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Metropol

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
432 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am08.10.20191. Auflage
Nach dem internationalen Erfolg von 'In Zeiten des abnehmenden Lichts' kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman. Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Die Hitze ist überwältigend, Stalins Strände sind schmal und steinig und die Reisenden bald beherrscht von einer Spannung, die beinahe körperlich greifbar wird. Es verbindet sie mehr, als sich auf den ersten Blick erschließt: Sie sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den 'Volksfeinden', denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann. 'Metropol' folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat. Ungeheuerlich ist der politische Terror der 1930er Jahre, aber mehr noch: was Menschen zu glauben imstande sind. 'Die wahrscheinlichen Details sind erfunden', schreibt Eugen Ruge, 'die unwahrscheinlichsten aber sind wahr.' Und die Frau mit dem Decknamen Lotte Germaine, die am Ende jenes Sommers im berühmten Hotel Metropol einem ungewissen Schicksal entgegensieht, war seine Großmutter.

 Eugen Ruge wurde 1954 in Soswa (Ural) geboren. Der diplomierte Mathematiker begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Theaterstücken und Hörspielen. Für «In Zeiten des abnehmenden Lichts» wurde er unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Seitdem erschienen die Bände «Theaterstücke» und «Annäherung», die Romane «Cabo de Gata», «Follower» und zuletzt «Metropol».
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextNach dem internationalen Erfolg von 'In Zeiten des abnehmenden Lichts' kehrt Eugen Ruge zurück zur Geschichte seiner Familie - in einem herausragenden zeitgeschichtlichen Roman. Moskau, 1936. Die deutsche Kommunistin Charlotte ist der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerade noch entkommen. Im Spätsommer bricht sie mit ihrem Mann und der jungen Britin Jill auf zu einer mehrwöchigen Reise durch die neue Heimat Sowjetunion. Die Hitze ist überwältigend, Stalins Strände sind schmal und steinig und die Reisenden bald beherrscht von einer Spannung, die beinahe körperlich greifbar wird. Es verbindet sie mehr, als sich auf den ersten Blick erschließt: Sie sind Mitarbeiter des Nachrichtendienstes der Komintern, wo Kommunisten aller Länder beschäftigt sind. Umso schwerer wiegt, dass unter den 'Volksfeinden', denen gerade in Moskau der Prozess gemacht wird, einer ist, den Lotte besser kennt, als ihr lieb sein kann. 'Metropol' folgt drei Menschen auf dem schmalen Grat zwischen Überzeugung und Wissen, Loyalität und Gehorsam, Verdächtigung und Verrat. Ungeheuerlich ist der politische Terror der 1930er Jahre, aber mehr noch: was Menschen zu glauben imstande sind. 'Die wahrscheinlichen Details sind erfunden', schreibt Eugen Ruge, 'die unwahrscheinlichsten aber sind wahr.' Und die Frau mit dem Decknamen Lotte Germaine, die am Ende jenes Sommers im berühmten Hotel Metropol einem ungewissen Schicksal entgegensieht, war seine Großmutter.

 Eugen Ruge wurde 1954 in Soswa (Ural) geboren. Der diplomierte Mathematiker begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Theaterstücken und Hörspielen. Für «In Zeiten des abnehmenden Lichts» wurde er unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Seitdem erschienen die Bände «Theaterstücke» und «Annäherung», die Romane «Cabo de Gata», «Follower» und zuletzt «Metropol».
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644003682
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum08.10.2019
Auflage1. Auflage
Seiten432 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse16402 Kbytes
Artikel-Nr.4416318
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

2 Protokoll einer Verhandlung

- Wassili Wassiljewitsch -

Wassili Wassiljewitsch Ulrich, Vorsitzender des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR, nutzt die kleine Unruhe zwischen zwei Vernehmungen, um unauffällig seinen Hosengurt zu lockern und den Knopf im Bund seiner Uniformhose zu öffnen.

Ja, er ist zu dick, und er wird leider immer dicker. Auf den Fotos von sich, die er seit einigen Tagen unvermeidlich in der Zeitung findet, sieht er aus wie eine Kartoffel in Uniform. Sein Gesicht hat die Form einer Kalebasse, und der zweifingerbreite Oberlippenbart, den er vor einigen Jahren noch schneidig fand, sieht aus wie ein Nachtfalter, der sich unter seine Nase verirrt hat. Die neue Hose ist schon wieder zu eng geworden. Der Gurt, den er festzuzurren pflegt, um stehend schlanker zu erscheinen, schnürt ihm sitzend die Eingeweide ab. Er leidet unter Blähungen, falls es nichts Schlimmeres ist. Trinken tut er auch mehr, als gesund ist, aber was soll man machen.

Wassili Wassiljewitsch ist überarbeitet. Seit Wochen, ja seit Monaten, ist er mit der Vorbereitung dieses Prozesses beschäftigt. Kein Urlaub, kein gar nichts. Auf der Datsche waren sie gerade zwei Mal, oder waren es drei? Und dann gab´s natürlich Krach: Für sein Hobby hat Annuschka leider wenig Verständnis - die Tragik aller Schmetterlingssammler.

