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Zungenküsse mit Hyänen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
368 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am18.06.20131. Auflage
'Man liest weiter, obwohl man so etwas niemals lesen wollte.' Peter Sloterdijk Das dort ist Meikel, ein Landei, eine männliche Jungfrau, ein 33-jähriges Baby. Er drückt sich die Nase platt an den Schaufenstern der großen Stadt Rizz. Bald wird er sich verlieben in eine Frau, die ebenso schön wie tot ist: die Rote Müllerin. Er wird Reporter werden, um ihren Tod aufzuklären. Er wird Freunde und Feinde haben, in den exklusivsten Zirkeln von Rizz verkehren, Zungenküsse mit Hyänen tauschen, einen Teufelspakt schließen und einen Drachen töten. Am Schluss wird er untergehen und wieder auferstehen: als Mann. Lasterhaft Liebende im Großstadtdschungel, ein Prachtexemplar des aussterbenden weißen Mannes und die schönste Leiche der Saison - ist Else Buschheuers Roman ein modernes Märchen, das von Quentin Tarantino verfilmt werden will? Ist das sozialistischer Realismus im Theater des Westens? Eine Burleske mit hohen Absätzen und kurzen Hauptsätzen? Ein Crescendo der Unerhörtheiten? Oder einfach nur pure Lesefreude, die einen sagen lässt: Endlich wieder ein Roman von ihr! 'Es geht uns gold. Wir sind verlogen. Wir sind käuflich. Wir trennen den Müll. Wir wissen nicht, was Liebe ist. Wir haben unseren Platz in der Gesellschaft gefunden. Ganz oben.'

Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für 'Spiegel', 'Süddeutsche' und 'Tagesspiegel'. Ihre Romane 'Ruf! Mich! An!' (2000), 'Masserberg' (2001), 'Venus' (2005) und 'Der Koffer' (2006) waren Bestseller.
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Produkt

Klappentext'Man liest weiter, obwohl man so etwas niemals lesen wollte.' Peter Sloterdijk Das dort ist Meikel, ein Landei, eine männliche Jungfrau, ein 33-jähriges Baby. Er drückt sich die Nase platt an den Schaufenstern der großen Stadt Rizz. Bald wird er sich verlieben in eine Frau, die ebenso schön wie tot ist: die Rote Müllerin. Er wird Reporter werden, um ihren Tod aufzuklären. Er wird Freunde und Feinde haben, in den exklusivsten Zirkeln von Rizz verkehren, Zungenküsse mit Hyänen tauschen, einen Teufelspakt schließen und einen Drachen töten. Am Schluss wird er untergehen und wieder auferstehen: als Mann. Lasterhaft Liebende im Großstadtdschungel, ein Prachtexemplar des aussterbenden weißen Mannes und die schönste Leiche der Saison - ist Else Buschheuers Roman ein modernes Märchen, das von Quentin Tarantino verfilmt werden will? Ist das sozialistischer Realismus im Theater des Westens? Eine Burleske mit hohen Absätzen und kurzen Hauptsätzen? Ein Crescendo der Unerhörtheiten? Oder einfach nur pure Lesefreude, die einen sagen lässt: Endlich wieder ein Roman von ihr! 'Es geht uns gold. Wir sind verlogen. Wir sind käuflich. Wir trennen den Müll. Wir wissen nicht, was Liebe ist. Wir haben unseren Platz in der Gesellschaft gefunden. Ganz oben.'

Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für 'Spiegel', 'Süddeutsche' und 'Tagesspiegel'. Ihre Romane 'Ruf! Mich! An!' (2000), 'Masserberg' (2001), 'Venus' (2005) und 'Der Koffer' (2006) waren Bestseller.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841206404
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2013
Erscheinungsdatum18.06.2013
Auflage1. Auflage
Seiten368 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1276735
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
TINGELTANGEL

Rizz erlebe einen Jahrtausendwinter, stand im Mittagskurier. Und tatsächlich: Überall lagen Haufen schmutzigen Schnees, angeschmolzen, vereist, neu überschneit. Erfrorene Vögel fielen vom Himmel, Hunde schlotterten, Menschen schlitterten manche hatten eingegipste Gliedmaßen. Als ich aus dem Taxi stieg, dämmerte es bereits. Eisregen schlug mir ins Gesicht, schon nach wenigen Schritten hing meine Unterlippe wie betäubt herunter, die Augen tränten, die Nase lief. Hier wehte eine andere Luft als zu Hause. »Sie erreichen Frau Puvogel unter folgender Mobilnummer«, hatte in der Annonce gestanden.

