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Es geschah in Heiliger Nacht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
240 Seiten
Deutsch
SCM Hänsslererschienen am14.10.20131. Auflage
Weihnachten bei Schnee und Eis im Gebirge. Friedevoll mitten im Zweiten Weltkrieg oder in stürmischer See auf einem kleinen Kahn. An die 50 Geschichten und Gedichte öffnen eine Tür für den Zauber der Heiligen Nacht und ihrem Geheimnis: 'Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.' (Jochen Klepper) Gerda Zottmaier hat die Geschichten dieses Buches auf vielen Weihnachtsfeiern erprobt und thematisch geordnet. Mit Texten von Eugen Roth, Siegfried Lenz, Manfred Hausmann, Helmut Thielicke und Friedrich von Bodelschwingh.

Gerda Zottmaier (1915-1998) war langjährige Buchhändlerin und Verlegerin. Für ihren Einsatz für Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
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Produkt

KlappentextWeihnachten bei Schnee und Eis im Gebirge. Friedevoll mitten im Zweiten Weltkrieg oder in stürmischer See auf einem kleinen Kahn. An die 50 Geschichten und Gedichte öffnen eine Tür für den Zauber der Heiligen Nacht und ihrem Geheimnis: 'Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern.' (Jochen Klepper) Gerda Zottmaier hat die Geschichten dieses Buches auf vielen Weihnachtsfeiern erprobt und thematisch geordnet. Mit Texten von Eugen Roth, Siegfried Lenz, Manfred Hausmann, Helmut Thielicke und Friedrich von Bodelschwingh.

Gerda Zottmaier (1915-1998) war langjährige Buchhändlerin und Verlegerin. Für ihren Einsatz für Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783775171755
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum14.10.2013
Auflage1. Auflage
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse5851 Kbytes
Artikel-Nr.3083831
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Der Letzte von der Einigkeit

Sie werden verstehen, dass ich nicht gerade zum Himmel emporgejubelt habe, als der vermischte Doktor mich am ersten Weihnachtstag anrief, kurz nach 22 Uhr, und mir eröffnete, ich müsse am nächsten Morgen im Krankenhaus zu Esens einen Steuermann namens Leiss besuchen, der sich mit seinem Küstenmotorschiff zwischen Langeoog und Baltrum ein tolles Stück geleistet habe. Der vermischte Doktor macht die Seiten »Unterhaltung und Vermischtes« bei unserer Zeitung. »Vermischtes« bedeutet Mord und Totschlag. Das kennen Sie ja. Deshalb heißt er so. »Der Kahn ist bei Windstärke 9 gekentert«, sagte er, »heute Mittag, heißt, glaube ich, Einigkeit. Der Kapitän und der Junge sind über Bord gegangen. Steuermann Leiss hatte Freiwache und wurde im Logis eingeschlossen. Nach drei Stunden hat die See den Kahn auf eine Sandbank vor Langeoog geworfen. Dann ist ein Hubschrauber von der Bundeswehr gekommen, hat den Mann herausgeholt und nach Esens ins Krankenhaus gebracht. Direkt vor die Haustür. Und nun sehen Sie mal zu, wie Sie die Sache in den Griff kriegen. Da sitzt nämlich Musik drin. Wenn Sie sich heranhalten, können Sie mir Ihren Bericht bis 18 Uhr auf den Schreibtisch legen. Mit Bild. Alles klar?«

Natürlich war alles klar. Was sollte ich machen? Dabei war gar nichts klar.

Übrigens: Nadolny ist mein Name. Bastian Nadolny. Wir wollten am zweiten Weihnachtstag nach Lübeck, Lille und ich.

Als wir am anderen Morgen losfuhren, waren die Straßen leer. Trotzdem musste ich aufpassen, weil die Sturmstöße den Wagen wegdrückten. Mit Lille zu fahren ist wie Geburtstag haben. Sie benimmt sich genau so, wie eine Frau sich benehmen muss, wenn sie mit einem Mann im Auto fährt. Macht es mit ihrem bloßen Dasitzen schon festlich. Sie nennt mich Bass, wegen Bastian und wegen meiner tiefen Stimme. Aber das gehört nicht hierher. Was hierher gehört, ist Folgendes: Im Krankenhaus von Esens sagte die Schwester mir, den Steuermann habe seine Frau gerade weggeholt.

»Lebendig?«, fragte ich.

Es habe so ausgesehen. Woher ich käme? Aus Bremen? Dann müsse ich ihnen begegnet sein. In einem kleinen Volkswagen. Vor zwei Stunden.

»Adresse?«, sagte ich.

Sie hatte die Adresse wahrhaftig da: Bremen, Kleine Meinkenstraße 17.

