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Der Geruch von Erde

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am07.09.2022
Als ihr Ehemann Anderl, der schwer unter Kriegsfolgen leidet, 1953 zum Totengräber von Waging berufen wird, übernimmt die 25-jährige Rosa diese Aufgabe für ihn. Ein Handkarren und später ein schwarzer VW-Käfer mit Anhänger dienen als Leichenwagen. Mit der Zeit übernimmt Rosa die Bestattungsaufgaben sämtlicher umliegender Gemeinden und sorgt als Hauptverdienerin für das Überleben der Familie. Fast 70 Jahre lang ist sie im bayerischen Rupertiwinkel die Erste, die gerufen wird, wenn jemand gestorben ist. In ihrer Heimat gilt sie als Legende. Die Bestsellerautorin Christiane Tramitz, deren Bruder von Rosa Wegscheider bestattet wurde, erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser starken und eigenwilligen Frau. Sie entführt uns in die einfache, aber glückliche Welt einer dörflichen Gemeinschaft - zwischen Liebe und Tod, Tradition und Emanzipation.

Christiane Tramitz wuchs in Oberbayern in einem kleinen Dorf auf, zeitweise auch in den rauen Ötztaler Alpen. Zudem sammelte sie während ihrer Berliner Zeit ausreichend Großstadterfahrung. Ihre Leidenschaft gilt dem Reisen, den Menschen und, seit über 30 Jahren, dem Schreiben. Nachdem die promovierte Verhaltensforscherin zahlreiche Sachbücher über menschliches Verhalten verfasst hatte, wandte sie sich vermehrt dem Genre True Crime bzw. Tatsachenroman zu. Neben den Erfolgstiteln »Irren ist männlich«, »Unter Glatzen« und »Das Dorf und der Tod« verfasste sie auch den Spiegel-Bestseller »Harte Tage, gute Jahre«. Für ihre Veröffentlichung über Straßenkinder erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Die Autorin hat zwei Kinder und lebt in Oberbayern.
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Produkt

KlappentextAls ihr Ehemann Anderl, der schwer unter Kriegsfolgen leidet, 1953 zum Totengräber von Waging berufen wird, übernimmt die 25-jährige Rosa diese Aufgabe für ihn. Ein Handkarren und später ein schwarzer VW-Käfer mit Anhänger dienen als Leichenwagen. Mit der Zeit übernimmt Rosa die Bestattungsaufgaben sämtlicher umliegender Gemeinden und sorgt als Hauptverdienerin für das Überleben der Familie. Fast 70 Jahre lang ist sie im bayerischen Rupertiwinkel die Erste, die gerufen wird, wenn jemand gestorben ist. In ihrer Heimat gilt sie als Legende. Die Bestsellerautorin Christiane Tramitz, deren Bruder von Rosa Wegscheider bestattet wurde, erzählt die außergewöhnliche Lebensgeschichte dieser starken und eigenwilligen Frau. Sie entführt uns in die einfache, aber glückliche Welt einer dörflichen Gemeinschaft - zwischen Liebe und Tod, Tradition und Emanzipation.

Christiane Tramitz wuchs in Oberbayern in einem kleinen Dorf auf, zeitweise auch in den rauen Ötztaler Alpen. Zudem sammelte sie während ihrer Berliner Zeit ausreichend Großstadterfahrung. Ihre Leidenschaft gilt dem Reisen, den Menschen und, seit über 30 Jahren, dem Schreiben. Nachdem die promovierte Verhaltensforscherin zahlreiche Sachbücher über menschliches Verhalten verfasst hatte, wandte sie sich vermehrt dem Genre True Crime bzw. Tatsachenroman zu. Neben den Erfolgstiteln »Irren ist männlich«, »Unter Glatzen« und »Das Dorf und der Tod« verfasste sie auch den Spiegel-Bestseller »Harte Tage, gute Jahre«. Für ihre Veröffentlichung über Straßenkinder erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Die Autorin hat zwei Kinder und lebt in Oberbayern.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641288235
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum07.09.2022
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse13069 Kbytes
Illustrationenmit Bildteil
Artikel-Nr.9099241
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



Es ist das Jahr 2020.

