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Henry David Thoreau

Realist und Mystiker
BuchGebunden
280 Seiten
Deutsch
Göbel, Stefanerschienen am30.03.2021Neuauflage
InhaltsangabeDer Werdegang des frappierend zeitgemäßen amerikanischen Klassikers Henry David Thoreau (1817-1862), entfaltet sich auf dem Hintergrund einer politisch bewegten Zeit im Vorfeld des amerikanischen Bürgerkriegs. Die Biographie schildert die Stationen seines Lebens mit einer Fülle von Fakten, die im deutschen Sprachraum noch weithin unbekannt sind. Aufgewachsen in der puritanisch geprägten Kleinstadt Concord im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts, entdeckte Thoreau früh seine Liebe zur Natur. Ihre Geheimnisse zu erforschen, die Wechselwirkung aller Phänomene und sich selbst im Spannungsfeld zwischen Materie und Geist zu erkennen, machte er zur Aufgabe seines Lebens. Statt nach seinem Studium in Harvard einen einträglichen Beruf zu ergreifen, zog er ein bedürfnisloses, unabhängiges Leben in der Stille vor und widmete sich auf seinen Wanderungen der Beobachtung und akribischen Erforschung der Natur. Sie schärfte ihm den Blick für die zunehmende Zerstörung der Umwelt, für die Entfremdung des Menschen von sich selbst in der modernen Welt und die inneren Widersprüche einer Gesellschaft, deren Wohlstand auf dem Übel der Sklaverei beruhte. Von seinen Mitbürgern als weltfremder Sonderling und Rebell beargwöhnt, wurde Thoreau zum Vordenker der späteren Ökologiebewegung, zum prophetischen Zivilisationskritiker und zum großen existentiellen Schriftsteller. Von seinen Zeitgenossen fast unbemerkt wuchs in der Stille sein Werk, das für unsere Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Biographie zeichnet die Entwicklung Thoreaus nach, wie er allmählich aus dem Schatten seines großen Mentors Ralph Waldo Emerson trat und selbst wegweisend wurde. Sie begleitet die Entstehung des vielschichtigen Meisterwerks Walden, in dem der berühmteste Aussteiger der Literaturgeschichte Rechenschaft ablegt über sein zweijähriges Lebensexperiment in einer selbsterbauten Hütte. Sie schildert, wie es zu dem flammenden Protest seiner revolutionären Streitschrift Ziviler Ungehorsam kam, deren Sprengkraft bis heute fortwirkt. Sie erschließt das Werk, das auch bedeutende Essays und nicht zuletzt ein vielbändiges, von Kennern als heimliches Hauptwerk geschätztes Tagebuch umfasst, mit eingehenden Werkanalysen und lässt Thoreaus Sprachkunst mit zahlreichen, neu ins Deutsche übertragenen Zitaten zu Wort kommen.Aus der Darstellung ergibt sich ein differenziertes Bild eines Schriftstellers, der pragmatischer Yankee, Naturforscher, Wanderer aus Leidenschaft und zugleich ein visionärer Denker und Mystiker war. Die Biographie erhellt, wie es zu den Missverständnissen kam, die seinen Nachruhm so lange beschädigten. Sie rückt das Zerrbild des menschenscheuen, misogynen Einzelgängers zurecht und zeigt einen warmherzigen, sich mit allem Lebendigen identifizierenden Menschen, der bis zu seinem frühen Tod ein Leben im Einklang mit der Natur führte. Hinter dem scharfen Kritiker einer erstarrten Dogmenreligion steht ein Frommer, der seine zutiefst lebensbejahende Weltsicht aus den Weisheitstraditionen der Völker und immer wieder aus der Kommunion mit der Natur schöpft. Seine Botschaft ist zeitlos, ausgedrückt in einer Sprache von unvergänglicher Schönheit jenseits aller literarischen Moden. Mit zahlreichen Übersetzungen präsent, erfreut sich Henry David Thoreau, der lebendigste aller toten Dichter, auch hierzulande einer wachsenden Wertschätzung.mehr

Produkt

KlappentextInhaltsangabeDer Werdegang des frappierend zeitgemäßen amerikanischen Klassikers Henry David Thoreau (1817-1862), entfaltet sich auf dem Hintergrund einer politisch bewegten Zeit im Vorfeld des amerikanischen Bürgerkriegs. Die Biographie schildert die Stationen seines Lebens mit einer Fülle von Fakten, die im deutschen Sprachraum noch weithin unbekannt sind. Aufgewachsen in der puritanisch geprägten Kleinstadt Concord im amerikanischen Bundesstaat Massachusetts, entdeckte Thoreau früh seine Liebe zur Natur. Ihre Geheimnisse zu erforschen, die Wechselwirkung aller Phänomene und sich selbst im Spannungsfeld zwischen Materie und Geist zu erkennen, machte er zur Aufgabe seines Lebens. Statt nach seinem Studium in Harvard einen einträglichen Beruf zu ergreifen, zog er ein bedürfnisloses, unabhängiges Leben in der Stille vor und widmete sich auf seinen Wanderungen der Beobachtung und akribischen Erforschung der Natur. Sie schärfte ihm den Blick für die zunehmende Zerstörung der Umwelt, für die Entfremdung des Menschen von sich selbst in der modernen Welt und die inneren Widersprüche einer Gesellschaft, deren Wohlstand auf dem Übel der Sklaverei beruhte. Von seinen Mitbürgern als weltfremder Sonderling und Rebell beargwöhnt, wurde Thoreau zum Vordenker der späteren Ökologiebewegung, zum prophetischen Zivilisationskritiker und zum großen existentiellen Schriftsteller. Von seinen Zeitgenossen fast unbemerkt wuchs in der Stille sein Werk, das für unsere Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Biographie zeichnet die Entwicklung Thoreaus nach, wie er allmählich aus dem Schatten seines großen Mentors Ralph Waldo Emerson trat und selbst wegweisend wurde. Sie begleitet die Entstehung des vielschichtigen Meisterwerks Walden, in dem der berühmteste Aussteiger der Literaturgeschichte Rechenschaft ablegt über sein zweijähriges Lebensexperiment in einer selbsterbauten Hütte. Sie schildert, wie es zu dem flammenden Protest seiner revolutionären Streitschrift Ziviler Ungehorsam kam, deren Sprengkraft bis heute fortwirkt. Sie erschließt das Werk, das auch bedeutende Essays und nicht zuletzt ein vielbändiges, von Kennern als heimliches Hauptwerk geschätztes Tagebuch umfasst, mit eingehenden Werkanalysen und lässt Thoreaus Sprachkunst mit zahlreichen, neu ins Deutsche übertragenen Zitaten zu Wort kommen.Aus der Darstellung ergibt sich ein differenziertes Bild eines Schriftstellers, der pragmatischer Yankee, Naturforscher, Wanderer aus Leidenschaft und zugleich ein visionärer Denker und Mystiker war. Die Biographie erhellt, wie es zu den Missverständnissen kam, die seinen Nachruhm so lange beschädigten. Sie rückt das Zerrbild des menschenscheuen, misogynen Einzelgängers zurecht und zeigt einen warmherzigen, sich mit allem Lebendigen identifizierenden Menschen, der bis zu seinem frühen Tod ein Leben im Einklang mit der Natur führte. Hinter dem scharfen Kritiker einer erstarrten Dogmenreligion steht ein Frommer, der seine zutiefst lebensbejahende Weltsicht aus den Weisheitstraditionen der Völker und immer wieder aus der Kommunion mit der Natur schöpft. Seine Botschaft ist zeitlos, ausgedrückt in einer Sprache von unvergänglicher Schönheit jenseits aller literarischen Moden. Mit zahlreichen Übersetzungen präsent, erfreut sich Henry David Thoreau, der lebendigste aller toten Dichter, auch hierzulande einer wachsenden Wertschätzung.
Details
ISBN/GTIN978-3-940203-11-3
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
ErscheinungsortLeipzig
ErscheinungslandDeutschland
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum30.03.2021
AuflageNeuauflage
Seiten280 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht720 g
IllustrationenListe der Abbildungen S. 2 Henry David Thoreau (1854) S. 14 Stadtansicht von Concord S. 40 Ralph Waldo Emerson S. 61 Ellen Sewall, verh. Osgood S. 62 Margaret Fuller, verh. Ossoli S. 86 Am Waldensee, wo einst die Hütte stand S. 113 Henry David Thoreau (1856) S. 140 Titelblatt von Walden (1854) S. 154 Waldensee, von HDT vermessen (1846) S. 186 Das Gelbe Haus S. 205 Erste Seite des Manuskripts von Walking S. 229 Henry David Thoreau (1861)
Artikel-Nr.49379717
Rubriken

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
InhaltsverzeichnisZur Einführung 1. Concord - der würdigste Ort der Welt- Kurzer historischer Streifzug - Eine glückliche Kindheit - Student in Harvard 2. Auf der Suche nach einer Identität- Versuche als Lehrer - Ein ereignisreicher Sommer - Emerson und der Kreis der Transzendentalisten 3. Der steile Weg nach Walden- Das Handwerk des Schriftstellers - Faktotum im Hause Emerson - Der Tod des Bruders - Staten Island - eine Episode- Zurück in Concord4. Das Experiment von Walden- Der Bau der Hütte- Das Leben im Wald- A Week on the Concord and Merrimack Rivers- Unterbrechungen: Eine Nacht im Gefängnis. Maine5. Entstehung des Meisterwerks- Noch einmal im Hause Emerson- Neuorientierung- Gehen und Schreiben. Das Tagebuch6. Walden7. Neue Horizonte: Naturforscher und Reisender- Leben nach Walden- Die Wälder von Maine- Thoreau und die Indianer- Exkurs: Die Penobscot, Indian Island und Old Town- Ein Yankee in Kanada8. Gegen den Unrechtsstaat- Amerika und die Sklavenfrage- Ziviler Ungehorsam- Die Lage spitzt sich zu9. Fülle des Lebens- In der Verantwortung- Das Große Projekt- Die Essays1 0. Letzte Lebensjahre- Einsatz für John Brown- Die letzte Reise- Krankheit und TodEpilog: Was bleibt?DanksagungAnhangAnmerkungenZeittafelLiteraturListe der AbbildungenPersonenverzeichnismehr
Leseprobe
Zur EinführungWo deutsch gesprochen wird, ist Henry David Thoreau kein Unbekannter. Schonwenige Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahr 1862 erschien die erste deutsche Übersetzungvon Walden. Es folgten weitere bis in die 1920er-Jahre, und danach riss derStrom der deutschen Übersetzungen, vor allem des weltberühmten MeisterwerksWalden, nicht mehr ab. Danach wurde es still um ihn, doch nach Ende des ZweitenWeltkriegs nahm das Interesse an Henry David Thoreau, der inzwischen zumamerikanischen Klassiker aufgestiegen war, ständig zu. In den fünfziger Jahrenentstand neben einer Reihe von Übersetzungen sogar eine beträchtliche Anzahlvon Dissertationen an deutschen Universitäten über Thoreau.1 Möglicherweisehat von diesen Studierenden jemand den Autor während des Studiums an einemamerikanischen College kennengelernt und nach der ersten Begegnung mit ihmdas Bedürfnis empfunden, sich näher mit ihm zu beschäftigen wie die Verfasserindieses Buches. Was immer in dem Seminar des kleinen College im MittlerenWesten verhandelt wurde, Thoreaus Hauptwerk Walden oder einer seiner großenEssays, ich war nicht fertig mit ihm. Hier war ein Schriftsteller von unverwechselbarerEigenart, ein Amerikaner, bodenständig und dabei so ausgreifend undwelthaltig, so allgemeingültig, dass eine einmalige Lektüre oder eine Seminararbeitnicht ausreichte, ihm auf den Grund zu gehen.Als Lektorin und Übersetzerin hatte ich in späteren Jahren die Gelegenheit,eine kleine Anthologie aus Thoreaus Schriften herauszugeben.2 Texte zum Nachdenken sollten es sein, und das Echo war so nachhaltig, dass das Bändchen zehnAuflagen erlebte. Als der Verlag sich nach zwanzig Jahren entschloss, die Reiheeinzustellen, wurde Leben aus den Wurzeln als einziger Titel in ein neues Format,die Spektrum-Reihe bei Herder, übernommen. Die Texte müssen einen Nerv getroffenhaben, sodass man sie dem Lesepublikum auch künftig nicht vorenthaltenwollte. Danach kam eins zum andern: kleinere und größere Rundfunkaufträge,Vorträge und Anfragen für neue Übersetzungen, und ich ging an jede dieser Aufgabenmit großer Freude heran. Eine schönere Aufgabe als diesen Dienst am Worteines Dichters von Weltrang konnte es nicht geben. Hier war kein verstaubterKlassiker, sondern jedes Wort, jede leuchtende, aus der Natur gegriffene Metapherkam aus einer Quelle, die bis heute sprudelt.Thoreau scheint in der Tat immer aktueller zu werden. Vieles, was er vorausgesehenhat, ist beklemmende Wirklichkeit geworden. Seine Kritik an Staat undGesellschaft, an der modernen Zivilisation und am sogenannten Fortschritt, seineReligionskritik, die einmal Anstoß erregte oder überh.rt wurde, benennt, washeute viele bewegt. Die Umweltzerstörung, die er als einer der ersten anprangerte,hat heute Ausmaße erreicht, die unsre Welt bedrohen. Lange bevor Ökologie zum Begriff wurde, hat Thoreau dargestellt und selbst vorgelebt, wie ein Leben imEinklang mit der Natur aussehen kann, in Treue zu sich selbst und in Harmoniemit dem Kosmos, dessen Teil wir sind. Keine Frage, dieser kosmische Yankee hatuns eine Menge zu sagen.Aus dieser ersten kleinen Anthologie ergab sich der Auftrag, eine Auswahl ausThoreaus Tagebüchern herauszugeben,3 und schließlich die Erstübersetzung vonA Week on the Concord and Merrimack Rivers,4 Thoreaus erstem veröffentlichtenBuch, gewissermaßen ein Vorläufer von Walden. Wieder war es einer aus demstillen, aber wachsenden Kreis der deutschen Thoreau-Liebhaber, dem es einAnliegen war, dieses Buch, das ihn schon als Jugendlichen mit unzureichendenEnglischkenntnissen begeistert hatte, in deutscher Sprache lesen zu können. Einsolcher Freund Thoreaus meldete sich auch aus Leipzig und beauftragte mich mitder Übersetzung von drei der schönsten Natur-Essays von Thoreau.5 Wieder hätteich mir keine dankbarere Aufgabe wünschen können.Heutzutage liegen auf dem deutschen Buchmarkt verschiedene Übersetzungenvon Walden in namhaften Verlagen vor sowie die bedeutenden Essays, einschließlichder Streitschrift Ziviler Ungehorsam, die wie Walden Weltruhm erlangte. Des200. Geburtstags von Thoreau im Jahr 2017 wurde in deutschen Medien ausführlichgedacht. Thoreau ist heute präsent als einer der ganz Großen der amerikanischenLiteratur, ein Klassiker von Weltformat.In seiner Heimat war das nicht immer so. Lange Zeit stand Thoreau im Schattenvon Ralph Waldo Emerson, seinem großen Freund und Mentor, und wurde vorallem als dessen Schüler wahrgenommen. Seinen Zeitgenossen galt er als Außenseiterund Sonderling, als kauziger Waldläufer und Rebell. Der Ruhm Emersons,des gefeierten Dichterphilosophen und Vortragsredners, überstrahlte bei Weitemden bescheidenen Namen, den Thoreau sich zu Lebzeiten gemacht hatte.Erst allmählich wendete sich das Blatt. Vom neuenglischen Provinzdichterzum Vater der amerikanischen Naturschriftstellerei aufgestiegen, trat die Wendemit dem Erscheinen der zwanzigbändigen Gesamtausgabe seiner Werke im Jahr1906 ein, die auch die bisher unveröffentlichten Journals enthielt. Eine Chronikder äußeren Ereignisse seines Lebens darf man sich von diesen Tagebüchern nichterwarten, auch kein zeitgeschichtlich aufschlussreiches Dokument. Die wenigenmarkanten Ereignisse und dramatischen Einschnitte in Thoreaus Leben werdendarin kaum berührt. Was Thoreau im Lauf von fünfundzwanzig Jahren auf siebentausendDruckseiten ausbreitet, sind Gedanken, Stimmungen, Seelenzuständeund eine immerwährende, angespannte Gewissenserforschung und Selbstreflexion.Zugleich sind diese Aufzeichnungen der Niederschlag seiner Wanderungen, seinerErfahrungen in Wald und Feld, seiner Beobachtungen über das Leben der Tiereund Pflanzen und das alltägliche, geheimnisvolle Weben der Natur. Sie würde ihnnicht so faszinieren, wäre sie für ihn nicht ein Sinnbild des menschlichen Lebensund würde sich in ihr nicht der Zusammenhang allen Seins offenbaren.Nirgends wird so deutlich wie in den Tagebüchern, dass die Natur sein ganzesDenken durchdringt. In der Kommunion mit ihr findet er zu sich selbst. Sie istdie Quelle von Gesundheit und Lebensfreude, die weise Lehrmeisterin jederhöheren Tugend. In ihr offenbart sich Gott noch im alltäglichsten Phänomen: ImSonnenschein und im Krähen der Hähne fühle ich eine grenzenlose Heiligkeit. 6Sie erschloss sich, wenn er selbstvergessen, der reinen Wahrnehmung hingegeben,durch die Gegend streifte. Im Umgang mit der Natur schärfte sich sein Blick fürdas, was falsch lief in der Gesellschaft, was Wahrhaftigkeit und Tugend im eigentlichenSinn jenseits von konventioneller Moral bedeuteten. Unabweislich stellte sichihm die Frage: Wie soll man leben, wenn man diese ursprüngliche Beziehung inder modernen Lebenswelt nicht kompromittieren und sich selbst entfremden will?Als aufmerksamer Beobachter entdeckte er auf seinen Streifzügen Spurender Indianer, die vormals hier lebten und von den weißen Siedlern aus ihremangestammten Lebensraum verdrängt wurden. Er machte sich Gedanken überihr Leben und ihre Kultur - anders als seine Zeitgenossen, die das Verschwindender indigenen Bevölkerung mit der manifesten Bestimmung der weißen Rasselegitimierten. Sein Interesse für Indianer und das Bestreben, von ihrem respektvollenUmgang mit der Natur, von ihren Fähigkeiten und Kenntnissen zu lernen,begleitete ihn sein Leben lang.Das Nachdenken über sich selbst, über Gott und die Welt, eingebettet in dieErfahrungen mit der Natur, geschieht in der Stille. Sie ist das Elixier, in dem die Kommunion der bewussten Seele mit sich selbst stattfindet. Nur wer still gewordenist, kann Zwiesprache mit der Natur halten. Nur so ist es möglich, die Distanzvon Subjekt und Objekt zu überwinden, eins zu werden mit dem Gegenstand derBetrachtung. Ich möchte zur Sonne unmittelbarer in Beziehung treten! , notiert eram 10. April 1841 in seinem Tagebuch. Sein Werk, einschließlich der Tagebücher, istvoll von Beobachtungen, in denen das Verschmelzen mit dem Beobachteten, einefast unheimliche Identifizierung mit einem anderen Sein, ob belebt oder unbelebtoder unfassbar wie die Sonne, eine Sprache findet. Es ist eine Liebesumarmung desganzen Universums, die sich hier im Tagebuch als Ergebnis seiner Wanderungenund seines einsamen Nachdenkens vollzieht.Thoreau war kein Träumer. Der Wanderer aus Leidenschaft, der das bürgerlicheLeben verweigerte und keinem geregelten Beruf nachging, war alles andere alsein Faulenzer. Der kosmische Yankee hatte eine ausgesprochen praktische Seiteund übte die unterschiedlichsten Tätigkeiten aus, um seinen Lebensunterhalt zubestreiten. Er hatte nie viel Geld, manchmal sogar Schulden, die er jeweils Centfür Cent abbezahlte. Er verdiente gerade so viel, wie er brauchte, um sich sein unkonventionellesLeben mit einem breiten Rand von Muße leisten zu können. Soarbeitete er zeitweilig als Lehrer, Bleistifthersteller, Schreiner, Zimmermann oderKlempner, Anstreicher, Tagelöhner, Gärtner, Hausmeister und Kindermädchen,Hauslehrer und Landvermesser, wie es sich ergab.Man darf sich Thoreau nicht als einen romantischen Naturschwärmer vorstellen,der trunken durch die Landschaft taumelte. Er war alles andere als das. SeinBlick war klar, sein Reden über die Natur bei aller Hingabe und Empathie niesentimental. Er strebte nach der ungekünstelten Schlichtheit, der homeliness, dieer an der Natur so liebte, und die einfache Rede des Holzfällers war ihm lieber als der unaufrichtige Enthusiasmus des Naturliebhabers . 