»Wissen Sie was, Schwester?«, sagte ich.

»Nein«, sagte sie.

»Ich wohne in der Sonnenstraße«, sagte ich. »Wenn ich um die Ecke biege, habe ich die Kleine Meinkenstraße gerade vor meiner Nase. Stattdessen fahre ich am heiligen zweiten Weihnachtstag geschlagene zwei Stunden durch Regen, Sturm und Dreck hierher. Zum Weinen. Warum ist er denn nicht hier geblieben?«

»Sowie er seine Stimme wieder fühlte, hat er mit seiner Frau telefoniert und nicht eher Ruhe gelassen, bis sie versprochen hat, ihn wieder nach Hause zu holen. Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.«

Kurz vor 15 Uhr bogen wir in die Kleine Meinkenstraße ein. Nummer 17 war ein kleines, schmales Haus. Ehe wir klingeln konnten, wurde die Wohnungstür geöffnet. Ein Herr verabschiedete sich von Frau Leiss: »Ich habe ihn zwar erst einmal krankgeschrieben, aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Auf jeden Fall sehe ich morgen früh noch einmal herein.« Der Arzt also. Wir ließen ihn vorbei und wandten uns Frau Leiss zu, die uns mit betonter Zurückhaltung musterte.

Steuermann Leiss lag auf dem Sofa. Er trug eine grüne, halb zugeknöpfte Strickjacke über einem wollenen Hemd mit offenem Kragen. Als er uns erblickte, setzte er sich auf und schob die Füße unter den Tisch.

»Du sollst in die Zeitung, Alwin«, sagte Frau Leiss. »Sie wollen dich aufnehmen.  Entschuldigen Sie, Ihren Namen habe ich schon wieder vergessen.«

Ich sagte, sie müsse aber mit auf das Bild. Dann stellte ich mich und Lille dem Steuermann vor.

»Angenehm«, sagte er und erhob sich ein bisschen. »Leiss.«

Er sah erschreckend mager aus. Die lange, dünne Nase ging an der Spitze etwas nach oben. Ich fragte ihn, ob er schon etwas Neues von dem Kapitän und dem Jungen gehört habe. Dabei wies ich mit dem Kopf auf das Fernsehgerät, das auf der breiten Kommode neben einem spärlich geschmückten Tannenbäumchen stand.

»Nein«, sagte er, »sie haben nichts mehr darüber gebracht. Schon vergessen.«

»Wir vergessen Sie aber nicht«, sagte ich. »Und deshalb wollen wir erst einmal ein paar Aufnahmen von Ihnen machen. Wenn Sie erlauben. An die Arbeit, Fräulein!«

»Hol mal was zu trinken, Mutter!«, sagte der Steuermann. »Mögen Sie echten Genever, aus Schiedam?« Er sprach es wie Ss-chiedam aus.

»Ein Gläschen traue ich mir wohl zu«, sagte ich, »aber mehr nicht. Ich muss ja fahren.«

»Und das Fräulein?«

»Dasselbe«, sagte Lille, während sie den Belichtungsmesser vor die Brust des Steuermanns hielt. »Achteinhalb Schein. Wir nehmen am besten die chromatische Superanastigmat mit Blende 11 und Gummilinse.«

Lauter Unsinn. Sie hat keine Ahnung vom Fotografieren. Aber es klang so wunderbar unverständlich, dass Frau Leiss ein ergriffenes Gesicht machte. Unverständlichkeit bewirkt immer Hochachtung. Davon lebt heutzutage die Kunst.

Während der Aufnahmen kamen wir ins Gespräch über das Kentern und die Strandung der Einigkeit. Der Steuermann hatte sich mit dem neuen Kapitän, einem Hamburger, nicht verstanden. Schon bei der Ausreise waren sie aneinandergeraten. Und auf der Westerems noch mehr.

»Westerems«, sagte ich, »woher kamen Sie denn?«

»Von Delfzijl. Ich hielt es für unverantwortlich, mit dem kleinen Schiff in das harte Wasser hineinzugehen. Wir hatten nur vierzehn Tonnen Ladung im Raum. Tee und Seidenpapier. Aber mit dem Kapitän war nicht zu reden. Er wollte und wollte am ersten Weihnachtstag in Hamburg sein, und da gab es nichts. Gott mag wissen, was auf dem Spiel stand.« Als sie gegen Mitternacht von Delfzijl ablegten, hatte der Steuermann das Ruder. Der Kapitän ging zur Koje und der Junge auch. Bei wachsendem Westnordweststurm und auflaufendem Wasser schlingerte die Einigkeit die Westerems hinunter, immer am Tonnenstrich entlang. Querab von Borkum traf sie das Wetter mit voller Gewalt. Der Steuermann musste die Fahrt herabsetzen. Das war gegen 6 Uhr morgens. Kurz vor 7 Uhr weckte er den Kapitän, weil der Diesel nicht einwandfrei arbeitete. Dann aß er ein paar Scheiben Brot mit Speck, trank einen Schluck, zog die Gummistiefel aus und warf sich in die Koje. Im nächsten Augenblick war er in tiefe Bewusstlosigkeit gesunken.

Und dann kam es. Ein Gedonner kam und ein Brechen und eine sich drehende Finsternis. Er fiel irgendwohin. Die Einigkeit sank weg, fing sich und ruckte hoch.

Ja, was nun? Er stand schwankend da und stierte in die Dunkelheit. Wenn es mit rechten Dingen zugegangen wäre, hätte doch alles längst vorbei sein müssen. Aber die Einigkeit musste so schnell gekentert sein, dass sie nicht hatte volllaufen können und dass sich eine Luftblase in der Kajüte gefangen hatte, die ihm das Atmen ermöglichte wie in einer Taucherglocke.

Wo mochten sie jetzt sein, das Schiff und er? Seine Armbanduhr zeigte ein Viertel nach 13 Uhr. Dann hatte die Flut schon eingesetzt. Dadurch verringerte sich die Gefahr, dass die Einigkeit auf die Schifffahrtsstraße geriet und von einem großen Pott vollends unter Wasser gedrückt wurde. Flut und Wind drängten sich gegen die Inseln. Das konnte die Rettung bedeuten. Hoffentlich hielt die Luft noch so lange vor.

Zuerst hatte ihm die Kälte am meisten zugesetzt. Aber mit der Zeit nahm die Einsamkeit überhand, sie quälte ihn noch mehr als die Kälte. So sehr, dass er ein paar Mal in Versuchung kam aufzugeben. »Ich habe keine weichmütige Natur«, sagte er, »das dürfen Sie mir glauben. Aber es war, als ob mir die Wände immer näher auf den Leib rückten in der Finsternis. Und ich hatte keine Hilfe und konnte nicht weg. Schön ist das nicht.« Er griff nach der Flasche. »Trinken Sie aus! Oder hätten Sie lieber ein Bier? Mutter, hol mal Bier aus dem Kühlschrank!«

»Nein, nein«, sagte ich. »Danke, ich darf ja nicht.«

Lille trank ihr Glas aus, zog es dann an sich und schüttelte den Kopf. »Ich danke auch. Aber ich möchte Sie wohl etwas fragen.«

»Fragen Sie nur, kleines Fräulein.«

Sie fasste wieder ihr Haar, so schräg von hinten, und schob es auf und ab. »Vorhin haben Sie gesagt, dass Ihre Armbanduhr noch ging.«

»Ging noch tadellos. Hier.« Er streckte ihr sein Handgelenk entgegen. »Hat keinen Tropfen durchgelassen.«

Lille schob noch immer ihr Haar auf und ab. »Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen das Ticken, wenn Sie die Uhr ans Ohr hielten, und die Leuchtziffern, ob Ihnen die nicht wie etwas Lebendiges vorgekommen sind in der Finsternis.«

»Sieh mal an«, sagte der Steuermann. Er ließ den ausgestreckten Arm mit der Uhr auf dem Tisch liegen und richtete seine Augen auf Lille. »So war es tatsächlich. Wie kommen Sie darauf?«

»Ich hätte Sie gern gefragt«, fuhr Lille fort, »ob Sie  oder ich will einmal so anfangen.« Sie spielte mit ihrem Glas. »Wenn Menschen  es braucht sich nicht einmal um eine so furchtbare Lage zu handeln wie Ihre  ich meine, wenn Menschen in großer Not sind und nicht mehr aus noch ein wissen, dann, na ja, dann kommt manchmal etwas über sie.«

»Hm«, sagte der Steuermann.

»Na ja, zum Beispiel, dass sie anfangen zu beten.«

Der Steuermann sah vor sich hin, warf einen kurzen Blick auf Lille und sah dann wieder vor sich hin.

Schweigen. Ich räusperte mich leise. Wieder Schweigen.

Frau Leiss zupfte Lille am Ärmel ihres Pullovers und flüsterte ihr unter verstohlenem Nicken zu:...
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Autor

Gerda Zottmaier (1915-1998) war langjährige Buchhändlerin und Verlegerin. Für ihren Einsatz für Aussiedler aus Ost- und Südosteuropa wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
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Zottmaier, Gerda
Hrsg.