Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Bevor du mich findest

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
399 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am24.04.20171. Aufl. 2017
Melanie war noch nie auf einer Party, ist noch nie geflogen, hat noch nie das Meer gesehen. Als sie drei Jahre alt war, ermordete ihr Vater ihre Mutter und wurde bis heute nicht gefasst. Seitdem lebt sie im Zeugenschutzprogramm, von der Außenwelt isoliert und immer in der Angst, dass er sie aufspürt. Doch sie will so nicht mehr leben. Um endlich frei zu sein, fasst sie einen gefährlichen Entschluss: Wenn ihr Vater sie nicht findet, dann muss sie ihn eben zuerst finden ...





Michael Kardos studierte zunächst Musik und dann Kreatives Schreiben. Wenn er nicht gerade selbst Geschichten erfindet, arbeitet er als Lehrbeauftragter für Englisch und als Kodirektor des Creative Writing Programs an der Mississippi State University. Er ist Gewinner des Mississippi Institute of Arts & Letters Award for Fiction und des Pushcart Prize.
mehr

Produkt

KlappentextMelanie war noch nie auf einer Party, ist noch nie geflogen, hat noch nie das Meer gesehen. Als sie drei Jahre alt war, ermordete ihr Vater ihre Mutter und wurde bis heute nicht gefasst. Seitdem lebt sie im Zeugenschutzprogramm, von der Außenwelt isoliert und immer in der Angst, dass er sie aufspürt. Doch sie will so nicht mehr leben. Um endlich frei zu sein, fasst sie einen gefährlichen Entschluss: Wenn ihr Vater sie nicht findet, dann muss sie ihn eben zuerst finden ...





Michael Kardos studierte zunächst Musik und dann Kreatives Schreiben. Wenn er nicht gerade selbst Geschichten erfindet, arbeitet er als Lehrbeauftragter für Englisch und als Kodirektor des Creative Writing Programs an der Mississippi State University. Er ist Gewinner des Mississippi Institute of Arts & Letters Award for Fiction und des Pushcart Prize.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732540259
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2017
Erscheinungsdatum24.04.2017
Auflage1. Aufl. 2017
Seiten399 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2194924
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1

Mein weißer Wal, freigelassen

22. September 2006 *von Arthur Goodale* in Vermischtes

Drei Wochen liegt mein letzter Eintrag jetzt zurück, und ich weiß nicht, ob ich so bald wieder zum Schreiben komme, also verzeiht bitte, wenn ich heute etwas ausführlicher werde.

Jeder, der diesem Blog schon eine Weile folgt, wird wissen, dass ich großen Wert auf Offenheit und Ehrlichkeit lege. Hier also meine ungeschminkte Wahrheit von heute: Ich schreibe aus einem Krankenbett auf der Intensivstation im Monmouth Regional Hospital. Vergangenen Sonntag - anscheinend den ganzen Tag lang - litt ich unter kongestiver Herzinsuffizienz. Aber wer weiß das schon? Fakt ist, dass ich rauche und immer geraucht habe. (Leser dieses Blogs kennen meine zahlreichen erfolglosen Versuche, damit aufzuhören.) Seit Jahren, ja Jahrzehnten warte ich praktisch auf das taube Gefühl im linken Arm und die Enge im Brustkorb, diese unverwechselbaren Vorboten eines raschen Ablebens oder zumindest eines torkelnden Stolperns zum Telefon vor dem Zusammenbruch, bei dem ich die Wohnzimmervorhänge herunterreiße. Irgendwas Dramatisches eben. Aber leichte Rückenschmerzen?

Ich hatte fast den ganzen Tag gebückt im Garten verbracht, Unkraut gejätet und einige hängende Tomatenzweige an die Stangen gebunden, damit meine Pflanzen hoffentlich bis zum ersten Frost weiter produktiv blieben. Wie sollte mir da nicht der Rücken wehtun? Früher hatte ich in solchen Fällen drei Advil-Schmerztabletten eingenommen, mich in den Fernsehsessel gesetzt und mir ein paar James-Bond-Filme angesehen. Und so behandelte ich die Symptome diesmal auch - mit internationalen Verschwörungen, beruhigendem britischen Akzent und ein paar Wodka-Martini obendrein.

Als es bis Dienstagnachmittag nicht besser war, rief ich meinen Arzt an. Er sagte, ich soll in die Praxis kommen, und so ging ich hin. Jetzt bin ich im Krankenhaus, und es heißt, dass ich fürs Erste hierbleiben muss.

