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Virginia Woolf - Die besten Geschichten (Neuübersetzung)

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
192 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am27.09.2021
Mit ihren avantgardistischen Romanen gehört Virginia Woolf neben Autoren wie Joyce und Proust zu den wichtigsten Figuren der literarischen Moderne. Doch nirgendwo zeigt sich Woolfs meisterhaft experimenteller Stil deutlicher als in ihren Kurzgeschichten, von denen dieser Band alle zu ihren Lebzeiten erschienenen versammelt. In Texten wie »Ein Geisterhaus« und »Montag oder Dienstag« sind konventionelle Erzählstrukturen aufgebrochen zugunsten eines fast traumartigen Bewusstseinsstroms. Wie mit einem Blitzstrahl leuchtet Woolf die Details der Szenen aus, deren Sog sich der Leser kaum entziehen kann.

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 in London geboren und wuchs im großbürgerlichen Milieu des viktorianischen Englands auf. Ihr Leben war geprägt von wiederkehrenden psychischen Krisen. 1912 heiratete sie Leonard Woolf. Zusammen gründeten sie 1917 den Verlag 'The Hogarth Press'. Ihr Haus war eines der Zentren der Künstler und Literaten der Bloomsbury Group. Am 28. März 1941 nahm Virginia Woolf sich, erneut bedroht von einer Verdunkelung ihres Gemüts, das Leben.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR4,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR4,49

Produkt

KlappentextMit ihren avantgardistischen Romanen gehört Virginia Woolf neben Autoren wie Joyce und Proust zu den wichtigsten Figuren der literarischen Moderne. Doch nirgendwo zeigt sich Woolfs meisterhaft experimenteller Stil deutlicher als in ihren Kurzgeschichten, von denen dieser Band alle zu ihren Lebzeiten erschienenen versammelt. In Texten wie »Ein Geisterhaus« und »Montag oder Dienstag« sind konventionelle Erzählstrukturen aufgebrochen zugunsten eines fast traumartigen Bewusstseinsstroms. Wie mit einem Blitzstrahl leuchtet Woolf die Details der Szenen aus, deren Sog sich der Leser kaum entziehen kann.

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 in London geboren und wuchs im großbürgerlichen Milieu des viktorianischen Englands auf. Ihr Leben war geprägt von wiederkehrenden psychischen Krisen. 1912 heiratete sie Leonard Woolf. Zusammen gründeten sie 1917 den Verlag 'The Hogarth Press'. Ihr Haus war eines der Zentren der Künstler und Literaten der Bloomsbury Group. Am 28. März 1941 nahm Virginia Woolf sich, erneut bedroht von einer Verdunkelung ihres Gemüts, das Leben.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641283933
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum27.09.2021
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1884 Kbytes
Artikel-Nr.5691544
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Der Fleck an der Wand

Es wird so Mitte Januar dieses Jahres gewesen sein, als ich erstmals im Aufschauen den Fleck an der Wand bemerkte. Um sich an einen bestimmten Tag zu erinnern, muss man sich ins Gedächtnis rufen, was man gesehen hat. Ich denke also zurück an das Feuer. An den beständigen gelben Lichtschimmer auf meiner Buchseite. An die drei Chry­santhemen in der runden Glasvase auf dem Kaminsims. Ja, es muss Winter gewesen sein, kurz nach dem Tee, denn ich erinnere mich, eine Zigarette in der Hand gehalten zu haben, als ich das erste Mal im Aufschauen den Fleck an der Wand bemerkte. Ich blinzelte durch den Rauch meiner Zigarette und mein Blick verharrte für einen Moment auf den brennenden Kohlen, wobei mir jene alte Fantasie von der am Burgturm flatternden blutroten Fahne in den Sinn kam, und ich gedachte des Zugs roter Ritter, der den schwarzen Felshang hinanritt. Eher zu meiner Erleichterung unterbrach der Anblick des Flecks die Fantasie, denn es ist eine alte, vielleicht als Kind ersonnene, die mich stets unwillkürlich überkommt. Der Fleck war klein, rund, hob sich schwarz von der weißen Wand ab und lag etwa fünfzehn bis zwanzig Zentimeter über dem Kaminsims.

Wie bereitwillig sich unsere Gedanken auf etwas Neues stürzen, es erst eine Zeit lang, wie Ameisen einen Halm Stroh, übereifrig mit sich tragen, um es dann achtlos liegen zu lassen ... Falls der Fleck von einem Nagel stammte, konnte der nicht für ein größeres Bild gewesen sein, sondern nur für eine Miniaturmalerei - die Miniatur einer Dame mit weiß gepuderten Locken, puderbestäubten Wangen und nelkenroten Lippen. Keine echte Antiquität natürlich, aber so hätten die Bewohner vor uns ihren Dekor nun einmal ausgesucht - ein altes Bild für ein altes Zimmer. Zu der Sorte von Leuten gehörten sie - hochinteressante Leute, an die ich sehr oft an sehr seltsamen Orten denke, weil niemand sie je wiedersehen wird, je wissen wird, was danach geschah. Sie verkauften das Haus, weil sie ihren Einrichtungsstil verändern wollten, so sagte er, und während er noch hinzufügte, dass seiner Meinung nach hinter Kunst Gedanken stehen sollten, wurde ich fort von ihm gerissen, so wie man fort von der alten Dame gerissen wird, die gerade Tee einschenkt, von dem jungen Mann, der gerade hinten im Stadtvillagarten den Tennisball schlägt, wenn man im Zug an ihnen vorbeirauscht.

