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ZEIT Verbrechen

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
204 Seiten
Deutsch
Eichbornerschienen am30.10.20201. Aufl. 2020
Tödliche Mutterliebe - Die letzten Szenen einer Ehe - Tod im Vorüberfahren: Spannende Kriminalfälle wie diese beschreibt Sabine Rückert im Buch zum beliebten Podcast Zeit Verbrechen. Dabei erweckt sie sachliche Gerichtsurteile zum Leben, stellt Fragen an unsere Gesellschaft, nimmt das Justizsystem genau unter die Lupe und beschäftigt sich intensiv mit Kriminalpsychologie. Vor allem aber sieht sie immer die Menschen hinter einem Fall - ob Täter oder Opfer. Lehrreich und aufrüttelnd!



Sabine Rückert, Jahrgang 1961, ist stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT und Herausgeberin des ZEIT-Magazins Verbrechen. Seit 20 Jahren ist sie als Gerichtsreporterin tätig und erhielt für ihre Reportagen u.a. den Egon-Erwin-Kisch-, den Henri-Nannen- und weitere renommierte Preise. Seit 2018 begeistert sie gemeinsam mit Andreas Sentker Hunderttausende Zuhörer mit ihrem Podcast ZEIT Verbrechen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
HörbuchCompact Disc
EUR16,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR12,99

Produkt

KlappentextTödliche Mutterliebe - Die letzten Szenen einer Ehe - Tod im Vorüberfahren: Spannende Kriminalfälle wie diese beschreibt Sabine Rückert im Buch zum beliebten Podcast Zeit Verbrechen. Dabei erweckt sie sachliche Gerichtsurteile zum Leben, stellt Fragen an unsere Gesellschaft, nimmt das Justizsystem genau unter die Lupe und beschäftigt sich intensiv mit Kriminalpsychologie. Vor allem aber sieht sie immer die Menschen hinter einem Fall - ob Täter oder Opfer. Lehrreich und aufrüttelnd!



Sabine Rückert, Jahrgang 1961, ist stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT und Herausgeberin des ZEIT-Magazins Verbrechen. Seit 20 Jahren ist sie als Gerichtsreporterin tätig und erhielt für ihre Reportagen u.a. den Egon-Erwin-Kisch-, den Henri-Nannen- und weitere renommierte Preise. Seit 2018 begeistert sie gemeinsam mit Andreas Sentker Hunderttausende Zuhörer mit ihrem Podcast ZEIT Verbrechen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783732595037
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Verlag
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum30.10.2020
Auflage1. Aufl. 2020
Seiten204 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5161684
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

FAMILIENGEWALT

DIE LETZTE SZENE EINER EHE

Kein Blut, keine Leiche, keine Spur: In Lübeck geht ein spektakulärer Mordprozess in die nächste Runde.

Welchen Familienstand hat ein Mann, dessen Frau verschwunden ist, der angeklagt ist, sie getötet und ihre Leiche unauffindbar verborgen oder gänzlich vernichtet zu haben? »In Ihren Personalien steht: Verheiratet«, sagt der Vorsitzende Richter zu Hartmut C. Der Angeklagte nickt: »Das stimmt.«

Dann sagt C. nichts mehr in diesem Mordprozess, der im Sommer 2002 am Landgericht Lübeck seinen qualvollen Gang geht. Er sitzt dabei, studiert Akten, schiebt seinen Anwälten Zettel um Zettel zu, macht Notizen - eine gepflegte, kalte Erscheinung Mitte 50, ein Manager in eigener Sache. C. bestreitet die Vorwürfe, die Staatsanwaltschaft und Nebenklage gegen ihn erheben. Er macht von seinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Das Reden obliegt inzwischen seinen Verteidigern. Besser für ihn, denn früher hat er sich durch allerlei Erklärungen selbst hineingeritten und erst richtig verdächtig gemacht: Seine angeblichen Alibis für die Zeit, in der Monika C. verschwand, wurden widerlegt, und die Kriminalpolizei hat ihm Lügen und Irreführungen nachgewiesen. Das ist misslich für einen Angeklagten, vor allem, wenn er durchaus Motive hatte, seine Frau aus dem Weg zu räumen, und die Familie ihn geschlossen für den Mörder hält. Stefan C., 32 Jahre alt, beschuldigt seinen Vater am 28. Juni 2002 vor Gericht ganz offen: »Er hat meine Mutter umgebracht.« - »Davon sind Sie überzeugt?«, fragt der Vorsitzende. »Mit hundertprozentiger Sicherheit, er hat meine Mutter kaltblütig ermordet.«

