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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
176 Seiten
Deutsch
Residenz Verlagerschienen am01.09.20131. Auflage
Barbara Frischmuth ist eine Meisterin der stilistischen Vielfalt: Mit viel Einfühlungsvermögennähert sie sich mal realistisch, mal absurd-grotesk den Schwierigkeiten und Mühen des menschlichen Zusammenlebens. Frischmuth erzählt von Abschieden und Anfängen. Sei es in der Geschichte um eine junge Archäologin, die sich mit Liebeskummer zu ihrer Schwester zurückzieht und eine kathartische Erfahrung durchlebt, sei es im vorgeschobenen Streit zwischen der Großmutter und ihrer Enkelin um die Suche nach einer Feile. Mit verspielter Erzählfreude lässt Frischmuth vor allem eines aufblitzen: Die Wirklichkeit ist immer wieder ein Experiment.

Barbara Frischmuth 1941 in Altaussee geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt seit einigen Jahren wieder in Altaussee. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane 'Die Mystifikationen der Sophie Silber' (1976) oder 'Kai und die Liebe zu den Modellen' (1979). Zuletzt erschienen: 'Die Kuh, der Koch, seine Geiß und ihr Liebhaber' (2010) und 'Woher wir kommen' (2012).
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Produkt

KlappentextBarbara Frischmuth ist eine Meisterin der stilistischen Vielfalt: Mit viel Einfühlungsvermögennähert sie sich mal realistisch, mal absurd-grotesk den Schwierigkeiten und Mühen des menschlichen Zusammenlebens. Frischmuth erzählt von Abschieden und Anfängen. Sei es in der Geschichte um eine junge Archäologin, die sich mit Liebeskummer zu ihrer Schwester zurückzieht und eine kathartische Erfahrung durchlebt, sei es im vorgeschobenen Streit zwischen der Großmutter und ihrer Enkelin um die Suche nach einer Feile. Mit verspielter Erzählfreude lässt Frischmuth vor allem eines aufblitzen: Die Wirklichkeit ist immer wieder ein Experiment.

Barbara Frischmuth 1941 in Altaussee geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt seit einigen Jahren wieder in Altaussee. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane 'Die Mystifikationen der Sophie Silber' (1976) oder 'Kai und die Liebe zu den Modellen' (1979). Zuletzt erschienen: 'Die Kuh, der Koch, seine Geiß und ihr Liebhaber' (2010) und 'Woher wir kommen' (2012).
Details
Weitere ISBN/GTIN9783701743629
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum01.09.2013
Auflage1. Auflage
Seiten176 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2060 Kbytes
Artikel-Nr.2886612
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Meine Großmutter und ich

Micky? fragt meine Großmutter, sie ist römischkatholisch.

Ja, sag ich, Micky. Micky ist Micky. Er kommt mich abholen und wir gehen zum See rüber, schwimmen.

So, sagt meine Großmutter. Sie schlägt ein Kreuz, bleibt mit dem Finger wo hängen und reißt sich den Nagel ein. Tss, tss, kommt mir da was zu Ohren und noch gar unter die Augen. Micky, sagst du. Ein Witz, ein Witz, so ein Witz. Hol mir schon endlich die Schere aus dem Nähzeug und such die Feile oder soll ich so bleiben. Die Sache verhält sich so oder so. Du weißt, was du mir schuldig bist. Lauf nicht in die Küche, dort ist keine Feile, es muß sie jemand verlegt haben.

Weil man in diesem Haus nichts, aber auch gar nichts findet. Da steht sie und fuchtelt mit dem Finger in der Luft, als hätte sie sich gebrannt. Die Luft tut ihr gut. Drum zieht es immer bei uns.

Stell dich nicht so an, du wirst doch die Feile finden, wenn ich dir sage, daß sie in der Küche nicht ist.

Da geb ich ihr die Schere in die Hand.

Wie verhext ist alles, steht denn das Haus kopf? Ich kann die Gedanken nicht überall haben, und wenn du mir noch was von diesem Micky erzählst, dann erzähl ich dir was. Sie dreht sich auf dem Absatz herum, ihr Kleid rauscht kurz auf, die Vase, die sie mit dem Ellbogen vom Fenstersims gefegt hat, war aus bemaltem Glas, die Splitter springen vom Fußboden auf den Teppich, sie stellt sich darauf, der Rock bedeckt alles - ich weiß, warum ich lange Röcke trage -, ihr Haar flattert in der Zugluft und draußen biegen sich die Bäume.

