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Gutleut

Wo man hinkommt, wenn man fort geht
TaschenbuchKartoniert, Paperback
288 Seiten
Deutsch
Tirom-Verlagerschienen am25.02.2021Erstausgabe
Nach dem Erhalt des Reifezeugnisses verlässt die Ich-Erzählerin ihre kleine Heimatstadt und begibt sich hinaus in die große Welt. Und wie es ihr dort erging und noch ergeht, das erzählt sie sehr abwechslungsreich in vielen köstlichen Anekdoten in GUTLEUT.mehr

Produkt

KlappentextNach dem Erhalt des Reifezeugnisses verlässt die Ich-Erzählerin ihre kleine Heimatstadt und begibt sich hinaus in die große Welt. Und wie es ihr dort erging und noch ergeht, das erzählt sie sehr abwechslungsreich in vielen köstlichen Anekdoten in GUTLEUT.
Details
ISBN/GTIN978-3-903193-50-5
ProduktartTaschenbuch
EinbandartKartoniert, Paperback
FormatWattierter Einband
ErscheinungsortJudenburg
ErscheinungslandÖsterreich
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum25.02.2021
AuflageErstausgabe
Seiten288 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht300 g
Artikel-Nr.49408783
Rubriken

Inhalt/Kritik

Vorwort
VorwortNach Feenthal und Thorburg war mein steirischer Lebenslauf zu Ende erzählt. Ein Erzählen darüber hinaus war nicht geplant, denn, so sagt man, autobiographische Aufzeichnungen werden umso langweiliger, je weiter sie sich von Kindheit und Jugend entfernen; dies gilt zumindest für ein gewöhnliches Leben wie das meine. Aber selbst Goethe, dessen Leben man als außergewöhnlich bezeichnen kann, war der Meinung, dass jenes erste Aufblühen der Außenwelt uns als die eigentliche Originalnatur vorkomme, gegen die alles übrige, was uns nachher zu den Sinnen kommt, nur Kopien zu sein scheinen. Nie mehr später ist das Erleben so beeindruckend wie in diesen frühen Jahren, da die Welt weit und bunt aufgefächert vor uns liegt. Und danach? Ach, es ist banal, zur Arbeit zu gehen, das Kind in die Schule zu bringen und so weiter. Doch wenn ich mein Leben zurückblättere, entdecke ich in diesen gleichförmigen Abläufen Nischen und darin Erinnerungen, die mir erzählenswert erscheinen, weil ich glaube, dass sie über das Persönliche hinaus an Typisches heranreichen.Ich habe versucht, meine Erinnerungsbilder thematisch und chronologisch zu ordnen. Letzteres vor allem gelingt nicht durchgängig, es geht hier und da kreuz und quer, denn in der Erinnerung bildet sich die Vergangenheit eher wie eine Landschaft ab, in der es kein Früher und Später gibt. In dieser Landschaft bin ich umhergewandert, habe mir Bilder und Eindrücke geholt und sie oft als ein gegenwärtiges Geschehen geschildert.mehr
Leseprobe
(1) In der neuen Welt und um die WeltVon grauen Schachteln und Taschentüchern; billig ist wichtig; Erdbeeren im Februar; von Augen und Namen und einer deutschen Party; von einer Schutzengel-Perücke und einem aufdringlichen Schweizer; von Accra bis Teheran; Wanda und ich lassen ein Haus verschwinden; das Anemone-Experiment; das Grauen vor Karriere und Weltbreite.Ich wollte fort, nur noch fort wollte ich. Ich war neunzehn Jahre alt. Weg und hinaus wollte ich aus der kleinen Stadt im grünen Land. Vier Jahre lang war ich unterwegs, konnte - wollte nirgendwo bleiben: nicht im liabn Graz, nicht im lieblichen Mürztal, nicht im großartigen Wien und nicht im mondänen Montreux. Es zog mich immer