Ich hätte vielleicht besser ein paar Aspirin genommen anstelle der Advil, sagt der behandelnde Kardiologe, oder gleich in die Klinik fahren oder den Notruf wählen sollen, statt zwei Tage abzuwarten. Aber warum hätte ich das tun sollen? So etwas macht man doch nicht, wenn man ein alter Dummkopf mit Kreuzschmerzen ist, weil man es im Gemüsegarten übertrieben hat. Da ruft man keinen Krankenwagen, sondern sieht fern. Und macht ein Nickerchen.

Wer pflückt nun die letzten Tomaten?

Nein, ich werde jetzt nicht makaber. Das habt ihr nicht verdient. Und ihr seid ja doch einige - hier in New Jersey und weiter entfernt. Im vergangenen Monat wurde dieser Blog zweitausenddreihundertmal angeklickt, ungefähr fünfundsiebzigmal am Tag. Mir fällt es schwer zu glauben, dass sich täglich fünfundsiebzig Leute für meine Gedanken interessieren, aber ihr seid real, meine Leser, und wie es scheint, klickt ihr euch von überall her ein, sogar aus Vietnam und Australien. Das verblüfft mich wirklich, zumal es in meinen Tagen bei der Zeitung völlig anders aussah, als man ohne Ende um Abonnenten kämpfte - jedenfalls bevor wir zum Gratisblatt wurden und uns ganz auf Werbeeinnahmen konzentrierten. Und schließlich gaben wir auch den Plan auf und verkauften an Kingswood Holdings, Inc.

Daher möchte ich euch, meinen fünfundsiebzig treuen Lesern, meinen aufrichtigen Dank ausdrücken, dass ihr meine Posts die letzten drei Jahre gelesen habt und meinen zahlreichen Aus- und Abschweifungen folgt. Ungeachtet der Tatsache, dass ich die strengen Regeln des Zeitungsjournalismus durchaus befürworte, genieße ich es mittlerweile sehr, diesen Blog zu schreiben, in dem die Anzahl der Wörter keine Rolle mehr spielt, Unparteilichkeit am Ziel vorbeiginge und ich nach Lust und Laune mutmaßen und so viele Einschübe und Aufzählungen bringen darf, wie ich mag.

Aus offensichtlichen Gründen hoffe ich, dass dies nicht mein letzter Post wird. Falls doch, ist es eben so. Ich bin einundachtzig, was nach jedem Maßstab als hohes Alter gilt. Vermutlich fühlt sich für den Betroffenen kein Alter jemals alt genug an. Doch mein täglicher Zigarettenkonsum (ein Laster, dem ich seit fast siebzig Jahren fröne) und die typisch ungesunde Junggesellenernährung (größtenteils Takeouts, abgesehen von meinen selbst gezogenen Tomaten) legen nahe, dass ich mich glücklich schätzen darf, es überhaupt so weit geschafft zu haben. Ich bereue nicht, nie geheiratet oder Kinder bekommen zu haben. Hätte ich die richtige Frau getroffen und die Chance auf ein Leben mit ihr verpasst, wäre es wohl anders. Kann sein, dass es an den langen Arbeitstagen lag oder an meiner lachhaft langen Nase. Was auch der Grund für mein Single-Leben sein mag, wird es zur Folge haben, dass dessen Ende zwar bei einigen Leuten Betrübnis hervorrufen dürfte, jedoch bei niemandem echte Trauer.

War ich mit meinem Beruf verheiratet? Ein Klischee natürlich, aber es könnte stimmen. Wenn ja, bemitleidet mich bitte nicht deswegen. Es war eine starke Beziehung. Ich habe es geliebt, ein Zeitungsmensch zu sein - Herausgeber, Redakteur und, allen voran, Reporter. Für mich gab es kein besseres Gefühl, als ganz von einer Story gebannt zu sein und dann zu erleben, wie sich endlich alles zusammenfügte - die Fakten und meine besondere Art, sie wiederzugeben. Das ist besser, als auf eine Ölquelle zu stoßen, sage ich euch.

Was für ein Jammer, dass diese altehrwürdige Branche rapide schwindet, überrannt von Ideologen und Analphabeten!

Die Überschrift des heutigen Posts ist natürlich eine Anspielung auf Captain Ahabs Obsession. Heute Morgen kam ein junger Krankenpfleger in mein Krankenzimmer, um meine Vitalfunktionen und die Wunden an meiner Brust und meinem Bein zu kontrollieren. (Am Mittwochmorgen hatte ich eine Bypass-Operation.) Ich fragte den Pfleger, welcher Tag heute ist, und er sagte, Freitag, der zweiundzwanzigste September. Daraufhin erzählte ich ihm, dass sich heute die Miller-Morde zum fünfzehnten Mal jähren.

