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Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Rowohlt Verlag GmbHerschienen am12.04.20221. Auflage
Das schmutzige Geschirr, die Tabellenkalkulation fürs dritte Quartal oder die ungenutzte Mitgliedschaft im Fitnessclub - überall findet das schlechte Gewissen reichlich Nahrung. Dabei ist es ganz normal, Dinge vor sich herzuschieben. Kathrin Passig und Sascha Lobo verraten, wie man sich dem Druck endloser To-do-Listen, E-Mails, Anfragen und Verpflichtungen entziehen kann und sich die Freude an dem, was man tut, bewahrt. Ein ebenso provokatives wie brillant geschriebenes Lob der Disziplinlosigkeit. 

Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet - Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDas schmutzige Geschirr, die Tabellenkalkulation fürs dritte Quartal oder die ungenutzte Mitgliedschaft im Fitnessclub - überall findet das schlechte Gewissen reichlich Nahrung. Dabei ist es ganz normal, Dinge vor sich herzuschieben. Kathrin Passig und Sascha Lobo verraten, wie man sich dem Druck endloser To-do-Listen, E-Mails, Anfragen und Verpflichtungen entziehen kann und sich die Freude an dem, was man tut, bewahrt. Ein ebenso provokatives wie brillant geschriebenes Lob der Disziplinlosigkeit. 

Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet - Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783644015685
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum12.04.2022
Auflage1. Auflage
Reihen-Nr.62424
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2902 Kbytes
Artikel-Nr.9225043
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Übernächster Mittwoch ist auch noch ein Tag

Wissenswertes über Prokrastination


«Ein anderes Wort, das gerade erst dabei ist, in die deutsche Sprache einzudringen, und seinen bislang noch geringen Bekanntheitsgrad binnen weniger Jahre erheblich steigern wird, ist die Prokrastination. Der Begriff bezeichnet ein nicht zeitmangelbedingtes, aber umso qualvolleres Aufschieben dringlicher Arbeiten in Verbindung mit manischer Selbstablenkung, und zwar unter Inkaufnahme absehbarer und gewichtiger Nachteile.»

(Max Goldt: «Prekariat und Prokrastination», 2006)


Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne. Ein großer Teil der Menschen draußen auf der Straße und ein noch größerer Teil der Menschen, denen man nicht auf der Straße begegnet, weil sie Besseres zu tun haben, schiebt alle möglichen anstehenden Aufgaben auf. Sie tragen den Müll nicht hinunter, sie tapezieren schon seit Monaten den Flur nicht, sie öffnen die Post selten, sie bringen dieses und jenes Projekt nicht zu Ende, sie rufen nicht zurück und hätten längst die Tabellenkalkulation für das dritte Quartal fertig machen müssen. Trotzdem sind sie nicht unbedingt faul, nicht alle dumm, nicht sämtlich bösartig, obwohl das die häufigsten Unterstellungen sind, mit denen sie zu kämpfen haben. Sie prokrastinieren, ein angenehmeres Wort für Aufschieben. «Cras» (morgen) ist die Wurzel des lateinischen Wortes crastinus (dem morgigen Tag zugehörig). «Prokrastinieren» (im Englischen erstmals 1588 erwähnt) bedeutet also wörtlich übersetzt: für morgen lassen. Und bis morgen kann es noch sehr lange hin sein. Wir haben diese Menschen weitgehend ohne Hintergedanken LOBOs getauft. Das steht für Lifestyle Of Bad Organisation beziehungsweise dessen Anhänger.

Prokrastination ist nicht auf spezielle Tätigkeiten oder Aufgaben begrenzt. Im Prinzip lässt sich alles Machbare aufschieben, sogar vollkommen Unumgängliches kann man bequem unterlassen. Die Konsequenzen sind breit gefächert. Oft passiert nichts. In schlimmeren Fällen steht ein LOBO vor der eigenen Wohnungstür und kann sie nicht aufschließen, weil jemand, der seine Berechtigung aus der kalten Wut des missachteten Apparates herleitet, ein anderes Schloss eingebaut hat. Oder Kolleginnen und Freunde ziehen Konsequenzen und wenden sich ab. Oder Strom, Gas, Wasser, Telefon oder Internet sind plötzlich abgestellt.