weiter und schließlich nordwärts in eine große Stadt. Dort strandete ich - nein, ich strandete nicht, ich landete, denn da hatte ich ja hingewollt. Und ganz wörtlich landete ich: ich saß in einem Flugzeug, das im Januar 1971 auf einer Landebahn des Frankfurter Flughafens aufsetzte.In die Stadt hinein fand ich noch nicht, hier strandete ich tatsächlich in einem Vorort. Grau, so grau war Kelsterbach - grau im Grau. Grau waren die Gebäude, grau waren die Straßen, grau war der Himmel - graues Grau, jeder Tag grau. Grauslich! Farbig waren nur die Reklametafeln: Männer auf braunglänzenden Pferden, die Wiese grün, der Himmel blau, rot ist die Marlboro-Schachtel. Und rot sind die Pfeile, die die Bremslichter der Autos durch das Morgenduster schießen, wenn ich mit dem Omnibus zu den grauen Schachteln neben dem Flughafen fahre. Dort steige ich aus und gehe in eine Schachtel hinein und lerne mit etwa zwanzig anderen, wie man einen Cocktail mixt und serviert, wie man eine volle Spucktüte unauffällig entsorgt, wie man eine Schwimmweste anlegt, wie man die Notrutschen ausfährt und so weiter, und wie man bei all diesem Tun lächelt, nicht dümmlich sondern freundlich zugewandt lächelt! Erst wenn man dieses leichte Zittern in den Wangen spürt, zum Beispiel nach der Begrüßung des fünfzigsten Passagiers am Eingang - Guten Tag Guten Tag Guten Tag ⦠- darf man das Lächeln kurz unterbrechen. Und wie wir es aufrechterhalten können, selbst wenn wir müde sind, Bauchschmerzen haben, uns die Füße wehtun oder wir womöglich schon mit dem linken Fuß aufgestanden sind, also wie wir das schaffen, dieses immerwährende freundliche Lächeln, zu dem uns unser zukünftiger Job verpflichtet, das üben wir jetzt sechs Wochen lang.Dieses Lächeln ist übrigens noch immer aktuell: 2017 heißt es in einem SZ-Artikel Stewardessen müssen lächeln (Burfeind). Und ein weiterer SZ-Artikel aus dem Jahr 2018 heißt sogar Lächelzwang (Wedemeyer), und darin steht, die Arbeit an Bord eines Flugzeuges sei trotz Schichtdienst, Jetlag, Strahlenbelastung und schwierigen Gästen auch heute noch ein Traumjob.Träumt weiter!Mittags gehe ich von der Schulungs-Schachtel in die Kantine-Schachtel und nach einem bescheidenen Mahl zurück in die Schulungs-Schachtel, in der sich unter anderen auch Räume befinden, die aussehen wie das Innere einer Boeing (737, 727, 707, 747). Am späten Nachmittag gehe ich dann aus der grauen Schachtel-Siedlung hinaus ins Trübe zur öden Busstation, stehe dort herum und steige schließlich in den Omnibus, mit dem ich wieder entlang bunter Reklametafeln ins graue Kelsterbach fahre. Dort gehe ich in meine Behausung über einer Garage neben einem achtstöckigen Wohnhochhaus aus den Sechzigerjahren. Ich hause auf einem PVC-Fußboden, grau meliert, und schaue durch das Fenster im vergilbten Rahmen auf eine Tunnelausfahrt. Mein Hab und Gut ist in einem - nein, nicht grauen sondern braunen Papp-Koffer. Es ist der Koffer, der dort im Feenthal im Holzhaus am Fichtenwald mit Dokumenten und ein paar Kleidungsstücken gefüllt unter meiner Mutter Bett lag, bereit zur Flucht, falls demnächst ein Blitz in eine Fichte fährt, die dann als brennende Fackel auf unser Haus fällt; im Winter könnte dies eine von der Schneelast abgedrückte Fichte tun und dadurch eine Katastrophe auslösen, welcher Art genau beschrieb