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Gehörlose und schwerhörige Schüler unterrichten

Psychologische und entwicklungsbezogene Grundlagen
BuchGebunden
364 Seiten
Deutsch
Lange Zeit waren die Diskussionen in der Hörgeschädigtenpädagogik fast ausschließlich von der Methodenfrage (Lautsprache versus Gebärdensprache) bestimmt. Diese lähmende und fachlich extrem verkürzende Fixierung auf die Frage der zu verwendenden Sprachmodalität hat mit dazu beigetragen, dass versäumt wurde, sich um die entscheidenden Fragen zu kümmern: Wie lernen gehörlose und schwerhörige Kinder und was brauchen sie dafür an Unterstützung im Unterricht? Das vorliegende Buch unternimmt den Versuch, hierzu auf der Basis aktueller nationaler wie vor allem internationaler Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren, Antworten zu geben, die gestützt sind auf evidenzbasierten Daten. Es soll praktizierenden Lehrkräften als auch denjeinigen, die sich für den Lehrberuf mit gehörlosen und schwerhörigen Kindern entschieden haben, psychologische und entwicklungsbezogene Grundlagen vermitteln, die von Bedeutung sind, wenn man gehörlose und schwerhörige Kinder unterrichtet. Wir verfügen mittlerweile über einen sehr große Fundus an empirischen Studien aus den Bereichen der Psychologie, Linguistik, Soziologie, Pädagogik, Sonderpädagogik sowie auch aus etwas entfernteren Gebieten wie Informatik, Anthropologie oder den Neurowissenschaften, aus denen wir vielfältige Erkenntnisse gewinnen können für die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen sowie speziell für die Unterrichtung von gehörlosen und schwerhörigen Kindern. Wer ein Buch erwartet, das ihm genau zeigt oder gar vorgibt, wie nun Unterricht mit gehörlosen und schwerhörigen Kindern gemacht wird, wird enttäuscht. Es wäre zu einfach und dem, was wir über das Lernen gehörloser und schwerhöriger Kinder heute wissen, nicht angemessen. Die hohe Diversität der Schülerschaft, die wir heute an den Schulen (Schulen für Hörgeschädigte oder an allgemeinen Schulen) vorfinden, verbietet genau solch einfache Lösungen nach Kochbuchrezept . Was Lehrer und Lehrerinnen heute brauchen, um ihren Unterricht eigenverantwortlich gestalten zu können, sind theoretische Grundlagen des Lernens und was wir darüber von gehörlosen und schwerhörigen Kindern wissen. Lehrer und Lehrerinnen sind die Experten für den Unterricht, den sie machen. Das vorliegende Buch will ihnen die Grundlagen dafür bereitstellen.mehr

Produkt

KlappentextLange Zeit waren die Diskussionen in der Hörgeschädigtenpädagogik fast ausschließlich von der Methodenfrage (Lautsprache versus Gebärdensprache) bestimmt. Diese lähmende und fachlich extrem verkürzende Fixierung auf die Frage der zu verwendenden Sprachmodalität hat mit dazu beigetragen, dass versäumt wurde, sich um die entscheidenden Fragen zu kümmern: Wie lernen gehörlose und schwerhörige Kinder und was brauchen sie dafür an Unterstützung im Unterricht? Das vorliegende Buch unternimmt den Versuch, hierzu auf der Basis aktueller nationaler wie vor allem internationaler Forschungsergebnisse aus den letzten Jahren, Antworten zu geben, die gestützt sind auf evidenzbasierten Daten. Es soll praktizierenden Lehrkräften als auch denjeinigen, die sich für den Lehrberuf mit gehörlosen und schwerhörigen Kindern entschieden haben, psychologische und entwicklungsbezogene Grundlagen vermitteln, die von Bedeutung sind, wenn man gehörlose und schwerhörige