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Annuschka Blume

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
256 Seiten
Deutsch
Residenz Verlagerschienen am06.09.2011
Dieses Buch steckt voller Wunder! Ein Roman, der vor Seele, vor Liebe, Pathos, Witz und Farben nur so trieft. Annuschka lebt als Lehrerin in der ukrainischen Provinz, Piotr ist Journalist und Weltenbummler und immer weit, weit weg, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Steppe und Bergen. Wie es ja auch keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau, Glück und Unglück, hier und dort. Kommt nur darauf an, wie weit man sich von den nüchternen Tatsachen entfernt. Und das tun die beiden mit Begeisterung und Leidenschaft, indem sie sich Briefe schreiben. Schreiben? Sie zünden sie wie Raketen, schießen sich und die Welt ins All, und von dort aus schauen die Dinge tatsächlich etwas anders aus, als wenn man auf dem Boden bleibt. Und so schweben sie und schwärmen sie und berauschen sich und erzählen einander Geschichten, die so witzig sind und zugleich so traurig, denn - wo ist da der Unterschied? Das ist wahrlich kein Buch für Musterschüler und Bürokraten. Hände weg!

Annuschka Blume, geboren 1981 in Odessa (Ukraine), studierte dort Germanistik und lebt heute nach Aufenthalten in Krakau und Dublin in Mainz. Sie schreibt seit 1996 auf Deutsch. Zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2009 wurde sie mit dem Frau-Ava-Literaturpreis ausgezeichnet. 'Annuschka Blume' ist ihr erster Roman. 2013 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
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Produkt

KlappentextDieses Buch steckt voller Wunder! Ein Roman, der vor Seele, vor Liebe, Pathos, Witz und Farben nur so trieft. Annuschka lebt als Lehrerin in der ukrainischen Provinz, Piotr ist Journalist und Weltenbummler und immer weit, weit weg, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Steppe und Bergen. Wie es ja auch keinen Unterschied gibt zwischen Mensch und Tier, Mann und Frau, Glück und Unglück, hier und dort. Kommt nur darauf an, wie weit man sich von den nüchternen Tatsachen entfernt. Und das tun die beiden mit Begeisterung und Leidenschaft, indem sie sich Briefe schreiben. Schreiben? Sie zünden sie wie Raketen, schießen sich und die Welt ins All, und von dort aus schauen die Dinge tatsächlich etwas anders aus, als wenn man auf dem Boden bleibt. Und so schweben sie und schwärmen sie und berauschen sich und erzählen einander Geschichten, die so witzig sind und zugleich so traurig, denn - wo ist da der Unterschied? Das ist wahrlich kein Buch für Musterschüler und Bürokraten. Hände weg!

Annuschka Blume, geboren 1981 in Odessa (Ukraine), studierte dort Germanistik und lebt heute nach Aufenthalten in Krakau und Dublin in Mainz. Sie schreibt seit 1996 auf Deutsch. Zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2009 wurde sie mit dem Frau-Ava-Literaturpreis ausgezeichnet. 'Annuschka Blume' ist ihr erster Roman. 2013 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701742066
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2011
Erscheinungsdatum06.09.2011
Seiten256 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2343 Kbytes
Artikel-Nr.2750868
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Liebe Anna Konstantinowna,

es wird ein langer Brief werden. So einen Brief haben Sie in Ihrem Leben noch nicht bekommen. Sollten Sie ihn gewogen haben, haben Sie sicher bemerkt, dass er exakt das Gewicht einer Woche hat: dreißig Gramm! Ist das nicht entzückend?

Wie Sie wissen, hat man mich in die Berge geschickt, in die Alpen, auf eine Höhe von tausendvierhundertfünfzig Metern, um zu beweisen, dass es keinen Unterschied gibt zwischen Bergen und Steppe. Dieser kühne Gedanke ist mir in einem Traum gekommen, den ich später bei einem Glas Birkenschnaps Iwan Iwanitsch erzählte, der ihn wiederum Wassilij Anatoljewitsch erzählte, der ihn, außer sich vor Empörung, Konew weitererzählt hat, dem Landwirtschaftsminister unserer ukrainischen Kornkammer. Und Konew war es schließlich, der sich den Scherz erlaubte, mich zum Zwecke der Forschung unbefristet in die Verbannung zu schicken. Kehre ich mit Berichten zurück, die kaum überzeugen, ist es um meinen kahlen Kopf geschehen. Wahrlich, wie im Märchen! Das macht aber nichts, ich habe ja nicht vor zurückzukommen. Und forschen würde ich nur im Namen der Poesie. Ja, wo ich schon einmal hier bin, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als zu forschen. Ich kann gar nicht anders. Irgendetwas zwingt mich dazu, Vergleiche anzustellen, Unterschiede, so gravierend sie sein mögen, zu einer vollkommenen Ähnlichkeit zu verschmelzen, in den Bergen die Steppe zu sehen.