Die Totengräberin zittert, es ist kühl und windig an diesem verhängnisvollen Nachmittag, an dem die Tragödie beginnt und alles bergab geht. Nebel liegt auf dem See, verdeckt die dunkle Farbe, die das Wasser im späten Herbst annimmt. Die Trauernden blicken bang in den grauen Himmel. Noch halten die tief hängenden Wolken den Regen zurück, es scheint trocken zu bleiben an diesem ansonsten unwirtlichen Tag.

Als der Sarg zum Grab getragen wird, raunt Wastl der Totengräberin zu: »Tante, ich hab´s doch immer gesagt, das ist ein Zweimeter.«

»Ah geh, Schmarrn«, zischt diese zurück, »ich werd doch wohl besser wissen, wie groß der Wimmer Hans war! Unter eins achtzig! Das passt schon.« Wastl schweigt, Widerworte sind sinnlos, Rosa Wegscheider hat stets recht. Die alte Frau steht stramm und beobachtet die Trauernden zufrieden, grüßt nickend nach links, nach rechts, sie kennt nahezu alle, die gekommen sind, einige von ihnen seit ihrer Geburt. Die Königin des Waginger Friedhofs hat ihre Hände in den Taschen des schwarzen Dienstmantels vergraben, unter dem sie, wie immer, ihre verwaschene, mehrfach geflickte, blaue Arbeitsschürze trägt, und lässt den Blick über die Trauernden streifen.»Was für eine überüberübergroße Anteilnahme beim Hans seinem Tod«, stellt sie fest.

»Ja, ja, überüberüber, oh mei, Tante, alles ist bei dir überüberüber. Und das wird eine überüber-Katastrophe mit dem Sarg, der ist nie und nimmer ein Einsachtziger. Der ist locker ein Zweimeter«, beharrt Wastl.

»Wer arbeitet denn seit Jahren hier? Du oder ich?«, entrüstet sich die Tante und rückt ihren schwarzen abgewetzten Hut zurecht, den sie seit ewigen Zeiten bei Beerdigungen und Einkäufen im Ort zu tragen pflegt. Wastl mustert seine schmale Tante um etwas mehr als eine Kopflänge von oben herab, während der Chor den Prozessionsgesang anstimmt: »In paradisum deducant te angeli, in tuo adventu suscipiant te martyres.«

Nur noch Haut und Knochen ist sie, und mit den Jahren geschrumpft. Mittlerweile reicht die alte Frau ihrem Neffen nur noch bis zur Schulter.

Vor einigen Monaten hatte die Totengräberin ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert. Man bereitete ein kleines Fest für sie, das Wohnzimmer war geschmückt, man hatte schöne Musikplatten ausgesucht, fröhliche Schlager, so wie Rosa sie mochte. Man hätte sich all die Mühe sparen können. Von der Torte, die Rosas Tochter Weibi liebevoll gebacken und verziert hatte, probierte die alte Frau lediglich ein kleines Stückchen, legte die Gabel geringschätzig zur Seite und erhob sich. »Ich muss rüber ins Steghäusl, könnt wer gestorben sein«, erklärte sie, stand auf und ließ die Geburtstagsgäste allein zurück.

Nur keinen Anruf eines Hinterbliebenen verpassen, war und ist ihre Devise. Beim Tod immer zur Stelle sein, ansonsten könnte man im Ort tuscheln, die Wegscheiderin sei zu alt und ihrem Beruf nicht mehr gewachsen. Deswegen muss sie immer erreichbar sein, in der Nähe ihres Telefons warten, weil diese tragbaren Dinger, diese Handys, nichts anderes als überflüssiges neumodisches Zeug sind. Außerdem haben sie eine viel zu lange Nummer, die man sich beim besten Willen nicht merken kann. 370 nebst Vorwahl, 370, so kurz muss die Telefonnummer einer Totengräberin sein. »Niemand mehr hier in Waging hat noch eine dreistellige Nummer. Nur die Totengräberin«, erklärt sie jedem, dem sie diese Nummer ans Herz legt. Dabei ist sich die Wegscheiderin sicher: 370 ist mindestens genauso wichtig wie 110 oder 112.

