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Meine Kur hat einen Schatten

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
192 Seiten
Deutsch
MVG Moderne Vlgs. Ges.erschienen am07.03.2016
Bad Bichelstein, die Perle deutscher Kurorte Dorthin verschlägt es den erfolgreichen Schriftsteller Oliver Pötzsch nach einer Bypass-Operation. Und er ist absolut nicht vorbereitet auf das, was ihn in der Reha erwartet: beschwingte Country-Abende im Krankenhausfoyer, Gymnastik- und Massageübungen mit stark behaarten Oberpfälzern und Bier-Dealer in Morgenmänteln auf dem Klinikparkplatz wechseln sich ab mit spannenden Gesprächen über Stuhlgang und Blutdruck. Aber auch Ganzkörperrasur und Einlauf gehören zum Klinikpaket. Immer mit von der Partie sind die »Mitgefangenen« Venen-Elli, Hausmeister-Rolf, Roth-Händle-Luigi und Klappen-Axel. Meine Kur hat einen Schatten zeigt die Reha in allen Facetten, von den lustigen und absurden Erlebnissen bis zu den ernsten Seiten. Urkomisch, unterhaltsam und mit viel Galgenhumor im Gepäck - der ideale Lesestoff zum Mutmachen, Lachen und Ablenken.mehr
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BuchKartoniert, Paperback
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Produkt

KlappentextBad Bichelstein, die Perle deutscher Kurorte Dorthin verschlägt es den erfolgreichen Schriftsteller Oliver Pötzsch nach einer Bypass-Operation. Und er ist absolut nicht vorbereitet auf das, was ihn in der Reha erwartet: beschwingte Country-Abende im Krankenhausfoyer, Gymnastik- und Massageübungen mit stark behaarten Oberpfälzern und Bier-Dealer in Morgenmänteln auf dem Klinikparkplatz wechseln sich ab mit spannenden Gesprächen über Stuhlgang und Blutdruck. Aber auch Ganzkörperrasur und Einlauf gehören zum Klinikpaket. Immer mit von der Partie sind die »Mitgefangenen« Venen-Elli, Hausmeister-Rolf, Roth-Händle-Luigi und Klappen-Axel. Meine Kur hat einen Schatten zeigt die Reha in allen Facetten, von den lustigen und absurden Erlebnissen bis zu den ernsten Seiten. Urkomisch, unterhaltsam und mit viel Galgenhumor im Gepäck - der ideale Lesestoff zum Mutmachen, Lachen und Ablenken.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783864159220
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2016
Erscheinungsdatum07.03.2016
Seiten192 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1878885
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Der Ausflug

Es ist Tag drei in Bad Bichelstein. Ich habe das Frühstück und die Morgengymnastik mit Herrn Freisinger hinter mir, die Sonne lacht vom Himmel, und ich fühle mich fit genug für meinen ersten Ausflug. Alleine! Ohne Hausmeister-Rolf, Roth-Händle-Luigi und die wolligen Oberpfälzer Daltons. Freiheit, du bist so nah!

In meiner Zeit nach der OP tippelte ich zuerst nur mit dem Infusionsständer den Gang entlang, ein uralter Mann in der Haut eines 41-Jährigen. Später folgten dann Spaziergänge im Garten des Krankenhauses, die mich an die Ausgänge in einem Gefängnishof erinnerten. Vom Springbrunnen bis zur Laube an der Mauer waren es exakt fünfzig Schritt, von dort führten drei Sackgassen von je zwanzig Schritt durch akkurat geschnittene Blumenbeete; hin und zurück waren das noch mal je vierzig Schritte - eine halbe Weltreise. Der Höhepunkt des Tages war ein täglicher Besuch in der Krankenhauscafeteria, wo ich bei einem Tässchen koffeinfreien Kaffee versuchte, Scrabble mit meiner Familie zu spielen. Ich war so neben der Kappe, dass mir mein elfjähriger Sohn zeigen musste, wie man das Wort Arzt legt.

Doch jetzt wird alles anders. Ich bin in Bad Bichelstein, der Perle deutscher Kurorte! Jedenfalls hat das Hausmeister-Rolf gesagt, und der muss es wissen, denn er hat schon etliche Kurkliniken von innen gesehen. Er meint, für ihn sei die Reha immer eine Art Urlaub, weg von der nervigen Ehefrau, dafür Massagen, Geselligkeit, und vielleicht springt ja noch ein Kurschatten aus der orthopädischen Abteilung dabei raus. Gäbe es einen Reha-Tripadvisor, bekäme Bad Bichelstein bei Rolf mindestens drei, wenn nicht sogar vier Punkte.17

Den Standpunkt, dass so eine Kurklinik ein vom Staat bezahlter Ferienort ist, kannte ich eigentlich nur von meinen Großeltern her. Vor der großen Gesundheitsreform in den Neunzigern fuhren Pötzsch-Oma und -Opa immer zur Kur nach Bad Füssing, wo man Bridge und Boccia spielte und danach Helmut Kohl wählte. Mein Großvater machte damals jedes Mal Super-8-Filme von der Kur, die wir Enkel uns dann anschauen mussten. Lustig war es immer nur, wenn der Film rückwärtslief und Oma plötzlich nicht mehr humpelte, sondern so schnell wie Micky Maus lief.

