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Nicht von dieser Welt

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
Penguin Random Houseerschienen am13.09.2023
Ein 13-Jähriger, der über den alten Münzfernsprecher in einem Krankenhaus mit den Toten spricht ... Michael Eberts warmherzig-humorvolles Romandebüt über eine Kindheit in Armut, den Verlust des Vaters - und die tröstende Kraft der Liebe
'Trauer ist Liebe ohne Zuhause ...' Seit sein Vater gestorben ist, erhält Mischa geheimnisvolle Anrufe. Über einen alten Münzfernsprecher melden sich die Toten bei ihm und geben ihre letzten Wünsche durch. Egal, wie skurril die Aufgaben sind: Mischa gibt sich alle Mühe, sie zu erfüllen - immer in der Hoffnung, dass sich vielleicht eines Tages auch sein Vater noch einmal meldet. Mischa lebt mit seiner Mutter in der Personalwohnung eines kleinen Krankenhauses im Schwarzwald, sie ist dort Intensivschwester, arbeitet unentwegt, das Geld ist dennoch knapp. Manchmal reicht es nicht einmal mehr für ein Weihnachtsgeschenk. Doch eines Tages tritt die 17-jährige Sola aus Zaïre in Mischas Leben, und mit ihr beginnt ein aufregendes Abenteuer, das ihm hilft, wieder Mut und neue Hoffnung zu schöpfen ... In diesem Roman geht es um die großen Dinge: Um Liebe und Armut. Um Leben und Tod. Und um die Kunst, nicht nur auf das zu schauen, was wir verloren haben. Sondern auch auf das, was uns bleibt.
Feinsinnig, emotional und voller Humor erzählt Michael Ebert, warum sich Hoffnung immer lohnt.
Dieser Roman ist ein Geschenk für alle, die Wärme und Trost suchen - oder jemand anderem schenken möchten.

Michael Ebert, 1974 in Freiburg geboren, ist Chefredakteur des Süddeutsche Zeitung Magazin und wurde für seine journalistische Arbeit bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In seinem Debütroman »Nicht von dieser Welt« führt er uns an den verwunschenen Ort, an dem er selbst aufgewachsen ist: ein Krankenhaus in einer süddeutschen Kleinstadt.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR24,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR18,99

Produkt

KlappentextEin 13-Jähriger, der über den alten Münzfernsprecher in einem Krankenhaus mit den Toten spricht ... Michael Eberts warmherzig-humorvolles Romandebüt über eine Kindheit in Armut, den Verlust des Vaters - und die tröstende Kraft der Liebe
'Trauer ist Liebe ohne Zuhause ...' Seit sein Vater gestorben ist, erhält Mischa geheimnisvolle Anrufe. Über einen alten Münzfernsprecher melden sich die Toten bei ihm und geben ihre letzten Wünsche durch. Egal, wie skurril die Aufgaben sind: Mischa gibt sich alle Mühe, sie zu erfüllen - immer in der Hoffnung, dass sich vielleicht eines Tages auch sein Vater noch einmal meldet. Mischa lebt mit seiner Mutter in der Personalwohnung eines kleinen Krankenhauses im Schwarzwald, sie ist dort Intensivschwester, arbeitet unentwegt, das Geld ist dennoch knapp. Manchmal reicht es nicht einmal mehr für ein Weihnachtsgeschenk. Doch eines Tages tritt die 17-jährige Sola aus Zaïre in Mischas Leben, und mit ihr beginnt ein aufregendes Abenteuer, das ihm hilft, wieder Mut und neue Hoffnung zu schöpfen ... In diesem Roman geht es um die großen Dinge: Um Liebe und Armut. Um Leben und Tod. Und um die Kunst, nicht nur auf das zu schauen, was wir verloren haben. Sondern auch auf das, was uns bleibt.
Feinsinnig, emotional und voller Humor erzählt Michael Ebert, warum sich Hoffnung immer lohnt.
Dieser Roman ist ein Geschenk für alle, die Wärme und Trost suchen - oder jemand anderem schenken möchten.