Kinder unterrichtet. Wir verfügen mittlerweile über einen sehr große Fundus an empirischen Studien aus den Bereichen der Psychologie, Linguistik, Soziologie, Pädagogik, Sonderpädagogik sowie auch aus etwas entfernteren Gebieten wie Informatik, Anthropologie oder den Neurowissenschaften, aus denen wir vielfältige Erkenntnisse gewinnen können für die Gestaltung von Erziehungs- und Bildungsprozessen sowie speziell für die Unterrichtung von gehörlosen und schwerhörigen Kindern. Wer ein Buch erwartet, das ihm genau zeigt oder gar vorgibt, wie nun Unterricht mit gehörlosen und schwerhörigen Kindern gemacht wird, wird enttäuscht. Es wäre zu einfach und dem, was wir über das Lernen gehörloser und schwerhöriger Kinder heute wissen, nicht angemessen. Die hohe Diversität der Schülerschaft, die wir heute an den Schulen (Schulen für Hörgeschädigte oder an allgemeinen Schulen) vorfinden, verbietet genau solch einfache Lösungen nach Kochbuchrezept . Was Lehrer und Lehrerinnen heute brauchen, um ihren Unterricht eigenverantwortlich gestalten zu können, sind theoretische Grundlagen des Lernens und was wir darüber von gehörlosen und schwerhörigen Kindern wissen. Lehrer und Lehrerinnen sind die Experten für den Unterricht, den sie machen. Das vorliegende Buch will ihnen die Grundlagen dafür bereitstellen.
Details
ISBN/GTIN978-3-941146-44-0
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
FormatUngenäht / geklebt
ErscheinungsortHeidelberg
ErscheinungslandDeutschland
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum17.12.2014
Seiten364 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht882 g
Artikel-Nr.35599374

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
InhaltsverzeichnisVorwort.009Kapitel 1Grundlagen des Lernens und Unterrichtens. 013Entwicklung und Lernen - Anlage und Umwelt. 014Die ökologische Natur des Lernens. 016Ursprünge des Lernens. 019Schulisches Lernen. 021Individuelles, kooperatives und kollaboratives Lernen. 023Lernen und Unterrichten. 026Evidenzbasierte Erziehung und Bildung. 031Integration von Forschung und Praxis. 035Kapitel 2Gehörlose und schwerhörige Schüler - Eine Einführung. 037Gesprochene Sprache, Töne und Hören. 039Hörverlust. 042'Einen Hörverlust haben' versus 'gehörlos sein'. 050Als gehörloser oder schwerhöriger Schüler in derSchule im Wandel der Zeiten. 053Nach vorne schauen mit einem Blick zurück. 055Kapitel 3Lernen fängt zu Hause an. 057Sprache und Kommunikation. 059Grundlagen sozialer Interaktion. 061Das kindliche Spiel als Fenster und Raum . 067Ein gehörloses/schwerhöriges Kind in der Familie. 068Kapitel 4Sprachentwicklung. 071Sprache. 071Gebärdensprache. 074Multimodalität und Gebärdensysteme. 075Sprachentwicklung. 080Bilingualer Spracherwerb und Fremdsprachenlernen. 083Lautspracherwerb bei gehörlosen und schwerhörigen Kindern. 085Gebärdenspracherwerb bei gehörlosen und schwerhörigen Kindern. 090Von der Sprache zum Lernen. 095Kapitel 5Diagnostik der Sprachkompetenz und Unterricht. 097Spracherwerb zu Hause und Sprache lernen in der Schule. 098Diagnostik der Sprachkompetenz. 100Optimierung des Zugangs zu Sprache in der Erziehung und Bildung. 106Förderung der Sprachkompetenz durch bilinguale Erziehung. 114Förderung der Sprachentwicklung durch Interaktion im Klassenzimmer. 120In der Schule Sprache unterrichten. 123Diagnostik der Sprachkompetenz: Wo stehen wir?. 126Kapitel 6Kognitive Entwicklungsprofile gehörloser und 127Intelligenz versus Kognition. 