7Er sehnte sich nach innerem Wachstum und wusste, dass dieses nicht in einemZuwachs an Talenten oder in der Ansammlung von Wissen bestand, sondernsich dem ganzen Wesen eines Menschen mitteilen musste, seinen Handlungen,seinen Gesten, seinem Blick. Thoreau blieb zeit seines Lebens ein Strebender, derrastlos an sich arbeitete, wie man heute sagen würde. Sein Leben selbst sollte einKunstwerk sein.Thoreau ist kein Klassiker mit Patina, von dem man sich distanzieren kann.Hundertfünfzig Jahre nach seinem Tod ist seine Sprache so frisch und unverbraucht,wie sie ihm aus der Feder floss. Thoreau ist unser Zeitgenosse. Er istein Vordenker oder Wegweiser, wie man es halten soll mit dem Leben. Man liestihn nicht zum Zeitvertreib, sondern weil er nährt. Das könnte schwere Kost sein,wäre da nicht seine Anschaulichkeit, gäbe es nicht die unheimlich exakten undzugleich poetischen Beobachtungen aus dem Reich der Natur, die Unsichtbaressichtbar, bisher nie Empfundenes fühlbar machen und den Horizont menschlicherWahrnehmung erweitern.Es ging ihm immer ums Ganze, immer um das Überschreiten von Grenzen.Alles, was er dachte und schrieb, war auf Transzendenz hingeordnet. Worauf läuftdas Leben hinaus? Was macht es lebenswert? Was ist das Göttliche? Worin bestehtdas Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, zu sich selbst und seinen Mitmenschen,zum Staat und zur Obrigkeit? Wie geht er mit der Natur um, und was istdiese Natur überhaupt? Was ist das Gute? Was ist Wahrheit, Freiheit, Schönheit,Tugend, Tapferkeit, Freundschaft oder eine Arbeit, die sich lohnt? Der Katalogder Fragen lässt sich erweitern, je nachdem, welches Anliegen man an Thoreauheranträgt.Wenn man sich jahrelang lesend, übersetzend und vermittelnd mit Thoreaubeschäftigt hat, kann er zum Wegbegleiter werden, zum Beistand, zu einem Ruhepolin dem zentrifugalen Kräftespiel dieser Welt. Es kommt die Zeit, da manihn als Ganzes ins Auge fassen und der Frage nachgehen möchte, wie er zu demMenschen und Schriftsteller wurde, der er war. Angesichts des stetig wachsendenInteresses, das sich auch an der großen Zahl seiner ins Deutsche übersetztenWerke ablesen lässt, ist im deutschen Sprachraum Platz für eine neue Sicht aufsein Leben und sein Werk. Dieses Buch möchte eine Vorstellung von der Weltgeben, in der Thoreau gelebt hat, von den Einflüssen, die auf ihn gewirkt haben,von der Familie, in die er hineingeboren wurde, und dem Städtchen Concord, indem er fast sein ganzes Leben verbrachte. Es wird von seinem Bildungsweg zuberichten sein und von dem bedeutenden Freundeskreis, der sein Denken mehr alsSchule und Universität geprägt hat. Wir werden ihn auf seinen Wanderungen undmanchen Reisen begleiten und unter anderem verfolgen, wie er zum berühmtestenAussteiger der Weltliteratur wurde, wie er sich allmählich vom Naturdichter zumNaturforscher wandelte und wie er vom Beobachter und stillen Philosophen zumpolitischen Rebell wurde. Die Biographie dieses Einzelgängers und Vordenkersinteressiert vor allem deshalb, weil aus diesem Leben mit seinen spezifischenBedingungen ein Werk hervorgegangen ist, das über Raum und Zeit hinweg zuuns spricht. Dieses Werk soll vorgestellt werden, und Thoreau wird immer wiederselbst zu Wort kommen.Wenn diese Monographie zu einer breiteren Rezeption seines Werks beitragenkann, wäre ihr Zweck erfüllt. Meine Annäherung an Thoreau geht von keiner Theorieund keinem literarischen Trend aus. Ich habe keine These zu vertreten, nochder Fachwelt etwas grundsätzlich Neues mitzuteilen. Es kommt mir darauf an, sounmittelbar und vorurteilsfrei auf Thoreau zu blicken wie bei meiner ersten Begegnungmit ihm. Die Erfahrungen einer Reise, die ich im Sommer und Herbst 2018auf den Spuren Henry David Thoreaus in die USA unternommen habe, werdender Darstellung, wie ich hoffe, zugutekommen. Es drängte mich, Thoreaus engereHeimat, der ich vor vielen Jahren einen flüchtigen Besuch abgestattet habe, jetzt umviele Leseerfahrungen reicher, wiederzusehen. Ohne Concord, seine Umgebungund seine geistige Atmosphäre ist Thoreau nicht zu denken. Es gab historischeHäuser zu besichtigen, wo berühmte Zeitgenossen und Freunde Thoreaus gelebtund ihre Werke geschrieben haben. Wie mochte der Waldensee, an dessen UferThoreau seine legendäre Hütte baute, heute aussehen, seit er zum Wallfahrtsortfür eine halbe Million Besucher jährlich geworden ist? Thoreaus Hütte steht bekanntlichschon lange nicht mehr, aber eine exakte Nachbildung kann in der Nähedes Besucherzentrums am See und im Garten des Concord Museums besichtigtwerden. Der Blick über den Waldensee ist der gleiche geblieben, idyllisch wie einst.Wer den See zu Fuß umrundet, wird trotz des Zauns auf beiden Seiten des Wegesnoch etwas von dem Zauber spüren, der Thoreau bewegte, sich hierher in dieEinsamkeit des Waldes zurückzuziehen.Im Stadtkern von Concord hat sich wenig verändert. Concord macht nochimmer den Eindruck einer ländlichen Kleinstadt, mit ihren malerischen kleinenLäden und Lokalen entlang der Hauptstraße, an deren Ende das Yellow Housesteht, wo Thoreau während der letzten zwölf Jahre seines Lebens gewohnt hat.Dieses Haus, längst in anderweitigem Besitz, stand gerade zum Verkauf. Nochjetzt bedaure ich, dass ich die Gunst der Stunde nicht genützt, das Maklerbüroangerufen und um die Erlaubnis einer Hausbesichtigung gebeten habe. Außerleeren Räumen hätte ich zwar nichts gesehen, aber es wäre schön gewesen, einenBlick in die Dachkammer zu werfen, die sein Lebensraum war, seine Schreibstube,seine Bibliothek und der Aufbewahrungsort seiner vielseitigen indianischen undnaturkundlichen Sammlungen.Täglich überquerte ich eine der Brücken über den Concord River, der nochimmer so träge dahinfließt, wie Thoreau ihn geschildert hat. Die dichtbelaubtenBüsche und Bäume der Ufer neigen sich wie damals über das Wasser, und an einerseichten Stelle lassen Urlauber an diesen schwülhei.en Tagen eines typisch neuenglischenSommers ihre Kajaks ins kühle Nass gleiten und befahren den Flusswie einst Thoreau in seinem selbstgezimmerten Boot.Von allen Exkursionen, die Thoreau unternahm, waren die ins nördliche Mainevon besonderem Interesse, wo er eine rauere Wildnis erlebte als in den heimischenWäldern von Massachusetts. Ich wollte ein kleines Stück auf seinen Spuren reisenund wenigstens Old Town und Indian Island besuchen, da es mir nicht möglichwar, weiter ins Landesinnere zu gelangen und einen Blick auf Katahdin zu werfen,den Berg, der Thoreau das Fürchten lehrte und heute in einem Naturschutzgebietliegt. Indian Island in der Mitte des Penobscot River ist wie zu Thoreaus Zeitendie Domäne des Stammes der Penobscot-Indianer. Der persönliche Augenscheindieser Stätten war mir wertvoll. Das Wichtigste jedoch bleibt die Auseinandersetzungmit dem Werk, und diese ist ein nie zu beendendes ongoing project , wie esnicht anders sein kann bei einem Autor, dessen Werk sich einem immer wiederneu erschließt.Stadtansicht von Concord nach einem Stich (1839). Links: Gerichtsgebäude,im Hintergrund daneben die Spitze des alten Stadtfriedhofs (Old Hill Burying Ground),Mitte rechts: die Unitarische Kirche (First Parish Church) und das Middlesex Hotel.Mit freundlicher Genehmigung der Concord Free Public Library.1. Concord - der würdigste Ort der WeltKurzer historischer StreifzugWer sich der Kleinstadt Concord in Middlesex County im amerikanischen BundesstaatMassachusetts nähert, kommt hierher auf der Suche nach dem geniusloci, der diesen Ort zu dem machte, was er einmal war: der geistige MittelpunktNeuenglands, ja, ganz Amerikas, und man wird nicht enttäuscht.Wir erlauben uns einen kurzen historischen Rückblick. In Neuengland, genauergesagt, in der Bucht von Massachusetts, wo die Pilgerväter von England auf derSuche nach freier Ausübung ihres Glaubens 1620 an Land gegangen waren, nahmdie Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika ihren Anfang. Aus demZusammenprall zwischen der Alten und der Neuen Welt, aus der schrittweisenEroberung des Landes und der Verdrängung seiner Ureinwohner, aus den daraussich ergebenden Konflikten und dem zähen Selbstbehauptungswillen der Siedlerentstand die amerikanische Nation und im Laufe von zweihundert Jahren eineeigene amerikanische Zivilisation und Kultur.Concord fiel in dieser Geschichte eine Schlüsselrolle zu. Schon 1635, wenige Jahrenach der Gründung der Massachusetts Bay Colony um die Hafenstadt Boston,zog eine Handvoll unternehmender Männer aus, um dreißig Kilometer weiter imInland eine Siedlung zu gründen, die sie Concord nannten. Dieser Vorstoß in dieWildnis des Hinterlands, die erste Etappe auf dem steten Zug nach Westen, wareine Pioniertat. Den Siedlern kam zugute, dass dieses Land am Zusammenflusszweier Ströme nahezu entvölkert war. Eine Seuche hatte die Ureinwohner in denKüstengebieten schon vor der Ankunft der Engländer stark dezimiert. Es dürftesich um eingeschleppte Pocken gehandelt haben, denn bevor die Engländer kamen,waren bereits Franzosen und Holländer da, die mit den Indianern Handel trieben.Übrigens gilt die Bezeichnung Indianer heute nicht mehr als korrekt. Die Einstellunggegenüber den Ureinwohnern und ihr Bild in der Öffentlichkeit haben sichverändert, und es haben sich die Bezeichnungen Native Americans oder FirstNation eingebürgert. Der Einfachheit halber, und weil es im 19. Jahrhundert keineandere Bezeichnung gab, sofern man sie nicht einfach Wilde (savages) nannte, sollweiterhin von Indianern die Rede sein. So nannte sie natürlich auch Thoreau, derdie Spuren ihrer versunkenen Kultur mit so viel Interesse verfolgte. Damals warenin Concord noch Indianer anzutreffen, etwa wenn Mitglieder des Stammes derPenobscot aus dem nördlichen Maine auf den Flüssen nach Massachusetts kamen,um ihr Kunsthandwerk zu verkaufen.Dass die Neuankömmlinge an diesem einnehmenden, geographisch begünstigtenOrt bei der Landnahme fast keine Menschen vorfanden, erachtete ihrpuritanischer Glaube als göttliche Vorsehung. Gott hatte sie an diesen Ort geführtmit dem Auftrag, sich niederzulassen und das Land zu kultivieren. Die Gegend amConcord River, wo die Flüsse Sudbury und Assabet sich vereinigen, inmitten vonWiesen, ausgedehnten Wäldern und Feuchtgebieten, die als Weideland genutztwurden, war fruchtbar. Das Volk der Algonkin hatte hier seit Tausenden vonJahren Ackerbau betrieben und ihre Wigwams errichtet - eine Vergangenheit, dieHenry David Thoreaus Fantasie schon in seiner Kindheit beflügelte. Hier hatte dergroße Krieger Tahatawan gelebt, und hier fanden sich im Erdboden noch Zeugnissedes Lebens der Indianer. Henry brauchte sich nur zu bücken, um eine Pfeil- oderSpeerspitze aus einer Ackerfurche zu ziehen.Eine kleine Schar überlebender Algonkin-Indianer, darunter Tahatawan,schlossen im Jahre 1637 unter Jethro s Tree einen Vertrag mit den Siedlern, lautdem sie ihnen sechs Quadratmeilen ihres Landes abtraten. Dieser Baum, einemächtige Eiche auf dem Hauptplatz von Concord, stand noch zu ThoreausLebzeiten. Heute steht neben der Gedenktafel zur Erinnerung an das historischeEreignis eine neue Eiche, vielleicht ein Ableger von Jethro s Tree. Als Gegenleistungübergaben die Engländer den Indianern Geräte wie Beile, Hacken und Messer sowieBaumwollstoffe, Hemden und Wampum , die als Tausch- und Zahlungsmittelüblichen Muschelmünzen, die erste amerikanische Währung.8Beide Seiten unterlagen bei dieser Transaktion einem fatalen Missverständnis.Die Europäer handelten im Glauben, dass sie das Land rechtmäßig erworbenhätten, während die Indianer, die Grundbesitz nicht kannten, der Meinungwaren, sie hätten den Siedlern lediglich die Rechte der Nutzung - der Jagd, desFischfangs und der Bewirtschaftung des Bodens -, genauer gesagt, dessen Mitbenutzungübertragen. Dass sich aus einem Vertrag, unter so unterschiedlichenVoraussetzungen geschlossen, zwangsläufig Konflikte ergeben mussten, liegt aufder Hand. Die Siedler setzten ihre Ansprüche durch, wie nach und nach auf demganzen Kontinent, und nahmen der indigenen Bevölkerung ihre angestammtenSiedlungsgebiete im Tausch gegen einen Bettel ab.Die Siedlung mit dem Namen Concord, Eintracht , konsolidierte sich. Als 1775die amerikanische Revolution ausbrach, hatte Concord bereits 1400 Einwohner. Indem von der Landwirtschaft geprägten Leben spielte von Anfang an die puritanischstrenge reformierte Kirche eine gewichtige Rolle, und der sonntägliche Kirchgangwar für die Gemeinschaft eine selbstverständliche Pflicht. Die Sabbatruhe nichteinzuhalten, galt als sittenwidrig und konnte mit Gefängnis bestraft werden, wieThoreau aus einer alten Chronik zu berichten weiß.9Den Puritanern war Erziehung und Bildung von Anfang an ein Anliegen. In derSchule wurden gründliche Bibelkenntnisse vermittelt, zugleich mit einer strengenMoral, unter fleißigem Einsatz der Zuchtrute. Strebsamen Knaben - Mädchenwaren von höherer Bildung bis ins 19. Jahrhundert ausgeschlossen - stand danachdas Harvard College offen, das bald nach Ankunft der Pilgerväter als TheologischesSeminar für angehende Geistliche gegründet worden war. Die bodenständigeBevölkerung, vorwiegend Farmer mit großen Familien, waren gottesfürchtig,arbeitsam,aufrecht und wehrhaft. Noch waren sie Untertanen der englischenKrone, aber durchdrungen von einem Sinn für Freiheit und Gerechtigkeit. Dasssie sich mit der Bay Colony um die Hauptstadt Boston eines Tages gegen dieBevormundung durch England auflehnen würden, war nur eine Frage der Zeit. Inden Kolonien gärte es, bevor es zur kriegerischen Auseinandersetzung kam. Es gabdie Partei der Whigs oder Republikaner, die auf Loslösung von England drängten,während die andere Partei, die Tories oder Royalisten, an der Zugehörigkeit zuEngland festhielten. Der Zwiespalt ging manchmal quer durch ganze Familien.Die Schicksalsstunde schlug, als am 19. April 1775 englische Truppen anrückten,um Waffen zu beschlagnahmen, die sicherheitshalber nach Concord verbrachtworden waren. Diesen dramatischen Ereignissen war ein Disput über willkürlichauferlegte, drückende Steuern vorausgegangen, vor allem eine hohe Besteuerungvon Tee. Die Kolonisten protestierten, indem sie die ganze Schiffsladung einfachins Meer kippten. Dieser Akt der Rebellion ist als Boston Tea Party in dieGeschichte eingegangen. Die Engländer reagierten mit einer strangulierendenHafenblockade und der Besetzung von Boston.Gewarnt vor dem Marsch auf Concord, erwartete eine Miliz von bewaffnetenFarmern die englischen Soldaten an der Alten Nordbrücke über den Concord River.Hier fand der Kampf statt, der zum Ruhmesblatt in der Geschichte Concords, ja,der ganzen Nation wurde. Er machte die Kleinstadt bis auf den heutigen Tag zueinem nationalen Wallfahrtsort, vergleichbar nur mit Gettysburg in Pennsylvania,wo 1863 die den amerikanischen Bürgerkrieg entscheidende Schlacht stattfand undeine Wende vollzog, aus der die Nordstaaten schließlich als Sieger hervorgingen.In Concord stand eine Schar notdürftig ausgebildeter und bewaffneter Freiwilligereiner Übermacht von siebenhundert vollausgerüsteten Berufssoldatengegenüber. Die Farmer kämpften auf eigenem Grund und Boden und warenentschlossen, ihre Rechte als freie Siedler mit ihrem Leben zu verteidigen. Mannannte sie Minutemen , weil sie auf Signal alles liegen und stehen lassen und sichin Minutenschnelle bewaffnen konnten. Sie waren schlagkräftig und zum Äußerstenbereit, ohne Uniformen, ohne Flaggen und Fanfaren. Sie hatten Befehl, erstdann zu schießen, wenn die Engländer den ersten Schuss abgegeben hätten. Dasgeschah, und die Minutemen feuerten den Schuss, der um die ganze Welt gehörtwurde , wie es in Emersons berühmter Concord-Hymne heißt.10Unter denjenigen, die auf eine Loslösung von England drängten, war auch eingewisser Pastor William Emerson, der Großvater von Ralph Waldo Emerson,der im Leben von Thoreau eine so große Rolle spielen sollte. Ein weiterer Vorfahrhatte als Geistlicher schon die Gründerv.ter nach Concord begleitet. DieEmersons gehörten demnach zu den ältesten eingesessenen Familien, sozusagenzur Aristokratie von Concord. William Emerson, der patriotische Pastor , warmit in den Kampf gezogen, und seine Frau konnte das Geschehen an der AltenNordbrücke vom Fenster ihres Hauses aus beobachten. Das Old Manse , inunmittelbarer Nähe der Brücke errichtet, ist eines der meistbesuchten historischenHäuser von Concord und vielleicht das geschichtsträchtigste. Eine Reihebedeutender Persönlichkeiten hat in diesem Haus gelebt, und unter seinem Dachist manches große Werk entstanden. Seinem Erbauer William Emerson jedochwar es nicht vergönnt, nach Hause zurückzukehren. Als Seelsorger begleitete erdie Revolutionäre auch zu anderen Schlachtfeldern und erlag fern von Concordeinem Fieber.Jahr für Jahr pilgern Abertausende von Touristen zur Alten Nordbrücke, umder Revolution zu gedenken, die hier begann und der jungen Demokratie denWeg bereitete. Die Originalbrücke, die noch zu Thoreaus Zeiten stand, wurdeinzwischen schon zum sechsten Mal durch eine neue ersetzt, eine genaue Nachbildungder alten Konstruktion: eine leicht gewölbte, schlichte Holzbrücke, diesich auf hölzerne Pfeiler im träge dahinfließenden Concord stützt. Unter derAlten Nordbrücke fuhren die Brüder John und Henry Thoreau in ihrem selbstgebauten Boot auf jener Flussfahrt hindurch, die Henry in seinem erstem BuchA Week on the Concord and Merrimack Rivers geschildert hat.Von der Brücke genießt man denselben Ausblick wie einst, da die Flussuferals Teil der Nationalen Gedenkstätte nicht verbaut werden durften - freundliche,sonnenbeglänzte Auen mit Bäumen und Büschen, deren Zweige weit über dasWasser hängen, in dem sich die Vegetation und der Himmel spiegeln. Am Endeder Brücke, wo die wehrhaften Farmer bereitstanden, ihr Häuflein verstärkt durchMänner, die von den umliegenden Farmen herbeieilten, oft nur mit Dreschflegelnund Sensen bewaffnet, erhebt sich das Standbild des Minuteman , ein Meisterwerkdes aus Concord stammenden Bildhauers Daniel Chester French. Es stellteinen jugendlichen Kämpfer in ländlicher Tracht dar, die Flinte in der Hand. Manspürt, diese Männer hatten in dem ungleichen Kampf nichts einzusetzen als einGewehr, Muskelkraft, Mut und Heimatliebe, um ihren Anspruch auf ein Leben inFreiheit nach ihren eigenen Gesetzen zu verteidigen. In den Sockel der Statue istEmersons Hymne graviert. Jedes amerikanische Schulkind kennt die Zeilen, denin Verse gefassten Mythos von Concord.Auf der anderen Seite der Brücke wurde zum sechzigjährigen Jubiläum anno1836 ein Obelisk errichtet. Zur feierlichen Einweihung des Denkmals befand sichunter den dort versammelten Jugendlichen auch der Student Henry David Thoreauund sang mit ihnen die Concord-Hymne.Gelegentlich ist am Obelisk ein hochgewachsener, freundlicher Parkwächterin der schneidigen Uniform eines britischen Regulars von damals anzutreffen,stilecht in weißen Kniehosen, hohen Stiefeln, dem schmucken roten Waffenrockmit schwarzen Aufschlägen und kreuzweisen Bändern über der Brust. An dieserStelle wird das Grab eines gefallenen englischen Soldaten geehrt, der auf demSchlachtfeld liegenblieb, nachdem das englische Bataillon sich geschlagen zurückziehenmusste.Wirft man auf dem Weg zum Besucherzentrum quer durch den Park einenBlick zurück auf die Alte Nordbrücke, die im Abendlicht so malerisch aus demGrün der Landschaft ragt, fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt. Die Besucherströmeverebben allmählich. Stille kehrt ein, wie Thoreau sie geliebt und in derNatur gesucht hat. Die Hitze lässt nach. Die Landschaft erglänzt in den letztenStrahlen der untergehenden Sonne. Den ganzen Abend lang zirpen die Grillen.In dem prächtig ausgestatteten Besucherzentrum wird man freundlich empfangen.Man kann sich einen Film über die historischen Ereignisse vorführen lassenund Bücher und Andenken erwerben. Das geschulte, bestens informierte Personalist sichtlich stolz auf sein nationales Heiligtum.Doch Concord zehrt nicht nur vom Ruhm seiner revolutionären Vergangenheit.Hier fand um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine andere, eine geistige Revolutionstatt, die mit den Namen von Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau undihren Weggefährten verbunden ist. Von hier breitete sich eine Bewegung aus, diedas kulturelle Leben Amerikas veränderte. Im Jahrhundert davor hatten sich dieKolonien nach jahrelangen Kämpfen politisch von England gelöst und einen demokratischverfassten Staat begründet. Jetzt ging es um die geistige Unabhängigkeitvon Europa, mit anderen Worten, um eine eigenständige amerikanische Kultur.Concord sollte ihre Wiege werden.In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Concord eine attraktive Kleinstadtvon ausgeprägt ländlichem Charakter mit etwa zweitausend Einwohnern. Dass esgerade hier zu der kulturellen Blüte kam, die als amerikanische Renaissance indie amerikanische Kulturgeschichte einging, hat seine Gründe.11Als Kreisstadt war Concord das Verwaltungszentrum von Middlesex County.Gewerbe und Handel blühten, und zwischen Stadt und Land bestand ein regerAustausch. Einmal in der Woche brachten die Farmer ihre landwirtschaftlichenProdukte auf den Markt, und der Jahrmarkt im Herbst, auf dem Prämien für diebesten Feldfrüchte und die schönsten Rinder vergeben wurden, war ein beliebtesVolksfest und zog Menschen aus der ganzen Gegend an. Die Bevölkerung war nichtarm, aber auch nicht überm..ig wohlhabend. Der aus Landwirtschaft, Handelund Gewerbe erarbeitete Wohlstand war solide, auf Fleiß und Sparsamkeit undeinen schlichten Lebensstil gegründet, wie es der puritanischen Ethik entsprach.Die schöne Umgebung lockte die Menschen ins Freie. Die Nähe der Wälder ludzu Spaziergängen und der nahegelegene Fluss zu Bootfahrten ein. Als Boston, dieHauptstadt und Handelsmetropole, schon zu unruhig wurde, ging das Leben inConcord noch einen gemächlichen Gang. Jeder kannte jeden, viele Familien warenmiteinander verschwägert, man sah sich regelmäßig beim Kirchgang und in einerregen privaten Geselligkeit. Die Zerstreuungen des modernen Lebens gab es nochnicht. Man war aufeinander angewiesen, auf den Familien- und Freundeskreis, woähnlich wie in Europa die Kunst des Gesprächs und eine feine Briefkultur gepflegtwurden. Das galt zwar mehr für die gebildete Schicht, aber unter den aufrechten,selbstbewussten Farmern gab es manchen, der einen Intellektuellen wie HenryThoreau mit seinem Mutterwitz und einer kernigen, unverbildeten Sprache anzog.Die Gesellschaft von Concord war demokratisch durchlässig, und in der öffentlichenSchule kamen ohnehin alle zusammen.Auf seine Schulen war Concord mit Recht stolz. Zur städtischen Grundschulekam als weiterführendes Bildungsinstitut die Concord Academy, die etwa einemGymnasium entsprach. Sie war die beste des Landes. Eine neue Errungenschaftwar das sogenannte Lyzeum, eine Art Volkshochschule für alle Schichten derBevölkerung.Hier wurde durch Vorträge und Diskussionen allgemeines Wissenüber eine Vielfalt von Fachgebieten vermittelt. Aktuelle Themen wurden aufgegriffen,denn die Zeit war reich an Zündstoff und neuen Ideen. Neue Formender Gemeinschaft nach dem Vorbild der französischen Frühsozialisten wurdendiskutiert und so brisante Themen wie die Frauenfrage oder die Abschaffung derSklaverei. Das Lyzeum wird eine zentrale Rolle im Leben des angehenden SchriftstellersHenry Thoreau spielen.Die Einrichtung kam dem Bildungshunger der breiten Bevölkerung entgegen.In den 1820er-Jahren in England gegründet, verbreitete sich die Lyzeum-Bewegungrasch in Amerika. Die Vereinigung für den gemeinsamen Fortschritt und die Verbreitungnützlichen Wissens nahm die Sache in die Hand, und bald gab es überallim Land, auch in kleineren Ortschaften, eine solche informelle Bildungsstätte. InMassachusetts, wo der Bildungsanspruch traditionell am höchsten war, wurdendie ersten Lyzeen