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Spreewaldgrab

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
280 Seiten
Deutsch
Ullstein Taschenbuchvlg.erschienen am15.01.2016Auflage
Polizistin Klaudia Wagner lässt sich vom hektischen Ruhrgebiet in den idyllischen Spreewald versetzen. In Lübbenau ist es allerdings wenig beschaulich. Zwischen den Kanälen und Fließen verbergen sich Geheimnisse und nie vergessene Schicksale. So auch in ihrem erstem Fall: Ein Unternehmer wird tot aufgefunden, seine Geliebte ist verschwunden. Dann findet Klaudia tief im Wald vergraben das Skelett einer jungen Frau. Regen und Nebel ziehen im Spreewald auf und Klaudia droht, sich bei den Ermittlungen selbst zu verlieren. Sie muss erkennen, dass die Idylle nicht nur trügt, sondern eine teuflische Kehrseite hat.

Christiane Dieckerhoff, Jahrgang 1960, machte zunächst eine Berufsausbildung zur Kinderkrankenschwester, ist Mutter zweier erwachsener Kinder und lebt am Rande des Ruhrgebiets. Sie schreibt vor allem aktuelle und historische Krimis.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR11,99
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR13,99

Produkt

KlappentextPolizistin Klaudia Wagner lässt sich vom hektischen Ruhrgebiet in den idyllischen Spreewald versetzen. In Lübbenau ist es allerdings wenig beschaulich. Zwischen den Kanälen und Fließen verbergen sich Geheimnisse und nie vergessene Schicksale. So auch in ihrem erstem Fall: Ein Unternehmer wird tot aufgefunden, seine Geliebte ist verschwunden. Dann findet Klaudia tief im Wald vergraben das Skelett einer jungen Frau. Regen und Nebel ziehen im Spreewald auf und Klaudia droht, sich bei den Ermittlungen selbst zu verlieren. Sie muss erkennen, dass die Idylle nicht nur trügt, sondern eine teuflische Kehrseite hat.

Christiane Dieckerhoff, Jahrgang 1960, machte zunächst eine Berufsausbildung zur Kinderkrankenschwester, ist Mutter zweier erwachsener Kinder und lebt am Rande des Ruhrgebiets. Sie schreibt vor allem aktuelle und historische Krimis.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783843712064
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum15.01.2016
AuflageAuflage
Reihen-Nr.1
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse2357 Kbytes
Artikel-Nr.1698218
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe


6. Kapitel

Klaudias Navigationsgerät kam nicht zum Einsatz. Wo der Kahnhafen in Lübbenau war, wusste sie. Schließlich wohnte sie in der Nähe. Sie parkte vor der Kindertagesstätte und lief Richtung Altstadt. Immer wenn Klaudia in diesem Teil ihrer neuen Heimat unterwegs war, fühlte sie sich, als lebte sie in Disneyland. Das Kopfsteinpflaster, die zierlichen Brücken, das Schloss, die Touristen, die die Gaststätten rund um den Hafen belagerten. Vor dem Restaurant Flaggschiff verdarb allerdings ein hellgelber Fiat Panda den Gesamteindruck. Der rostige Kleinwagen wurde nur noch durch Aufkleber zusammengehalten. Die Erinnerung brannte wie Ameisenpisse in ihrem Herzen: So einen Fiat hatte sie in ihrem Leben vor der Trennung auch besessen. Als Zweitwagen halt. Den großen fuhr Arno und sie den kleinen. Nur ohne bunte Aufkleber. Ein Auto war schließlich keine Litfaßsäule.

Der Besitzer dieses Autos schien in diesem Punkt allerdings anderer Ansicht zu sein. Zwei besonders große Aufkleber schmückten die Beifahrertür. Der eine zeigte silberne Blätter auf rotem Grund, der andere blaue Wolken, aus denen Flammen züngelten, unterschrieben mit Energiecamp 2012. Klaudia bog ab zum Anleger. Von den Lautsprechern am Flaggschiff mit Musik beschallt, vertrieben sich Touristen die Zeit bis zum Beginn der ersten Spreewaldkahntour an den Auslagen der Verkaufsbuden. Klaudia zwängte sich zwischen Rentnern mit bayrischen Trachtenjoppen hindurch und lief zu einer Gruppe Kahnführer, die vor dem Büro der Genossenschaft auf einer Bank hockten.

»Guten Morgen die Herren, ich such einen Herrn Schiebschick.« Stoisch ertrug sie die abschätzenden Blicke der Männer.

»Wohin willste denn?« Ein hagerer Mann, dessen blaue Weste über einem kleinen Altmännerbauch spannte, erhob sich ächzend.