Diese Folgen sind der prokrastinierenden Person nicht unbekannt und in der Regel für sie ebenso unbequem wie für die meisten anderen Menschen. Sie weiß auch, dass man den Schaden vermutlich abwenden könnte, wenn man den Stapel Briefe im Flur einfach doch öffnen würde. Dennoch hält sie eine Macht davon ab. Oft wird angenommen, es handle sich dabei um Angst. Das mag manchmal stimmen, scheint aber nicht die Regel zu sein. Der wahre Grund, etwas scheinbar Notwendiges nicht zu tun, liegt in der Natur des Menschen. Tief im Innern wissen wir, dass Notwendigkeiten stets eine Einengung darstellen, die das Wohlbefinden einschränkt. Das Streben nach Glück bringt ein Streben nach weitestgehender Reduktion von Zwängen mit sich, also werden selbst vorgebliche Notwendigkeiten infrage gestellt und praktisch überprüft. Das Ergebnis ist eine unbewusst ablaufende Abwägung: Soll man jetzt einen Moment der sicheren Unannehmlichkeit verbringen - oder später einen weniger wahrscheinlichen, dafür eventuell deutlich problematischeren Moment?

Mit der Frage, warum diese Abwägung so oft zugunsten des Aufschiebens ausgeht, befassen sich unterschiedliche Fachbereiche seit den 1980er-Jahren. Woran es liegt, dass dieses Thema bis dahin trotz seiner Allgegenwart nicht erforscht wurde und warum die Wissenschaft die Prokrastination dann doch noch entdeckte, ist eine interessante Frage, die dringend von anderen Menschen als uns untersucht werden sollte. Es könnte damit zu tun haben, dass moralische Urteile allgemein nicht der Weg zu schnellen Forschungsfortschritten sind: Die Medizin- und Psychologiegeschichte ist nicht arm an Beispielen für Erkenntnisbehinderung durch die Idee, die Betroffenen müssten sich einfach nur mal ein bisschen zusammenreißen - Depressionen, Phobien, sexuelle Abweichungen, Essstörungen, sogar Schizophrenie und Autismus galten noch vor nicht allzu langer Zeit als solche Fälle. Vielleicht musste Prokrastination erst als Phänomen erkannt werden, hinter dem mehr und Interessanteres steckt als nur schlechte Manieren. In den letzten Jahrzehnten sind jedenfalls um die 1000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Prokrastination entstanden. Insbesondere seit Ende der 1990er-Jahre wurde endlich auch experimentell und mithilfe von Umfragen erforscht, wie sich der Aufschiebetrieb bei Studierenden bemerkbar macht. Untersuchungen an halbwegs repräsentativen Bevölkerungsstichproben sind selten, weil mühsamer durchzuführen, aber auch hier liegen erste Ergebnisse vor.

Einigkeit herrscht darüber, dass zumindest in den bisher untersuchten Ländern große Arbeitsberge herumgeschoben werden: 75 bis 95 Prozent aller Studierenden geben in Umfragen an, wenigstens hin und wieder zu prokrastinieren, fast 50 Prozent verschieben regelmäßig Aufgaben. Bei Studierenden nehmen Prokrastinationstätigkeiten etwa ein Drittel der wachen Tageszeit ein. Nach dem Studium bessert sich die Lage, aber um die 20 bis 25 Prozent der Gesamtbevölkerung prokrastinieren weiterhin regelmäßig. Zumindest zwischen den USA, Großbritannien, Australien, Spanien, Peru und Venezuela lassen sich dabei keine Unterschiede feststellen. Die häufig vorgebrachte These «Wenn man erst mal Kinder hat, kann man es sich gar nicht mehr leisten, irgendwas vor sich herzuschieben» wird von den vorhandenen Untersuchungen nicht gestützt; die An- oder Abwesenheit eigener Kinder spielt offenbar keine Rolle.

«Dass die Sache mit Kindern nicht besser wird, kann ich bestätigen. Kinder sind der beste Grund zum Aufschieben und sind als Rechtfertigung für Aufschieben oder Bleibenlassen auch sozial anerkannt: Was ich trotzdem hinkriege, wird meist umso freudiger begrüßt. Das nutzt sich nach und nach etwas ab und ist auch ungerecht, weil ich im Hinblick auf meine Berufstätigkeit Fremdbetreuung für die Kinder ganz gut organisiert habe. Ich kann jetzt noch 13 Jahre aufschieben, bis auch das letzte Kind aus dem Haus ist.»

