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Ossip K. Flechtheim 100 Jahre

BuchGebunden
240 Seiten
Deutsch
Ossip K. Flechtheim (1909-1998) wäre am 5. März 2009 100 Jahre alt geworden. Der Politikwissenschaftler und Begründer der Zukunftsforschung war seit den fünfziger Jahren Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Flechtheim studierte Rechtswissenschaft in Freiburg, Heidelberg und Köln und wurde als Mitglied einer Widerstandgruppe 1935 in die Emigration gezwungen. Aus den USA kehrte er zu Beginn der fünfziger Jahre nach Deutschland zurück. Er schrieb zahlreiche Bücher zur Geschichte der Kommunistischen Partei, zum Parteiensystem der Bundesrepublik, zu Krieg und Frieden und über die Zukunft.Zu seinem 100. Geburtstag haben sich viele seiner ehemaligen Schüler, Kollegen und Weggefährten zusammengefunden, um ihn mit dieser Publikation zu ehren.Herausgegeben und eingeleitet von Siegfried Heimann enthält das Buch Beiträge von: Ulrich Albrecht, Theodor Ebert, Tilman Fichter, Hajo Funke, Horst Heimann, Mario Keßler, Rolf Kreibich, Peter Lösche, Wolf-Dieter Narr, Manfred Rexin, Ingeborg Rürup, Richard Saage, Hans-Rainer Sandvoß, Klaus Täubert, Hermann Weber, Johannes Wendt und Frieder O. Wolff.mehr

Produkt

KlappentextOssip K. Flechtheim (1909-1998) wäre am 5. März 2009 100 Jahre alt geworden. Der Politikwissenschaftler und Begründer der Zukunftsforschung war seit den fünfziger Jahren Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Flechtheim studierte Rechtswissenschaft in Freiburg, Heidelberg und Köln und wurde als Mitglied einer Widerstandgruppe 1935 in die Emigration gezwungen. Aus den USA kehrte er zu Beginn der fünfziger Jahre nach Deutschland zurück. Er schrieb zahlreiche Bücher zur Geschichte der Kommunistischen Partei, zum Parteiensystem der Bundesrepublik, zu Krieg und Frieden und über die Zukunft.Zu seinem 100. Geburtstag haben sich viele seiner ehemaligen Schüler, Kollegen und Weggefährten zusammengefunden, um ihn mit dieser Publikation zu ehren.Herausgegeben und eingeleitet von Siegfried Heimann enthält das Buch Beiträge von: Ulrich Albrecht, Theodor Ebert, Tilman Fichter, Hajo Funke, Horst Heimann, Mario Keßler, Rolf Kreibich, Peter Lösche, Wolf-Dieter Narr, Manfred Rexin, Ingeborg Rürup, Richard Saage, Hans-Rainer Sandvoß, Klaus Täubert, Hermann Weber, Johannes Wendt und Frieder O. Wolff.
Details
ISBN/GTIN978-3-924041-29-8
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
Erscheinungsjahr2009
Erscheinungsdatum01.03.2009
Seiten240 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht640 g
Illustrationen6 s/w Rastergrafiken
Artikel-Nr.11835806
Rubriken

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
Inhalt Zur Einführung Siegfried Heimann,. gegen den Strom schwimmen und darüber nicht verzweifeln 7 Ossip K. Flechtheim, Das Tal verlassen und Höhenwanderungen wagen 21 Wolf-Dieter Narr, Von Ossip K. Flechtheim, dem Sanften, politisch, politikwissenschaftlich kritisch im neuen Jahrtausend lernen! 25 Zur politischen Biographie Ossip K. Flechtheims Mario Keßler, Ossip K. Flechtheim (1909-1998) im Jahrhundert der Extreme 33 Hermann Weber, Ossip K. Flechtheim und die Geschichte der KPD 57 Ingeborg Rürup, Die Humanistischen Union und Ossip K. Flechtheim 77 Tilman Fichter, Innerparteiliche Demokratie, der SDS und Ossip K. Flechtheim 89 Ossip K. Flechtheim im Gespräch Johannes Wendt, Aus einem Gespräch mit dem Berliner Politologen Ossip K. Flechtheim in der Reihe Gespräch in 3 des Senders Freies Berlin im Januar 1984, wiederholt im März 1998 wenige Tage nach seinem Tode 97 Hajo Funke, Die andere Erinnerung des Remigranten Ossip Flechtheim. Auszüge aus einem Gespräch 115 Schüler und Weggefährten erinnern sich Peter Lösche, Meine Erinnerungen an Ossip K. Flechtheim 129Hans-Rainer Sandvoß, Flechtheim als akademischer Lehrer - aus der Sicht eines früheren Studenten 135 Klaus Täubert, Flechtheim - Rohlfsstraße 18 Der Demokratietheoretiker und Zukunftsforscher Ossip K. Flechtheim Richard Saage, Demokratie bei Ossip K. Flechtheim 149 Rolf Kreibich, Ossip K. Flechtheim und die Zukunft der modernen Zukunftsforschung 167 Horst Heimann, Flechtheim: Dritter Weltkrieg oder Dritter Weg? - Erinnerung an die Macht linker Intellektueller 191 Frieder O. Wolf, Die neue Einheit von Prognostik, Planung und Philosophie der Zukunft in Ossip K. Flechtheims Futurologie 205 Eine Laudatio und zwei Nachrufe Theodor Ebert, Der futurologische Imperativ. Laudatio auf Ossip K. Flechtheim 217Manfred Rexin, Ansprache bei der Trauerfeier für Prof. Ossip K. Flechtheim (1909-1998) am 13. März 1998 in der St.-Annen-Kirche in Berlin-Dahlem 227Ulrich Albrecht, Der Futurologe ist tot - Ein Nachruf eines Kollegen 233mehr
Vorwort
Siegfried Heimann . gegen den Strom schwimmen und darüber nicht verzweifeln Im Jahre 1983 - 100 Jahre nach dem Tode von Karl Marx - gab Ossip K. Flechtheim ein Buch heraus, mit dem er und viele andere Autoren nach Marx heute fragten. In seiner Einleitung erinnerte Flechtheim auch an den 100. Geburtstag von Karl Marx im Jahre 1918. Sein 100. Geburtstag sei in eine Zeit der sozialistischen Erwartung gefallen. Davon kann nun heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn wir an den 100. Geburtstag von Ossip K. Flechtheim erinnern, wohl kaum die Rede sein. Statt einer sozialistischen Alternative kam die nazistische Barbarei; sie wurde erst um den Preis von vielen Millionen Toten schließlich überwunden. Die ökonomische Ordnung aber, deren Auswüchse mit sozialer Not und mit Krieg damals so viele Menschen auf eine Alternative hoffen ließ, wenn nicht die Barbarei siegen sollte, besteht immer noch. Die Auswüchse einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind heute wieder mehr denn je in den letzten zwanzig Jahren vor aller Augen. Schlagworte wie Raubtierkapitalismus , oder Heuschreckenkapitalismus sind Wortschöpfungen von Politikern, denen noch vor kurzem das Lob des Neoliberalismus leicht über die Lippen kam. Vielleicht ist es nicht zu spät, Einsicht zu zeigen. Bei der Erinnerung an Marx ging es Flechtheim freilich nicht darum, der Heiligsprechung von Marx einen weiteren Altar zu errichten. Das hatten, wie Flechtheim im Rückblick feststellen musste, in der Vergangenheit allzu viele getan und in seinem Namen in der kommunistischen Welt immer wieder Unduldsamkeit und Verfolgung, Zwist und Haß, Terror und Täuschung, Not und Tod verursacht und gerechtfertigt. Dennoch wollte Flechtheim die Schriften von Marx aus gutem Grunde nicht der Kritik der Mäuse überantworten. Marxens Wort, dass die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, sei im Jahre 1983 noch immer so aktuell wie zu der Zeit, als Marx diesen Satz schrieb. Und wir fügen hinzu: Dieser Satz ist im Jahre 2009, 100 Jahre nach dem Geburtstag von Ossip K. Flechtheim, aktueller denn je. Flechtheim schrieb 1983: Schon heute dürfte feststehen, daß der Kapitalismus ebenso wenig wie der kommunistische Etatismus die Probleme von heute und morgen zu lösen vermag. Höchstens gelingt es ihm, die Krise zu vertagen und sie latenter zu halten . Heute wissen wir: Der Beweis für die Unfähigkeit des kommunistischen Etatismus , Probleme zu lösen, ist erbracht. Zur Zeit tut der Raubtierkapitalismus alles, um auch für den Kapitalismus den Beweis anzutreten. Flechtheims Alternative, sein Dritter Weg , sollte, wie er schrieb, nicht an Marx vorbei, sondern über ihn hinausführen. Dessen Optimismus konnte Flechtheim allerdings nicht mehr teilen. Zu bitter waren seine Erfahrungen in dem kurzen 20. Jahrhundert, das 1914 begann und schon 1990 endete. Das ganze Jahrhundert war nicht nur für Eric Hobsbawm ein Zeitalter der Extreme . In seinem Rückblick auf sein langes Leben berichtet Hobsbawm von Erfahrungen, die so auch für Ossip Flechtheim gelten könnten: Über