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Washington Black

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
512 Seiten
Deutsch
Eichbornerschienen am30.08.20191. Aufl. 2019
Die Flucht ist nur der Anfang

Barbados, 1830: Der schwarze Sklavenjunge Washington Black schuftet auf einer Zuckerrohrplantage unter unmenschlichen Bedingungen. Bis er zum Leibdiener Christopher Wildes auserwählt wird, dem Bruder des brutalen Plantagenbesitzers. Christopher ist Erfinder, Entdecker, Naturwissenschaftler - und Gegner der Sklaverei. Das ungleiche Paar entkommt in einem selbst gebauten Luftschiff von der Plantage. Es beginnt eine abenteuerliche Flucht, die die beiden um die halbe Welt führen wird.

Eine Geschichte von Selbstfindung und Verrat, von Liebe und Erlösung. Und eine Geschichte über die Frage: Was bedeutet Freiheit?
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR12,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextDie Flucht ist nur der Anfang

Barbados, 1830: Der schwarze Sklavenjunge Washington Black schuftet auf einer Zuckerrohrplantage unter unmenschlichen Bedingungen. Bis er zum Leibdiener Christopher Wildes auserwählt wird, dem Bruder des brutalen Plantagenbesitzers. Christopher ist Erfinder, Entdecker, Naturwissenschaftler - und Gegner der Sklaverei. Das ungleiche Paar entkommt in einem selbst gebauten Luftschiff von der Plantage. Es beginnt eine abenteuerliche Flucht, die die beiden um die halbe Welt führen wird.

Eine Geschichte von Selbstfindung und Verrat, von Liebe und Erlösung. Und eine Geschichte über die Frage: Was bedeutet Freiheit?
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732578429
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum30.08.2019
Auflage1. Aufl. 2019
Seiten512 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.4421551
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

ZWEI

Während meiner gesamten Kindheit hatte ich niemanden außer Big Kit, wie man sie auf den Feldern nannte. Ich liebte und fürchtete sie zugleich.

Ich war etwa fünf Jahre alt, als ich die Frau verärgerte, die über unsere Unterbringung bestimmte, und zur Strafe in die unwirtlichste aller Hütten unter dem toten Palmbaum geschickt wurde, wo ich von nun an leben sollte. Kits Hütte. Am ersten Abend stahl man mir das Essen und zerbrach meine Holzschüssel; ein Mann, den ich nicht kannte, schlug mir so hart gegen den Kopf, dass ich das Gleichgewicht verlor und nichts mehr hörte. Zwei kleine Mädchen bespuckten mich. Ihre uralte Großmutter drückte mich zu Boden, ihre Krallen in meine Arme versenkt, und schnitt mir die selbstgemachten Sandalen von den Füßen, um an das Leder zu kommen.

Da hörte ich zum ersten Mal Big Kits Stimme.

»Den nicht«, sagte sie leise.

Das war alles. Doch dann strömte eine monströse Ladung dunkler Energie, gewaltig und unaufhaltsam wie eine Sturzwelle, in unsere Richtung und riss die alte Frau an den Haaren in die Höhe und warf sie zur Seite, als wäre sie nichts als ein knochenloser Stofffetzen. Ich glotzte entsetzt. Big Kit starrte einfach nur aus orangefarbenen Augen auf mich herab, als widerte ich sie an, und kehrte zu ihrem Stuhl in der Ecke zurück.

Am nächsten Morgen kauerte sie jedoch im blassen Licht neben mir. Sie bot mir ihre Schüssel mit Brei, fuhr die Linien meiner Hand entlang. »Du wirst großes, gewaltiges Leben haben, Kind«, raunte sie. »Leben aus vielen Flüssen.« Und dann spuckte sie in meine Hand und schloss meine Faust, sodass der Speichel zwischen meine Knöchel rann. »Das ist erster Fluss, genau hier«, sagte sie und fing an zu lachen.

