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Die schönen Mütter anderer Töchter

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
333 Seiten
Deutsch
Bastei Lübbeerschienen am20.09.20131. Aufl. 2013
Nichts ist so wichtig, wie sich zeitweise von allem zurückzuziehen - die dreißigjährige Michelin kümmert daher ihr Lesben-Single-Dasein wenig. Schließlich hat sie ihren Freundeskreis und einen ausfüllenden Beruf beim Fernsehen. Doch dann verliebt sie sich Hals über Kopf - ausgerechnet in Lena, neunzehn Jahre jung und ein begeisterter Szene-Frischling. Eine turbulente Zeit beginnt ...mehr

Produkt

KlappentextNichts ist so wichtig, wie sich zeitweise von allem zurückzuziehen - die dreißigjährige Michelin kümmert daher ihr Lesben-Single-Dasein wenig. Schließlich hat sie ihren Freundeskreis und einen ausfüllenden Beruf beim Fernsehen. Doch dann verliebt sie sich Hals über Kopf - ausgerechnet in Lena, neunzehn Jahre jung und ein begeisterter Szene-Frischling. Eine turbulente Zeit beginnt ...
Details
Weitere ISBN/GTIN9783838748832
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatFormat mit automatischem Seitenumbruch (reflowable)
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum20.09.2013
Auflage1. Aufl. 2013
Seiten333 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.2188693
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

ERSTES KAPITEL
Wie die Jungfrau zum Kinde

Nichts in meinem Leben ist wichtiger, als auf der Alm zu sein.

Nicht jeder versteht gleich, was ich damit meine, aber wenn ich dann episch die Arme ausbreite und mit ruhiger Stimme erzähle, dann senken sich die Augenlider der Zuhörerinnen, und ihre Gesichtszüge entspannen sich. Falten glätten sich auf ihrer Stirn, und ihre Hände, gerade noch nervös miteinander beschäftigt, ruhen plötzlich in ihrem Schoß.

Auf der Alm zu sein, lernte ich vor einigen Jahren, als mich von einem Tag auf den anderen eine Allergie gegen Zigarettenqualm befiel. Demzufolge litt ich unter phobischen Angstzuständen, sobald ich mich mit mehreren Personen in einem Raum befand. Ich vermutete Zigarettenraucherinnen in jeder und jedem und zog mich misstrauisch mehr und mehr vor meinen Mitmenschen zurück.

Meine damalige Freundin Ellen, Göttin sei Dank Nichtraucherin, machte sich furchtbare Sorgen, sprach von Vereinsamung und Lethargie. Aber je länger mein scheinbar so besorgniserregender Zustand andauerte, desto besser fühlte ich mich. Ich lernte die Ruhe kennen.

Nicht dass ich vorher eine Hektika gewesen war. Nein, ich lebte nur wie viele andere: Ich ging auf Partys, in Discos, Kneipen, Cafés und Kaufhäuser. Und das alles war mir mit einem Schlag nicht mehr möglich. Zigarettenqualm droht so gut wie überall. Und so suchte ich viele öffentliche Orte von heute auf morgen nicht mehr auf. Ich dachte, ich würde mich schrecklich langweilen, trostlos herumsitzen, mein Geld mit unsinnigen Bestellungen aus Versandhauskatalogen verpulvern - aber nichts davon geschah.

Stattdessen begann ich, auf der Alm zu sein.

Ich ging im Städtischen Park spazieren und hörte den Vögeln zu. Ich lernte, die sorgsam angepflanzten oder auch die wild gedeihenden Blumen am Duft zu erkennen und die Bäume mit geschlossenen Augen am rauen Relief ihrer Rinde. Dann bestellte ich per Katalog ein Vogelbestimmungsbuch, aber das war auch das Einzige, was ich anforderte. Ich las. Ich las Gedichte aus fünf Jahrhunderten, las Sciencefiction und historische Romane, politische Pamphlete und Liebesschmonzetten. Geschichten zogen sich durch meine Tage und durch meine Nächte. Ich träumte von den Menschen in den Geschichten und weinte manchmal, wenn ich auf der letzten Seite eines Buches angekommen war.