Ich kämpfte mich im Gegenwind zur gläsernen Eingangstür des Gebäudes und erschrak. Mir im Weg stand ein blasser Junge mit vom Wind zurückgekämmtem dunkelblondem Haar, von dessen Nerdbrille der Regen tropfte, mit wollenem Mantel und weinrotem Strickschal. Der Junge blickte mich ängstlich an. Er hielt das Kinn gesenkt und sah aus, als würde er gleich nach Mama rufen.

»Nicht so schüchtern, junger Mann!«

Mein Spiegelbild verschwand. Eine Dame im Pelz hatte von innen die Tür geöffnet.

»Sie sind doch sicher Herr Rothe?« Ich räusperte mich.

»Ja. Wir hatten telefoniert. Guten Tag! Frau Puvogel?«

»Leibhaftig! Wie war die Reise?«

»Danke! Gut!«

Wir traten ins Foyer. Sofort beschlug meine Brille. »Wem gehört denn das Haus?«, fragte ich und klopfte den Schnee vom Kragen.

»Na, Frau Puh-Vogel«, rief sie und schlug sich auf den Pelz. Ich musste niesen. Sie war nicht die Maklerin, sie war die Besitzerin. Umso besser.

»Das ist aber auch ein Erkältungswetter«, sagte Frau Puvogel.

»Ich bin nicht erkältet, ich habe eine Katzenallergie«, sagte ich, holte das blaue Fläschchen mit den Augentropfen aus meinem Mantel, blickte nach oben, träufelte und zeigte dann auf ihren Pelz.

»Na hören Sie mal«, sagte Frau Puvogel, »von wegen Katze, das ist Feuerwiesel, hat ein halbes Vermögen gekostet.«

Sie öffnete den Mantel, um mir das Etikett zu zeigen.

»Moment!« Ich putzte meine Brille und konnte wieder sehen. Frau Puvogel trug einen Haarschnitt, der in Rizz en vogue zu sein schien. Ich hatte ihn schon am Bahnhof mehrfach gesichtet. Es handelte sich um eine Art Schichtfrisur, oben blond, unten schwarz. Die Frau war schillernd und leicht überpflegt. Sie hatte die Blüte ihrer Jahre überschritten, ich schätzte sie auf Mitte fünfzig. Aus ihrem Dekolleté quollen blau geäderte Brüste.

Dem Fahrstuhl entstiegen zwei junge Männer in Matrosenhemden und engen Jeans. Sie trugen Plüschmäntel über den Schultern, unterhielten sich und musterten uns mit Kajalaugen. Frau Puvogel wendete sich angewidert ab. Wir stiegen ein und fuhren in Zeitlupe nach oben. In der Ecke neben der Tür hing eine Kamera. Der Fahrstuhl war voll verspiegelt. Ich sah Frau Puvogel, egal, wohin ich schaute. Neben ihr sah ich mich selbst, hochgewachsen und hager, feucht von schmelzendem Schnee, einen jungen Mann mit einem staunenden Kindergesicht.

»Hui«, rief sie, doch mir war beklommen zumute. Die Himmelfahrt mit Frau Puvogel lieferte mich ihr ganz aus. Im Rückgrat des Wolkenkratzers glitten wir nach oben. Frau Puvogel dampfte in ihrem leicht aasig riechenden Feuerwieselpelz und schnatterte pausenlos. Im dritten Stock kannte ich alle Vorzüge des Leuchtturms (»ein Mekka für Hobbyfotografen«), im sechsten Stock referierte sie über die Jahreszeiten (»Heutzutage gibt es keinen Frühling mehr«), zwischen dem zwölften und dem vierzehnten Stock erläuterte sie mir die Wirtschaftslage (»Mit diesem Euro das geht nicht mehr lange gut«), und als wir im zwanzigsten Stock ausstiegen, hatte ich das Gefühl, Frau Puvogel seit Jahren zu kennen.