mir meine vorsorgliche Mutter nicht weiter. Da meine Eltern mittlerweile in einem Haus lebten, das durch herabstürzende Fichten nicht gefährdet war, ist dieser nun quasi stellungslose Koffer mit mir ausgewandert, diente mir als Fluchtkoffer, wenn man so will, und dient mir jetzt als Kleiderschrank. Darin liegen zwischen meiner bescheidenen Garderobe weiße Taschentücher, von meiner Mutter gelb rosa hellblau umhäkelt, frisch gewaschen und gebügelt. Warum ich diese Taschentücher erwähne? Ich erwähne sie, weil ich mich damit bedeutenden und weniger bedeutenden Literaten an die Seite stellen kann. Denn in Romanen und Erzählungen kommt beinahe immer irgendwann ein Taschentuch, auch als Schnupftuch Schnupptuch Schnäuztuch Rotzfahne Nastuch oder dergleichen, zum Vorschein. Das Taschentuch als literarisches Accessoire. Wer Feenthal und/oder Thorburg gelesen, weiß das schon, für die anderen ein paar Beispiele:Im Tristram Shandy zieht zu Beginn des zweiten Kapitels der Vater des Ich-Erzählers mit der linken Hand aus seiner rechten Rocktasche ein gestreiftes indisches Taschentuch; in der Neuübersetzung des Buches von Michael Walter wird daraus ein gestreiftes ostindisches Seidenschnupftuch.Tolstois Hauslehrer Karl Iwanowitsch hat dagegen nur ein einfaches kariertes Taschentuch aus grobem Stoff. Es liegt neben ihm auf dem Tischchen, wenn er mit einem Buch im Lehnsessel sitzt. Er verwendet es nicht nur zum Putzen seiner Nase sondern auch zum Putzen seiner Brille und zum Trocknen von Schweiß und Tränen. Überhaupt haben Taschentücher in Tolstois Erinnerungen ihren festen Platz. Einmal wird sogar ein Hund an die Taschentuch-Leine genommen; das muss ein großes Taschentuch gewesen sein.In Wolpertinger von Alban Nikolai Herbst macht sich eine Frau Pomposiewitz an ihrem Handtäschchen zu schaffen und: schniefte erst, schnäuzte dann, wischte voll Inbrunst, steckte `s Tücherl weg. Ein paar Seiten später sucht sie in ihrer Handtasche zerfahren und leicht aufgeregt nach einem Tempotaschentuch. Ob Frau Pomposiewitz tatsächlich ein Stofftaschentuch und Papiertaschentücher in ihrer Handtasche mit sich trug? Oder hat sich der Autor hier geirrt? Im Traumschiff schildert derselbe Autor ausführlich, wie es einem Herrn Lanmeister, der in einem Altenheim, das er für ein Kreuzfahrtschiff hält, im Rollstuhl sitzt und auf seinen Tod wartet, wie es diesem Herrn Lanmeister doch tatsächlich gelingt, ein Taschentuch zu mopsen, und wofür er das Taschentuch haben will, denn, so viel sei verraten, schnäuzen will er sich nicht damit.Bei Julio Cortázar wird dem Autor von seinem sonderbaren Schlumpf im Haus das Batisttaschentuch entrissen.Friederike Mayröcker freute sich besonders über ein Taschentuch von Oswald Tschirtner, und erzählt außerdem, dass sich Sabine Groschub als Kunststickerin auf SACKTÜCHER übte.Auch im Kolportageroman fand ich das Taschentuch. Lesen tu ich so etwas ja nicht, aber zufällig, ganz zufällig, beim Einstellen von mir aussortierten Büchern in einen öffentlichen Bücherschrank geriet mir ein solcher Roman in die Hand. Ein Welt-Bestseller, mit dem sich alle möglichen Leute in allen möglichen Tageszeitungen beschäftigt haben, die Soziologin Eva Illouz sogar in einem Buch. Aus reiner Neugierde nahm ich nun diesen Welt-Bestseller an mich und trug ihn einen Tag lang durch