achtzig Jahre lang im 20. Jahrhundert zu leben war eine natürliche Lektion in der Veränderlichkeit von politischer Macht, von Imperien und Institutionen. Mehr noch, wer alt ist, hat Moden kommen und gehen sehen. Seit dem Ende der UdSSR ist es eine unumstößliche politische Wahrheit und herrschende allgemeine Meinung, es gebe keine Alternative zur Gesellschaft des individualistischen Kapitalismus. Während des größten Teils des 20. Jahrhunderts erschienen solche Annahmen allerdings wenig plausibel. Der Kapitalismus selbst schien am Rande des Abgrunds zu stehen. Ich bin gar nicht überrascht, mich wieder einmal in einer Generation zu befinden, die dem Kapitalismus skeptisch gegenübersteht, obwohl sie an unsere Alternative auch nicht glaubt. Wohl gemerkt, Hobsbawm schrieb seine Erinnerungen vor mehr als zehn Jahren in der Mitte der neunziger Jahre, als von Raubtierkapitalismus , von Heuschreckenkapitalismus und von einer Finanzkrise noch keine Rede war. Die Zahl der Skeptiker, die diese Vokabeln nun ohne Zögern im Munde führen, ist inzwischen größer geworden. Die Suche nach einer Alternative aber hat, wenn überhaupt, kaum begonnen. Die Erinnerung an das Leben und an das Werk von Ossip K. Flechtheim, den Sanften , wie ihn Wolf-Dieter Narr in seinem Beitrag nennt, mag bei der Suche nach einer Alternative zum Raubtierkapitalismus helfen. Dieses Buch zum 100. Geburtstag von Ossip K. Flechtheim will deshalb alles andere als ein nostalgischer Rückblick sein, sondern ein kleiner Wegweiser für die Zukunft in unübersichtlichen Zeiten. Vielleicht finden sich doch Wege aus der Gefahr , die Heinrich Eppler schon in den achtziger Jahren vergeblich gesucht hat. Flechtheim hatte ja große Hoffnungen, als er 1945 erstmals und zu Beginn der fünfziger Jahre auf Dauer aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrte. Im Jahre 1986 musste er bedauernd feststellen: Die Erwartungen und Pläne des politischen Exils haben sich also weitgehend nicht erfüllt. Die Vorstellung von einem neuen demokratisch-sozialistischen Deutschland, das die Vorzüge politischer Demokratie kombinieren würde mit denen des Sozialismus in der Wirtschaft, das einen selbständigen dritten Weg weisen würde, das sogar zu einer Brücke werden könnte zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kommunistischen Osten haben sich nicht verwirklicht. Das war wohl auch kaum möglich, denn wie sah denn 1945 die Landschaft nach der Schlacht aus, um den Titel eines Films von Andrej Wajda zu zitieren? Wie sah die Nachkriegsordnung der Sieger, der Anti-Hitler-Koalition aus? Die Konferenz von Jalta im Februar 1945 gab der Nachkriegsordnung den Namen. Sie war bestimmt vom Willen der beiden Supermächte Sowjetunion und USA. Die europäischen Staaten, ob auf der Seite der Sieger oder Verlierer, wurden wenig oder gar nicht gefragt. Es war eine Ordnung, die Europa durch ein Gleichgewicht des Schreckens ein halbes Jahrhundert Frieden bescherte - und das Wort Willy Brandts ist nur zu wahr: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts! Aber diese Nachkriegsordnung war auch ein Freibrief für Stalin und später für Breschnew, in ihrem Herrschaftsbereich brutal jede freiheitliche Regung zu ersticken: im Jahre 1953 in der DDR, im Jahre 1956 in Ungarn und (wie auch später immer wieder) in Polen und 1968 in der CSSR. Diese Nachkriegsordnung war freilich auch der Grund dafür, dass im Westen die Augen verschlossen blieben vor den faschistischen Diktaturen in Spanien, in Portugal und in Griechenland. Erst die revolutionären Veränderungen in ganz Osteuropa brachten nach 1989 eine Wende, und das nicht mehr durch einen Eisernen Vorhang getrennte Europa bekam eine Chance, ohne Furcht vor einem die Existenz der Menschheit vernichtenden Weltkrieg eine neue friedliche Weltordnung mitzugestalten. Und wieder wurden Hoffnungen bitter enttäuscht. Flechtheim musste noch in seinen letzten