Neuenglands eröffnet. In Concord setzte sich kein Geringererals Reverend Ezra Ripley, einer der profiliertesten Bürger, dafür ein, dass die Stadtbereits 1829 ein Lyzeum bekam.Der erzkonservative Patriarch bewohnte nach seiner Heirat mit der Witwe despatriotischen Pastors William Emerson das Old Manse an der Nordbrücke, woer hochbetagt starb. Er war der Stiefgroßvater Ralph Waldo Emersons und derSchwiegervater einer der bemerkenswertesten Frauen von Concord, der gelehrtenSarah Ripley. Ezra Ripley gehörte zu den Honoratioren der Stadt und war einerderjenigen Bürger, die sich an die Zeit der Revolution erinnern konnten. Thoreausah ihn noch in Kniehosen und Schnallenschuhen gemessenen Schrittes durchdie Straßen wandeln, die graue Eminenz der Stadt, im Grunde noch ein Manndes 18. Jahrhunderts. Geistig waren sie Antipoden, der rebellische junge Mann,der es wagte, eigene Wege zu gehen, und sich über die verknöcherte Orthodoxielustig machte, und der strenggläubige Reverend, der nichts hielt von theologischenReformen.Dieser Mann also war es, der das Lyzeum nach Concord brachte. Für die Bevölkerungwaren die Vorträge und Vorlesungen des Lyzeums eine willkommeneAbwechslung. Sie fanden meistens am Sonntagabend in einem gemieteten Raumoder im Untergeschoss der Kirche statt, gegen ein geringes Eintrittsgeld, das jedersich leisten konnte. Henry Thoreau, bei der Gründung des Lyzeums von Concordzwölf Jahre alt, war schon in früher Jugend ein eifriger Besucher der Volkshochschule.Sprecher von auswärts wurden zu Vorträgen eingeladen, aber auch Einheimische,die Wissenswertes zu berichten hatten, etwa zu Themen der Geschichte,der Naturkunde oder zu neuen Erkenntnissen der Wissenschaft. Die Vorträgeim Lyzeum waren bekannt für ihr hohes intellektuelles Niveau.12 So wurde auchvon den Pastoren, die zur geistigen Elite zählten, erwartet, dass sie im Lyzeumgelegentlich eine Rede hielten, die erbaulich, aber etwas weltlicher sein durfte alsdie Sonntagspredigt. Kontroverse Themen wie Politik und Religion sollten nachMöglichkeit vermieden werden, doch je fester das Lyzum sich im Leben von Concordverankerte, desto öfter wurde dieser Rahmen gesprengt, unter anderen vonRednern wie Emerson und Thoreau.Im Lyzeum wurde das neue Denken vorgestellt, die Bewegung einer umfassendengeistigen Erneuerung und Lebensreform, die unter der Bezeichnung Transzendentalismus bekannt wurde. Hier hielt Emerson die bahnbrechendenVorträge, die weit über Concord hinaus wirkten. Hier konnten er und Thoreauihre Ideen erproben, bevor sie in überarbeiteter Form im Druck erschienen. DasLyzeum war ein ideales Podium für freie Geister, die keinem definierten Berufnachgingen und keinen regelmäßigen Broterwerb hatten. Auf diese Weise, mitVorträgen und deren nachträglicher Veröffentlichung in Buchform, konnte einMann wie Emerson seinen Lebensunterhalt bestreiten. Hier fanden Redner wieer ein interessiertes und kritisches Publikum. Nach dem Ende des Bürgerkriegs1865 verblasste die Lyzeum-Bewegung. Das Land nahm Kurs auf eine rasanteindustrielle Entwicklung mit einer städtischen Unterhaltungsindustrie und neuenBildungseinrichtungen, die das Lyzeum überflüssig machten. Nur Concord hieltals eine der wenigen Orte an seinem Lyzeum fest.Ohne Zweifel besaß das Städtchen ein Klima, das geistig interessierte Menschenanzog. Thoreau wurde hier geboren. Und als Emerson sich 1833 in Concordniederließ, kamen auch andere: der Romancier Nathaniel Hawthorne, der PhilosophAmos Bronson Alcott, der Dichter Ellery Channing, der Wandergefährteund erste Biograph Thoreaus, zeitweilig auch Margaret Fuller, die berühmtesteIntellektuelle ihrer Zeit und erste Journalistin Amerikas, und viele andere.Es lebte sich gut hier. Topographisch war Concord eine reizvolle Stadt mit ihremhistorischen Stadtkern voll Erinnerungen an eine ruhmreiche Vergangenheit,mit Bürgerh.usern, Gärten und Alleen unter schattigen Bäumen. Concord besaßein Rathaus, einen schmucklosen, kastenförmigen Bau, wie er dem frühen neuenglischenStil entsprach, doch später kam ein gefälligeres neues Bauwerk hinzu. EineBezirksstadt, wo Recht gesprochen wird, verfügt natürlich über ein repräsentativesGerichtsgebäude und auch über ein Gefängnis, das hier erwähnt werden soll, weilHenry Thoreau einmal eine folgenreiche Nacht darin verbrachte. Man darf sichunter dem Gefängnis von Concord keinen schlichten Gemeindekotter vorstellen,sondern es handelte sich um einen massiven zweistöckigen Bau mit vergittertenFenstern und einer Mauer, sozusagen ein Hochsicherheitsgefängnis für Missetäterjeglicher Art.Am Mühlendamm, dem Milldam, von dem heute noch ein kleines Stück übrigist, siedelte sich das Gewerbe an. Es gab eine Säge- und eine Getreidemühle, undder Mühlenteich mit seinen Enten und Gänsen war ein beliebter Spielplatz fürKinder, wo sie im Winter Schlittschuh laufen konnten. Es gab Werkstätten zurLederverarbeitung, eine Schusterwerkstatt, auch die kleine Bleistiftmanufakturvon John Thoreau Senior befand sich hier, als die Familie, die oft umzog, einHaus am Milldam direkt im Zentrum bewohnte. Das heutige Colonial Inn, einvornehmer Landgasthof mit verwinkelten Räumen, die ihr historisches Ambientebewahrt haben, ist ein Teil des ehemaligen Wohnhauses der Familie Thoreau.Hier pulsierte das Leben der Kleinstadt. Hier herrschte ein Kommen undGehen, hier wurden Pferde gewechselt, wenn die Post eintraf. Kutschen undFuhrwerke ratterten über die Straßen. Die Main Street war von den Geräuschendes geschäftigen Treibens erfüllt. Die wohlhabenden Bürger bauten sich prächtigeResidenzen im Kolonialstil mit schlanken, weißen Säulen vor dem Portal undlegten Gärten an für den Anbau von Gemüse, Blumen und Obst. Viele besaßenein Waldgrundstück, das ihnen das nötige Holz zum Heizen lieferte. Davon benötigteman viel, denn es wurde ausschließlich mit Holz geheizt, und die Winter inNeuengland waren streng.mehr