129Visuelle Aufmerksamkeit und visuelle Kognition. 133Gedächtnis und Lernen. 137Exekutive Funktionen und Metakognition. 140Soziale Kognition und Theory of Mind. 144Was bedeutet das alles?. 153Kapitel 7Lernen und sozial-emotionale Entwicklung. 155Beziehungen zwischen sozialem, emotionalem und schulischem Lernen. 156Emotionale Entwicklung gehörloser und schwerhöriger Schüler. 162Soziale Entwicklung. 165Psychische Gesundheit und Lebensqualität. 172Protektivfaktoren stärken und fördern: Schüler, Familie und Schule. 180Was können wir also tun?. 184Kapitel 8Schulische Leistung und Unterricht - Literalität. 187Schulische Leistungen gehörloser und schwerhöriger Schüler verstehen. 188Lesen. 191Bilingualer Unterricht für gehörlose und schwerhörige Schüler. 203Schreiben. 2057Kapitel 9Schulische Leistung und Unterricht - Mathematik undNaturwissenschaften. 213Mathematik. 213Die Kunst der naturwissenschaftlichen Erziehung. 222Kapitel 10Multimediales und computergestütztes Lernen fürgehörlose und schwerhörige Schüler. 231Die digitale Revolution. 231Multimediales Lernen. 236Merkmale von Schülern in ihren Auswirkungen auf dasmultimediale Lernen. 239Effektives Multimedia-Design für den Unterricht. 240Unterstützung durch Unterricht. 245Auswirkungen von multimedialem und computergestütztem Lernenbei gehörlosen und schwerhörigen Schülern. 247Die Zukunft des multimedialen Unterrichts für gehörloseund schwerhörige Schüler. 253Kapitel 11Lernen und Kontext. 257Die Entscheidung für den schulischen Lernort verstehen. 257Schulische Lernorte und schulische Leistungen. 262Unterrichtsorganisation. 268Was können wir also tun?. 274Kapitel 12Wie geht es weiter?. 279Die Kluft zwischen Theorie und Praxis schließen!. 282Implementierung evidenzbasierten Unterrichts. 285Literatur. 291Autorenregister. 343Sachwortregister. 349Autoren. 363mehr
Leseprobe
Kapitel 5 Diagnostik der Sprachkompetenz und UnterrichtDiagnostik der SprachkompetenzGl/sh Schülern Sprache beizubringen ist eine komplexe Angelegenheit, und ganzbesonders für einen Klassenlehrer (im Gegensatz zu Experten im Bereich der Sprachtherapie).Wie wir bereits gesehen haben, sind die individuellen Unterschiede zwischenden Kindern sehr groß, und die Entwicklung der Sprachkompetenz ist vielschwieriger vorherzusagen als bei hörenden Kindern. Um den Unterricht auf dieStärken und Schwächen der gl/sh Schüler zuzuschneiden, müssen wir diagnostischenSprachunterricht betreiben. Diagnostischer Unterricht ist eine Form des Unterrichtens,in der es sowohl für den individuellen Schüler als auch für die gesamteKlasse ein ständiges Zusammenspiel zwischen der Beurteilung von Fähigkeiten undFortschritten und der weiteren Unterrichtsplanung gibt. Aus dieser Sicht ist das Zielder Diagnostik, Orientierungen und Richtlinien für die Unterrichtung gl/sh Schüler zubekommen. Die Diagnostik kann auch anderen Zielen dienen, zum Beispiel kann siezur Entscheidung für ein Bildungssetting oder zur Beurteilung eines Bildungsprogrammsbeitragen, aber unserer Ansicht nach ist die Priorität klar: Die Verwendungvon diagnostischen Informationen für eine Beurteilung des Erfolgs von Bildungsmaßnahmenkann nur ein Nebenprodukt sein. Priorität hat die Diagnose der Schülerfür praktische Entscheidungen in Bezug auf deren Förderung und Platzierung in fürsie adäquate Bildungsmaßnahmen. Mitunter können dieselben diagnostischen InstrumentarienInformationen für alle drei Ziele liefern, aber angesichts