Meine Freundinnen begannen sich bevorzugt allein mit mir zu treffen. Plötzlich war da die Rede von Ausruhen vom Stress, die Rede von lang verheimlichten Problemen, und da war das Schweigen. Vielleicht ist es peinlich und irritierend, in einem Café zu schweigen oder in einer Kneipe. Aber am Waldrand, unter uralten Bäumen, und wenn man dank eines Vogelbestimmungsbuches weiß, dass da oben eine Lerche ihr Liedchen schmettert, ist es geradezu frevelhaft, ununterbrochen zu reden. Schweigen ist angebrachter und kommunikativer, fand ich plötzlich.

Ellen ihrerseits fand mich in meiner meditativ anmutenden Entwicklung sexuell höchst attraktiv. Wenn ich heute zurückblicke, kann ich sagen, dass das die schönste Zeit unserer Beziehung war. Wir liebten uns häufig und in immer neuen Variationen. Ich fand immer mehr Gefallen daran, auf der Alm zu sein.

Natürlich blieb es nicht auf Dauer bei diesem seligen Zustand. Ich lief von einer Therapie zur nächsten und hatte tatsächlich Erfolg: So plötzlich wie mich die bösartige und Glück bringende Allergie befiel, genauso rasch zeichnete sich Besserung ab. Schritt für Schritt konnte ich mich wieder unter »normale« Menschen wagen und auch zu alten Gewohnheiten zurückkehren, wenn ich wollte.

Doch meine Zeit auf der Alm hatte mich verändert und meine Prioritäten im Leben verschoben. Und ich nahm an, dass dies immer so bleiben würde, als ich eines Abends im scherzhaften Monat April einen Anruf von meiner guten Freundin Jackie erhielt.

»Kommst du heute mal wieder mit?«, begann sie unser Gespräch in einem provozierenden Tonfall, der eine eventuelle Absage von vornherein mit schlechter Laune sanktionierte.

»Wohin?«, wollte ich wissen.

»Zweiter Samstag im Monat«, flötete Jackie, ermutigt durch meine Nachfrage. An jedem zweiten Samstag im Monat war Frauenschwof im Kulturbahnhof. Ich war schon seit Ewigkeiten nicht dort gewesen. Bilder zogen vor meinen Augen auf, von grau wirkenden Frauen, die zu ohrenbetäubender Musik auf der Tanzfläche herumzuckten.

»Ach, ich glaube, ich werde lieber lesen. Ich habe ein neues Buch von dieser tollen Autorin, von der ich dir erzählt habe. Es spielt zur Zeit der Französischen Revolution und behandelt die Affäre zwischen zwei ...«

»Michelin?«

»Ja?«

»Ich weiß, dass du seit geraumer Zeit auf dem Trip bist, lieber zu lesen als zu tanzen, lieber zu lächeln als zu lachen und lieber zu meditieren als zu vögeln. Aber heute ist mal mein Trip dran. Okay? Und ich will auf den Schwof.« Jackie war gnadenlos. Wir hatten uns einmal, vor langer Zeit, gegenseitige Unterstützung versprochen, wenn es sich um lebensnotwendige Erfüllung gewisser Grundbedürfnisse handelte.

Jackie hatte ganz und gar andere Bedürfnisse als ich. Und gerade im Moment kamen die besonders stark zum Tragen, denn Jackie war genau wie ich seit einem Jahr solo und sie hatte diesen Zustand vollkommen satt. Sie betrachtete unsere ähnliche Lage der Partnerinnenlosigkeit viel pragmatischer als ich. Ich träumte von einer wunderbaren Begegnung auf einer Waldlichtung oder in den Dünen eines holländischen Strandes. Dabei spielten Romantik, tief schürfende Gespräche, funkenschlagende Blicke und sanfte Flüstereien eine entscheidende Rolle.

Jackie dagegen zog seit Wochen durch die Szeneläden und flirtete auf Teufel komm raus mit jeder blonden Pagierten, die dem Idealbild von ihrer Traumfrau nah genug kam. Sie wollte keine Gelegenheit auslassen, dort zu sein, wo sich viele Frauen trafen und wohin sich womöglich auch ihre nächste Liebe gesellen würde. Die Vision, eine umwerfend charmante, kluge, wunderschöne und unverständlicherweise momentan allein lebende Frau könne eine Party oder einen Schwof besuchen und auf ihrer Suche nach einer geeigneten monogamen Langzeitpartnerin Jackie um Haaresbreite verfehlen, verursachte meiner Freundin Albträume.