Was jedoch den Fleck betrifft, so bin ich nicht sicher. Eigentlich glaube ich nicht, dass er von einem Nagel stammt. Dafür ist er zu groß und zu rund. Ich könnte aufstehen, aber zehn zu eins, dass ich, wenn ich aufstünde und ihn mir näher ansähe, auch nichts mit Sicherheit sagen könnte. Denn wenn etwas einmal geschehen ist, vermag niemand je zu erfahren, wie es passierte. Du meine Güte! Das Mysterium des Lebens! Die Fehlerhaftigkeit des Denkens! Das Unwissen der Menschheit! Um zu veranschaulichen, wie wenig Kontrolle wir über unsere Besitztümer haben, wie zufällig dieses Dasein trotz all unserer Zivilisiertheit immer noch ist, will ich nur einmal ein paar der in einem Menschenleben verlorenen Dinge aufzählen, angefangen mit, denn dieser Verlust ­erscheint mir stets als der mysteriöseste von allen - welche Katze fräße sie schließlich, welche Ratte zernagte sie? -, drei hellblauen Dosen mit Buch­binde­werkzeugen. Dann die Vogelkäfige, die Bandeisen, die Schlittschuhe, der Kohleneimer aus der Queen-Anne-Ära, das Tivolispiel, der Leierkasten - alle fort, und erst die Schmuckstücke. Opale und Smaragde geraten auf einmal zwischen die Steck­rüben. Das gibt ein fröhliches Wühlen und Scharren! Geradezu ein Wunder, dass mir noch Kleidung am Leib geblieben ist, dass ich hier noch von standhaften Möbeln umgeben bin. Nun ja, wenn man das Leben mit ­etwas vergleichen will, dann am ehesten damit, dass man mit achtzig Stundenkilometern durch den ­U-Bahn-Tunnel gepustet wird und am anderen Ende sämtliche Haarnadeln eingebüßt hat! Splitternackt ausgespuckt vor Gottes Füße! Kopfüber in die Moorlilienwiesen getaumelt wie eins dieser braunen Päckchen, die sie im Postamt die Rutsche hinunterkippen! Und die Haare wehen hinter einem drein wie ein Rennpferdschwanz. Ja, so scheint mir die Schnelligkeit des Lebens, das beständige Abhandenkommen und Flickschustern ganz gut veranschaulicht. ­Alles so zufällig, alles so willkürlich ...

Nach dem Leben jedoch. Peu à peu dicke grüne Stängel zu sich herunterziehen, damit der Blütenkelch, sobald er sich neigt, einen mit violettem und rotem Licht übergießt. Warum sollte man schließlich dort anders geboren werden als hier - hilflos, sprachlos, mit unscharfem Blick, die Wurzeln des Grases betastend und die Zehen der Riesen? Unterscheiden, was Bäume sind und was Männer und Frauen, oder wissen, ob es sie überhaupt gibt, das könnte man erst nach grob fünfzig Jahren. Nichts als Flächen aus Hell und Dunkel, von dicken Stängeln durchschnitten, und ganz hoch oben vielleicht rosenförmige Kleckse unbestimmter Farbe - verschwommen rosa oder blau -, die im Lauf der Zeit deutlicher und ... zu etwas werden, ich weiß nicht, wozu.

Und doch ist der Fleck an der Wand auf keinen Fall ein Loch. Er könnte eigentlich sogar von einem runden schwarzen Ding verursacht sein, wie einem kleinen Rosenblatt, das noch vom Sommer übrig ist, und ich, die ich meinen Haushalt nicht gerade mit Argusaugen führe - man sehe sich nur einmal den Staub auf dem Kaminsims an, den Staub, der, wie es heißt, Troja dreimal unter sich begrub, sodass dort wohl nur noch Geschirrscherben der Vergänglichkeit trotzen.