Vieles, eigentlich alles spricht gegen C., und doch kann man über das Kerngeschehen letztlich nur spekulieren. »Sind irgendwelche Spuren gefunden worden, die als Beweis für eine Mordtat gelten könnten?«, fragt der Vorsitzende den Kriminalbeamten Hartleben. »Nein«, antwortet der, »direkte Beweise gibt es nicht.« Leichensuchhunde haben in jenem Ratzeburger Eigenheim, in dem sich die Geschäftsfrau Monika C. am 6. Januar 1999 um die Mittagszeit in Luft auflöste, nicht angeschlagen. Auch im BMW des Angeklagten, in dem er den Körper seiner Frau weggeschafft haben soll, erschnüffelten sie nichts. Es gibt keine Mordwerkzeuge, keine Kampfspuren, keine Blutspritzer, keine Zeugen und vor allem - keine Leiche. Alle persönlichen Sachen der Monika C. sind zurückgeblieben: Schlüssel, Auto, Ausweise, Kreditkarten, Portemonnaie. Es fehlt nur das, was sie am Leibe trug, ihr Handy und sie selbst.

Niemand soll behaupten, der Rechtsstaat mache sich keine Mühe mit Hartmut C. Sein Fall beschäftigt die Gerichte bereits seit drei Jahren. Ein erster Indizienprozess am Lübecker Landgericht dauerte 14 Monate und endete am 20. Dezember 2000 mit einem Schuldspruch: lebenslange Freiheitsstrafe für Hartmut C. wegen Mordes an seiner Ehefrau Monika. C. wechselte den Anwalt: Der bekannte Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate ging für C. in Revision und hatte Erfolg. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil genau ein Jahr später auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung zurück an das Landgericht Lübeck, wo sich nun eine andere Schwurgerichtskammer seit dem 23. April 2002 mit der Sache herumschlägt.

Bis zum 6. Januar 1999 treten Hartmut und Monika C. nach außen als Durchschnittspaar mittleren Alters in Erscheinung. Sie sind seit 25 Jahren verheiratet, leben in materiellem Wohlstand und haben drei Kinder. Welche Abgründe sich zwischen den Eheleuten längst aufgetan haben, welche Truppen in aller Stille zusammengezogen, welche Fallen heimlich gestellt und welche Gruben gegraben sind - das wird erst später durch die Ermittlungen der Mordkommission offenbar. Vorerst betreibt man in scheinbarer Harmonie mehrere Sonnen- und Fitnessstudios in Lübeck, Ratzeburg und Hamburg, die einen Haufen Geld abwerfen. Bis plötzlich die Frau verschwindet. »Tschüss, Mama!«, ruft ihr Jüngster, damals 13 Jahre alt, am 6. Januar mittags in den Keller, wo Monika C. ihr Büro hat. »Auch tschüss!«, kommt es von unten herauf. Das ist das Letzte, was der Junge von seiner Mutter hört. Dann trägt er mit den Nachbarskindern Zeitungen aus und übt gerade Skateboardfahren auf der Straße vor dem Haus, als kurz nach 16 Uhr der Vater in seinem mit Mülltüten vollgepackten BMW zügig aus der Einfahrt strebt. Angeblich will er Müll wegbringen. Aber die Mülltüten sind immer noch im Wagen, als er gegen 19.30 Uhr wiederkehrt. Nur die Mutter ist weg.

Was geschieht im Haus, als die Eheleute zwischen 13 Uhr und 16 Uhr allein sind? Wo steckt Hartmut C. zwischen 16 Uhr und 19.30 Uhr? Er sagt, er sei umhergefahren und habe eine Baustelle besichtigt. Das glauben ihm weder Polizei noch Staatsanwaltschaft, denn im Januar ist es um diese Zeit stockdunkel. Warum verschwieg C. den Beamten, dass er just am 6. Januar 1999 einen Ford Kombi angemietet hatte, wobei er - mit der Begründung, er müsse Leuchtröhren für Sonnenbänke transportieren - auf einer besonders großen Ladefläche bestand? Wenn nicht zufällig eine Angestellte der Autovermietung sein Bild in der Zeitung gesehen und sich an C. erinnert hätte, wäre die Kripo niemals auf das Leihauto gestoßen. 255 Kilometer fuhr C. damit an jenem 6. Januar. Wohin? Und warum bleibt Hartmut C. später so gelassen, obwohl seine Frau nicht mehr auftaucht? Warum sucht er nicht? Warum sieht es so aus, als ob er sich keine Sorgen macht? Warum wiegelt er bei der Polizei ab? Warum wirft er seine anderen, bereits erwachsenen Kinder hinaus, als die das Elternhaus durchsuchen wollen? Auf keine dieser Fragen hatte Hartmut C. eine plausible Antwort. Während um ihn herum alle verrückt vor Sorge sind, interessiert er sich nur dafür, die Geschäfte seiner Frau zu übernehmen.

