage den Namen noch einmal, aber kein Mensch blickt von seinem Handy auf.

Als ich zurück ins Sprechzimmer will, sieht mich der Pferdeschwanz auffordernd an, sein Blick sagt: Dann kann ich ja jetzt reinkommen, wenn der Patient vor mir nicht aufgetaucht ist. Nein, kannst du nicht, sagt meine ganze Körperhaltung. Jetzt genehmige ich mir eine kleine Pause, die habe ich mir nämlich verdient.

Früher hätte ich ihn hereingerufen. Um vor dem Zeitplan zu sein, die Kontrolle und die Übersicht zu behalten, die Fälle abzuarbeiten. Aber vor einer Weile habe ich erkannt, dass es egal ist, wie schnell ich arbeite oder wie viele Patienten ich verarzte. Es hörte einfach nicht auf, als hätte jemand den Wasserhahn aufgedreht. Es kamen immer mehr nach. Es nahm kein Ende.

Ich setze mich an den Schreibtisch und starre in die Luft. Alles wird gut, kann ich gerade noch denken, ich muss nur die Ruhe bewahren in diesen kurzen...

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Autor

Nina Lykke, geboren 1965 in Trondheim, Norwegen wuchs in Oslo auf. Ihren Durchbruch als Schriftstellerin hatte Lykke mit ihrem Roman »Aufruhr in mittleren Jahren«, der in Norwegen eines der am meisten besprochenen Bücher des Jahres war. Für »Alles wird gut« wurde sie mit dem Bragepreis, dem wichtigsten norwegischen Literaturpreis ausgezeichnet. Der Roman stand monatelang auf der Bestsellerliste und ist erscheint in 15 Ländern erschienen.