»Die was?«, fragte er.

Ich war geschockt, was ich eigentlich nicht hätte sein sollen. Der junge Mann war zur Zeit der Morde noch ein Kind gewesen. Dennoch: Silver Bay ist bis heute eine friedliche Stadt, und das Verbrechen damals war über Wochen in den Nachrichten. Das sagte ich ihm.

»Ja, kann sein, dass ich davon schon mal irgendwas gehört habe«, antwortete er. Immerhin war er sensibel genug, nett zu seinen irren, sterbenden Patienten zu sein.

Den treuen Lesern dieses Blogs sei erklärt, dass es sich bei dem Miller-Fall um meinen »weißen Wal« handelt. In all den Jahren, die ich in dieser Stadt lebe, gab es hier nur fünf Morde. Ein Täter stellte sich selbst innerhalb weniger Stunden nach der Tat. Dreimal wurden die Täter (es waren alles Männer) binnen Wochen gefasst und plädierten auf schuldig, um ihre Haftstrafen zu verringern. Ramsey Miller war der einzige Beschuldigte, der davonkam.

Ich wohnte - wohne noch - direkt im Nachbarviertel von Millers damaligem Tatort, weshalb ich an dem Morgen des dreiundzwanzigsten September die Sirenen hörte und Minuten später vor Ort war. Ich fuhr die wenigen Blocks zum Blossom Drive mit dem Wagen und erlebte so hautnah mit, was direkt nach dem furchtbaren Ereignis geschah. Darüber bin ich nie richtig hinweggekommen.

Es erschütterte uns alle. Ich erinnere mich, dass ich mir ein paar Tage später wie jeden Morgen einen Kaffee und ein paar Eier im Good Times Diner bestellte und die Kellnerin (Tracy Strickland, die stets einen Küss mir den Barsch-Anstecker an ihrer Uniform trug) setzte sich mir gegenüber hin, vergrub das Gesicht in den Händen und weinte. Sie war ungefähr in Allisons Alter. Nicht, dass ich nachgefragt hätte. Aber Silver Bay ist so eine kleine Stadt, und Allison Miller war die Art junge Frau, die man unmöglich nicht bewundern konnte. Ihre Tochter Meg war knapp drei Jahre alt und hätte es verdient gehabt, groß zu werden.

Ein paar Monate zuvor, als ich eines Nachmittags im Supermarkt einkaufte, landete ich zufällig im selben Gang wie Allison und Meg. Allison schob einen vollen Einkaufswagen hinter ihrer Tochter her, die in meine Richtung lief und dabei die Farben der Bodenfliesen rief. Neben mir angekommen, zupfte Meg an meinem Hosenbein und befahl: »Auf den Arm!«

Ich hatte seit Jahren kein kleines Kind mehr auf dem Arm gehalten, womöglich seit Jahrzehnten - seit meine Nichte und mein Neffe klein gewesen waren.

»Arm!«, wiederholte das Mädchen.

»Tun Sie es lieber«, riet mir die Mutter.

Ich hob das erstaunlich leichte Mädchen hoch und hielt es etwa dreißig Sekunden lang, vielleicht sogar eine Minute, und atmete den Geruch von Baby-Shampoo ein, während Allison hastig Sachen aus dem Regal in ihren Wagen lud. Meg schien zufrieden damit zu sein, ihrer Mutter von meinem Arm aus zuzusehen.

»Danke, Arthur«, sagte Allison lächelnd und übernahm ihre Tochter wieder.

Wir hatten uns erst kurz zuvor bekannt gemacht, als wir uns im Wartezimmer des Zahnarztes begegnet waren. Allerdings hatte ich nicht erwartet, dass Allison sich meinen Namen gemerkt hatte oder wer ich war. Deshalb wusste ich nun nicht, was ich sagen sollte. Trotz der unzähligen Interviews, die ich geführt hatte, war ich nie gut im Smalltalk - vor allem nicht mit einer Frau, die selbst abgehetzt im Supermarkt umwerfend war. Also nickte ich nur und murmelte etwas. Allison überredete ihre Tochter, sich wieder in den Einkaufswagen zu setzen, und verschwand am Ende...
mehr

Autor

Michael Kardos studierte zunächst Musik und dann Kreatives Schreiben. Wenn er nicht gerade selbst Geschichten erfindet, arbeitet er als Lehrbeauftragter für Englisch und als Kodirektor des Creative Writing Programs an der Mississippi State University. Er ist Gewinner des Mississippi Institute of Arts & Letters Award for Fiction und des Pushcart Prize.