Nach der Überzeugung des ersten Lübecker Gerichts hat C. seine Frau, als er am 6. Januar 1999 nachmittags mit ihr allein daheim war, überfallen und sie tot oder bewusstlos im Kofferraum seines BMW aus dem Haus geschafft. Er hat sie in den unauffälligen Ford Kombi umgeladen und irgendwo entsorgt. Ob er sie in den menschenleeren Weiten Mecklenburg-Vorpommerns vergraben, in einem der zahllosen Seen versenkt oder in einer Müllverbrennungsanlage in Rauch aufgelöst hat - wer weiß das? Die Polizei hat keine Spur gefunden. Sicher ist aber, dass das Ehedrama seine Klimax erreicht hatte: Monika C. hatte ihren Mann in aller Stille aus den gemeinsamen Geschäften gedrängt. Einst, als die Pleite drohte, hatte er ihr alles überschrieben. Nun, da die Unternehmen dicke Gewinne einfuhren, war sie die Chefin und ließ sich von ihm nichts mehr sagen. Hartmut C. leitete dafür heimlich Geld von gemeinsamen Depots auf eigene um, seine Frau sperrte ihm daraufhin die Konten, sie erteilte ihm in diversen Studios Hausverbot, sie plante die Scheidung, und - sie fing an, um ihr Leben zu fürchten. Die Ehe war an jenen Punkt gelangt, wo die Frau die Radmuttern kontrolliert, bevor sie ins Auto steigt, wo sie es vermeidet, mit dem Gatten aufs Meer zu fahren, aus Argwohn, nicht mehr zurückzukehren. Eine Generalvollmacht, die dem Mann im Falle ihrer Verhinderung alle Macht über die Firmen verliehen hätte, unterschreibt Monika C. nicht. »Das wäre mein Todesurteil«, sagt sie zu Zeugen.

Mit einer falschen Vollmacht versucht C., wenige Tage nachdem seine Frau vermisst wird, die Firma wieder in seine Gewalt zu bringen. Er will unbedingt an das Codewort für den Geschäftscomputer gelangen und die Hoheit über die Konten zurückerobern. Auch dieses Auftreten wertete das Gericht in jenem ersten Prozess als ihn belastendes Nachtatverhalten. 156 Zeugen ließen die Richter aufmarschieren, um jede Minute jenes Januartages zu rekonstruieren. Wer hat Frau C. zuletzt gesehen? Was sagte sie? Was trug sie?

Was für ein Mordprozess! Die Fantasie der Hörer wird an ihre Grenzen getrieben. Niemand vernahm Schreie oder sah Blut fließen, es gibt keine rechtsmedizinischen Berichte und keine Polizeifotos von der Toten. Das Verbrechen, um das es hier geht, ist mit Sinnen nicht fassbar, das Unvorstellbare muss in der Vorstellung dessen entstehen, der an der Hauptverhandlung teilnimmt. Doch Beweis um Beweis trugen die Richter zusammen, und wer das 216 Seiten starke Urteil liest, ist von der Schuld des Hartmut C. überzeugt. Es bleibt kein vernünftiger Zweifel: Auch die theoretischen Varianten, Frau C. könnte Suizid begangen oder sich mit einem Geliebten davongemacht haben, fallen in sich zusammen.

Zu den Indizien passt die Persönlichkeit des Angeklagten. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihm eine »Als-ob-Persönlichkeit«, die immense Unsicherheiten und Ängste mit der Fassade des Machers, des Herrn-im-Haus kaschiere. Kontrolle über die Umgebung sei C. das Wichtigste, mit Reichtum und Statussymbolen versuche er sein schwaches Ego zu stabilisieren. Gerate sein glanzvolles Selbstbild aber in Konflikt mit der Realität, so tue er »vieles, wenn nicht gar alles dafür«, die schöne Illusion zu retten.

All das hat dem Landgericht im Jahre 2000 die Gewissheit verschafft, dass Hartmut C. seine Frau getötet haben muss. Daran fand der Bundesgerichtshof nichts auszusetzen. Die Schwurgerichtskammer habe sich »rechtsfehlerfrei davon überzeugt«, heißt es in der Aufhebungsentscheidung. Allerdings sei nicht sicher nachgewiesen, dass Monika C. tatsächlich einem Mord zum Opfer fiel, dass sie planvoll »aus niedrigen Beweggründen« beseitigt wurde. Sie könnte schließlich auch aus Versehen im Kofferraum erstickt oder beim Herumgeschlepptwerden so heftig mit dem Kopf aufgeschlagen sein, dass sie starb. Und auf Körperverletzung oder Freiheitsberaubung mit Todesfolge beziehungsweise fahrlässige Tötung steht nicht »lebenslänglich«.

Deshalb...

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Sabine Rückert, Jahrgang 1961, ist stellvertretende Chefredakteurin der ZEIT und Herausgeberin des ZEIT-Magazins Verbrechen. Seit 20 Jahren ist sie als Gerichtsreporterin tätig und erhielt für ihre Reportagen u.a. den Egon-Erwin-Kisch-, den Henri-Nannen- und weitere renommierte Preise. Seit 2018 begeistert sie gemeinsam mit Andreas Sentker Hunderttausende Zuhörer mit ihrem Podcast ZEIT Verbrechen.
ZEIT Verbrechen

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