Es gefällt mir hier recht gut, liebe Anna Konstantinowna. Ich war zuvor noch nie in den Bergen, und Schnee sehe ich zum ersten Mal seit Jahren. Es schneit ja nie bei uns, nur wenn wir schlafen vielleicht, und am nächsten Morgen ist überall nur Dreck. Hier jubelt mein Herz vor Entzücken. Bei Gott, ich würde diesen Schnee essen, wenn ich nicht so einen empfindlichen Magen hätte.

Ich schreibe Ihnen, liebe Anna Konstantinowna, aus einem Zimmer mit dicken Wänden und kleinen Fenstern mit Sprossen, die in der Mitte ein Kreuz bilden. Dieses Kreuz wird von zwei durchsichtigen Gardinen mit Spitzensaum umrahmt. Wenn ich es lange genug anschaue und dann die Augen fest schließe, was ich gerade getan habe, sehe ich dieses Fenster hinter meinen Augenlidern wieder. Der Schnee ist schwarz, und das Kreuz ist weiß und wird immer weißer, je länger ich es fixiere, bis es schließlich blutrot ist. Die Spitzengardine bildet die Hälften einer Sanduhr, rechts und links. Mache ich die Augen noch fester zu, kann ich sogar ihr Saummuster erkennen. Es ist wie Flaum, lodernder Flaum. Wenn ich mir Ihr Bild so einprägen könnte, wenn es in meinen Augen nur so brennen könnte!

Ab und zu gehe ich an eines dieser Fenster und schaue hinaus und stelle mir vor, Sie bögen um die Ecke und sähen mich am Fenster stehen. Ich schaue so lange hinaus, bis meine Augen zu schmerzen beginnen. Dann kehre ich zurück zu meinem Brief, auf dem weiße Buchstaben in einer Substanz aus schwarzem Nebel zittern, und warte, bis sie sich beruhigt haben, ehe ich Ihnen weiter schreibe.

Anna Konstantinowna, ich wiederhole mich, indem ich Ihren Namen so oft wiederhole. Aber was kann ich tun, wie soll ich Sie sonst nennen? Und ich möchte Sie nennen, ich möchte es ausdrücklich. Da ich hier selten mit jemandem rede, rutscht er mir einfach so heraus, an allen möglichen Orten: in den Bergen, in den stolzen Bergen, in den einsamen Bergen, in den gefährlichen Bergen, in den Bergen mit dem blendenden Schnee, in den Bergen mit den Tannen, die in diesem teuflischen Licht schwarz erscheinen. Ihr Name, Anna Konstantinowna, ich rufe Ihren Namen so laut ich nur kann. Ich rufe ihn den Tannen zu, ich rufe ihn den Bergen zu, in alle Himmelsrichtungen rufe ich ihn. Ich drehe mich im Kreis. Ich drehe mich, und ich falle, Anna Konstantinowna.

Wo ich da so lag, spürte ich die flache Landschaft um mich. Ich spürte, wie die Weite sich zusammendrängte und vor mir aufbäumte, um sich wieder aufzulösen, wieder und wieder. Ich schloss die Augen und hörte das anhaltende Tosen des Schwarzen Meeres, unseres Meeres, in das die Steppe mündet. Auf einmal war ich zu Hause und lag im Gras, aufgewühlt von der spürbaren Nähe des Meeres und besänftigt von seiner Gegenwart. Und ich fragte mich, wo ich da so lag: Heimat, was ist das? Was ist Weite, und was ist Enge, und warum empfindet man so oder so?

All das ging mir im Kopf herum, als ein betagter Mann aus dem Dorf vor mir stehen blieb, sich bückte und mich auf die Beine stellte und etwas von Lawinengefahr sagte. Warum er wohl hier geblieben ist, hier, in der luftigen Enge, wo das Leben so viel härter ist als im Tal? Warum sie alle von Generation zu Generation dem Beispiel ihrer Vorfahren folgen, die mit ihren Kühen hier heraufklettern mussten? Warum bleiben sie jetzt noch in ihren dicken alten Häusern sitzen, wo sie doch schon seit Jahrhunderten die Gelegenheit haben, hinunterzugehen ins Tal? Auch wenn es keinen Fremdenverkehr und keinen Skisport hier gäbe, würde sie nichts hinunterkriegen. Auf jeden Fall nicht diesen Mann, so zäh und zufrieden, wie er aussah. Das dachte ich.

Der alte Mann ⦠Sein braunes, faltiges Gesicht passte gut zu der massiven Gebirgslandschaft. Die Nase, breit und kurz, glänzte genauso wie sein mit Kückenflaum spärlich bewachsener Schädel. Mit dr Laula darfscht net schpiela! , drohte er mit dem Zeigefinger. Diese Drohung war mehr eine Mahnung, die weniger mir galt als einem Kind, das schon vor Jahrzehnten in der hitzigen Umarmung einer Lawine umgekommen sein muss, vielleicht auch einem Schulfreund, der Ambros oder Oswald oder Leopold geheißen hat.