die Stadt (ich hatte einiges in verschiedenen Stadtteilen zu erledigen). Darin fand ich beim gierigen Schmökern während der U-Bahn-Fahrten: Grey reicht mir ein frisch gewaschenes Stofftaschentuch mit Monogramm. Und ein paar Seiten später stand da: Ich rolle mich zusammen, Taylors Taschentuch an meine Brust gepresst. Ich hatte keine Lust alle sechshundert Seiten des ersten Bandes von Fifty Shades of Grey zu lesen, legte das Buch nach getanem Schmökern wieder zurück, woher ich es genommen, doch ich bin sicher, dass man darin noch mehr Taschentücher finden kann.Zu den Kolportageromanen möchte ich noch anmerken, dass das Taschentuch hier besonders leicht den Übersprung von der zweiten in die dritte Dimension schafft, heraus aus dem Text hin zur Leserin, die gerührt ein Taschentuch zieht.Genug von den Taschentüchern, zurück zu meinem braunen Papp-Koffer. Wie bereits gesagt, der Koffer ist mein Kleiderschrank. Eine Matratze auf dem Boden ist meine Liegestatt, sitzen tu ich auf einer Weinkiste vor einer Weinkiste - Stuhl und Tisch. Hinter dem Zimmer mit Koffer, Matratze und den beiden Weinkisten ist rechts eine Kochnische mit Herd und Kühlschrank und links eine Dusche mit Klo und Entlüftungsschacht. Düster und schäbig ist diese meine Unterkunft, aber billig. Billig ist wichtig, denn ich musste davor drei Wochen in einer Pension wohnen und habe schon viel vom mitgebrachten Ersparten verbraucht, muss jetzt also sparsam sein.Zum Frühstück esse ich ein Butterbrot mit Marmelade und trinke eine Tasse Sackerltee; ein Sackerl kann man zweimal mit Heißwasser aufgießen. Biss Schluck Biss Schluck, ich kaue bedächtig, ich schlürfe genussvoll, es schmeckt mir. Es schmeckt mir, weil ich dabei an die Hungernden auf der Welt denke. (Biafra! Schon vergessen?)Mittags esse ich in der Kantinenschachtel und abends, wenn mein Magen vom Kantinenessen nicht noch irritiert ist, esse ich ein Butterbrot mit Schnittkäse. Alle paar Tage gehe ich zu Schade & Füllgrabe und kaufe ein. Nicht immer widerstehe ich den Supermarkt-Verlockungen, denn diese Selbstbedienungsläden, wie sie damals hießen, waren neu für mich, ich hatte noch nicht gelernt mich gegen das Riesenangebot von Waren zu wehren. Ich kaufe mir Erdbeeren im Februar, weil: für einen Österreicher gibt es kein stärkeres Armutsempfinden, als wenn er sich nicht mehr das leisten kann, worauf er grad einen Gusto hat (Sargnagel), und esse sie noch am selben Abend auf. Zum Ausgleich meines Budgets gehe ich am nächsten Tag nicht in die Kantine, sondern esse mittags ein mitgebrachtes Käsebrot und abends, damit ich etwas Warmes in den Magen kriege (die Wichtigkeit dieses Vorgangs hat mir meine Mutter eingebläut), eine Maggi-Suppe. Es gab verschiedene Sorten zur Auswahl: Pilzsuppe Hühnersuppe Tomatensuppe, jeweils als Pulver in der Papiertüte für ungefähr eine Deutsche Mark; die Fünf-Minuten-Terrine war noch nicht erfunden. Das Pulver streue ich in den Topf mit heißem Wasser, umrühren, fertig. Ich bin mit dieser Art der Essenszubereitung eine würdige Nachfahrin meiner Großmutter Ama, die mit ihrer Schnellküche eine Vorläuferin der Fast-Food-Bewegung war. Zur Suppe esse ich ein Stück Brot, und ich löffle sie gleich aus dem Topf, da muss ich kein/keinen Teller abspülen. (Immer dieser Konflikt zwischen dem österreichischen und dem