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Berlin Monster - Nachts sind alle Mörder grau

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
413 Seiten
Deutsch
Bastei Entertainmenterschienen am27.08.20211. Aufl. 2021
Berlin. Hip und historisch, multikulti und politisch, altbekannt und doch ganz anders. Denn vor dreißig Jahren ließ die Strahlung einer Bombe den Aberglauben der Menschen lebendig werden. Heute brüten Dschinns in Kreuzberger Shisha-Cafés, Feen tanzen die Nächte in Friedrichshainer Clubs durch, und Hipster-Kobolde sind die Herren der Kneipen von Neukölln. In dieser Stadt der Monster bekommt es die Privatdetektivin Lucy mit einer Mordserie zu tun, die nicht nur den mühsam errungenen Frieden bedroht, sondern auch jene, die ihr am nächsten stehen.


Kim Rabe wurde Weihnachten 1981 im verschneiten Alpenvorland geboren. Heute lebt und schreibt sie in der schönen Stadt Nürnberg. Sie arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in einem Forschungsinstitut und nutzt jede freie Minute, die ihr neben Arbeit und Familie bleibt, zum Schreiben von magischen Geschichten. Ihr neuster kreativer Ausflug führt die Leser nach Berlin.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR9,99

Produkt

KlappentextBerlin. Hip und historisch, multikulti und politisch, altbekannt und doch ganz anders. Denn vor dreißig Jahren ließ die Strahlung einer Bombe den Aberglauben der Menschen lebendig werden. Heute brüten Dschinns in Kreuzberger Shisha-Cafés, Feen tanzen die Nächte in Friedrichshainer Clubs durch, und Hipster-Kobolde sind die Herren der Kneipen von Neukölln. In dieser Stadt der Monster bekommt es die Privatdetektivin Lucy mit einer Mordserie zu tun, die nicht nur den mühsam errungenen Frieden bedroht, sondern auch jene, die ihr am nächsten stehen.


Kim Rabe wurde Weihnachten 1981 im verschneiten Alpenvorland geboren. Heute lebt und schreibt sie in der schönen Stadt Nürnberg. Sie arbeitet als Wissenschaftsjournalistin in einem Forschungsinstitut und nutzt jede freie Minute, die ihr neben Arbeit und Familie bleibt, zum Schreiben von magischen Geschichten. Ihr neuster kreativer Ausflug führt die Leser nach Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783751703963
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum27.08.2021
Auflage1. Aufl. 2021
Reihen-Nr.1
Seiten413 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5420325
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


2

Heute ist es genauso schwül wie gestern. Ich sitze an meinem Ungetüm von Schreibtisch, die nackten Füße auf die Mahagoniplatte gelegt, und lese in der neuesten Ausgabe vom Metaboten. Ich habe die Zeitung bei Dirk am Kiosk gekauft und noch ein Schwätzchen mit ihm gehalten, bei dem er mir von einer Schlägerei zwischen Orks erzählt hat, und davon, dass diesen Monat bereits die zweite Eckkneipe am Rand der ZONE schließt. Stifs zählen kaum zur Stammkundschaft in solchen Lokalen - sie müssen sich schon einen Eimer Schnaps auf ex hinter die Binde kippen, wenn sie mal für fünf Minuten betrunken sein wollen. Aber offenbar haben selbst die Menschen hier im Viertel nicht mehr genug Geld für einen Rausch.

Die Klingel übertönt mein Zeitungsrascheln. Zunächst bewege ich mich nicht. Die Lehrlinge aus der Kfz-Werkstatt im Hinterhof spielen mir manchmal Klingelstreiche. Allerdings liegen die Bengel um diese Zeit schraubend unter den Autos. Als es ein zweites Mal klingelt, lege ich die Zeitung beiseite und luge aus dem Fenster.

Gegenüber vergilben die Plakate im Schaufenster von Utes Waschsalon und einer Europcar-Autovermietung, Satellitenschüsseln wachsen auf Sichtbeton und Primeln vertrocknen in ihren Balkonkästen. Blechkarossen hupen im Stau. Auf dem Gehweg hat die Müllabfuhr zwei Tonnen aneinandergelehnt wie ein Liebespaar. Lebende Wesen sind nicht zu sehen.

Es klopft an die Tür. Da meint es jemand ernst.

Ich schlüpfe in meine Ballerinas und schlurfe los. Nicht, dass ich es weit hätte vom Büro zum Flur, doch ich gebe meinem Sensor Zeit, anzuspringen. Hinter meiner Stirn beginnt es zu summen. Im Treppenhaus steht ein Stif. Ich spähe durch den Türspion. Auf Augenhöhe ist niemand, mein Blick wandert nach unten. Hellblondes Haar, dunkelroter Samt. Auch das verrät den Stif - kein Mensch trägt bei dieser Hitze eine Jacke.