»Die Wohnung wäre ab April«, sagte sie, kramte in ihren Manteltaschen und zog einen monströsen Schlüsselbund heraus. »Es sind noch Möbel von der Vormieterin drin.«

Frau Puvogel machte ein Gesicht, das Schlimmes verhieß. »Sie ist verSCHTORben. An ihrem dreißigsten Geburtstag! Schräckliche Sache. Felicitas Müller, haben Sie vielleicht in der Zeitung gelesen?«

»Nein. Hier in der Wohnung?«

»Momentchen«, murmelte Frau Puvogel, kramte wieder in ihren Manteltaschen und förderte ein zerknicktes Exemplar des Mittagskurier zutage. »Liebestod in Dingenskirchen?« stand dort in fetten Majuskeln. Darunter ein Foto. Ich sah Felicitas Müller zum ersten Mal. Und auch sie schien mich zu sehen. Frau Puvogel hatte endlich den richtigen Schlüssel gefunden und die Tür geöffnet. Dann drehte sie sich um, entzog mir die Zeitung wieder und legte mir die Hand auf die Brust. Es war ein beklemmender Moment von Körperlichkeit.

»Keine Angst, Jungermann«, sagte sie orakelhaft, »hier gibt's keine Geister. Frau Puh-Vogel garantiert dafür.« Sie nickte, während sie von sich sprach wie von einer anderen Person, für die sie unbedingt die Hand ins Feuer legen würde. Wir betraten das helle Zimmer hoch über Rizz. Sofa, Bett, Fernseher, Schrank, Tisch, Stuhl. Frau Puvogel öffnete die Balkontür und bedeutete mir feierlich, hinauszutreten. Der Balkon war voller Schnee. Eine eiskalte Windböe schlug uns ins Gesicht. Wir schnappten nach Luft, Eishände griffen mir an die Ohren.

Frau Puvogel rief wieder »Hui!«, hielt mit einer Hand den Pelzmantel zu und mit der anderen ihre Schichtfrisur fest. »Nicht runtergucken«, rief sie.

Nun sah ich erst recht hinunter. Mikroben-Menschen, Autos wie Spielzeuge, streichholzkleine Bäume. Es stach tief in meinem Bauch. Ich warf mich zurück und presste den Rücken gegen die kalte Wand. Etwas Unheilvolles schwappte in mir hoch. »Ist sie gesprungen?«

Frau Puvogel sah ebenfalls hinunter und nutzte die Gelegenheit, um erneut nach mir zu greifen.

»O Gott«, schrie sie gegen den Wind, »ogottogottogott, dieser Wünd! Nein, sie ist ja in Dingenskirchen geSCHTorben. Das ist ein Dorf, vierzig Kilometer von hier. In der Villa eines Filmproduzänten, mit dem sie wohl « Frau Puvogel ballte die linke Hand zur Faust und schlug damit dreimal in die rechte Handfläche, wofür sie mich loslassen musste. »Ein richtiger Kerl, dieser Müller, reich und mächtig! Sehr berühmt. Haben Sie von ihm gehört? Er verkehrt im Club meines Exmannes. Die sollen immer Orgien machen, mit Rauschgift.« Sie winkte ab. »Jedenfalls wo war ich? Es war ja ein Unfall, angeblich «

Wir gingen wieder hinein.

»Wie war sie denn so?«

»Wenn Sie mich fragen: Tingeltangel! Hier gingen Krethi und Plethi aus und ein, sie war eine sogenannte Bestsellerautorin.« Frau Puvogel zog ihr Unterlid herunter. Dem Postboten, erfuhr ich, hatte meine Vormieterin zuweilen nackt geöffnet, und wegen lauter Beischlafgeräusche hätte es Beschwerden gegeben, einmal sogar bis hin zur Unterschriftensammlung. Um unsere Füße sammelten sich schmutzige Schneepfützen. Ich begann, körperlich unter Frau Puvogels Anwesenheit zu leiden.