der großenUnterschiede zwischen den gl/sh Schülern wird das nicht immer und nicht einmal oftder Fall sein. Diese Heterogenität stellt ganz im Gegenteil eine erhebliche Herausforderungfür Lehrer, Psychologen, Sprachtherapeuten und Audiologen dar. Es müssenfür jeden einzelnen Schüler Entscheidungen darüber getroffen werden, welchesdiagnostische Vorgehen den Zielen der Diagnostik am besten dient und welche Artvon diagnostischen Instrumenten (Tests, Beobachtung etc.) eingesetzt werden sollten(Jamieson & Simmons 2011).Für die Auswahl eines geeigneten Instruments zur Sprachüberprüfung stehen verschiedenenArten von Verfahren zur Verfügung. Eine erste nützliche Unterscheidungist die zwischen formeller und informeller Beurteilung. Bei formellen Verfahren sinddie einzelnen Aufgaben und die Vorgehensweise bei der Durchführung ganz genauvorgeschrieben. Jede Abweichung von den standardisierten Vorgaben für die Testdurchführungkann die Interpretation der Daten ernsthaft beeinflussen und die gesamteValidität und Reliabilität der Testung in Frage stellen. Im Falle standardisierterTests gibt es üblicherweise eine reichhaltige Forschungsbasis, durch die belegt ist,dass das Testkonstrukt das misst, was es zu messen verspricht (Validität), und dassdiese Messungen verlässlich sind (Reliabilität) - dass also unabhängig davon, werdie Daten erhebt, ähnliche Ergebnisse erzielt werden, so lange die standardisiertenVorgaben für die Testdurchführung genau befolgt werden (vgl. Kap. 6 für ähnlicheProbleme in Bezug auf Intelligenztests). Damit die Ergebnisse verglichen werdenkönnen, müssen solche Tests Normen haben, die auf einer großen Referenzgruppebasieren.Eine informelle Einschätzung der Sprachkompetenz ist sehr viel stärker prozessorientiertals formelle Diagnostik. Auch wenn es hier standardisierte Vorgehenswei98M. Hintermair, H. Knoors, M. Marschark Gehörlose und schwerhörige Schüler unterrichtensen geben kann, umfasst informelle Diagnostik keine Tests im eigentlichen Sinne.Der Sprachgebrauch einer bestimmten Person wird mit informellen Verfahren imKontext beurteilt (Jamieson & Simmons 2011). Typische Beispiele für informelle Einschätzungensind die Verwendung von Beobachtungen, Checklisten, Elizitierungsstrategien,die Kinder zu bestimmten sprachlichen Äußerungen anregen sollen, unddie 'dynamische Beurteilung', eine Kombination aus diagnostischer Beurteilungund individueller Förderung.Eine weitere nützliche Unterscheidung bei der Diagnostik der Sprachkompetenzist die zwischen lehrplanunabhängigen und lehrplangebundenen Beurteilungsverfahren.Mit letzteren möchte man herausfinden, wie viel ein Schüler mit einem bestimmtenLehrplan oder einer bestimmten Methode gelernt hat. Die relevanten Beurteilungenwerden üblicherweise zu zwei oder mehreren Zeitpunkten vorgenommen,meist eine zu Beginn der Lehrplaneinheit oder Fördereinheit und eine weitereirgendwann zu einem späteren Zeitpunkt, vielleicht auch mehrere in regelmäßigenAbständen (zum Beispiel einmal monatlich). Mit diesem diagnostischen Vorgehenlässt sich der Fortschritt eines Schülers im Vergleich zu den Fortschritten messen,die andere Schüler (aus derselben Lerngruppe oder einer anderen Lerngruppe) imselben Unterricht gemacht haben. Lehrplanunabhängige Diagnoseinstrumente ermöglichenes dagegen, allgemeine Fähigkeiten oder Kompetenzen von Schülern zubeurteilen. Anders als bei lehrplangebundenen Diagnosemethoden lässt sich dieInterpretation des Fortschritts allerdings nicht direkt mit der jeweiligen Unterrichtseinheitin Verbindung bringen.Wenn eine Lehrkraft einen vollständigen Überblick über die sprachlichen Kompetenzender Schüler in ihrer Klasse gewinnen möchte, müssen alle sprachlich relevantenBereiche beurteilt werden, nicht nur der Wortschatz (der am häufigsten überprüftwird), sondern auch Phonologie, Morphologie, Syntax und Pragmatik, sowieSprachverständnis und Sprachproduktion. Idealerweise umfasst eine solche Beurteilungsowohl formelle Tests als auch die Auswertung von sogenannten Spontansprachproben.Dafür wird die Kommunikation zwischen Diagnostiker und Kind aufgezeichnet,transkribiert und nach bestimmten Merkmalen analysiert, um ein Bildvon der tatsächlich in Unterhaltungen verwendeten Sprache und ihrer Qualität zuerhalten. Bei formellen Tests erfolgt die Beurteilung eher unter laborähnlichen Bedingungen,was vielleicht einen breiter gefächerten Eindruck davon gibt, was undwie viel an Sprache der Schüler verstehen oder produzieren könnte, aber nur wenigInformationen über die Wahrscheinlichkeit und Fähigkeit des Schülers dazu liefert,dass sie im Alltag tatsächlich verwendet wird. Spontansprachproben können einenumfassenden Überblick über die Sprachproduktion liefern, bieten aber weit wenigerInformationen zum Sprachverständnis.Welche Art von diagnostischer Erhebung (formell/informell) und welche diagnostischenInstrumente bei einer Überprüfung der sprachlichen Entwicklung zum Einsatzkommen, sollte hauptsächlich vom Ziel der Beurteilung abhängig gemacht werden.Geht es darum, wie viel Sprache der einzelne Schüler versteht? Oder geht esdarum, wie viel er oder sie an Sprache produzieren kann? Liegt der Fokus nur aufdem Wortschatz oder auch auf der Syntax? Soll der Fortschritt innerhalb einer LernoderFördereinheit ermittelt werden, oder geht es um einen Überblick über die gene99Kapitel 5 Diagnostik der Sprachkompetenz und Unterrichtrellen sprachlichen Kompetenzen? Will man die Leistung eines Schülers mit denLeistungen einer Referenzgruppe vergleichen oder mit einem vorher festgelegtenKriterium? Und soll die Evaluation die Fähigkeiten unter 'realen Alltagsbedingungen' beurteilen, oder eher allgemein, d. h. unabhängig von spezifischen Kommunikationssituationen?Wichtig ist auch eine Reihe praktischer Erwägungen. Beispielsweisekann der Zeitraum, der für eine diagnostische Beurteilung zur Verfügung steht,die Wahl des bevorzugten Untersuchungsinstruments bestimmen, einfach weil dasErheben von Spontansprachproben im Vergleich zu Sprachtests sehr viel mehr Zeitbraucht.Bis zu diesem Punkt haben wir die Frage der Diagnostik unabhängig vom Hörstatuserörtert. Sowie es um gl/sh Schüler geht, wird die Sache noch weit komplizierter.Die erste Frage ist, welche Sprache denn beurteilt werden soll. Für Lautsprachenwie Englisch, Niederländisch oder Deutsch sind etliche Tests verfügbar, die häufigauch gute psychometrische Eigenschaften aufweisen (vgl. zum Überblick für deutscheSprachtests zum Beispiel Kany & Schöler 2007). Die meisten dieser Messinstrumentewurden allerdings speziell für gut hörende Menschen entwickelt. Eine Beurteilungder Gebärdensprachkompetenz ist schwieriger, weil wir relativ wenig Informationenzu verschiedenen Aspekten der Gebärdensprachentwicklung haben(jedenfalls im Vergleich zu Forschungsergebnissen zum Lautspracherwerb), weil esin Bezug auf die Gebärdensprachkompetenz von muttersprachlichen und nicht-muttersprachlichenGebärdennutzern