»Hierhin.« Klaudia gab ihm den Zettel mit der Adresse. »Mein Kollege hat gesagt, Sie würden mich hinbringen.«

»Soso.« Schiebschick wackelte mit dem Kopf. »Dann tu ich das wohl. Wa?« Er fingerte eine Hornbrille aus der Brusttasche seines Hemdes, schob sie auf die Nase und trat so dicht an Klaudia heran, dass sie sein Altmännergeruch einhüllte. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. Nicht wegen des Geruchs. Als Polizistin in einer sterbenden Ruhrgebietsmetropole hatte ihre Nase schon Schlimmeres ertragen. Aber seit dem Hörsturz hatte sie das Gefühl, sich irgendwo festhalten zu müssen, wenn jemand zu dicht vor ihr stand.

»So eine nette holca«, brummelte Schiebschick.

»Nette was?«

»Das heißt Mädchen«, sagte einer der anderen Fährleute. »Ist sorbisch.«

»Und so was ist bei der Polizei.« Schiebschick schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Von hier bisse nicht, wa?«

»Nein. Wessi.« Klaudia hatte die Erfahrung gemacht, dass den meisten Menschen hier die grobe Richtung reichte. Sie spreizte die Finger, als sie dem Alten zum Kahn folgte. Noch so eine Angewohnheit, die sie nach dem Hörsturz angenommen hatte. Irgendwie half ihr die dadurch entstehende Körperspannung, das Gleichgewicht zu halten. Schweiß versickerte im Kragen ihres Poloshirts.

Die Bretter am Anleger knarrten, und das träge gegen die Pfosten plätschernde Wasser flimmerte im Sonnenlicht. Klaudia schob sich ein neues Kaugummi in den Mund. Allein die Vorstellung, gleich in einen schwankenden Kahn zu steigen, ließ ihren Magen zaghaft am Zwerchfell anklopfen und nach dem nächsten Ausgang fragen.

»Ist es weit, Herr Schiebschick?«

»Knappes Stündchen.«

»Und es gibt keine andere Möglichkeit, zu diesem Haus zu kommen?«

»Na schon. Von Burg aus. Aber das ist genauso weit. Von hier aus haste Sprit gespart. Tut die Umwelt schonen. Wa?«

Der alte Mann spuckte ins Wasser. »So ist das hier bei uns im Spreewald. Wa? Wie Venedig, nur ohne Markusplatz.« Der Bootsführer half ihr ins Boot. »Und sag Gustav zu mir. Wa?«

Das Boot schwankte weniger, als Klaudia befürchtet hatte, und wider Erwarten genoss sie die Fahrt. Zunächst hielten sie an einem Steg, wo Schiebschick sie trotz ihres Protestes mit einer Gurke und Kaffee versorgte, dann verließen sie das Hauptfließ, und schon bald schien es nur noch dieses Boot und die langsam vorbeigleitende Landschaft zu geben.

»Warum sind die Stämme an der Wetterseite so rot?« Klaudia biss in die Gurke. Die erwartete Säure blieb aus. Fade süßlich breitete sich der Geschmack in ihrem Mund aus. Hastig trank sie einen Schluck Kaffee. Der war immerhin so, wie sie ihn erwartet hatte: heiß und stark.

»Rotfäule.« Schiebschick stemmte sich gegen das Rudel. »Macht die Erlen kaputt.« Er spuckte ins Wasser. Lautlos glitt der Kahn über die Wasserfläche. Ein Entenpärchen näherte sich dem Boot. Klaudia war versucht, sie mit ihrer Gurke zu füttern, aber wahrscheinlich würden sich die beiden daran nur den Magen verderben. Sie leerte ihren Kaffeebecher. Durch das Blätterdach flimmerndes Sonnenlicht malte Muster auf ihre Hand.

Während Schiebschick stakte, erzählte er ihr mit seiner brüchigen Altmännerstimme die Sage von der Entstehung des Spreewaldes. Der Teufel höchstpersönlich habe hier das Bett der Spree in die Erde pflügen wollen, doch irgendwann hätten die Ochsen gebockt, und kein Schimpfen und Toben konnte sie von der Stelle bewegen. In seiner Wut schrie der Teufel: Da hol euch doch meine Großmutter. Das hätte er wohl besser nicht getan, sagte Schiebschick. Die Erde riss auf, und die alte Dame zischte wie ein Flaschengeist auf einer Schwefelwolke gen Himmel. Ihre riesige Gestalt verdunkelte die Sonne. Ihre donnernde Stimme fuhr wie ein Gewittersturm durch den Wald. Selbst der Teufel klammerte sich an einen Stamm. Schon griffen ihre klauenbewehrten Hände nach dem Gespann, da rissen sich die Ochsen los und flohen, den Pflug hinter sich herziehend, mal in die eine, mal in die andere Richtung und hinterließen anstelle eines geraden Flusslaufs ein Netz von kreuz und quer verlaufenden Wasserläufen.