Stattdessen: nächtelange Sitzungen. Immer neue Szenarien, immer neue Angeklagte. Zuerst sollten es zehn sein, dann dreizehn, nun sind es sechzehn. Immer wieder hat Stalin Änderungen und Zusätze gewünscht. Immer wieder hat Wyschinski die Anklageschrift umgeschrieben. Immer wieder sind mit den Beschuldigten neue Fassungen ihrer Geständnisse vereinbart worden: mit dem müden Sinowjew, der echte Schwierigkeiten hat, sich zu konzentrieren; mit dem aufmüpfigen Smirnow, der um jedes Detail zäh verhandelt hat. Ein fragiles Gespinst aus Treffen und Übergaben und Direktiven, Wassili Wassiljewitsch sieht selbst kaum noch durch.

Nur muss er die Verhandlung leiten. Öffentlich! Stalins Idee: ein öffentlicher Prozess! Die Vernehmungsprotokolle werden täglich in der Prawda abgedruckt, das muss man sich einmal vorstellen! Und auch wenn die Mitschriften täglich redigiert werden (nach Verhandlungsschluss, in endlosen nächtlichen Sitzungen), muss man sich ja mehr oder weniger am tatsächlichen Wortlaut orientieren, denn immerhin haben dreihundert Leute im Saal zugehört, darunter sogar ausländische Journalisten - die allerdings zumeist kein Russisch verstehen.

Das Schlimmste aber ist, dass er, Wassili Wassiljewitsch, bei alldem kaum etwas zu sagen hat. Das große Wort führt Staatsanwalt Wyschinski, ein eitler und arroganter Mensch, der das absolute Vertrauen Stalins genießt und ihn, Wassili Wassiljewitsch, für seine Einwände regelmäßig vor versammelter Mannschaft heruntermacht. Es ist Wyschinskis Prozess. Wassili Wassiljewitsch, obwohl Vorsitzender Richter, spielt eine Nebenrolle. Was sich auch darin ausdrückt, dass er buchstäblich am Rande sitzt. Sollte der Vorsitzende Richter nicht in der Mitte des Tisches sitzen, hat er Wyschinski gefragt, wie es den juristischen Gepflogenheiten entspricht? Wyschinskis Antwort ein Schlag in den Magen:

Woher kennen Sie denn die juristischen Gepflogenheiten?

Er weiß es, denkt Wassili Wassiljewitsch. Die Frage ist: Hat er es Stalin erzählt? Obwohl Stalin es wahrscheinlich sowieso weiß. Eine seiner Haupteigenschaften: dass er alles weiß, sich alles merkt.

Nathan Lurie hat sich gesetzt. Nun ist Wassili Wassiljewitsch dran. Seine bescheidene Aufgabe: den nächsten Angeklagten nach vorn zu rufen, Moissej Lurie. Auch so eine Idee: zwei Luries in einem Prozess. Was ist das hier, eine jüdische Posse? Angeblich wollte Stalin diesen zweiten Lurie noch unbedingt haben, um die ehemaligen Vorsitzenden der KPD gleich mitzubelasten: Fischer und Maslow - die sich aber gar nicht in Reichweite der sowjetischen Justiz befinden und wahrscheinlich nie mehr befinden werden. Wozu also das Theater?

Der Angeklagte ist vorgetreten. Ein mittelgroßer, schlanker Mann, schmale Hände, hohe Stirn. Ausländischer Anzug. Die Haare noch makellos schwarz, aber Geheimratsecken. Professor für Geschichte und was war das noch mal: Altphilologie? Wozu braucht man so was, solange die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln noch nicht vollständig gewährleistet ist? Kurz, der Mann ist Wassili Wassiljewitsch unsympathisch. Schon wie er sich die Manschetten zurechtzupft! Mit seinen Händchen.

Wassili Wassiljewitsch blättert in den Akten, als gäbe es da noch etwas zu entdecken. In Wirklichkeit probt er innerlich die Tonlage. Die Frage, die er zu stellen hat, lautet:

Angeklagter Lurie, halten Sie die Aussagen, die Sie in den Voruntersuchungen gemacht haben, in vollem Umfang aufrecht?

Der Angeklagte räuspert sich, beugt sich nach vorn, sodass seine Augen vom Richterpult aus nicht zu erkennen sind. So verweilt er eine Sekunde. Zwei Sekunden ... drei ... Wassili Wassiljewitsch hält den Atem an. Irgendetwas, wahrscheinlich das Blut, schießt ihm in den Kopf ... Jetzt passiert es, denkt Wassili Wassiljewitsch. Jetzt ...

Aber dann, endlich, richtet der Angeklagte sich auf und sagt: Ja. Höflich und freundlich, einfach nur: Ja.