Ich öffne einen Spalt. »Ja bitte?«

Ein elegantes Wesen, klein wie ein elfjähriges Kind. Gebräunte Haut, mit Make-up in Form zementiert, dunkle Augen unter einem schwarzen Wimpernvorhang, darüber ein weißer, akkurat geschnittener Bubikopf. Der flauschige Samtanzug mit dem Mandarinkragen könnte aus dem Pick n Weight stammen, wäre er nicht eindeutig auf die schmale Taille maßgeschneidert.

Mein Instinkt sagt mir, das Wesen ist weiblich. Wobei ich mich hüte, das am Äußeren festzumachen. Manche Stifs lehnen es auch ab, sich den binären Geschlechtern zuzuordnen.

»Lucy Wayne?« Ein skeptischer Blick gleitet an mir hoch, dann wieder hinunter. »Ich möchte Sie engagieren.«

Eilends mache ich die Tür auf und lasse das Wesen herein. Mit sanftem Hüftschwung spaziert es an mir vorbei. Wegen dieser Art zierlicher Feenhaftigkeit werden jedes Jahr unzählige Mädchen in Essstörungskliniken behandelt.

Ich hüte mich allerdings, von dem kindlichen Äußeren auf kindliche Unschuld zu schließen. Nach meiner einladenden Geste lässt es sich auf dem Stuhl vor meinem Schreibtisch nieder und mustert etwas abschätzig mein Büro. Bist wohl was Besseres gewöhnt, Schätzchen.

Ich wische die Zeitung in den Korb mit Altpapier und setze mich auf meine Seite des Schreibtischs.

»Entschuldigen Sie.« Das Wesen deutet mit sorgfältig manikürten Fingern in Richtung meiner Augenbraue. »Sie haben da etwas.«

»Ich weiß.« Ich unterdrücke den Impuls, mir an das Veilchen zu fassen. »Eine der unerwünschten Nebenwirkungen meiner Arbeit.«

Mein Gegenüber schweigt einen Augenblick. »Heißt das, Sie sind gerade ausgebucht?«

Ich werfe einen Blick in Richtung meines Terminkalenders, von dem ich genau weiß, dass er leer ist.

»Das kommt auf den Umfang Ihres Anliegens an.« Mit einem, wie ich hoffe, geschäftsmäßigen Lächeln falte ich meine Hände. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee, Tee, gefiltertes Wasser?«

Noch nie hat ein Stif in meinem Büro etwas getrunken, und auch dieses schüttelt eilig den Kopf.

»Okay«, sage ich. »Möchten Sie sich mir dann vielleicht vorstellen?«

»Natürlich.« Mit diesem Augenaufschlag braucht man keinen Fächer, um sich Luft zuzufächeln. »Mein Name ist Anna Alvarez, ich bin die Rose von Sevilla.« Sie spitzt ihre Lippen zu einer schimmernden Kirsche. »Manifestado en España. Aus einem andalusischen Mythos.«

Aha. Ich nicke, als würde ich verstehen, was sie meint. »Eine Göttin?«

Anna zögert. Dabei reicht mir ein Blick in das Melderegister des BMSMODG (Bundesministerium für Manifestierte Subjekte, Manifestierte Objekte, Determinierungen und Glaubenssätze), und ich wüsste alles über sie - Ursprung, zugeordnete Rasse, sogar ihre Schuhgröße.

Offenbar kommt sie zum gleichen Schluss.

»Pero no«, sagt sie und zieht einen Schmollmund. Es ist eine eingeübte Bewegung, die nicht zu ihrem bohrenden Blick passt. »Manche Menschen ordnen mich der Gruppe der Faeries zu. Doch ich stehe lieber für mich allein.«

»Aha. Und wie kann ich Ihnen helfen, Frau Alvarez?«

Ihr Mund verzieht sich, und aus ihren Augen quellen zwei Tränen. Die meisten Stifs verbergen ihre Gefühle sorgsam vor den Menschen - aber sie sind auch selten verzweifelt genug, um sich an eine Privatdetektivin zu wenden.

»Es geht um meine Freundin«, flüstert sie. Ich krame in meiner Schublade nach einem Papiertaschentuch.

»Lia. Sie ist verschwunden.«

»Das tut mir leid.« Ich reiche ihr das Tuch. Sie hält es sich unters Kinn und fängt damit die zwei perlenden Tränen auf, als wären es Edelsteine. Auch diese Bewegung wirkt einstudiert. Vielleicht ist sie Schauspielerin. Schätzungsweise trägt sie auch deshalb so viel Make-up.