Ich vergötterte sie. Sie überragte alle, war riesig und unerbittlich. Aufgrund ihrer Größe und weil sie im alten Dahomey, bevor man sie verschleppt hatte, eine Salzwasser-Hexe gewesen war, wurde sie gefürchtet. Sie säte Flüche in die Erdschicht unter den Hütten. Über Türschwellen hingen ausgeweidete Krähen. Drei Wochen lang nahm sie einem kräftigen Schmiedelehrling jeden Morgen und jeden Abend gewaltsam das Essen weg und aß es vor seinen Augen, schöpfte mit den Fingern aus seiner Schüssel, bis sie zu irgendeiner Art Übereinkunft gelangten. In den glimmenden Feldern glänzte sie wie eingeölt, summte leise seltsame Lieder und riss die karge Erde auf, wobei sich unter ihrer Haut die Muskeln wölbten. In manchen Nächten lag sie in der Hütte und murmelte etwas im Schlaf, in dieser tiefen, dichten Sprache ihres Königreichs, bevor sie laut aufschrie. Niemand redete je darüber, und am nächsten Tag arbeitete sie auf den Feldern stets wie eine wild gewordene Furie, wie eine schonungslose Axt, die keinen Unterschied machte, was sie zerstörte und was sie erntete. Ihr wahrer Name sei Nawi, wie sie mir einmal flüsternd erzählte. Sie habe drei Söhne gehabt. Sie habe einen Sohn gehabt. Sie habe keine Söhne gehabt, nicht einmal eine Tochter. Mit jedem Mond veränderten sich ihre Geschichten. Ich erinnere mich daran, wie sie manchmal bei Sonnenaufgang eine Handvoll Erde über ihr Messer rieseln ließ und irgendeine Beschwörungsformel murmelte, ihre Stimme belegt, wie von Gefühlen übermannt. Sie sog die Luft durch die Zähne ein und schielte nach oben, bevor sie zu erzählen begann: »Als ich königliche Wache war in Dahomey« oder »nachdem ich die Antilope mit meinen Händen zerquetscht habe, etwa so«, und sofort hörte ich auf, womit auch immer ich gerade beschäftigt war, und lauschte ihr gebannt. Denn sie war wie ein Wunder, Zeugin einer Welt, die ich mir nicht vorzustellen vermochte, weit weg von den Hütten und grausamen Feldern von Faith.

Unter unserem neuen Master wurde es auf Faith zunehmend düster. In seiner zweiten Woche entließ er die alten Aufseher. An ihrer Stelle erschienen grobschlächtige tätowierte Männer von den Docks, die in der Hitze die roten Gesichter verzogen. Ehemalige Soldaten oder Sklavenhändler oder einfach nur mittellose Inselbewohner, die ihre zerknüllten Papiere in der Tasche trugen und deren teuflische Augen tief in den Höhlen lagen. Dann begannen die Verstümmelungen. Wozu sollten wir mit solchen Verletzungen noch taugen? Ich sah Männer mit blutüberströmten Beinen in die Felder humpeln; ich sah Frauen mit blutdurchtränkten Bandagen über den Ohren. Sie schnitten Edward die Zunge heraus, weil er Widerworte gegeben hatte; Elizabeth zwangen sie, aus einem vollen Nachttopf zu essen, weil sie den vom Vortag nicht gründlich genug geschrubbt hatte. James versuchte, wegzulaufen, also statuierten sie an ihm ein Exempel. Der Master befahl einem Aufseher, ihn vor unseren Augen bei lebendigem Leib zu verbrennen. Später wurde in der Glut seines Scheiterhaufens ein Eisen erhitzt, und wir wurden gezwungen, an seinen entsetzlich verkohlten Überresten vorbeizugehen, während wir einer nach dem anderen ein zweites Mal gebrandmarkt wurden.

Mit James´ Tod begann eine neue Art des Tötens; viele weitere sollten auf ihn folgen. Kranke Männer wurden mit der Peitsche in Fetzen gerissen oder in den Bäumen über den Feldern gehängt oder erschossen. Ich war noch ein Kind und weinte nachts. Doch bei jedem neuen Tod grunzte Big Kit nur in grimmiger Genugtuung, die orangefarbenen Augen zu wütenden schmalen Schlitzen verengt.

Der Tod war eine Tür. Ich denke, sie wollte, dass ich dies begriff. Sie hatte keine Angst vor ihm. Sie gehörte einem alten Glauben an, tief verwurzelt in den hohen Flussregionen Afrikas, und in diesem Glauben wurden Tote wiedergeboren, fanden sich unversehrt und frei in ihrem Heimatland wieder. Mit der Ankunft des Mannes in Weiß hatte diese Idee in ihr zu keimen begonnen wie ein Tropfen Gift in einem Brunnen.

Eines Nachts weihte sie mich in ihre Pläne ein. Sie sagte, es würde schnell gehen. Wir würden nichts spüren.

»Hast du Angst?«, flüsterte sie an unserem Schlafplatz in der Hütte. »Vorm Sterben?«

»Nicht, wenn du keine Angst hast«, sagte ich mutig. Ich konnte den Arm spüren, den sie in der Dunkelheit schützend um mich gelegt hatte.