Lebensjahren die vielen neuen Kriege in der ganzen Welt zur Kenntnis nehmen. Nur die Unordnung des Weltkapitalismus mit neuen Ängsten vieler zu Beginn des 21. Jahrhunderts blieb ihm erspart. Flechtheims Worte aber über das, was einen Humanisten und Sozialisten ausmacht, nämlich bereit zu sein, immer wieder gegen den Strom zu schwimmen und darüber nicht zu verzweifeln, ist auch für uns Nachgeborene kein schlechtes Motto für das 21. Jahrhundert. Im Rückblick - auch in diesem Buch - erst wird deutlich, wie sehr Flechtheim diesem Motto treu blieb, wie sehr er nie aufhörte, Sozialist und Humanist sein zu wollen und dabei auch nie Berührungsängste hatte. Das wird erkennbar, wenn wir nicht nur die Themen seiner zahlreichen Aufsätze zur Kenntnis nehmen, sondern auch die von der politischen Verortung sehr unterschiedlichen Zeitschriften ansehen, in denen er publizierte. Dazu gehörten natürlich die Zeitschriften der vielen Bürgerrechtsorganisationen, in denen er Mitglied war, nicht zuletzt die Zeitschriften des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) und der Humanistischen Union. Dazu gehörten die Zeitschriften der Atomkriegsgegner wie auch der Kriegsdienstverweigerer. Die Macher der Zeitschriften kannten sich untereinander gut, waren sich beileibe aber nicht immer wohl gesonnen. Flechtheim kümmerte das nicht. Der scharfe Kritiker der Großkirchen und ihres zu großen Einflusses in einer demokratischen Gesellschaft wusste sich in vielen Fragen, so in seiner Kritik an den erstarrten Verhältnissen in der Bundesrepublik, an der politischen Unbeweglichkeit gegenüber den östlichen Nachbarn und an der leichtfertigen neuerlichen Rüstungspolitik, einig mit zahlreichen kritischen Katholiken und Protestanten. Viele zählten zu seinen engen Freunden. Die Zeitschriften des Linkskatholizismus und der in wachsendem Maße kritischen Evangelischen Akademien veröffentlichten Beiträge von Flechtheim zuweilen bereitwilliger als einschlägige Fachzeitschriften. Im Jahre 1962 erschien ein wichtiger Beitrag Flechtheims zu den Parteien der Bundesrepublik in der studentischen Hauszeitschrift des Otto-Suhr-Instituts, dem Politologen , nur als ein Nachdruck aus der katholischen Zeitschrift werkhefte .Ossip K. Flechtheim war zu jener Zeit bereits aus der SPD ausgetreten. Er war tief enttäuscht über den rigiden und bürokratisch-autoritären Umgang der Partei mit ihrem akademischen Nachwuchs. In der Zeitschrift neue kritik , in der im November 1961 der Beschluss des SPD-Parteivorstandes über die Trennung vom SDS mitgeteilt wurde, nahm Flechtheim sozusagen aus gegebenen Anlass zu Fragen der innerparteilichen Demokratie Stellung. Es war im übrigen dasselbe Heft der SDS-Zeitschrift, in der der SDS auch in einer sehr entschiedenen Resolution gegen die Verschleppung des Redakteurs der Zeitschrift metall Heinz Brandt protestierte. Der SDS sah diesen Protest als einen Teil unseres Kampfes für Gerechtigkeit, Freiheit und Humanität, wo immer das Unrecht, der Terror und die Barbarei herrschen. Flechtheim war dieser Protest besonders wichtig. Heinz Brandt war ja 1961 auf dem Weg zu seinem Freund Flechtheim, bei dem er übernachten wollte, als er von der Stasi der DDR entführt und eingekerkert wurde. Neben anderen linken Akademikern und Politikern gehörte Flechtheim mit zu den ersten, die gegen die Entführung von Heinz Brandt protestierten. Dazu gehörten noch: Wolfgang Abendroth, Otto Brenner, Martin Niemöller, Fritz Baade, Diether Posser, Eugen Kogon und Alexander Mitscherlich.Aber es war nicht nur diese unmittelbare persönliche Erfahrung, die ihn wieder und wieder zweifeln ließ, ob die Großorganisation einer politischen Partei das richtige Instrument sei, um die wichtigen politischen Ziele, um die es eigentlich gehen müsste, auch durchzusetzen. Die Beteiligung der einzelnen Mitglieder sei in den wenigen Jahren nach Kriegsende, in denen das zarte Pflänzlein