deutschen Deutsch!) Irgendwie bin ich danach schon noch hungrig. Ich lebe im Mangel, Stoßgebete helfen nicht - Gott will mich arm. Immigrantenschicksal, selber schuld, heißt es doch: Bleibe im Lande und nähre dich redlich (Psalm 37/3). Wir, meine Generation, wir kennen diesen Spruch, in das dritte Jahrtausend, der Ära der vielgepriesenen Mobilität, passt er nicht mehr so recht.Aber macht nichts, lieber ein wenig hungern als zunehmen. Bei der Deutschen Lufthansa gibt es für Stewardessen nämlich so eine Vorschrift: Größe minus ein Meter und minus zehn Kilo; ich bin einssechsundsechzig und darf demnach nicht mehr als 56 Kilogramm wiegen. Beim Einstellungsgespräch und am Beginn des Ausbildungskurses wurden wir gewogen, am Ende des Kurses wird unser Gewicht noch einmal überprüft werden. Außerdem: Ein wenig Hungern habe ich schon in Österreich gelernt, denn in den Sechzigerjahren war das Anfangsgehalt einer Grundschullehrerin dürftig. Wenn ich Geld für Fahrkarten oder für ein Kleidungsstück ausgegeben hatte, war nur noch wenig übrig und ich aß einige Tage lang Marmeladebrote - morgens mittags abends, dazu Sackerltee - Schwarztee oder Minze Früchte Kräuter. So etwas wie ein Girokonto und die Möglichkeit es zu überziehen, gab es zu der Zeit noch nicht. Ach ja, meine schöne Jugendzeit!Im fremden Land muss ich mich an allerhand Neues gewöhnen, zum Beispiel an andere Gesichter. Die Gesichter vieler Frauen, vor allem die schaue ich mir an, sind makellos geschnitten, alles passt, alles ist in der richtigen Größe an der richtigen Stelle, perfekt. Doch es fehlt mir das Individuelle, das gewisse Etwas, das lebendige Mienenspiel. Augen, sagt man, seien das Tor zum Innersten eines Menschen, die Fenster zur Seele. Dichter sprechen von Nixenaugen, Bernsteinaugen, Augen schwarz wie die Nacht, und beschreiben sie als einladend oder abweisend, als strahlend oder verschattet. Goethe spricht von himmlischen Augen vom vollkommensten, reinsten Blau. Tolstoi spricht von wundervollen, herrlich leuchtenden Augen und vom Lächeln sagt er, in ihm liege die Schönheit eines Gesichtes. Hier im fremden Land kommen mir die Augen gläsern vor und das Lächeln professionell. Die Deutschen, sagt Stefanie Sargnagel, sehen echt alle aus wie im Fernsehen. Und nie sehe ich ein Gesicht, das mich fasziniert wie ein rätselhafter Text (Jünger). Wenn ich irgendwo ein Gespräch erlausche über das Aussehen einer Frau, geht es dabei in erster Linie um ihre schlanke Linie und um die Länge ihrer Beine und ihrer Haare; das Gesicht hat keinen hohen Marktwert.Und an viele fremde Wörter muss ich mich gewöhnen. Hier heißen die Rauchfangkehrer Schornsteinfeger, die Putzereien Reinigungen, der Sprossenkohl Rosenkohl, der Karfiol Blumenkohl und so weiter.Und auch daran muss ich mich gewöhnen: Als ich meine fünf Kilo Trockenwäsche abhole, werde ich von der Frau in der Wäscherei mit meinem Nachnamen angesprochen. Das hat mich verblüfft und ja, es hat mich empört, denn das namentliche Ansprechen bedeutete bei uns in der Obersteiermark schon eine gewisse Vertraulichkeit; nur wenn man jemanden gut kannte, erlaubte man sich das. Der Besitzer eines Geschäftes, wo man seit Jahren einkauft, der darf das, aber doch nicht die Angestellte einer Wäscherei, die einen zum ersten Mal sieht und den Namen nur weiß, weil sie ihn