Ich nickte. Ich nicke gern. Ich fühle mich dadurch weder kleiner noch ärmer, vielleicht etwas leichter. Ach, ich nicke übertrieben oft, schon zu Hause war das nicht anders. Kaum fängt jemand an, etwas zu erzählen, kann ich mich schon nicht mehr beruhigen, bis es mir und dem Erzähler von meinem Nicken ganz schwindlig wird. Manchmal vergesse ich mich dabei derart, dass ich mit herausgestreckter Zunge in Schlaf falle, was recht unhöflich und unschön ist. Also nickte ich einmal und gab dem alten Bergmann meinen Segen. Es wurde mir warm ums Herz, und so ging ich meines Weges.

Die Sonne schien, ganz sicher, nur nicht auf die Erde. Ich ging und stellte mir vor, wie die Sonne mit ihren langen spitzen Strahlen über die Wolkendecke tastet und sie irgendwo, nicht hier, wie eine Eisschicht mit einem ihrer Strahlenbeine durchstößt. Irgendwo, aber nicht hier. Das stellte ich mir vor auf dem Weg zu dem einzigen Trinklokal im Dorf. Ich ging und ging, und es wurde blau. Unten im Tal würde ich dunkel sagen, aber hier ist es blau. Blau werdendes Weiß, poetisch ausgedrückt, aber auch darüber könnte man streiten. Die Maler haben ja ihre eigenen Begriffe dafür. Sie reden von Farbkreis und Farbkontinuum und stützen sich auf große Philosophen und Mystiker. Die Physiker haben nicht weniger aufregende Vorstellungen von Licht und Farbe. Sie reden von farb- und lichtempfindlichen Zellen im Auge, was nahe legt, dass es Licht und Farben tatsächlich gibt. Wir gewöhnlichen Sterblichen, wir können uns jedoch auf nichts verlassen, wir wollen gar keine Beweise dafür, dass blau blau ist. Beweise müssen von Beweisen bewiesen und die wiederum von anderen Beweisen bewiesen werden, und so geht das ad infinitum, bis man blau wird. Darum ist blau niemals blau. Und ich gehe auch nicht, ich stehe. Eben ging ich noch, und jetzt stehe ich. Aber vielleicht gehen meine Beine immer noch, in einer anderen Sphäre.

Ich ging also (Tatsache, weil ich einmal stolperte und mit dem Gesicht in den Schnee fiel) und stellte mir dabei vor, wie die Geister der Murmeltiere, die hier, wie ich später erfuhr, Buuramänta heißen, sich vor mir aufbäumend meinen Weg säumen, rechts und links, wie gotische Chimären. Ich sah sie um mich, ihre klugen Kugelaugen, getrocknetes Gras im Muul . Ich sah sie, sie waren da, und nichts kann das widerlegen. Anna Konstantinowna, auch Ihre Katze war da, Ihre verstorbene Katze, der Sie kurz vor ihrem Tod alle dreißig faulen Zähne haben ziehen lassen. Auch sie stellte sich auf die Hinterpfoten wie die anderen und riss ihren gigantischen Rachen auf, mich zu grüßen. Ich grüßte sie zurück, indem ich gähnte.

Ich näherte mich der Trinkstube, und schon von Ferne erkannte ich, dass es Petroleumlampen oder Kerzen waren, die da brannten. Ich blieb vor den Fenstern stehen. Scherenschnittähnliche Gestalten führten Gläser zum Mund, schüttelten beim Trinken ihr fehlendes oder dürres Haar, neigten sich beim Reden zueinander, schnitten beim Lachen Halbmonde in ihre Gesichtsprofile, ließen Mund geblasene Kugeln langsam durch den Raum schweben. Wie verzaubert stand ich da. Wenn es nicht so kalt und mein Durst nicht so groß gewesen wäre, hätte ich so Stunden verbringen können, Tage.

Ich trat ein, und alles wurde plötzlich gelb. Auch darüber kann man streiten, denn Gelb ist eine der listigsten Farben, wenn es sie überhaupt gibt. Zum Beispiel die Sonne: Schaut man sie nicht an, ist sie gelb. Schaut man sie an, wird sie schwarz, und alles andere um sie herum nimmt ihre wahre Farbe an. Ob es Gelb ist, kann...
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Autor

Annuschka Blume, geboren 1981 in Odessa (Ukraine), studierte dort Germanistik und lebt heute nach Aufenthalten in Krakau und Dublin in Mainz. Sie schreibt seit 1996 auf Deutsch. Zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften und Anthologien. 2009 wurde sie mit dem Frau-Ava-Literaturpreis ausgezeichnet. "Annuschka Blume" ist ihr erster Roman.2013 erhielt sie den Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung.