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Heimat to go

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
237 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am14.02.20141. Aufl. 2014
Petra Nadolny ist Heimatwechselprofi. Das dachte sie jedenfalls - hat sie doch mit ihrer Ausreise aus der DDR bereits ein ganzes Land hinter sich gelassen und in ihrer Hofgemeinschaft im Rheinland schnell einen festen Platz gefunden. Aber auf einmal ziehen alle aus - und plötzlich ist es weg, das heimische Gefühl. Wie kann man es zurückholen - und wie viel davon brauchen wir in unserer immer mobiler werdenden Welt überhaupt? Sollen wir das Leibgericht aus der Kindheit kochen, alte Fotos durchwühlen oder gar Hirschgeweihe in die Wohnung hängen? Auf ihrer Suche entdeckt Petra Nadolny altmodische, einfallsreiche und überraschende Heimatvorstellungen - und eine neue für sich...mehr

Produkt

KlappentextPetra Nadolny ist Heimatwechselprofi. Das dachte sie jedenfalls - hat sie doch mit ihrer Ausreise aus der DDR bereits ein ganzes Land hinter sich gelassen und in ihrer Hofgemeinschaft im Rheinland schnell einen festen Platz gefunden. Aber auf einmal ziehen alle aus - und plötzlich ist es weg, das heimische Gefühl. Wie kann man es zurückholen - und wie viel davon brauchen wir in unserer immer mobiler werdenden Welt überhaupt? Sollen wir das Leibgericht aus der Kindheit kochen, alte Fotos durchwühlen oder gar Hirschgeweihe in die Wohnung hängen? Auf ihrer Suche entdeckt Petra Nadolny altmodische, einfallsreiche und überraschende Heimatvorstellungen - und eine neue für sich...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838745190
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum14.02.2014
Auflage1. Aufl. 2014
Seiten237 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2188469
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Die Letzte macht das Licht an Wie ich mich auf die Suche nach einem Gefühl von Zuhause machte

Wo ist nur meine bergische Idylle hin? Mein Zuhause erscheint mir wie gefleddert, denn fast alle, die mir lieb und teuer sind, sind in den vergangenen Monaten weggezogen. Nicht nur Haus und Hof kommen mir seitdem leer vor - auch in mir fühlt es sich so an. Fast habe ich den Eindruck, meine Heimat hier im Bergischen Land ist ein Kuchen, von dem ich meinen Freunden bei jedem Auszug ein Stück als Reiseproviant eingepackt und mitgegeben habe. Und jetzt ist nicht mehr viel davon übrig.

Das ist natürlich Unsinn, aber von Umzügen und Abschied nehmen habe ich inzwischen wirklich genug. Jörg und Silke haben unsere Hofgemeinschaft mit ihren beiden Söhnen bereits Anfang des Jahres verlassen, nach Karneval gingen dann meine langjährigen Freunde Christoph und Nicole mit Sohn, und zu guter Letzt zieht jetzt auch noch meine Tochter Anna nach Berlin.

Unsere verschworene Gemeinschaft hatte an Jahren, Erlebnissen und Zusammenhalt einiges aufzuweisen. Christoph und ich haben vor über zwanzig Jahren diesen freistehenden Fachwerkhof entdeckt und uns hier niedergelassen. Jeder von uns hatte einen Flügel des Anwesens übernommen. Vor zwölf Jahren ist dann Jörg dazugestoßen und hat die bis dahin unbewohnte Nordseite des Gebäudes mit Leben gefüllt. Wenn man so lange so dicht beieinander wohnt, weiß man, wie der andere tickt. Und ich weiß auch: Leichten Herzens ging keiner von beiden mit ihren Familien und neuen Plänen im Gepäck. Alle hatten triftige Gründe.

Ich bleibe. Aber irgendwie ist nichts mehr wie zuvor. Ein komisches Gefühl macht sich breit. Zum ersten Mal spürte ich es, als mir meine Freunde von ihren Auszugsplänen erzählten, irgendwann im vergangenen Jahr. Da versetzte es mir kurz einen kleinen Stich in der Brust. Und je konkreter die Auszugsvorhaben wurden, umso üppiger fing dieses Gefühl an zu wuchern - genau wie das Indische Springkraut auf unserer Wiese. Wer das kennt, weiß, dessen wird man irgendwann nicht mehr Herr.

»Unsere« Wiese kann ich nun auch nicht mehr sagen! Vor allem aber weiß ich jetzt nichts mehr mit ihr anzufangen - außer das Springkraut zu rupfen. Langsam frage ich mich, ob meine Freunde im Eifer des Gefechts meine Heimat ebenfalls in irgendeine ihrer tausend Umzugskisten gepackt haben.

Als Jörgs Umzugstag Ende Januar bevorstand, schien es fast so, als hätte das Schicksal Mitleid mit mir und würde alles tun, um den Abschied hinauszuzögern. In der Nacht davor fegte der Sturm so laut und unheimlich über das Bergische Land, dass ich aufwachte, Kopfkissen und Decke nahm und aus meinem Bett unter dem Dach auf die Couch ins Erdgeschoss wechselte. Hier hörte ich den Wind immer noch heulen, hatte aber keine Sorge mehr, er könne das Dach abdecken. Gerade als ich mich hinlegen wollte, sah ich, wie das Hoflicht anging, und hörte, wie sich nebenan eine Tür öffnete. Ich machte das Fenster auf.

»Weltuntergang!«, rief Jörg und zog an seiner Zigarette. »Hätte doch noch bis morgen Nacht warten können.«

Wie jetzt? Sollte das heißen: Nach ihm die Sintflut?

Am nächsten Tag erwachte ich durch Jörgs lautes Fluchen und Türenknallen, weil der nächtliche Sturm nicht nur Äste abgebrochen, sondern ganze Bäume umgerissen hatte, von denen nun einer die Fahrt seines bestellten Umzugswagens auf unserer schmalen Zufahrtsstraße durch den Wald blockierte.

Wenig später rückte er mit Bauer Heinrich aus. Beide trugen schwere Kettensägen, um den dicken Stamm einer Fichte zu stückeln und an den Straßenrand zu rollen, damit der Laster endlich passieren konnte.

»Zwei Stunden Verspätung«, raunte der Fahrer des Umzugswagens schlecht gelaunt, als die drei schließlich im strömenden Regen vor unserer Haustür standen. »Zwei Stunden. Das bezahlt mir doch keiner!«

»Doch, ich«, antwortete Jörg. »Ich werd dir das schon bezahlen.«

Der Fahrer kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. »So 'n Scheißwetter aber auch«, schimpfte er und ließ sich im Haus zeigen, was alles mit auf die Reise gehen sollte.

Beim Einladen stand Jörg auf seinem angestammten Rauchplatz neben der Eingangstür und koordinierte angestrengt, wohin Christoph, Nicole und ich die Kartons verfrachten sollten. Seine Frau Silke hatte mit den zwei Kleinen zu tun. Und während wir anderen zusammen mit dem Spediteur die Habseligkeiten im Hänger stapelten und auf dem Weg von der Haustür zum Laster nicht nur mit den Kilos seines Inventars, sondern auch noch mit dem Nass von oben kämpften, rauchte Jörg, durchgeregnet und mit den Nerven am Ende, eine Zigarette nach der anderen. Er stand dabei wie angewurzelt, als wäre es ihm unmöglich, seine Lieblings-Suchtecke zu verlassen.

Nachdem alles verstaut war, trockneten wir unsere klitschnassen Sachen auf der Heizung und kochten einen großen Topf Spaghetti mit Gemüse und Tomatensoße, unser Hof-Leibgericht - und unsere letzte gemeinsame Mahlzeit.

»Das ist ja mal was«, freute sich der Spediteur. »Sonst gibt's nur Kaffee, wenn's hoch kommt, Brötchen!« Seine Stimmung hellte sich bei dem warmen Essen sichtlich auf, obwohl er dadurch noch mehr in Verzug geriet. »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt's nun auch nicht mehr an«, verkündete er und verlangte Nachschlag.

Doch auch unsere Hof-Spaghetti konnten es nicht verhindern: Viel zu früh für mein Empfinden rauschte der Umzugstrupp mit Jörgs Familie und ihren sämtlichen Besitztümern davon.

Wind und Regen legten sich kurz darauf wie von Geisterhand, und es folgte eine fast gespenstige Stille. Ohne uns abzustimmen, begannen wir »Hinterbliebenen« ebenso still und jeder für sich, die heruntergefallenen Äste rund um unsere kleine Fachwerkhaussiedlung wegzuräumen. Ich verspürte wieder diesen seltsam starren Druck im Bauch, der in den Brustkorb wanderte und mich zwang, tiefer durchzuatmen als gewohnt.

