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Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
304 Seiten
Deutsch
Aufbau Verlage GmbHerschienen am10.11.20201. Auflage
Der Traum von Freiheit war so nah...

Im Kofferraum eines Mercedes versucht die Familie Neumann 1977 aus der DDR in den Westen zu fliehen. Doch sie werden verraten und noch an der Grenze festgenommen. Die Eltern und ihre dreijährige Tochter werden auseinandergerissen. Für die junge Geigerin Eva-Maria Neumann beginnt eine traumatische Haftzeit im berüchtigtsten Frauengefängnis der DDR ...

Der ergreifende Bericht über eine gescheiterte DDR-Flucht und deren Folgen. Ein dunkles Kapitel deutsch-deutscher Geschichte.



Eva-Maria Neumann wurde 1951 in Leipzig geboren und absolvierte dort auch von 1968-1975 ein Musikstudium mit dem Hauptfach Violine. 1977 geriet sie nach einer gescheiterten Republikflucht in Haft, bevor sie 1979 nach Aachen zog. Dort war sie bis zu ihrer Pensionierung als Geigenlehrerin und Mitglied des Aachener Kammerorchesters tätig.

Ihre gescheiterte Flucht aus der DDR und die anschließende Haftzeit schildert Eva-Maria Neumann eindrucksvoll in dem Titel 'Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit'.
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Produkt

KlappentextDer Traum von Freiheit war so nah...

Im Kofferraum eines Mercedes versucht die Familie Neumann 1977 aus der DDR in den Westen zu fliehen. Doch sie werden verraten und noch an der Grenze festgenommen. Die Eltern und ihre dreijährige Tochter werden auseinandergerissen. Für die junge Geigerin Eva-Maria Neumann beginnt eine traumatische Haftzeit im berüchtigtsten Frauengefängnis der DDR ...

Der ergreifende Bericht über eine gescheiterte DDR-Flucht und deren Folgen. Ein dunkles Kapitel deutsch-deutscher Geschichte.



Eva-Maria Neumann wurde 1951 in Leipzig geboren und absolvierte dort auch von 1968-1975 ein Musikstudium mit dem Hauptfach Violine. 1977 geriet sie nach einer gescheiterten Republikflucht in Haft, bevor sie 1979 nach Aachen zog. Dort war sie bis zu ihrer Pensionierung als Geigenlehrerin und Mitglied des Aachener Kammerorchesters tätig.

Ihre gescheiterte Flucht aus der DDR und die anschließende Haftzeit schildert Eva-Maria Neumann eindrucksvoll in dem Titel 'Sie nahmen mir nicht nur die Freiheit'.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783841221056
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2020
Erscheinungsdatum10.11.2020
Auflage1. Auflage
Seiten304 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse8313 Kbytes
Artikel-Nr.5366245
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
1
Verhaftung an der Grenze

Es ist 20 Uhr. Langsam kommt ein Wagen auf uns zu, der in der Dunkelheit durch seine großen Scheinwerfer auffällt: der blaue Mercedes! Kennzeichen: B - ML 363. Eine Stunde Verspätung, mein Herz schlägt bis zum Hals. Ich hatte schon gedacht, dass es wieder nichts werden würde. Sollte heute, am 19. Februar 1977, endlich die Entscheidung fallen?

Dann werde ich nie mehr unsere Wohnung in der Landsberger Straße sehen, nie wieder das Quietschen der Straßenbahn hören, das mich immer so gestört hat und nach dem ich jetzt schon Heimweh habe.

Schon lange stehen wir hier in Wiederitzsch, im Norden von Leipzig, lange vor der vereinbarten Zeit.

Ich habe unsere fast vierjährige Tochter Constanze auf dem Arm, sie wird von Minute zu Minute schwerer. Es ist dunkel und spät für so ein kleines Kind, Schlafenszeit. Eben bin ich mit ihr noch einmal zu dem Tapetengeschäft auf der anderen Straßenseite gegangen; dort suchten wir uns Muster für ein Kinderzimmer aus, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Als sie genug davon hatte, spielten Rudolf und ich mit ihr kleine Ratespiele und erzählten ihr Gute-Nacht-Geschichten. Nun lehnt sie müde an meiner Schulter und nuckelt an ihrem kleinen weichen Kissen.

Die Türen des Mercedes öffnen sich mit einem heftigen Ruck. Hinter dem Steuer sitzt ein Mann, vielleicht Mitte zwanzig, in Jeans und kurzer, heller Jacke, auf dem Beifahrersitz eine dunkelhaarige hübsche Frau in einem langen schwarzen, taillierten Mantel, die zwei, drei Jahre jünger sein mag. Nervös erklärt sie, dass sie nur mitgekommen sei, weil ein harmloses Pärchen sicher weniger auffalle.