Demokratie nur mühsam in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit Wurzeln zu schlagen versuchte, zunehmend nicht mehr gefragt. Innerparteiliche Demokratie und Willensbildung von unten nach oben werden so zu leeren Formeln und Fiktionen , schrieb er in dem erwähnten Aufsatz in der katholischen Zeitschrift werkhefte im Juni 1962 und wiederholte damit seine Kritik aus dem Vorjahr in der SDS-Zeitschrift. Er zitierte zustimmend Kurt Schumacher, der im September 1949 den ersten Bundeskanzler scharf angegriffen hatte. Schumacher hatte vor der Gefahr gewarnt, daß dieser neue Staat ein autoritärer Besitzverteidigungsstaat werden kann. Wir haben heute einen Staat, den wir Sozialdemokraten als einen Staat der überwiegenden sozialen Restauration ansehen. Wir haben einen Staat, von dem wir befürchten, daß seine Führung gar zu leicht in Versuchung kommt, die Volksmassen als Objekt zu behandeln . Flechtheim hatte, wohlgemerkt im Jahre 1962, die Stellungnahme Schumachers im Bundestag eine auch heute noch lesenswerte Rede genannt. Wir können hinzufügen, dass mit heute auch das Jahr 2009 gemeint sein kann. Für Flechtheim stand schon 1962 fest, dass die Befürchtungen Schumachers weitgehend Realität geworden seien. Die Beteiligung der einzelnen Mitglieder an der Willensbildung in den politischen Parteien war, wie er feststellen musste, unerwünscht, unbequeme kritische Geister wurden schnell als staatsfeindlich , kommunistisch oder atheistisch diffamiert und in diesem Pseudo-Biedermeierstaat erscheint jeder frische Windstoß als lebensbedrohender Orkan . Der freie Denker Ossip K. Flechtheim Flechtheim war ein freier Denker im wahrsten Sinne des Wortes. Daher war ihm als bekennender Freidenker, der Religion als Menschenwerk sah, auch jeder materialistische Dogmatismus fremd und wenn er vor der Gefahr der Dogmen warnte, dann meinte er auch die Dogmen in den Reihen des Freidenker. Über Freidenkertum nachzudenken, hieß für Flechtheim immer, sich auch scharf von jedem Religionshass abzugrenzen. Charles Darwin, genau 100 Jahre älter als Flechtheim, war für ihn ein bewundernswerter freier Denker und Humanist, aber zugleich auch ein Kind seines Jahrhunderts. Der Humanist ist heute skeptischer und bescheidener als sein viktorianischer Vorfahre; er hat ein offenes Ohr für die Kritik, die etwa von christlicher Seite gegen die Hybris bestimmter Formen des Aufklärungsoptimismus und der Wissenschaftsgläubigkeit geltend gemacht worden ist. Aber Flechtheim fügte sofort hinzu: Die dogmatisch-metaphysschen Antworten und Aussagen der traditionalen Kirchen erscheinen ihm [dem Humanisten] heute noch weniger glaubwürdig und zeitgemäß als früher. Davon zu unterscheiden sei jedoch das Bedürfnis der Menschen nach Religion. Flechtheim nahm Marx ernst, der eben nicht geschrieben hatte, dass Religion Opium für das Volk, sondern dass Religion das Opium des Volkes sei. Nicht nur ein kleiner Unterschied. Den zu erkennen, hieß freilich weder für Marx noch für Flechtheim, die Kritik der Religion für überflüssig zu erklären. Auch Flechtheim verwies für die Menschen des 20. Jahrhunderts (und er hätte es sicher auch für die Menschen des 21. Jahrhundert getan) auf deren gesellschaftlichen Bedingtheiten und tiefenpsychologischen Motivationen , die sie für sich selber auf einen Himmel hoffen und ihrem Gegner die Hölle androhen . Aber dann fallen in dem kurzen Text Flechtheims, mit dem er über Religion heute nachdachte, die Stichworte, die auch sein übriges Denken immer wieder bestimmen sollten: Auschwitz und Hiroshima . Daher war für Flechtheim klar, dass in einem noch immer nicht zum Ende gekommenen Zeitalter, in dem die Menschheit sich selber vernichten kann, jede optimistisch-theistische Konzeption zu einem Stein des Anstoßes wird. Noch mehr ging Flechtheim jedoch mit kirchlichen Ansprüchen ins Gericht, die dem einzelnen Menschen das selbständige Denken