»So eine nette holca«, murmelte Klaudia, als Schiebschick am Ende der Geschichte ins Wasser spuckte. Das Boot trieb an moosigen Baumwurzeln vorbei, deren Stämme sich im Wasser spiegelten. Von Baum zu Baum fliegend, begleitete ein Kleiber den Kahn. Sonnenflecken tanzten auf den Wellen, und Wasserläufer flohen langbeinig vor der flachen Bugwelle. Von Zeit zu Zeit paddelten Touristen mit Wasserkarten in der Hand an ihnen vorbei.

»Verirrt sich hier auch mal einer?«

»Ständig. Wa? Vor allem die Berliner. Wo keine S-Bahn fährt, finden die nicht hin. Wa?«

Offensichtlich hatte Schiebschick keine hohe Meinung von den Hauptstädtern.

Nach der nächsten Biegung wurde die Uferbebauung wieder dichter. Hölzerne Läden lagen vor den Fenstern.

»Wohnt hier eigentlich jemand?« Klaudia tauchte die Hand ins Wasser, genoss die Kühle. Sie hatte schon längst die Orientierung verloren. Die Orientierung und jegliches Gefühl für das Verstreichen der Zeit. Wie eine Decke aus Daunen breitete sich das Zwitschern der Vögel über das Sirren in ihrem Kopf, und zum ersten Mal seit ihrem Zusammenbruch herrschte Stille zwischen ihren Ohren. Fast erschrak sie vor dem Frieden, den dieses Schweigen ihr brachte. Die ersten Tage nach dem Hörsturz dröhnte ein Fragment von Puccinis Nessun Dorma wie eine hängen gebliebene Schallplatte in ihrem Kopf. Als Klaudia diese Arie das erste Mal hörte, hatte sie vor Rührung eine Gänsehaut bekommen. Als sich jedoch dieses Stück in ihrem Ohr festsetzte, stand sie kurz davor, den Kopf an den Wänden ihrer Wohnung zu zerschmettern. Nach einer Woche mit Infusionen und sehr viel Ruhe war Nessun Dorma diesem Sirren gewichen, das mal lauter und mal leiser durch ihre Schädelgrube flirrte.

»Alles Datschen«, knurrte Schiebschick. »Bonzen aus Berlin und so.«

Träge folgte Klaudias Blick der Handbewegung des alten Mannes. Rechts und links eines schmalen Wasserlaufs standen Holzbohlenhäuser mit schimmernden Fensterfronten und akkurat ausgerichteten Holzstapeln an kiesbedeckten Wegen.

»Kommt man hier mit dem Auto hin?« Klaudia drehte sich um. Vor einem der Häuser standen ein protziger Geländewagen und ein Coupé.

Ihre Frage ignorierend stemmte sich Schiebschick gegen das Rudel. Bisher waren sie mit der Strömung geglitten, doch nun schob Schiebschick den Kahn gegen die Strömung an.

Hinter der nächsten Kehre führte eine Holzbrücke über den Fließ. Ein Radfahrer raste plötzlich wie die Ochsen des Teufels darüber hinweg. Klaudia sah noch den Wolkenaufkleber auf dem Spritzschutz des BMX-Rades, dann war er auch schon zwischen den Bäumen verschwunden.

»Mit ihren Rädern rasen könn´se«, brummte Schiebschick. »Und mit ihren dicken Autos die Luft verpesten. Aber staken. Staken können die nicht. Kähne brauchen die nur noch, um Blumen darin zu pflanzen und in den Fischkästen kühlen die Schampus.« Schiebschick spuckte ins Wasser.

»Wie weit ist es noch?« Klaudia schaute auf ihre Armbanduhr. Schon Mittag. Sie waren bereits sehr viel länger als eine Stunde unterwegs.

»Wir haben hier viele Traditionen.« Als hätte Schiebschick ihre Frage nicht gehört, stakte er in einen schmalen Seitenarm. Zweige kratzten am Kahn. »Manche sind alt, andere neu.«

»Ah ja.« Eine Wolke schob sich vor die Sonne, durch die Baumkronen rauschte der Wind. Auf einmal wirkte der gerade noch so lichte Wald bedrohlich. Die Wespen kehrten in Klaudias Kopf zurück.

Schiebschick stakte das Boot an einen Steg und legte das Rudel auf die Planken.

»Hier ist ja alles verrammelt.« Klaudia schüttelte den Kopf. »Hoffentlich lässt sie uns rein.« Sie schaute hinüber zu den...

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