»Los, steigen Sie ein, wir sind spät dran. Ich habe mich verfahren.« Die Stimme des Mannes überschlägt sich fast.

Wir zögern, denn wir warten auf das Losungswort. Der Schleuser sollte sagen: »Ich bin der Otto.« Unsere Antwort: »Das hat der Hassan mir gesagt.« Doch der Typ macht keine Anstalten. Entnervt murmelt Rudolf:

»Der Hassan hat mir gesagt, dass du der Otto bist.«

»Quatsch nicht so lange, rein mit euch ins Auto, schnell!«

Constanze klettert zuerst in den Mercedes. Ohne Scheu, fast abenteuerlustig lässt sie ihre Füße von der ledernen Rückbank baumeln und wartet darauf, dass wir uns zu ihr setzen. Bevor wir einsteigen, verstauen wir hastig die wenigen Dinge, die wir mitnehmen dürfen: eine Tasche mit unseren Zeugnissen und Unterlagen sowie meine Geige. Dann fahren wir los.

An der Autobahnauffahrt, die wir hätten nehmen müssen, rast der Mann, von dem ich später erfahre, dass er Manfred Kowalski heißt, vorbei, ehe wir etwas sagen können. Als wir ihn auf seinen Fehler aufmerksam machen, flucht er laut vor sich hin. Also wieder zurück. Endlich erwischt er die richtige Abzweigung, doch bevor wir auf der Autobahn sind, hält er an.

»Los, umsteigen!«, ruft er uns zu.

Erschreckt sehe ich ihn an. Mitten in der Auffahrt? Und das wollen Profis sein!? Ich kann es nicht fassen.

»Schneller, bewegt euch mal ein bisschen!«

Wir tun unser Möglichstes, aber so rasch geht das mit dem fast schlafenden Kind nicht. Trotz der nächtlichen Schwärze nehme ich wahr, dass ein Auto hinter uns hält. Mein Adrenalinspiegel steigt. Stasi! Jetzt werden wir verhaftet!

»Das ist nur unser Begleitfahrzeug«, beruhigt uns Kowalski. »Kümmern Sie sich nicht darum. Beeilen Sie sich, jede Minute zählt.«

Ein Begleitfahrzeug? Wozu denn das? Fallen wir in einem Konvoi nicht noch mehr auf? Dieses Vorgehen erscheint mir seltsam. Später, bei den Vernehmungen, erfahre ich, dass dieser Wagen von uns ablenken sollte.

Rudolf klettert zuerst in den Kofferraum. Er quetscht sich an die hintere Wand, mit dem Kopf zur Fahrerseite, die Beine angewinkelt. Der Ersatzreifen lässt ihm kaum Platz für die Füße. Vorsichtig rückt er seine Brille zurecht. Bevor er Constanze entgegennimmt, breitet er einen Teil seines dunkelblauen Mantels über dem Boden des Kofferraums aus. Er presst sie fest an sich. Die Kleine ist voller Vertrauen: Sie legt sich in den nach Motoröl stinkenden Kofferraum, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt. Aber wie sollte es auch anders sein? Schlechte Erfahrungen hat sie in ihrem Leben bislang noch nicht gemacht.

Kowalski hilft mir. Ich stelle mich ungeschickt an, weil ich fürchte, Constanze mit einer unglücklichen Bewegung wehzutun. Die Hände des Schleusers sind schweißnass, während er gleichzeitig am ganzen Leib zittert. Ob auch er Angst hat? Er, der Experte auf diesem Gebiet?

Es gibt kaum einen Zentimeter, der nicht mit uns dreien und dem Ersatzreifen ausgefüllt ist. Ich muss mich regelrecht zusammenfalten. Meine Geige passt nicht mehr in den Kofferraum, wir müssen sie auf dem Rücksitz liegen lassen. Die junge Frau hat unsere Tasche und eine Tüte mit Äpfeln derart darüber gelegt, dass man das Instrument nicht auf den ersten Blick sieht, alles soll Normalität vortäuschen. Aber wenn die Grenzer die Geige doch bemerken, was dann? Wir hätten das mit dem Fluchthelfer besprechen sollen, aber alles ging so schnell.

»Werden wir auch wirklich genug Luft zum Atmen haben?«, fragt Rudolf besorgt.

»Es gibt einen Luftschlauch und kleine Löcher im Kofferraumdeckel, Sie werden nicht ersticken«, sagt der Mann, von dem unsere Zukunft abhängt, bevor er die Klappe mit einem lauten Knall zuschlägt.

Constanze zuckt ein wenig zusammen, kuschelt sich dann aber an mich und schläft nach kurzer Zeit fest ein. Ich spüre ihren ruhigen Atem an meinem Hals. Wir haben ihr, bevor wir ins Auto stiegen, ein leichtes Schlafmittel verabreicht, das uns eine Kinderärztin mitgegeben hat. Es zeigt jetzt seine Wirkung. Ständig fühlen Rudolf und ich ihren Puls: Er schlägt normal.