Sie grunzte. Ein langes tiefes Grollen in ihrer Brust. »Wenn du tot, du wachst wieder in deiner Heimat auf. Du wachst auf frei.« Darauf zuckte ich leicht mit einer Schulter, und als sie das spürte, nahm sie mit den Fingern mein Kinn und drehte mich zu ihr. »Was war das?«, fragte sie. »Glaubst du nicht?«

Ich wollte es ihr nicht sagen; ich hatte Angst, sie könnte wütend werden. Doch dann flüsterte ich: »Ich hab keine Heimat, Kit. Meine Heimat ist hier. Also wache ich hier wieder auf, als Sklave, oder? Nur du bist nicht da.«

»Du kommst mit mir nach Dahomey«, raunte sie nachdrücklich. »So geht das.«

»Hast du sie gesehen? Die aufgewachten Toten? In Dahomey?«

»Ich hab sie gesehen«, flüsterte sie. »Wir alle haben sie gesehen. Wir wussten, was sie waren.«

»Und sie waren glücklich?«

»Sie waren frei.«

Ich konnte spüren, wie mich die Erschöpfung des Tages überkam. »Wie ist das, Kit? Frei sein?«

Ich merkte, wie sie sich auf dem Erdboden bewegte, bevor sie mich an sich zog, ihr Atem heiß an meinem Ohr. »Oh, Kind, das ist wie nichts in dieser Welt. Wenn du frei, du kannst machen, was du willst.«

»Und immer hingehen, wo du willst?«

»Und immer hingehen, wo du willst. Immer aufstehen, wann du willst. Wenn du frei«, flüsterte sie, »und fragt dich jemand was, musst du nicht antworten. Du musst keine Arbeit fertigmachen, die du nicht fertigmachen willst. Du hörst einfach auf.«

Staunend schloss ich die müden Augen. »Stimmt das wirklich?«

Sie gab mir einen Kuss aufs Haar, gleich hinter mein Ohr. »Mhm mhm. Du legst einfach die Schaufel hin und gehst.«

Aber warum wartete sie dann so lange? Die Tage vergingen; auf Faith wurde das Klima rauer, brutaler; und doch tötete sie uns nicht. Vielleicht hatte sie eine Vorahnung, vielleicht warnte sie etwas davor, zu handeln.

Eines Abends führte sie mich hinaus in ihren kleinen Gemüsegarten, in dem wir allein waren. Ich sah die scharfe verrostete Klinge einer Hacke in ihrer Hand und begann zu zittern. Doch sie wollte mir lediglich die kleinen Karotten zeigen, die zu sprießen begannen. In einer anderen Nacht weckte sie mich auf und führte mich schweigend in die Dunkelheit, durch die langen Gräser zu dem abgestorbenen Palmbaum, aber auch dies diente nur dazu, mir einzubläuen, nichts von unseren Plänen zu verraten. »Wenn irgendwer davon hört, Kind, werden wir getrennt«, zischte sie. Ich verstand nicht, warum wir warteten. Ich wolle ihre Heimat sehen, sagte ich. Ich wolle mit ihr durch Dahomey gehen, frei.

»Aber man muss es richtig machen, Kind«, flüsterte sie mir zu. »Unter dem richtigen Mond. Mit den richtigen Worten. Sonst hören die Götter nicht.«

Doch dann begannen die anderen Selbstmorde. Cosimo schnitt sich den Hals mit einer Axt durch, Adam durchlöcherte sein Handgelenk mit einem aus der Schmiede gestohlenen Nagel. Beide fand man morgens verblutet im Gras hinter den Hütten, einen nach dem anderen. Wie Kit waren sie früher Salzwasser-Hexer gewesen, hatten geglaubt, im Land ihrer Vorfahren wiedergeboren zu werden. Doch als der junge William, der auf der Plantage zur Welt gekommen war, sich in der Wäscherei erhängte, begab sich Erasmus Wilde höchstpersönlich zu uns hinaus.

Langsam lief er in seinen blendend weißen Kleidern über den Rasen, mit wenigen Schritten Abstand folgte ihm ein Aufseher. Dieser trug einen zerfledderten Strohhut und schob eine Karre vor sich her. Darin lagen ein hölzerner Pfahl und ein Haufen aus grauem...

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Autor

Esi Edugyan lebt im kanadischen Victoria. "Washington Black", Lieblingslektüre von Barack Obama, ist ihr dritter Roman und war 2018 eines der erfolgreichsten Bücher weltweit. Nominiert für den BOOKER PRIZE, die CARNEGIE MEDAL, den PEN-PREISund viele mehr. Ausgezeichnet mit dem GILLER-PREIS, dem wichtigsten kanadischen Literaturpreis.
Washington Black