Die gute alte Rentnerin hatte damals große Badehauben mit Plastikblümchen auf, die Herren trugen sehr enge Badehosen mit sogenannten Fahrtenschwimmer-Abzeichen, und gemeinsam ließ man sich durch wohltemperierte Schwefelwasserbecken und Strömungskanäle treiben.18 Morgens gab es für alle Fango und abends Tango.

Mittlerweile ist dieses vom Staat legitimierte Vorsorgeplantschen leider nicht mehr möglich, beziehungsweise man muss dafür ebenso blechen wie für seinen Mallorcaurlaub. Aber auch heute scheint die Meinung noch weit verbreitet, dass ein Reha-Aufenthalt nicht nur der Genesung, sondern vor allem dem Vergnügen dienen sollte. Es gibt Kaffeefahrten, Ausflüge zum nahe gelegenen Töpfermarkt, Elvis-Presley-Imitatoren, Gedichtlesungen und Tanzabende. Eine Nachbarin erzählte mir entsetzt von ihren Reha-Erlebnissen an der Nordsee, wo sich ältere Kurbekanntschaften alle Jahre wieder nur spärlich bekleidet zwischen den Dünen träfen, und zwar, wie sie spitz bemerkte, »nicht zum Sandburgenbauen«.19 Einige meiner Leserinnen und Leser berichteten von netten, gleichgesinnten Leuten, mit denen man in der Reha angeregte Fachgespräche über Herzklappenoperationen führen könne. Schweineklappe oder doch Kunststoff? Als Blutver­dünner Marcumar oder ASS? Die neuesten Diätrezepte - die Abende würden nie langweilig.

Auch ich hatte mir meinen Reha-Aufenthalt zunächst wie einen Urlaub vorgestellt. Im Krankenhaus spielte ich mit dem Gedanken, die gleiche Kurklinik aufzusuchen, in der mein Vater bereits vor einigen Jahren nach seiner Bypass-OP als Patient war. Es handelt sich dabei um eine Art Wellnesstempel mit ausgesuchten Weinen, Bibliothek in echter Eiche und Zimmer direkt am See. Einziger Nachteil: Für mich, den ordinären Kassenpatienten, hätte der dreiwöchige Aufenthalt so viel gekostet wie ein Kleinwagen.

Also entschied ich mich für Bad Bichelstein.

Auch hier gibt es einen schönen See, viel Park und Wald. Im gesunden Zustand würde ich das Gelände als ideale Joggingstrecke für etwa eine halbe Stunde bezeichnen. Für Herzpatienten ist so ein Ausflug das große Abenteuer. Ich komme mir vor wie Doktor Livingstone bei der Erkundung des Kongo.

Bekleidet mit ausgelatschten Turnschuhen, Gymnastikklamotten und der obligatorischen Jutetasche stehe ich zunächst vor der Karte des Parks und plane meine heutige Expedition. Bis hinüber zu den Bäumen, vorbei an Bänken und einer Bocciabahn, sind es circa 200 Meter. Ich denke, das ist machbar. Danach führt eine Treppe hinunter zum Seeufer, später betrete ich dann unbekanntes Gelände. Vielleicht werde ich auf Eingeborene treffen, vielleicht muss ich mich auch allein durchschlagen. Als Proviant dienen mir lediglich eine schon leicht bräunliche Banane vom Frühstücksbuffet und eine Flasche Wasser. Auf der anderen Seite des Kontinents20 soll es eine Cafe­teria geben, aber die hebe ich mir für eine spätere Expedition auf.

Die ersten hundert Meter bewältige ich ohne große Schwierigkeiten. Trotzdem drehe ich mich gelegentlich ängstlich zur Klinik um, deren Pforte immer mehr zwischen den Rhododendronbüschen verschwindet. Mit Herrn Freisinger und der Frühgymnastiktruppe Bypass 2 war ich heute früh schon mal hier, aber nun bin ich ganz auf mich allein gestellt. Ein tief gebeugter, einsamer Greis kommt mir auf Krücken entgegen. Wir grüßen uns schweigend, wie zwei Trapper jenseits der Mason-Dixon-Linie. Ein paar Parkbänke, die ich verwegen auslasse, die Bocciabahn als letzter Gruß der Zivilisation - dann beginnt der dunkle Wald.