auf dem beiliegenden Zettel gelesen hat! In dem Zusammenhang fällt mir Nachsommer von Adalbert Stifter ein, wo ein alter Mann mehrere Sommer lang einen jungen Mann in seinem Haus empfängt, ihn aber, höfliche Distanz wahrend, nie nach seinem Namen fragt.Es gab noch viele Kleinigkeiten, die im fremden Land anders waren, zum Beispiel die Tafeln mit den Straßennamen, die hier nur zu Beginn einer Straße standen (und stehen), bei uns in der Steiermark aber außerdem über jeder Hausnummer. Oft musste ich zur nächsten Kreuzung gehen, wenn ich eine Adresse suchte, weil ich vergessen hatte, rechtzeitig nach dem Straßennamen zu schauen. Und dass sich hier sogar die Stadtstreicher in Hochdeutsch ausdrücken, das hat mich sehr erstaunt, und gewundert habe ich mich über das Wettern der Deutschen gegen den in steirischen Küchen allgegenwärtigen Knoblauch, weil, wer ihn esse, garstig stinke. Das allerdings hinderte manche nicht daran, sich in einschlägigen Lokalen wahren Knoblauch-Orgien hinzugeben und dann wirklich zu stinken.Nach sechs Wochen Schulung - oder waren es acht Wochen? - wurden im März fast alle aus meinem Ausbildungskurs in den Servier-Dienst an Bord übernommen, nur eine hübsche und lustige Tirolerin bestand den Körpergewichtstest nicht und musste heimfahren. In den ersten drei Monaten, der Probezeit, wurde man mindestens einmal von Frau Ka, der Kosmetikerin der Firma, zur Kontrolle des äußeren Erscheinungsbildes aus dem Briefing, dem Vorgespräch zum Flug, geholt. Man folgte ihr in einen Nebenraum, wo sie einen begutachtete: Frisur Makeup Augenbrauen Fingernägel Uniform. Frau Ka war eine sehr schöne Frau, höflich und nie streng oder gar böse, und sie sagte es einem nur mit den nettesten Worten: Naja, die Augenbrauen könnten etwas schmäler sein, die Fingernägel vielleicht ein wenig länger und ein etwas dunklerer Nagellack, vielleicht. Und naja, die Schuhe - also man sieht ja, dass sie geputzt sind, aber ein bisschen mehr Glanz dürfte sein. Da hatte ich Glück gehabt, dass es nur der Glanz war, denn mit der Sauberkeit der Schuhe habe ich ein Problem, nicht weil ich sie zu putzen vergesse, obwohl dies passieren könnte, da es fast zwanzig Jahre lang eine andere für mich getan, sondern weil ich die Gewohnheit habe, den rechten Fuß über den linken zu legen, und das nicht nur nachts im Bett zur Herstellung embryonaler Geborgenheit, sondern auch tagsüber mit Schuhwerk an den Füßen.Wurde eine mit abgeblättertem Nagellack erwischt oder der Lidstrich verwischt - oje, da gab s einen Vermerk in die Akte und demnächst eine weitere, selbstverständlich nicht vorangekündigte Kontrolle des Äußeren, denn die Pflege unseres Äußeren und die Herstellung eines ansehnlichen Erscheinungsbildes war schon ein Teil unserer Arbeit.Nach Ablauf der Probezeit besuche ich im Juni meine Eltern und mein Kind, das zum Herbst hin schon in die Schule kommt. Ich fliege nach Wien und wechsle dort in den Zug, der mich in die Obersteiermark bringen wird. Als ich über den Semmering fahre und ins bergige Grün schaue, rieche ich die Würze des Nadelwaldes und das aufgestaute Heimweh bricht sich endlich Bahn, Tränen laufen. Zurückgehen aber geht nicht, das Fernweh, einst oben auf der Feenthal-Alm beim Blick hinaus ins weite Land geboren, ist noch immer viel stärker.Jetzt bin ich Stewardess â¦mehr