Daher stürzte sie sich bei jeder Gelegenheit ins Gewimmel, sondierte das Gelände und trieb sich unauffällig auffällig stets in der Nähe von infrage kommenden Kandidatinnen herum. Für eine Fatalistin wie mich war das eine ziemlich dumme Methode. Denn wenn ich eben jener Frau, von der ich durchaus auch hin und wieder träumte, begegnen sollte, dann würde ich es auch. Selbst wenn ich es gar nicht wollte. Auch im hohen Norden oder daheim in meinen eigenen vier Wänden würde ich diesem Schicksal nicht entgehen können. Dazu musste ich meine Abende nicht in stickigen Räumen mit viel zu lauter Musik verbringen.

»Du kennst meine Meinung dazu, Jackie. Und ich lasse mich von dir auch nicht erpressen. Aber weißt du was? Ich komme trotzdem mit!«, erklärte ich ihr gut gelaunt.

»Wieso?«

»Weil ich dich mag«, gab ich zu.

»Göttin, rette mich vor so viel Liebe!«, maulte Jackie. Aber dann lachte sie.

Die Wahrheit war: Ich hatte wirklich Lust darauf, mal wieder etwas anderes zu sehen als Kameras, Schnittstudios, Telefontasten und meinen Computer. Als Fernsehjournalistin mit eigener kleiner Produktionsfirma gab mein Alltag nicht immer den größten Anlass zur Fröhlichkeit. Fernsehen ist entsetzlich. Es verfälscht die Wahrheit wie kein anderes Medium, denn es gaukelt den Menschen vor, »alles mit eigenen Augen gesehen zu haben«. Emotionen werden geweckt, wo sie fehl am Platz sind, und abgestumpft, wo sie doch eigentlich wüten sollten. Meine Kollegin Frauke und ich hatten uns bei der Gründung unserer kleinen GbR vor zwei Jahren vorgenommen, etwas anderes, etwas Besseres zu fabrizieren. Wir wollten mit ehrlicher Haut erzählen, berichten und dokumentieren. Die Recherche für ansprechende Themen, die sowohl mit unseren hehren Ansprüchen als auch mit den Einschaltquoten konform gingen, verschlang unendlich viel Zeit und Energie. Und so hangelten wir uns mühsam von einem wohlwollenden Auftrag zum nächsten, immer an der Grenze zum Aufgeben. Etwas abendliche Abwechslung von diesem momentan recht frustrierenden Versuch, eine bessere Welt zu schaffen, wäre also gar nicht so übel.

Um Punkt zehn Uhr abends quäkte auf der Straße vor dem Haus, in dem ich wohnte, die klägliche Hupe von Jackies schrottreifem Wagen.

Ich hatte natürlich bis zur letzten Sekunde in meinem neuen Buch gelesen und nicht einen Gedanken an mein Styling verschwendet. Also nahm ich mit einem Achselzucken meine Jeansjacke vom Haken, zog sie über mein bunt geringeltes, aber wenigstens sauberes T-Shirt und verließ in hellen Leinenhosen und ausgelatschten Turnschuhen das Haus.

Jackie küsste mich zur Begrüßung nicht auf die Wange, hielt mir aber ihre hin. »Mein Lippenstift verschmiert sonst«, war ihr Kommentar.

Sie hatte sich mit Sicherheit schon Stunden vorher mit ihrem Aussehen für den Abend beschäftigt. Was allerdings nur für mich erkennbar war, weil ich Jackie gut kannte. Sie nahm nie zu viel von etwas, sondern trug sexy Kleidung, Schminke und Parfüm immer so, dass sie gepflegt und gleichzeitig natürlich wirkte. Jede Frau weiß aber, wie viel Mühe genau diese Erscheinung macht!

Jackie wirkte in ihrem schwarzen Sommeranzug mit langem Jackett leger und luftig. Sie hatte ihre schulterlangen Haare in Zöpfe geflochten, die keck im Nacken baumelten.

»Wie findest du mich heute Abend?«, fragte sie etwas atemlos, obwohl sie doch die letzten zehn Minuten im Auto...

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