Der Baum vor dem Fenster klopft sacht an die Scheibe ... Ich möchte in Ruhe nachdenken, besonnen, ausführlich, nie unterbrochen werden, nie von meinem Sessel aufstehen müssen, möchte geschmeidig vom einen ins andere gleiten, ohne Feindseligkeit oder Hemmnis. Tiefer und tiefer möchte ich sinken, fort von der Oberfläche mit ihren harten, zertrennten Tatsachen. Um mich ein wenig zu fangen, greife ich nach dem erstbesten vorbeitrudelnden Gedanken ... Shakespeare ... Na, der taugt dafür so gut wie jeder andere. Ein Mann, der seinerseits fest im Sessel saß und ins Feuer blickte, und ... Ein Ideenregen fiel unablässig aus einem sehr hohen Himmel durch seinen Geist herab. Er stützte die Stirn auf die Hand, und Leute, die durch die offene Tür hereinsahen - denn diese Szene soll sich an einem Sommerabend abspielen ... Oje, wie öde das ist! Derlei Historienschinken interessieren mich kein bisschen. Stieße ich doch auf einen wohltuenden Gedankengang, einen, der über Umwege ein gutes Licht auf mich wirft, denn das sind die wohltuendsten Gedanken, und sie kommen ja sogar den bescheidensten, mausgrauen, jedwedem Lob aus tiefster Seele abgeneigten Menschen ziemlich häufig in den Sinn. Solche Gedanken loben einen nicht ­direkt, das ist das Schöne an ihnen, es sind Gedanken in dieser Art:

»Und dann kam ich ins Zimmer. Das Gespräch drehte sich um Botanik. Ich erzählte, wie ich eine Blume entdeckt hatte, die unter dem Schutt eines alten Hauses auf der Kingsway hervorspross. Ihr Samen, sagte ich, muss unter der Herrschaft Karls des Ersten gesät worden sein. Welche Blumenarten blühten unter Karl dem Ersten?, so fragte ich (er­innere mich aber nicht mehr an die Antwort). Langstielige mit purpurnen Narbenfäden vielleicht. Und so geht es weiter. Währenddessen hübsche ich, liebevoll und verstohlen, mein Ich im Geiste auf, ohne es offen zu bewundern, denn sobald ich das täte, würde ich mich ertappen und aus Selbstschutz eilig zu einem Buch greifen. Tatsächlich ist es doch kurios, wie instinktiv man sein Selbstbild vor Vergötterung oder sonst einer Behandlung schützt, die es lächerlich oder der Vorlage zu unähnlich machen würde, um weiter an es zu glauben. Wobei, vielleicht ist dieser Reflex nur natürlich. Denn was gibt es Wichtigeres? Angenommen, der Spiegel zerbräche, das Bild verschwände und die romantische Gestalt inmitten der grünen Waldestiefe wäre für immer fort, ließe nur jene menschliche Hülle zurück, die die anderen Leute sehen - welch eine stickige, seichte, karge, grelle Welt da entstünde! Eine Welt, in der niemand leben wollte. Wenn wir ­einander in Bussen und ­U-Bahnen ansehen, schauen wir in den Spiegel. Daher auch das Verschwommene, der gläserne Schimmer in unseren Augen. Und denjenigen, die künftig Romane schreiben, wird die Bedeutsamkeit dieser Spiegelbilder immer bewusster werden, denn natürlich gibt es davon nicht nur eines, sondern nahezu unendlich viele. Diese Tiefen werden sie erforschen, diesen Phantomen nach­jagen und in ihren Geschichten immer weniger die Wirklichkeit beschreiben, sondern das Wissen darum als gegeben voraussetzen, wie die Griechen es taten und Shakespeare vielleicht - doch derlei Generalisierung ist vollkommen wertlos. Man achte nur auf den militärischen Klang des Begriffs. Der erinnert an Leitartikel, an Kabinettsminister - an ganze Reihen von Dingen, die man als Kind für das Ding an sich gehalten hat, für den Standard, das Echte, von dem man sich nicht lösen konnte, ohne namenlose Verdammnis fürchten zu müssen. Auf unklare Weise bringt Generalisierung den Londoner Sonntag zurück, sonntägliche Nachmittagsspaziergänge, sonntägliche Essen und eine bestimmte Art, über die Toten zu reden, über Kleidungsstücke und Gewohnheiten - wie die Gewohnheit, bis zu einer bestimmten Uhrzeit gemeinsam in einem Zimmer zu sitzen, obwohl es niemandem gefiel. Für alles gab es eine Regel. Die Tischtuchregel zu jener Zeit besagte, dass diese kleinen gelben Rauten eingewebt sein mussten, wie man es vielleicht von den Fotografien der Flurteppiche in den königlichen Palästen her kennt....

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Autor

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 in London geboren und wuchs im großbürgerlichen Milieu des viktorianischen Englands auf. Ihr Leben war geprägt von wiederkehrenden psychischen Krisen. 1912 heiratete sie Leonard Woolf. Zusammen gründeten sie 1917 den Verlag "The Hogarth Press". Ihr Haus war eines der Zentren der Künstler und Literaten der Bloomsbury Group. Am 28. März 1941 nahm Virginia Woolf sich, erneut bedroht von einer Verdunkelung ihres Gemüts, das Leben.