Michael Ebert, 1974 in Freiburg geboren, ist Chefredakteur des Süddeutsche Zeitung Magazin und wurde für seine journalistische Arbeit bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In seinem Debütroman »Nicht von dieser Welt« führt er uns an den verwunschenen Ort, an dem er selbst aufgewachsen ist: ein Krankenhaus in einer süddeutschen Kleinstadt.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783641308261
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2023
Erscheinungsdatum13.09.2023
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3965 Kbytes
Artikel-Nr.11382939
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe



In dem Haus, in dem ich aufwuchs, starben jeden Tag Menschen.

Im Herbst wurden die Großmütter eingeliefert, beim Verräumen der Einmachgläser von Trittleitern gefallen, auf nassem Laub mit dem Fahrrad gestürzt, mit gebrochener Hüfte, mit gebrochenem Oberschenkelhals; tapfere Damen, die Schmerzmittel aus Prinzip verweigerten und dennoch keinen Laut gaben, weil sie noch nie in ihrem Leben gejammert hatten und jetzt nicht damit anfangen wollten. Wer zu Großmutter zum Mittagessen kam, ließ nach der Mahlzeit den Teller stehen, sie würde abräumen, wie sie es immer tat. Ihre stille Beflissenheit wurde für selbstverständlich genommen, außer am Muttertag und zum Geburtstag, zu denen man ihr einen Bund schlafender Tulpen aus dem Supermarkt oder eine Packung »Merci« mit einer zurückhaltenden Umarmung überreichte. Die Geschehnisse hatten sich nie um sie gedreht, jedenfalls nicht so wie jetzt, wo sie von zwei Sanitätern aus dem Krankenwagen getragen wurde. Während die Männer versuchten, die Trage möglichst achtsam aus dem Fahrzeug zu schieben, damit sich das Fahrgestell darunter ausklappen konnte, forderte die Großmutter die beiden auf, sie bitte schön in Ruhe zu lassen, »Geht schon wieder!« und »Ich lauf selbst!« - und wollte damit doch nur sagen, dass sie mit all der Aufmerksamkeit nicht umzugehen wusste, man hatte sich schon so lange nicht mehr um sie gekümmert. Eigentlich noch nie.

Fast war ihr der Schmerz diesen kurzen Moment des Gesehenwerdens wert.

Im Winter kamen die Einsamen, denen die kurzen Tage oder die allzu langen Nächte auf ihren alten Höfen im hinteren Sulzbachtal den letzten Lebenswillen genommen hatten, die windhunddürren Junkies, die in einen der eiskalten Bauwagen der Katholischen Jugend im Wald eingestiegen waren und sich da einen Schuss von überraschend reinem Heroin vom Stuttgarter Hauptbahnhof gesetzt hatten, der beim Tox-Screening Fassungslosigkeit bei den Ärzten hinterließ. Es kamen die psychisch Labilen, die sich für ihre Krankheit so sehr schämten, dass sie nach der ersten Diagnose nie mehr beim Arzt waren, und denen jetzt kaum noch zu helfen war. Es kamen jede Menge Fahranfänger, die vom Technischen Hilfswerk oder der Feuerwehr aus zerquetschten Autowracks herausgeschnitten werden mussten, nachdem sie aus einer vereisten Schwarzwaldstraßenkurve geflogen und gegen eine der zahllosen Fichten gerauscht waren.

Im Frühling kamen die Wasserleichen, mit handtellergroßen Löchern im Kopf, auf glitschigem Uferstein ausgerutscht, und die lautlos Ertrunkenen, denen die Kraft ausgegangen war im Waldsee in Sankt Georgen, zur Unkenntlichkeit aufgedunsen, das Schilf in ihrem Haar glich einer schlechten Perücke.

Natürlich starben nicht alle. Es kamen die Allergiker, die rasselnd nach Luft schnappten oder mit ihren angeschwollenen Zungen unverständlich lallten. Aber nach einem Schuss Epinephrin zum richtigen Moment, 300 Mikrogramm, und einem kräftigen Schluck Fenistil waren sie bald wieder auf den Beinen. Dazu die Mountainbikefahrer, die jammerten immer, mit Schürfwunden, gebrochenen Schlüsselbeinen, zerschmetterten Ellenbogenknochen. Die Handwerker mit abgesägten Fingergliedern, die sie in Beuteln voller Eis mit sich trugen. Die Männer mit ausgeschlagenen Zähnen nach Prügeleien vor den Kneipen der Stadt, dem Zodiak oder der Steige 9, Männer mit Leberzirrhosen, die Opfer von Dachlawinen mit zertrümmerten Knien oder Schulterknochen. Dehydrierte Krebskranke, die oft auf den einsamen Bauernhöfen im Umland von ihren Familien versorgt und zwischen den Jahren vergessen worden waren oder die viel zu spät eingeliefert wurden, weil die Angehörigen Angst vor »Weißkitteln« hatten und vor dem technischen Gerät, das sie nicht verstanden und von dem sie fürchteten, dass sein Einsatz unbezahlbar sei. Manchmal liefen Schulkameraden aus den höheren Klassen an mir vorbei, Pärchen, die ich schon auf dem Pausenhof beim Knutschen gesehen hatte. Jetzt kamen sie im Gleichschritt, gebückt vom Gewicht der eigenen Angst auf ihren Schultern, Arm in Arm, in der Hoffnung, hier irgendwo eine »Pille danach« zu kriegen. Das geplatzte Kondom hatten sie in einer kleinen Plastiktüte dabei - als Beweis dafür, dass sie doch zumindest versucht hatten zu verhüten.

Im Sommer, so wie an diesem Tag, kamen die Motorradfahrer. Viele schrien auf dem kurzen Weg aus dem Krankenwagen bis zu einem der Aufzüge, der sie in den OP-Saal im vierten Stock brachte. Sie schrien nicht vor Schmerz, selbst wenn sie unnatürlich verdreht auf der Liege lagen oder nur noch blutige Stümpfe zu sehen waren, wo ihre Beine gewesen waren. Sie schrien, weil sie wissen wollten, ob jemand ihre Maschine gesehen habe, ob ihre Maschine okay sei, wo man ihre Maschine hingebracht habe, sie hätten ein Recht darauf, zu erfahren, wo ihre Maschine sei. »Ist meine Maschine noch ganz?«

Der Notarzt versuchte, die Unfallopfer mit unbeholfenen Lügen zu beruhigen. »Mit Ihrem Motorrad ist alles in Ordnung, Herr, äh ...«

Hilfesuchender Blick zu einem der Rettungssanitäter.

»Wittmann«, ergänzte der.

»Bestimmt alles in Ordnung, Herr Wittmann.«

Wieder ein Blick des Notarztes zum Rettungssanitäter, diesmal verschwörerisch: »Oder, Niklas?«

Und Niklas, der Rettungssanitäter, natürlich: »Hab sie da liegen sehen, Ihre Maschine, Herr Wittmann, sah eigentlich noch gut aus für mich.«

Gute Lügner verpacken ihre Unwahrheiten in so herrlich glitzerndes Silberpapier, dass man sie gar nicht auspacken will. Sie lügen in gelassenem Tonfall, mit vertrauensvollem Blickkontakt, mit beiläufigem Achselzucken. Aber der Notarzt und der Rettungssanitäter Niklas hatten keine Zeit für glitzernde Silberpapier-Lügen. Sie waren damit beschäftigt, Herrn Wittmann auf der Trage und am Leben zu halten, einen zweiten Zugang zu legen und die Cervicalstütze korrekt zu platzieren, damit seine Halswirbelsäule stabilisiert war und er möglichst ruhig lag. Sie logen schlecht, und das merkte auch Herr Wittmann, selbst in seinem Zustand. Also schrie er lauter: Er wolle Antworten, ehrliche Antworten!

Die wollte er natürlich nicht.