In mir steigt Panik auf. Die Enge und die Dunkelheit um mich herum sind schwer zu ertragen. Mein Herz rast, ich habe plötzlich das Gefühl, die Luft wird knapp, aber ich weiß, dass ich mich in den Griff bekommen muss. Bis zum Ende unserer Reise wird es noch Stunden dauern, ich darf sie durch meine Angstattacken nicht gefährden.

Was hatte Kowalski gesagt? Ich versuche, mich mit praktischen Gedanken zu beruhigen. Er will zunächst Richtung Thüringen fahren, zum Hermsdorfer Kreuz. Von dort aus führt die Transitstrecke über den Grenzübergang Hirschberg nach Hof - in die Bundesrepublik Deutschland, unser Ziel. Werden wir es schaffen? Vor drei Jahren ist Rudolfs Schwester Helga und ihrem Mann die Flucht gelungen! Warum soll es bei uns anders sein? Auch unsere Unternehmung wird Erfolg haben, rede ich mir gut zu. Sonst hätten wir sie niemals gestartet, schon gar nicht mit Constanze. Dennoch: ein Risiko bleibt. Ich muss die düsteren Ahnungen vertreiben, die sich immer wieder in meine Zuversicht mischen. Als lebendes Gepäckstück in einem Kofferraum ist das nicht leicht.

Ich werde das Gefühl einfach nicht los, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist. Der Fluchthelfer fährt, als hätte er gerade eine Zechtour hinter sich, mehr als einmal fürchte ich, der Wagen würde im nächsten Moment umkippen. Was ist los? Hat er sich schon wieder verfahren und wendet auf der Autobahn? Und das Begleitfahrzeug? Hat es auch gedreht? Es muss doch auffallen, wenn zwei Westautos derartige Kapriolen schlagen. Oder werden wir schon verfolgt?

Meine Gedanken überschlagen sich, ich bebe vor Furcht und Kälte. Rudolf nimmt meine Hand, ich werde ruhiger, auch Kowalski hat zu einem weniger chaotischen Fahrstil zurückgefunden. Ich höre Tanzmusik, hin und wieder fallen ein paar Worte, die ich nicht verstehe, sosehr ich mich auch anstrenge. Es ist für mich nahezu unerträglich, wildfremden Menschen ausgeliefert zu sein. Ich versuche, mich zu konzentrieren. Wie war noch die Vereinbarung? Wenn wir an der Grenze sind, wird das Radio ausgestellt. So wissen wir, dass wir uns nun absolut ruhig verhalten müssen. Ich lausche immer wieder auf Constanzes Atem: Er geht tief und regelmäßig, ebenso ihr Pulsschlag. Wenn sie nur nicht im Augenblick der Passkontrolle aufwacht und zu husten oder zu weinen anfängt. Kein Laut darf aus diesem Kofferraum nach außen dringen, wenn die Grenzer unsere Fluchthelfer ins Visier nehmen.

Wir fahren und fahren. Die Reise scheint eine Ewigkeit zu dauern. Ich schätze, dass wir schon zwei bis drei Stunden unterwegs sind. Rudolf trägt eine Uhr mit Leuchtziffern, aber ich wage nicht, ihn zu fragen, wie spät es ist; die Kleine könnte davon wach werden.

Immer wieder muss ich an meine Tante denken, die wir gestern noch einmal besucht hatten. Ihre letzten Worte waren: »Kommt bald wieder! Ihr kommt doch bald wieder?« Das hatte so ängstlich geklungen, dass es mir kalt den Rücken hinunterlief.

Niemandem hatten wir gesagt, dass wir seit langem nur noch ein Ziel haben: »Republikflucht«, wie es im Sprachgebrauch unserer sozialistischen Heimat, der Deutschen Demokratischen Republik, heißt. Mitwisser einer Flucht sind aufs Höchste gefährdet, da schon die Kenntnis über die Vorbereitung einer solchen »kriminellen Handlung« strafbar ist. Es sei denn, man zeigt diejenigen an ...

Plötzlich wird es still, ich höre keine Musik mehr, der Wagen fährt langsamer. Die Grenze! Nach einem kurzen Halt setzt sich der Mercedes erneut in Bewegung. Dann folgt wieder ein Stopp. Sich unendlich dahinziehende Minuten nehmen mir fast den Atem. Rudolf und ich halten uns noch immer an den Händen, ich kann meine vor lauter Anspannung kaum noch fühlen.

Was ist los? Warum dauert das so lange? Als Kind habe ich mir oft gewünscht, dass die Zeit ganz schnell...
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