(Angela Leinen)

Frauen prokrastinieren genauso viel wie Männer, Verheiratete so viel wie Unverheiratete, Menschen mit Hochschulabschluss auch nicht mehr als andere. In Firmen wird mehr aufgeschoben als unter Selbstständigen. Ob die Prokrastination insgesamt auf dem Vormarsch ist, lässt sich nicht feststellen, denn erstens fehlt es an historischen Daten, und zweitens wäre selbst bei besserer Datenlage kaum zu entscheiden, ob wirklich immer mehr prokrastiniert wird oder ob sich die Einstellung zur Prokrastination geändert hat. Denkbar wäre zum Beispiel, dass es heute leichter fällt als früher, Aufschiebeprobleme einzugestehen.

Ein Hang zur Prokrastination kommt und geht nicht wie Schnupfen, sondern scheint ein recht stabiles Persönlichkeitsmerkmal zu sein. Testpersonen, die man zweimal denselben Prokrastinationstest ausfüllen lässt, erzielen ähnliche Ergebnisse, auch wenn zwischen den beiden Tests Jahre liegen. Aus Zwillingsstudien geht hervor, dass wohl eine genetische Komponente im Spiel ist, denn eineiige Zwillinge ähneln sich in ihren Aufschiebegewohnheiten deutlich stärker als zweieiige. Unter ungünstigen Bedingungen (nämlich vor allem während des Studiums) wird mehr prokrastiniert, aber im Laufe des Lebens ändert sich am Aufschiebeverhalten nicht viel. Im besten Fall entwickelt man gewisse Kompensationsfähigkeiten.

Über die Ursachen der Prokrastination hat man sich in der Forschung bisher nicht geeinigt. Bis auf Weiteres können sich daher alle ein maßgeschneidertes Ursachenportfolio aus den verschiedenen Erklärungsmodellen zusammenstellen. Etwas Besseres als «Prokrastination ist Faulheit» finden wir überall! Aber erwarten Sie sich vom folgenden Überblick nicht zu viel. Die Ursachen für die eigenen Aufschiebegewohnheiten erkennen oder sie zu erkennen glauben, nutzt so gut wie gar nichts.

Prokrastination ist eine schlechte Angewohnheit.

Den Thesen des Behaviorismus zufolge läuft bei der Prokrastination eine «operante Konditionierung» ab: Man verschleppt zwei-, dreimal eine Aufgabe, stellt fest, dass nichts Schlimmes passiert, und wird auf der Stelle zu einem gewohnheitsmäßig prokrastinierenden Menschen. Dass dieser Mechanismus im Prinzip funktionieren könnte, liegt auf der Hand. Ob Prokrastinierende aber tatsächlich auf diese Art gemacht werden, ist nicht überprüft. Dass Prokrastination sich als stabiles Persönlichkeitsmerkmal zeigt, spricht eher gegen die Theorie.

Wer prokrastiniert, hat Angst vor dem Versagen. Oder vor dem Erfolg.

Aus «Counseling the Procrastinator in Academic Settings», einem Buch von Jane Burka und Lenora Yuen über Prokrastination an Universitäten, erfahren wir, dass Aufschiebeverhalten weder eine schlechte Gewohnheit noch moralisches Versagen darstellt. Aber das ist noch lange kein Grund, sich beruhigt zurückzulehnen, denn stattdessen handelt es sich um «ein komplexes psychologisches Problem, das auf Angst beruht» sowie - beide Autorinnen sind Psychologinnen - um die Folgen traumatischer Kindheitserlebnisse. Der Psychologe und Studierendenberater Henri Schouwenburg merkt allerdings an,...
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Autor

Kathrin Passig, geboren 1970, ist eine Vordenkerin des digitalen Zeitalters. Sie ist Mitbegründerin der Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin sowie des Blogs «Techniktagebuch». 2006 gewann sie in Klagenfurt sowohl den Bachmann-Preis als auch den Publikumspreis. Die «Sachbuchautorin und Sachenausdenkerin» (Passig über Passig) veröffentlichte u. a. 2007 das «Lexikon des Unwissens» (mit Aleks Scholz) und 2012 «Internet - Segen oder Fluch» (mit Sascha Lobo). 2016 wurde Kathrin Passig mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay ausgezeichnet.Sascha Lobo, geboren 1975, ist Strategieberater, hält regelmäßig Fach- und Publikumsvorträge und veröffentlicht auf "Spiegel Online" wöchentlich seine Kolumne "Mensch-Maschine" über die digitale Welt. 2006 erschien "Wir nennen es Arbeit" (mit Holm Friebe), 2008 "Dinge geregelt kriegen" (mit Kathrin Passig).