»Wir beide arbeiten schon seit Jahren hier«, antwortet Wastl schließlich, »du und ich, wir bestatten seit so vielen Jahren zusammen. Vergessen, Tante? Knapp dreißig Jahre sind es jetzt statt der drei, wie es anfangs ausgemacht war, als du angeblich in Rente gehen wolltest.«

Die Wahrheit aber ist: Ans Aufhören denkt die Wegscheiderin mitnichten. Ihren Beruf als Totengräberin würde sie mit ins eigene Grab nehmen, sagen die Leute im Ort zu Wastl immer lachend, wenn sie ihm auf dem Friedhof begegnen.

Wastl ist jetzt knapp fünfzig Jahre alt, unverheiratet, kinderlos, ein eigenwilliger, wortkarger Mann mit Schnauzbart, einem großen Herzen und unbeirrbarer Gutmütigkeit. Die braucht man auch, um die Totengräberin über so lange Zeit hinweg zu begleiten, ohne restlos zu verzweifeln oder wahnsinnig zu werden. Wastl betreibt einen kleinen, weit abgelegenen Bauernhof, an dem die Straße, die durch Wald und Felder führt, endet. Der Bauer lebt dort allein mit seinen Kühen, die von Jahr zu Jahr mehr werden, weil er es nicht übers Herz bringt, die eine oder andere zum Schlachter zu bringen.

»Drei Jahrzehnte statt drei Jahre«, wiederholt er jetzt kopfschüttelnd, während der Pfarrer ein Gebet spricht.

»Pssst«, mahnt sie und legt den Finger auf den Mund. Tante und Neffe beobachten nun, wie die Träger die Gurte umlegen, um den Sarg ins Grab sinken zu lassen. »Schaut gut aus, dieses Mal, das wird eine gute Beerdigung, Wastl«, tuschelt die Tante. Die Totengräberin wirkt zufrieden, endlich mal wieder eine Beerdigung, bei der alles klappen würde.

In letzter Zeit war nämlich so manches schiefgegangen. Einem Träger riss der Gurt, der Sarg krachte auf den Boden. Ein anderes Mal verplapperte sich die Totengräberin bei ihren Beerdigungsansagen andauernd, vergaß Namen und verwechselte die Wirtschaften, in die es zum Leichenschmaus hätte gehen sollen. Lauter blöde Missgeschicke, die die alte Wegscheiderin, sobald sie zu Hause in der Küche saß, vor Scham und Wut weinen ließen. Die Wut bezog sich dann selbstverständlich auf andere, wie zum Beispiel auf Wastl, den Pfarrer, die Träger und viele andere.

»Wir übergeben den Leib der Erde. Christus, der von den Toten auferstanden ist, wird auch unseren Bruder zum Leben erwecken«, spricht der Pfarrer. Rosa blickt ungeduldig auf die Uhr. »Heut ist er besonders langsam, unser neuer Herr Pfarrer«, meckert sie, »der alte war schneller.« Wastl stupst seine Tante seitlich an und flüstert ihr zu: »Kannst eh nix ändern. Und das ist gut so.«

Am Grab kommt Unruhe auf, die Trauernden drängen sich nach vorne, recken die Köpfe. Aufgeregtes Gemurmel ist zu hören. Der Geistliche schaut regungslos in das Erdloch, einer der Träger blickt Richtung Totengräberin, schüttelt den Kopf und macht ein Zeichen, dem zu entnehmen ist, dass der Sarg zu groß für das Grab ist. »Ich hab´s ja gewusst«, raunt Wastl der Tante zu, »dass das eine überübergroße Überraschung heut geben wird, Tante, jetzt steckt er schief drinnen im Grab, Kopf voran, der arme Wimmer Hans, das wird ihm nicht gefallen.« Die alte Frau starrt geradeaus, keine Regung in ihrem Gesicht. Nur auf ihrer Stirn bildet sich eine tiefe Zornesfalte.