Nur wenige Wochen später verabschiedeten sich auch Christoph, Nicole und Tim aus unserem bisher unzertrennlichen Drei-Familien-Gespann. Mit dem Unterschied, dass sich ihr Auszug über Monate hinzog, weil Mutter und Kind sofort an den neuen Wohnort übersiedelten, während Christoph Wochenende für Wochenende mit vollgeladenem VW-Bulli den Rest des Hausstandes abtransportierte.

Der Winter schien zu dieser Zeit wie festgefroren, ein Ende war nicht absehbar. »Von wegen Klimaerwärmung!«, murrte Christoph einmal, während er mit einer CD-Hülle, auf deren Cover Helge Schneider das Katzenklo pries, das Eis von den Autoscheiben kratzte. »Seitdem darüber geredet wird, haben wir die härtesten Winter.«

Am nächsten Tag besorgte ich ihm einen blau-weißen Eiskratzer aus dem örtlichen Baumarkt.

»Von wegen Klimaerwärmung!«, sagte ich.

Dieser Ausspruch wurde von da an zu unserem Morgengruß, und bald war mir klar, dass ich diese Art des vertrauten Miteinanders sehr vermissen würde. Unsere Hofgemeinschaft pflegte fast eine eigene Sprache - in langen Beziehungen entwickelt sich so etwas wohl zwangsläufig. Wenn von »Freunde der Sonne«, der »Partei der Guten«, wie wir uns bei politischen Diskussionen nannten, oder einem sommerabendlichen »Sundowning« die Rede war, wusste jeder, was gemeint war und welches Ritual sich damit verband.

Wir waren wie eine Familie. Entspannend fand ich das; man musste sich nicht mehr dauernd erklären, sondern konnte sogar gut zusammen schweigen, ohne dass gleich einer fragte: Ist was?

Als es dann doch endlich wärmer wurde, war der Tag gekommen, an dem Christoph die letzten seiner Siebensachen in den Transporter verlud. Nachdem wir uns Lebewohl gesagt hatten, wanderte ich wie eine Fremde durch mein eigenes Haus. Es kam mir alles so leer vor. Nicht, weil hier jetzt weniger Möbel standen, sondern weil es mir darin auf seltsame Weise an Vertrautheit mangelte.

Diese grüne Couch im Wohnzimmer zum Beispiel: Ein Erbstück von Opa Franz. Ohne meine Freunde schien sie mir nur noch ein etwas in die Jahre gekommenes Möbelstück zu sein. Wie oft hatten wir hier gesessen, die tiefschürfendsten Gespräche geführt, die blutigsten Tarantino-Filme geguckt und die reichhaltigsten Desserts genossen! Noch vor einem Jahr hatte der kleine Tim von nebenan darauf mit Hochhopsen das Beine-Durchdrücken geübt, um endlich die ersten Schritte wagen zu können, immer und immer wieder, bis die Federn sich aus ihrer Verankerung lösten und die Sitzgelegenheit an einer Seite durchkrachte. Ist, wie gesagt, ein altes Erbstück, haben wir wieder repariert. Aber was, bitte schön, soll ich jetzt allein auf dieser restaurierten, doofen, grünen Couch?

Als ob das nicht schon genug wäre, zieht nun auch noch meine Tochter Anna aus! Das ist schlimmer als alles andere. Vielleicht weil sie meine Tochter ist, vielleicht aber auch, weil es der letzte von all diesen Abschieden ist.

Dabei ist es nicht so, als träfe mich ihr Auszug komplett unvorbereitet. Anna war bereits seit ein paar Jahren zum Studieren in anderen Städten unterwegs. Nun hat sie ihren Abschluss in der Tasche und bricht im Bergischen endgültig alle Zelte ab, um in Berlin neu anzufangen.

Mein Blick bleibt an ihren Obi-Kisten hängen, die gepackt in unserer Wohnküche stehen, direkt neben der Haustür. Anna kommt mit dem letzten Karton die Treppe herunter und hievt ihn auf den Stapel.

»Puh, ist das 'ne Menge«, sagt sie mit Blick auf ihr verstautes Hab und Gut. »Ich dachte, ich hätte hier gar nicht mehr so viel.«

Sie schaut an mir vorbei durchs Fenster. »Oh nee, es regnet!«

Klar, dass an einem solchen Tag...

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