Die Wohnung jedoch gefiel mir, mittendrin und doch allein. Auch der Hauch von Tragik, den die tote Bestsellerautorin einbrachte. Hier würde ich die zehner Jahre des dritten Jahrtausends verbringen, fürs Feuilleton schreiben und schöne Frauen küssen. Das Bett war ungemacht. Es sah aus, als sei es noch warm. Hitze machte sich in meinen Lenden breit. Ob dort der geräuschvolle Beischlaf stattgefunden hatte? Ich hatte nur einen kurzen Blick auf die rote Lockenmähne, die saugenden grünen Augen im Mittagskurier geworfen. Der hatte gereicht.

»Hier wird entrümpelt, dann renovieren wir. Ich sach mal, Mai könn' Sie rein.«

»Sagten Sie nicht April?«

»Ich sagte Mai.«

»Aber ich brauche die Wohnung sofort«, murmelte ich.

»Pardon?«, sagte Frau Puvogel.

Mutter pardonte auch immer. Vor allem, wenn sie ein unflätiges Wort hörte, »Arsch« zum Beispiel oder, schlimmer noch, »Scheiße«. Was Mutter wohl gerade tat? Ob sie meinen Brief schon gefunden hatte?

Der Ton der Vermieterin änderte sich, seit meine Dringlichkeit im Raum stand. Sie war nicht mehr die Werberin, sie war die Umworbene. Binnen Sekunden war ich zum Bittsteller geworden, den man verhören durfte. Ich sei nicht etwa arbeitssuchend (sie sprach dieses Wort mit gestisch dargestellten Gänsefüßchen)? Oder Raucher? Ansteckende Krankheiten? Haustiere? Adoptierte Negerkinder? Homosexualität? Nicht, dass sie gegen Letzteres was habe, sogar der Außenminister sei ja so einer. Aber der sei ja auch ganz unten auf der Beliebtheitsskala. Nein, kein schwuler Zuzug im Leuchtturm. Das irritiere die Mieter. Bei aller Liebe.

»Ich bin auf keinen Fall homosexuell«, sagte ich leise und spürte, wie mir das Blut in die Wangen schoss. »Schwul« hätte ich nicht zu sagen gewagt. So sprach man nicht, dort, wo ich herkam. Frau Puvogel kicherte backfischhaft. Nein, sie hätte mich auch keine Sekunde verdächtigt, aber, um zur Sache zu kommen, die Wohnung sofort mieten, das ginge gar nicht, auf keinen Fall, so ganz ohne Verdienstbescheinigung, polizeiliches Führungszeugnis, Kaution, Kenntnis meiner Person

Ich führte als Leumundszeugen Big Ben ins Feld, meinen Patenonkel, dem immerhin der Mittagskurier gehörte, den Frau Puvogel am Leibe trug. Tatsächlich, sie schien Big Ben nicht nur zu kennen, sondern über die Maßen zu verehren. Er sei ein Mann der alten Schule, sagte sie und wackelte anerkennend mit dem Kopf.

Gern wäre ich auch ein Mann der alten Schule gewesen. Gern hätte ich diesen weltläufigen, flirtenden Ton draufgehabt wie Cary Grant in »Arsen und Spitzenhäubchen«, aber es fehlte mir...
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Autor

Else Buschheuer wurde in Eilenburg/Sa. geboren. Bekannt wurde sie als Fernsehmoderatorin und Buchautorin. Von 2001-2005 lebte sie in New York City; vielbeachtet waren ihre Berichte über die Anschläge vom 11. September. Heute wohnt Else Buschheuer in Leipzig. Sie arbeitet u. a. für den mdr, für "Spiegel", "Süddeutsche" und "Tagesspiegel". Ihre Romane "Ruf! Mich! An!" (2000), "Masserberg" (2001), "Venus" (2005) und "Der Koffer" (2006) waren Bestseller.