An ihrer Rechten fällt mir ein Siegelring auf, viel zu wuchtig für ihre zarten Finger. Eine Hieroglyphe ist ins Gold graviert - oder vielleicht auch eine Rune. Ehe ich genauer hinschauen kann, legt sie die Hand auf den Schoß.

»Gilt Ihre Freundin ebenfalls als eine Art Fee?«, frage ich behutsam.

Sie schüttelt hinter dem Tuch den Kopf.

»Sie ist eine Sidhe.«

Faeries, Sidhe, Elfen, Alben - die Unterscheidung dieser Gruppierungen ist ein Trampelpfad aus Fettnäpfchen, deshalb gehe ich lieber nicht darauf ein.

»Lassen Sie sich Zeit. Und dann berichten Sie mir, was genau geschehen ist.«

Anna tupft sich ein letztes Mal die Augenwinkel, faltet das Tuch samt Edelsteintränen zusammen und steckt es in ihr Handtäschchen.

»Lia meldet sich normalerweise täglich bei mir«, sagt sie. »Vorgestern wollten wir uns treffen, zum gemeinsamen Lernen.« Ihre Stimme ist so fest und sachlich, dass sie das kurze Weinen wie einen Lapsus dastehen lässt. »Ich bringe ihr Spanisch bei und sie mir Keltisch. Aber sie ist nicht gekommen. Und ihr Telefon ist ausgeschaltet. Ich bin gestern bei ihr vorbeigefahren, doch es hat keiner geöffnet. Ich mache mir Sorgen.«

»Seit wann haben Sie nichts mehr von ihr gehört?«

»Seit fünf Tagen.«

»Ist das schon mal vorgekommen? Dass sie ohne Ankündigung verreist?«

»Nein, noch nie. Sie ist sehr zuverlässig.«

»Hat sie weitere Freunde außer Ihnen? Eine Arbeitsstelle, bei der man nachfragen könnte?«

Sie schüttelt den Kopf. »Lia lebt sehr zurückgezogen, ich glaube nicht, dass sie privat noch jemanden trifft außer mir. Viele Leute würden anderes vermuten, weil sie als Tänzerin arbeitet. Und als Sängerin. Warten Sie«, sie öffnet ihre Handtasche wieder und zieht ein zusammengefaltetes Papier heraus, streckt sich über mein Schreibtischungetüm, um es mir zu geben, »das ist sie. Meine Lia. Sie ist etwas Besonderes. Das Künstlerleben ist nicht leicht für sie.«

Ich falte das Papier auseinander, das sich als Autogrammkarte entpuppt. Eine blauäugige Schönheit blickt mir entgegen. Beinahe durchscheinend wirkt ihr herzförmiges Gesicht, sanfter als das von Anna. Ihr blondes Haar ist im Retrostil einer Hollywooddiva zu einer kunstvollen Lockentolle drapiert. Wenn Anna auf Lolita macht, so ist Lia die Marilyn Monroe unter den Elfen. Nur, dass es in den Fünfzigerjahren noch keine Elfen gab.

Seit die Stifs bei uns aufgetaucht sind, verschwinden sie ständig. Berlin verschluckt sie einfach, ein gieriger Schlund, der wenig wählerisch ist. Manche spuckt die Stadt wieder aus, andere nicht. Meist juckt es keinen. Warum dieser Fall anders sein soll, weiß ich noch nicht.

»Wo arbeitet Frau Fay derzeit?«, frage ich.

»In zwei Nachtclubs«, sagt Anna. »Im Berghain und im Elite.«

Fast hätte ich durch die Zähne gepfiffen. Das Berghain ist eine Ansage - einer der berühmtesten und zugleich mysteriösesten Technoclubs in Berlin, vielleicht sogar weltweit. Außerdem ist er fest in der Hand der Faeries.

»Das Berghain beschäftigt Tänzerinnen?«

»Aber nein«, sagt Anna. »Für Faeries wäre es eine Beleidigung, wenn ihnen jemand etwas vortanzt. Lia arbeitet dort als Musikerin. Sie singt.« Sie verzieht beim letzten Wort den Mund, als fände sie Gesang deutlich obszöner als Tanzen. »Im Elite tanzt sie. Mehr weiß ich nicht. Ich war nie dort, um sie mir anzusehen. Diese Nachtclubs sind nicht meine Welt.« Sie rümpft ihr Näschen in perfekter Geringschätzigkeit. »Ich habe im Berghain angerufen. Ihr letzter Auftritt war vor fünf Tagen. Im Elite verweigern sie mir die Auskunft.«

Das erstaunt mich nicht. Das Elite ist ein deutlich gediegenerer Club als das Berghain und Terrain des menschlichen Geldadels. Es würde mich wundern, wenn sie Stif-Gästen überhaupt Einlass...

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