Ich bin neugierig, wann du mir die Feile bringst. Wenn es noch lange dauert, werde ich selbst danach sehen. Heil hat deine Mutter dich zur Welt gebracht, vielleicht hast du unterdes Schaden genommen, oder willst du sagen, dieser Micky hätte dich um den Verstand gebracht, den will ich mir ausborgen, da wirst du staunen, was von dem übrigbleibt.

Rück ein Stück, damit ich die Scherben aufkehren kann, sag ich mit Besen und Schaufel, sonst schneidet sich jemand, dann haben wir die Bescherung, der Teppich wird blutig, vielleicht muß man den Doktor holen und überhaupt die Aufregung und was sonst noch mit so was zusammenhängt.

Sie steht wie ein Fels. Du süßer Heiland! Sie wird die Scherben in den Teppich treten, wo wir keinen Staubsauger haben, keine Teppichstange und keinen Dienstboten mehr.

Ich will die Feile, habe ich dirs gesagt oder habe ich dirs nicht gesagt oder bist du von Gott verlassen. Wenn ich die Feile nicht bald habe, verliere ich den Verstand, du weißt, was das heißt. Und komm mir noch einmal mit diesem Micky und daß du zum See rüber möchtest, schwimmen. Ich weiß gar nicht, wer das ist, mit wem du dich da herumtreibst, das hast du von deinem Vater, ich hätte mirs denken können.

Jetzt ist der Nagel ab und die Haut dazu. Ich werde mir das Tuch zerreißen, ich kann nichts angreifen mit dem Nagel. Schwer von Begriff, wie du bist, schau in die Tischlade, die Feile muß da sein, du hast zu folgen, aufs Wort, wann wirst du das endlich verstanden haben, oder rede ich gegen eine Wand.

Da stampft sie schon mit dem Fuß, die Splitter werden an ihrem Schuh kleben bleiben, und ich kann mit dem Besen hinterdreinlaufen. Sie wird die Splitter durch die Wohnung tragen, jemand wird sich schneiden, dann ist die Hölle los.

In der Tischlade ist sie nicht, sag ich, die Schere genügt doch einstweilen, willst du nicht selber nachsehen, du hast die Feile zuletzt gehabt. Aber laß mich um der Liebe Jesu willen die Scherben aufkehren, bevor noch ein Unglück geschieht, du wirst die Splitter im Haus herumtragen, man kann keinem Menschen die Tür öffnen, wenn zerbrochenes Glas auf dem Boden liegt.

Du willst mir weismachen, daß ich die Feile zuletzt gehabt hätte, mir nicht, mag da sein, was da will, du vergißt, daß ich im Geiste jung bin. Sag das noch einmal und dann sage ich dir, zeig deine Hände. Wer hat sich für diesen Micky, den ich gar nicht kenne - mit wem du dich da herumtreibst -, die Nägel gefeilt, den ganzen Abend lang, gestern, daß man es durch die Wände hörte. Wenn ich es war, will ich den verdammten Besen da - gelobt sei Jesus Christus - schlucken und noch in dieser Stunde den Bürgermeister zur Abdankung zwingen. Wenn ich es nicht war, rate ich dir, bring mir die Feile, solange ich dich noch bitte, denn wenn ich es nicht mehr tue, dann kannst du diesen Micky anläuten und ihm sagen, daß es heute nichts ist und daß er gar nicht erst zu kommen braucht. Ich werde nämlich an der Tür stehen und die Klinke nicht aus der Hand lassen, bis er sich aus dem Staub gemacht hat und pfeifen oder Steinchen werfen gibts nicht.

Herrjeh, denk ich mir, sie wird die Splitter durchs ganze Haus tragen und wenn Micky kommt, wird er sich schneiden, es ist nicht weit bis zum See und sommers gehen wir immer barfuß, nur in der Schule haben wir Schuhe an.

Ich find die Feile nicht und die Nägel hab ich mir schon gestern gemacht und die Feile hab ich gleich wieder heruntergebracht und auf den Tisch gelegt, aber auf dem Tisch liegt sie nicht und in der Tischlade auch nicht und in der Küche auch nicht, hast du gesagt.

Jetzt wird es ihr bald zu bunt, sie wird sich vom Fleck rühren und ich kann die Splitter aufkehren. Da droht sie mir mit der Schere.

Bitte, sag ich, stich nur zu, wenn du es vor deinem Gott verantworten kannst, und ich knöpf mir die Bluse auf. Da, sag ich, stich zu, aber denk an dein Gewissen. Und wenn Micky kommt, sag ihm, er kann meine Bücher haben und das Kaninchen. Die Eidechse laß ich dir, zur Erinnerung.