Er verlangte nach einer anderen Wahrheit als der Wahrheit. Er verlangte nach einem Zugang zu einer Parallelwelt, die ihm einen Ausweg aus seiner Situation versprach. In der er weiterhin gut gelaunt und nur ein klein wenig zu schnell auf der Landstraße unterwegs sein konnte. Er verlangte nach einer Wahrheit, die ihm erträglich war.

Die Wahrheit, so reimte ich sie mir später aus Bruchstücken zusammen, die ich belauschen konnte: Er hatte sein Motorrad zu Schrott gefahren, als er an seinem freien Tag frühmorgens auf der B 462 etwas zu selbstbewusst einen dunkelblauen Mitsubishi Galant in Richtung Auffahrt zur A 81 überholen wollte und gegen einen entgegenkommenden Sattelschlepper gesteuert war.

Seit dem Zusammenprall blendeten der Schock und die Angst seine Sinne mittagssonnengrell, so sehr, dass er noch keinen Schmerz spürte. Wahrscheinlich wusste Herr Wittmann noch gar nicht, dass er bei dem Unfall beide Beine verloren hatte, obwohl es nicht zu übersehen war. Bestimmt ahnte er auch noch nicht, dass er an diesem Tag sterben würde. Aber weil die eine Tatsache ebenso unfassbar für ihn war wie die andere, ließ sein Verstand in diesem Moment nur die Sorge um sein Motorrad zu, sein vollkommen zerstörtes, sein vollkommen unversehrtes Motorrad, seine Maschine, eine BMW R 100 GS mit 60 PS, auf die er fast zwei Jahre lang wesentliche Teile seines Gehalts als Mechatroniker bei Summer+Lüchtle gespart und die er schließlich für 10 400 Mark gebraucht gekauft hatte, oben auf dem Hardt, von einem Landwirt, der die ängstlichen Blicke seiner Frau nicht mehr aushalten mochte, wann immer er auf das Motorrad gestiegen war. Herr Wittmann, noch keine 31 Jahre alt, verlobt, keine Kinder, hatte zu diesem Moment nur noch etwas mehr als elf Stunden zu leben.

Er schrie aus voller Brust: »Fast zwei Jahre hab ich auf meine Maschine gespart!«

Weil Lügen niemandem weiterhelfen würden und die Wahrheit keine Rolle mehr spielte, schwieg der Notarzt und hängte neben die Jono-Lösung einen HAES-Beutel an. »Schnell, in den Schockraum«, wies er den Sanitäter an. »Die anderen warten schon.«

Bei schlechtem Wetter saß ich drinnen bei den Lastenaufzügen auf einem der Plastikstühle, die ich aus der Cafeteria geklaut und so platziert hatte, dass sie genauso beliebig und nutzlos hingestellt aussahen wie Dutzende andere Stühle im Rest des Hauses auch. Außer mir saß nie jemand auf ihnen. So viele Menschen müssen sich jeden Tag in Krankenhäusern hinsetzen, nie sind ausreichend Sitzgelegenheiten da. Das liegt nicht daran, dass es in Krankenhäusern zu wenig Stühle gäbe. Sie stehen nur immer an den falschen Stellen, weil sie irgendwann einmal anderswo gebraucht oder gedankenlos aus dem Weg geräumt, am Ende eines Flures abgestellt worden waren. Und dort hat man sie dann über die Jahre stehen lassen. Nebensächliches wird an einem Ort, an dem Hauptsächliches verhandelt wird, wie das Leben, wie der Tod, oft ignoriert.

Wenn ich auf einem meiner Stühle saß, legte ich die Füße auf einem der drei Pflanzenkübeln ab, in denen gewaltige Gummibäume steckten. Nie fand ich heraus, ob sie Plastikdekoration oder echte Pflanzen waren, nicht einmal, nachdem ich die Blätter zwischen Daumen und Zeigefinger befühlt hatte.

So gut wie immer trug ich Kopfhörer. Menschen sprechen offen, wenn sie das Gefühl haben, dass man sie nicht hören kann. Mit Kopfhörern wurde ich fast unsichtbar, wo ich sonst...

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