Wassili Wassiljewitsch überlegt kurz, ob er den Angeklagten auffordern soll, im ganzen Satz zu antworten, aber nein, er ist froh, dass er mit seinem Part fertig ist, und übergibt an Wyschinski. Der Staatsanwalt, wie immer, kann es kaum erwarten, springt auf, sprudelt los, filmreif, mit fester Stimme:

Angeklagter Lurie, sagen Sie bitte, welche konterrevolutionären Schritte Sie in Ihrer terroristischen Tätigkeit unternommen haben?

Der Angeklagte zupft an seinen Manschetten und beginnt, seinen Text aufzusagen. Wassili Wassiljewitsch atmet durch, erleichtert. Gewiss, für den Fall, dass hier jemand seine Aussage widerruft oder gar anfängt, die sowjetische Justiz zu beschimpfen, existiert ein Plan. Man hat extra ein paar Leute im Saal verteilt, die anfangen würden zu lachen oder im äußersten Fall einen Tumult inszenieren würden, damit er, Wassili Wassiljewitsch, die Verhandlung unterbrechen kann. Aber weiter hat niemand gedacht, nicht denken wollen.

Auch Wassili Wassiljewitsch mag nicht weiterdenken. Allerdings ist ihm irgendwie klar, dass das Problem damit nicht gelöst wäre. Was, wenn ein Angeklagter auch nach der Sitzungspause nicht wieder zu Verstand kommt? Ein Albtraum! Soll man den Mann verschwinden lassen - vor den Augen der Weltöffentlichkeit?

Wenn es nach ihm gegangen wäre, nach Wassili Wassiljewitsch, dann hätte man alles ganz anders gemacht. Höchstens drei Angeklagte. Zuverlässige Leute, bei denen man sicher sein kann, dass sie hier kein Theater machen. Sinowjew, dieses winselnde Elend. Der ist fertig. Der würde Stalin den Hintern ablecken, so fertig ist der. Den hätte man gar nicht mehr in die überheizte Zelle zu sperren brauchen. Nachher klappt der noch ab mit seinem Herzfehler. Sinowjew will nichts mehr, nur leben. Und wahrscheinlich glaubt der im Ernst, dass man ihn leben lässt, wenn er mitspielt.

Die Stimme des Staatsanwalts, wie eine Kreissäge: Ich erwarte Ihre Ausführungen über Ihre praktischen Schritte in diese Richtung.

Jetzt fällt ihm ein: Heute Nacht hat er davon geträumt. Von Wyschinskis Stimme. An Wyschinksi selbst erinnert er sich merkwürdigerweise nicht. Nur an die Stimme. Als würde etwas in seinem Innern zersägt. Dann wachte er auf und war froh, Annuschkas dicken, warmen Körper neben sich zu finden, das heißt: Er war froh, dass dieser Körper so dick war, so zum Sich-drin-Verkriechen.

Vorsichtig schmiegte er sich an, denn natürlich weiß er, dass sie seine Nähe im Schlaf nicht erträgt, ihn fortstößt, ja sogar nach ihm schlägt ... Und das tat sie dann auch. Und er, Wassili Wassiljewitsch, kroch wieder auf seine Seite - die Betten im Hotel Metropol sind groß -, legte sich auf den Rücken und fühlte sich so einsam, dass es ihm die Kehle zusammenzog.

Die Kreissäge: Sagen Sie bitte, standen Sie mit Nathan Lurie in Verbindung?

Der Angeklagte, ohne zu zögern: Ja, ich stand mit Nathan Lurie ungefähr vom April 1933 bis zum 2. Januar 1936 in Verbindung.

Absurd, wieso ausgerechnet bis zum 2. Januar 1936?, denkt Wassili Wassiljewitsch. Woher weiß er das so genau? Ein richtiger Staatsanwalt müsste jetzt nachfragen. Tut er aber nicht. Oder wäre das seine Aufgabe, als Richter?

Kannten Sie Nathan Lurie als Mitglied der illegalen trotzkistischen Organisation?

Der Angeklagte: Ganz recht.

Wussten Sie, dass Nathan Lurie sich zu jener Zeit mit der Vorbereitung einer Reihe von Terrorakten beschäftigte?

Der Angeklagte: Vollkommen richtig.

Wassili Wassiljewitsch braucht einen Moment, um zu verstehen, was ihm eigentlich missfällt: So sieht kein reuiger Angeklagter aus. So benimmt sich doch niemand, der damit rechnen muss, dass er zum Tode verurteilt wird. Trällert hier seinen Text herunter wie eine Feldlerche. Oder hofft dieser Mensch, dass die ausländischen Journalisten...
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Eugen Ruge wurde 1954 in Soswa (Ural) geboren. Der diplomierte Mathematiker begann seine schriftstellerische Laufbahn mit Theaterstücken und Hörspielen. Für «In Zeiten des abnehmenden Lichts» wurde er unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Seitdem erschienen die Bände «Theaterstücke» und «Annäherung», die Romane «Cabo de Gata», «Follower» und zuletzt «Metropol».