Sie sieht die Schere an, dann mich, dann die Schere.

Ich vergesse mich, schreit sie, rede ich gegen eine Wand? Die Feile muß her, du hast sie gehabt, und dieser Micky kommt mir nicht ins Haus, damit du es weißt und was soll ich mit der Eidechse, sie ist ungenießbar, die kannst du diesem Micky ruhig schenken, aber das Kaninchen bleibt und die Bücher bleiben. Und nimm endlich die Schere und leg sie zurück ins Nähzeug, was soll ich mit der Schere, der Nagel ist ab und die Haut dazu.

Da knöpf ich die Bluse wieder zu und nehm die Schere.

Je lauter sie schreit, desto kleinlauter wird sie. Ihre Augen sind feucht. Jetzt wird sies wohl zulassen, daß ich die Splitter aufkehre, damit Micky sich nicht die Füße daran zerschneidet, wenn er kommt und mich abholt, zum See. Wie ich mich bück, mit Schaufel und Besen, rührt sie sich nicht, und ich geb ihr einen Stoß. Sie taumelt weder noch rückt sie zur Seite, doch erwischt sie mich an den Haaren und zieht mich empor, mit ihrer welken Hand.

Du sollst mir die Feile bringen, sonst bleibe ich hier stehen, bis ich umfalle, dann kommen die Leute und sehen mich liegen, tot, dich aber wird man einsperren, weil du deine leibliche Großmutter umgebracht hast. Weil du den Gehorsam nicht kennst, noch das vierte Gebot, auch wenn ich nur deine Großmutter bin, jawohl, das vierte Gebot, weil du aufbegehrst und mit dem Schädel durch die Wand willst, weil du keine Augen im Kopf und kein Herz im Leib hast. Diesem Micky werde ich reinen Wein einschenken und wenn ich mir dabei was vergebe, aber gewarnt muß er sein.

So zieht sie sich aus der Affäre, und ich steh da mit Schaufel und Besen und soll ihr die Feile bringen. Wenn ich nachgeb, wird sie sich im Leben nie mehr die Feile suchen, und ich werd ihr den Nagel feilen müssen, den Nagel ihrer welken Hand. So war es mit der Milchkanne, die ich suchen mußte, und dann war die Milch zu holen.

So gibt ein Wort das andere, ein Schimpf den anderen, eine Tat die andere.

Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.

Ich versuch es ja, alles und in Güte. Man muß es ihr klarmachen, sie zwingen, das Rechte zu tun, ihr die Zähne ziehen, wenn sie beißen soll, sie strekken, damit sie sich bückt, den Wind aufhalten, um sie fliegen zu lassen.

Diesem Micky kannst du schon sagen, daß es heute nichts ist und morgen auch nichts und übermorgen auch nichts und überhaupt nichts. Wo gibt es denn so was. Ungehorsam ist der Anfang des Übels, du wirst sehen, wie weit du es bringst, daß dir der Leibhaftige ⦠Gott gebs nicht!

Ich hab dich in Windeln gewickelt, dir zur Erstkommunion eine Kerze gekauft, die teurer war als ein Adventskranz, ich habe dir von Kain und Abel erzählt, von Noemi, Ruth und den Richtern, ich habe dir die Höschen gewaschen und die Brote gestrichen, ich habe dir im Winter den heißen Ziegel ins Bett gelegt und dich im Sommer mit Butter - mit echter Butter - eingerieben, wenn deine Haut verbrannt war, wie du krank warst, habe ich dich schwitzen lassen, und als du Angst hattest, blieb das Licht brennen, ich habe deine Schuhe geputzt und dich zur Kirche geschickt, ich habe dir erklärt, was mein ist und was dein und wie man die Hände richtig faltet, ich habe dich vor Hunger bewahrt und vor schlechtem Umgang, vor Hexen, Pest und Bedrängnis, ich habe dich angehalten zu Fleiß und Sorgfalt und dir...
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Autor

Barbara Frischmuth 1941 in Altaussee geboren, studierte Türkisch, Ungarisch und Orientalistik und ist seitdem freie Schriftstellerin. Die mehrfach ausgezeichnete Autorin lebt seit einigen Jahren wieder in Altaussee. Zu ihren größten Erfolgen zählen die Romane "Die Mystifikationen der Sophie Silber" (1976) oder "Kai und die Liebe zu den Modellen" (1979). Zuletzt erschienen: "Die Kuh, der Koch, seine Geiß und ihr Liebhaber" (2010) und "Woher wir kommen" (2012).