Nachdem alles vorbei ist, die zornigen und enttäuschten Trauergäste verschwunden sind, Stille über dem Friedhof liegt, beginnt es leise zu regnen. Tropfen fallen auf den schiefen Sarg im zu kleinen Grab. Wastl und die Träger hocken derweil im Friedhofskammerl und trinken ein Bier. »Bloß nix sagen«, rät der Älteste von ihnen, »trinkt´s schnell aus, und dann schauen wir, dass wir uns schleichen von da.« Er grinst Wastl an. »Auwei, du Armer, musst noch graben, dir blüht sicher noch was.« Die Bestatterin, die im Nebenraum ihre Schuhe gegen Gummistiefel gewechselt hat, kommt in den Raum. »Komm, Wastl, Grab fertig machen, bevor ´s noch mehr regnet.«

Dann stehen sie da vor dem Loch, Rosa und Wastl, Tante und Neffe, aneinandergeschweißt durch den Tod und die Aufgaben, die dieser den Menschen stellt. Der Regen hat zugelegt, das Wasser sickert in die schwarze Erde, tropft auf Blumen und Kränze und den stecken gebliebenen Sarg. Die Totengräberin schüttelt den Kopf und wirft wütend die Schaufel auf die Erde. »Wastl, ich warn dich! Sag bloß nicht zu mir: Ich hab´s gewusst, oder hab ich doch gesagt oder irgendeinen anderen Schmarrn. «

»Ich hab´s aber gesagt, Tante Rosa, hab immer gesagt, der Sarg braucht zwei Meter, nicht ein einsachtziger Grab. Aber du hast darauf bestanden!«

»Aber ich hab dir auch geraten, dass du vorher nochmals nachmessen musst«, gibt die Totengräberin pampig zurück, »und was hast nicht gemacht, obwohl ich es dir aufgetragen hab? Was?« Sie sieht ihn forschend an. »Ich geb dir gleich die Antwort, nix hast gemacht, nix gemessen!«

»Es ist wie immer«, erwidert der genervte Neffe, »du bist wieder fein raus, weil immer die anderen einen Fehler machen, nur du nie.«

Die alte Frau nickt zufrieden. »Schön, dass du deine Fehler wenigstens einsiehst.« Sie zeigt auf die Schaufel. »Jetzt richt das Grab gscheit her«, befiehlt sie.

Während sie mit energischen Schritten davonstapft, beginnt es über Waging zu stürmen. Wastl steht knöcheltief im Matsch, schaufelt die schwere, nasse Erde aus der Grube, damit der Sarg in die gewünschte Waagrechte gelangen kann.

Nach einer Weile taucht die Tante wieder auf. »Was ist, Wastl, haben wir´s bald?«, fragt sie ungeduldig. »Wird bald dämmrig.« Wasser tropft von ihrem Hut.

»Was heißt hier wir?«, erwidert Wastl mürrisch. »Sowieso wir«, fährt es aus Rosa heraus, »weil ich ja alles machen muss, mein ganzes Leben schon, alles allein, ohne Hilfe, weißt eh, Wastl, mir hat niemand geholfen.« Der Neffe verdreht die Augen, wieder die alte Leier, er kennt sie zur Genüge. Auch wenn er weiß, dass es vollkommen zwecklos ist, ihr eine Antwort zu geben, wie etwa die: »Ach, niemand hilft dir, Tante? Und wer gräbt hier im Regen gerade ein Grab, weil du die falschen Maße angegeben hast?« Trotzdem erwidert er: »Gräbst du jetzt oder ich?«

Rosa kickt mit dem Fuß etwas...

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Christiane Tramitz wuchs in Oberbayern in einem kleinen Dorf auf, zeitweise auch in den rauen Ötztaler Alpen. Zudem sammelte sie während ihrer Berliner Zeit ausreichend Großstadterfahrung. Ihre Leidenschaft gilt dem Reisen, den Menschen und, seit über 30 Jahren, dem Schreiben. Nachdem die promovierte Verhaltensforscherin zahlreiche Sachbücher über menschliches Verhalten verfasst hatte, wandte sie sich vermehrt dem Genre True Crime bzw. Tatsachenroman zu. Neben den Erfolgstiteln »Irren ist männlich«, »Unter Glatzen« und »Das Dorf und der Tod« verfasste sie auch den Spiegel-Bestseller »Harte Tage, gute Jahre«. Für ihre Veröffentlichung über Straßenkinder erhielt sie den Karl-Buchrucker-Förderpreis. Die Autorin hat zwei Kinder und lebt in Oberbayern.