Eine vom Regen schlüpfrige Treppe führt hinunter zum Seeufer, daneben ein abgegriffenes Geländer. Ich nehme die ersten Stufen und bin erfreut, wie leicht es mir fällt. Meter für Meter arbeite ich mich dem Talgrund entgegen, die Vögel zwitschern, der Geruch des Sees steigt mir in die Nase. Ich fühle mich leicht und frei. Ha, nicht umsonst hat mich Herr Freisinger gleich in Bypass 2 gesteckt. When the going gets tough, the tough gets going!

Schneller als erwartet komme ich unten an. Das Seeufer taucht zwischen einigen Hecken auf. Ich schlurfe darauf zu, Kies knirscht unter meinen Turnschuhen, kleine Wellen rauschen heran. Ich habe mein Ziel erreicht! Die Nilquellen von Bad Bichelstein! Glücklich blicke ich einigen Möwen hinterher, die mir kreischend von einer neuen Welt am gegenüberliegenden Ufer erzählen. Ampfing, Umpfing, Pimpfing, alles scheint jetzt erreichbar!

In diesem Augenblick ertönt hinter mir ein Geräusch. Ich drehe mich um und sehe eine Gestalt auf mich zuschreiten. Es ist einer der Schweiger vom Kantinentisch, der Kroate Helmut. Wie ein Phantom hat er sich mir genähert! Ganz langsam kommt er auf mich zu, und erst als er direkt vor mir steht, hebt er den Kopf und blickt mich sehr ernst und sehr streng an. Dann spricht er.

Zum ersten Mal überhaupt bricht Helmut, der stumme kroatische Philosoph mit dem Walrossschnauzer, sein Schweigen. Seine Stimme klingt rauchig, nach Tundra und Balalaika und irgendwie sehr traurig. Der folgende Dialog ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Er erinnert mich an die Begegnung zweier Astronauten auf dem Mars.

 

Helmut (wehmütig): »Du hier alleine unterwegs?«

Ich: »Äh ja. Warum?«

Helmut: »Du keine Angst so alleine?«

Ich (leicht verunsichert): »Äh, nein. Haha! Du bist doch auch allein.«

Helmut (sehr trauriger Dackelblick): »Ich aber nicht so krank.«

 

Mit diesen Worten dreht sich Helmut um und schlurft davon, genauso gespenstisch, wie er sich vorher genähert hat. Ich bleibe allein am Seeufer zurück. Und mit einem Mal beschleicht mich leise Panik. Was soll das heißen: Ich aber nicht so krank? Gut, Luigi hatte mir gestern erst erzählt, dass Helmut zwei Stents21 bekommen hat. Im Tischgesprächranking der Herzpatienten rangiert er damit weit unter uns Bypasslern und Klappis. Am Nachbartisch sitzt einer mit vier Bypässen und einem Herzschrittmacher, der ist natürlich immer der Mittelpunkt. Mit einem einzigen Bypass bin ich jedoch allenfalls Durchschnitt. Und zudem kann ich mit meinem jungen Alter punkten. Wieso also glaubt Helmut, ich könnte die Expedition zum See nicht wagen?

Fragen kann ich ihn leider nicht, denn er ist bereits wieder verschwunden. Ich beschließe, das Projekt »Livingstone« für heute abzublasen, und schlurfe zurück zur Treppe. Als ich nach oben blicke, kommt sie mir plötzlich unendlich lang vor. Da bin ich runtergekommen? Und vor allem: Da soll ich wieder hoch? Wie viele Stufen sind das eigentlich? Hundert? Zweihundert?

Ich mache einen Schritt nach dem anderen, ein Tiefseetaucher am Grunde des Ozeans. Trotzdem bekomme ich schon nach wenigen Metern plötzlich Atembeschwerden. Hinzu kommen Schmerzen in der Herzgegend. Ist das etwa ein beginnender Infarkt? Ist irgendetwas bei der OP schiefgelaufen, und nun platzt mein Bypass wie ein zu prall aufgeblasener Fahrradschlauch? Oder bilde ich mir das alles nur ein? Wenn, dann sind das jedenfalls sehr intensive Einbildungen. Nun verfluche ich mich für meinen aberwitzigen Plan, alleine den Bichelsteiner Kurpark erkunden zu wollen.

Ich aber nicht so krank â¦

Helmuts Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Stufe für Stufe schleppe ich mich die Treppe hoch. Sicherheit gibt mir nur mein...

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