verbieten wollen. Ausdrücklich betonte er, dass ihn - und er traf damit gleich zwei Großkirchen ins Mark - der Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes an den Stalin-Kult des Bolschewismus erinnere. Auch in diesem Zusammenhang mochte er es sich nicht verkneifen, auf die Frankfurter Leitsätze der CDU nach 1945 zu verweisen, wo es hieß: Da das christliche Menschenbild in wesentlichen Zügen das gleiche ist, wie es viele Nichtchristen als das einer westlichen Humanität vorschwebt, werden auch sie mit uns zusammengehen können. Allen Nichtchristen werden sie Duldsamkeit und Achtung entgegenbringen, und sie dürfen daher eine gleiche Haltung auch von ihnen erwarten. Das Zitat ist auch ein postumer Kommentar zu einer aktuellen Berliner Diskussion, in der von kirchlicher Seite nichtchristlichen Humanisten die Fähigkeit abgesprochen wird, zu einer Wertediskussion einen Beitrag leisten zu können. Auch in diesem Zusammenhang lohnt es immer wieder, die Texte von Flechtheim nachzulesen. Der von Flechtheim so gerne zitierte Satz aus einem CDU-Programm aus längst vergangenen Zeiten erklärt auch, weshalb Flechtheim und viele seiner Mitarbeiter so einen großen Arbeitsaufwand betrieben haben, um in einem neunbändigen Mammutwerk die Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945 zusammenzutragen. Die Arbeit half, auch solche verborgenen und auch nur zu gerne vergessenen Schätze der Parteienprogrammatik der Nachkriegszeit wieder ins Licht zu rücken. von Ossip K. Flechtheim u.a., 9 Bände, Berlin 1962-1971 Der um die Zukunft besorgte Politikwissenschaftler Der kürzlich verstorbene Politikwissenschaftler Samuel Huntington, der die neue unübersichtlich gewordene Weltordnung zum Kampf der Kulturen ideologisiert und vereinfacht hatte, war - wie einem Nachruf zu entnehmen ist - einer der einflussreichsten Politikwissenschaftler der letzten 50 Jahre 8 Der Nachrufer lobte nicht zuletzt Huntingtons arrogante - und auch dümmliche - Formulierung: The West against the rest ob ihrer Eleganz. Eine solche Formulierung wäre Ossip K. Flechtheim freilich nie in den Sinn gekommen und gerade darum war Flechtheim sicher kein einflussreicher , wohl aber gerade darum ein bedeutender Politikwissenschaftler, der sich seinen Humanismus nie wegen einer eleganten Formulierung abkaufen ließ. Er war darüber hinaus ein überaus liebenswerter, freundlicher und bescheidener Mensch, wie ihn viele seine Freunde und Weggefährten nach seinem Tode rühmten. Diese Publikation zum 100. Geburtstag von Ossip K, Flechtheim vereint deshalb auch sehr unterschiedliche Beiträge von achtzehn Autoren. Sie alle eint der große Respekt vor der Lebensleistung eines Wissenschaftlers und Humanisten, der sich nie scheute gegen den Strom zu schwimmen. Ossip K. Flechtheim hat mit diesem Halbsatz beschrieben, was für ihn einen Humanisten und Sozialisten auszeichnet und er beschrieb damit zugleich auch, was ihn sein ganzes Leben lang selbst auszeichnete. Als der Plan für dieses Buch entstand, war es für mich als Herausgeber zunächst ungewiss, ob die vielen Menschen, an die ich dachte, dass sie in dieser Publikation vertreten sein sollten, sich auch beteiligen würden. Zu kurz schien die Zeit und zu beschäftigt waren alle, die ich ansprechen wollte. Aber die Antwort von Hermann Weber war beispielhaft für alle, die hier im Buch mit Beiträgen versammelt sind. Er antwortete auf meine Bitte, einen Beitrag zu schreiben: Natürlich habe ich wenig Zeit, aber für Ossip mache ich es gerne. Das gilt auch für alle übrigen, die für diese Publikation einen eigenen Beitrag geschrieben haben, um den politischen Wissenschaftler, den unabhängigen Humanisten und den unermüdliche sich politisch Engagierenden zu ehren. Andere, die noch zu Lebzeiten Flechtheims mit ihm Gespräche geführt haben, oder zu verschiedenen Anlässen über ihn gesprochen und geschrieben haben, stellten ihre veröffentlichten Aufsätze gerne für diese Publikation zur Verfügung. Das gilt auch für kurz nach seinem Tode veröffentlichten Nachrufe, von denen wir zwei hier aufgenommen haben. Am Anfang dieses Buches steht ein Text von Ossip K. Flechtheim selbst. Er ist trotz seiner Kürze ein für das Denken Flechtheims beispielhafter, ja programmatischer Text. Er zeigt, wie weit Flechtheim von jedem blinden Fortschrittsglauben entfernt war, wenn er die Zukunft erforschen wollte. Er zeigt aber vor allem, dass viele, allzu viele Misserfolge bei dem Bemühen, die Verhältnisse zum Besseren zu wenden, nicht zu Resignation oder Anpassung führen dürfen. Wolf-Dieter Narr, sein Kollege und Weggefährte in vielen bürgerrechtlichen Organisationen, nutzt danach seine von großer Sympathie geschriebenen Hommage an Flechtheim, um uns darauf aufmerksam zu machen, wie viel wir von diesem Sanften und trotz alledem Optimist gebliebenen Humanisten heute politisch lernen können. Mario Keßler ist als Kenner der politischen Biographie von Ossip K. Flechtheim seit dem Erscheinen seiner Monographie bestens ausgewiesen. Seine knappe engagiert geschriebene biographische Skizze hilft uns, Flechtheims vielfältigen wissenschaftlichen Interessen und sein politisches Engagement besser zu verstehen. Dazu gehört vor allem die Beschäftigung mit der Idee des Kommunismus. Die Idee prägte ihn, auch wenn seine Mitgliedschaft in der KPD nur von kurzer Dauer war. Gerade darum aber ließ ihn die Geschichte dieser Partei nicht los. Hermann Weber, selbst nun seit Jahren Nestor der Kommunismusforschung, würdigt Flechtheim als den Parteienforscher, der mit seiner Geschichte der KPD, seit ihrem ersten Erscheinen mehrfach aufgelegt, ein noch heute gültiges Standardwerk geschrieben hat. Vor allem aber schildert Weber den Weg der Wahrnehmung dieses Buches in der Nachkriegszeit: im Osten diffamiert und im Westen verschwiegen. Flechtheim war immer bereit, in den zahlreichen Organisationen der Bürgerbewegung, denen er sich verbunden wusste, auch aktiv mitzuarbeiten, nicht zuletzt natürlich im Humanistischen Verband und in der Humanistischen Union. Über die Mitarbeit in der Humanistischen Union berichtet Ingeborg Rürup, langjähriges Vorstandsmitglied in Berlin und im Bund, in ihrem Beitrag informativ und zugleich beeindruckt vom Engagement Flechtheims. Nur zehn Jahre war Flechtheim nach seiner Rückkehr nach Deutschland Mitglied der SPD. Er trat 1962 aus der Partei aus. Zu sehr hatte ihn der Beschluss des SPD-Parteivorstandes empört, die Mitgliedschaft im SDS für unvereinbar mit der Zugehörigkeit in der Partei zu erklären. Tilman Fichter, langjähriger Referent beim SPD-Parteivorstand und Autor einer Geschichte des SDS, schildert die Umstände, die zu diesem Beschluss führten. Darüber hinaus enthält der sehr kritische Beitrag auch ein beeindruckendes selbstkritisches Bekenntnis des ehemaligen Studenten am Otto-Suhr-Institut. In unnachahmlicher Weise vermochte Flechtheim ohne erhobenen Zeigefinger am Beispiel seiner Biographie einige Wahrheiten über sein Land Zuhörern und Lesern nahe zu bringen. In einem Gespräch, das Flechtheim mit dem Journalisten Johannes Wendt für den damals noch existierenden Sender Freies Berlin im Jahre 1984 (und wiederholt im Jahre seines Todes 1998) führte, wird diese Gabe Flechtheims, die konfliktreiche deutsche Geschichte gleich mit abzuhandeln, wenn er über sein Leben berichtet, besonders deutlich. Das gilt auch für ein Gespräch, das Flechtheim mit seinem sehr viel jüngeren Kollegen Hajo Funke führte und das in einem Buch von Funke Eingang fand, in dem es um die Biographien deutscher Juden ging, die 1933 emigrieren mussten. Ich danke beiden für die Bereitschaft, die Texte in Auszügen hier abdrucken zu dürfen. Immer wieder wird in Erzählungen über Flechtheim davon gesprochen, wie groß seine Fähigkeit war zuzuhören. Einen Eindruck davon vermitteln die Berichte von früheren Schülern und Mitarbeitern Flechtheims, wie die von Peter Lösche, heute auch schon emeritierter Professor für politische Wissenschaft in Göttingen und Hans Rainer Sandvoß, heute stellvertretender Leiter der Gedenkstätte der Deutscher Widerstand. Dazu gehört auch der einfühlsame Bericht von Klaus Täubert, der Flechtheim in seinen letzten Lebensjahren ein treuer Freund und Wegbegleiter war. Aber hinter der bescheidenen Art des sich in vielen politischen Organisationen tummelnden Praktikers der Politik (Parteien waren dabei freilich die Ausnahme) blieb der bedeutende Politikwissenschaftler verborgen. Nicht wenige seiner heutigen jungen, smarten Kollegen an seinem Institut wissen mit seinem Namen kaum etwas anzufangen, wenn sie überhaupt seinen Namen kennen. Zumindest aber passt Flechtheims Verständnis von politischer Wissenschaft wenig in die heutige Wissenschaftslandschaft, die auf dem Weg an die Börse exzellent werden will. Übersehen wurde und wird auch, dass Flechtheim wichtige, freilich oft sehr verstreut erschienene Beiträge zur Demokratietheorie verfasst hat. Deren Zeitgebundenheit einerseits, ihre immer noch aktuelle Wirkungsgeschichte andererseits, hat der emeritierte Professor der Politikwissenschaft Richard Saage, ein ausgewiesener Kenner der Demokratieforschung, sehr umfassend mit seinem Beitrag für diese Publikation herausgearbeitet. Rolf Kreibich, Direktor des Instituts für Zukunftsforschung, wiederum beschreibt ein Feld des Wirkens von Flechtheim, das unter dem Signum Futorologie vor allem mit seinem Namen verbunden ist. Auch wenn die Zukunftsforschung heutiger Prägung längst auch andere methodische Zugänge gesucht und gefunden hat, ist diese ohne den von Flechtheim gemachten Anfang nicht vorstellbar. Frieder Otto Wolf, Philosoph und Präsident der Akademie des Humanistischen Verbandes, ergänzt mit seinem Aufsatz die von Kreibich angesprochenen Probleme und fragt, ob und wie die von Flechtheim propagierte Prognostik, Planung und Philosophie der Zukunft zu einer neuen Einheit finden kann. Was bleibt von dem Dritten Weg , den Flechtheim gehen wollte, fragt Horst Heimann und macht auf die Macht der Intellektuellen aufmerksam. Er war damals als Mitarbeiter am Otto-Suhr-Institut und später lange Jahre bei der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigt. Eine späte und für Flechtheim auch als merkwürdig empfundene universitäre Auszeichnung erhielt Flechtheim dann aber doch noch. Im Jahre 1989 wurde ihm von der Freien Universität der Titel eines Ehrendoktors verliehen. Für seinen Schüler und Nachfolger auf dem Lehrstuhl Theodor Ebert Grund genug, in seiner bewegenden Laudatio dem futurologischen Imperativ nachzuspüren, dem Flechtheim stets folgte. Zwei Nachrufe auf Flechtheim von Manfred Rexin und Uli Albrecht, unmittelbar nach seinem Tode am 4. März 1998 geschrieben, beschließen diese Publikation. Eine Schlussbemerkung In der bereits zitierten kleinen Schrift aus dem Jahre 1962 über das ihn zur Kritik herausfordernde Pseudo-Biedermeier der Bundesrepublik beschrieb Flechtheim eine offenbare Gefahr, die bis an sein Lebensende nicht behoben war und gegen die er Zeit seines Lebens angekämpft hatte: Der Ketzer wird zwar nicht mehr verbrannt (und dafür wollen wir schon dankbar sein!), aber in unserer durchorganisierten und institutionalisierten Gesellschaft wird er ausgeschaltet und in die Isolierung getrieben: Nur wenige werden dann nicht früher oder später resignieren oder sich akkomodieren. Zu diesen wenigen aber, die nicht resignierten und sich nicht anpassten, gehörte zweifelsohne Ossip K. Flechtheim. Es bedarf nicht dieser Schrift, um das zu belegen. Diese Publikation zum 100.Geburtstag soll helfen, die Erinnerung an diesen unabhängigen freien Denker und Humanisten wach zu halten und uns zugleich zu ermuntern, das Tal der Resignation und der Anpassung zu verlassen und mutig gegen den Strom zu schwimmen .mehr