eine extrem große Bandbreite gibt, weil nur relativwenige standardisierte Messinstrumente existieren und weil es nur wenig Messinstrumentemit guten psychometrischen Eigenschaften gibt, die sich als valide undreliabel erwiesen haben (vgl. zum Beispiel Haug & Mann 2008; Singleton & Supalla2011).In letzter Zeit wurden einige Tests für die Beurteilung der Sprachkompetenz beiKindern entwickelt, die diverse Gebärdensprachen verwenden, zum Beispiel AmericanSign Language (ASL; Maller, Singleton, Supalla & Wix 1999; Strong & Prinz1997), British Sign Language (BSL; Herman, Holmes & Woll 1999), Australian SignLanguage (Auslan; Schembri et al. 2002; aktuell: http://www.deafeducation.vic.edu.au/Research/Pages/Auslan-Assessment-Tool-now-published.aspx) und Sign Languageof the Netherlands (SLN; Hermans, Knoors & Verhoeven 2009). Einen Überblicküber die meisten verfügbaren Messinstrumente findet man in Singleton und Supalla(2011) und auf der Website http://www.signlang-assessment.info. Im Vergleich zuden Tests, die zur Beurteilung von Lautsprachkompetenz entwickelt wurden, sinddie Normierungen für diese Tests aber immer noch recht schwach, wenn dennüberhaupt welche verfügbar sind. So sind es zum Beispiel 138 Gebärdensprachnutzerin den Normen für einen BSL-Test (Herman et al. 1999) und 300 muttersprachlicheund nicht-muttersprachliche gehörlose Kinder in den Normen für einen SLNTest(Hermans et al. 2009). Für den deutschen Sprachraum stehen derzeit zweiVerfahren zur Verfügung, um Aspekte der Gebärdensprachentwicklung von gl/shKindern zu überprüfen. Der Perlesko (Prüfverfahren zur Erfassung der lexikalischsemantischenKompetenz, Bizer & Karl 2002) ermöglicht objektive und vergleichbareAussagen über die lexikalisch-semantische Kompetenz gehörloser Schüler imGrundschulalter (3.-5. Klasse). Es ist ein standardisiertes Instrument, das die passiveWortschatzkenntnis anhand einer repräsentativen Auswahl von Nomen, Verbenund Adjektiven zu gleichen Anteilen und in Form von drei Sprachmodalitäten (Ge100M. Hintermair, H. Knoors, M. Marschark Gehörlose und schwerhörige Schüler unterrichtenbärdensprache, Schriftsprache, Lautsprache) testet. Es existieren Normen in Formvon Prozentrangwerten und linearen Standardwerten. Als Normierungsgruppe wurden112 gl/sh Kinder aus sieben deutschen Schulen für Gehörlose und Schwerhörigeund einer Schule in der deutschsprachigen Schweiz herangezogen. Haug (2011)hat eine deutsche computerbasierte Adaption des englischen BSL RST (British SignLanguage Receptive Skills Test) entwickelt und den daraus entstandenen DGS-Verständnistestmit 54 gehörlosen Kindern im Alter zwischen 3;9 und 10;10 Jahren aufinhaltliche Tauglichkeit, Reliabilität und Validität überprüft. Eine Normierung des Verfahrens,damit es in den Schulen Verwendung finden kann, ist derzeit in Kooperationmit zahlreichen Schulen und der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München in Planung (es ist auch eine webbasierte Versiongeplant, vgl. www.signlanguagetest.com). Haug und Hintermair (2003) konnten ineiner Umfrage an deutschen Bildungseinrichtungen für gl/sh Kinder, an der sich 203(vorwiegend) Lehrkräfte aus fast der Hälfte aller Einrichtungen beteiligten, den Bedarfan Testverfahren zur Überprüfung der gebärdensprachlichen Fähigkeiten derKinder bestätigen. 87 Prozent der Befragten gaben an, dass trotz des Einsatzes vonGebärden in der Unterrichtung von Gebärden bzw. Gebärdensprache keine regelmäßigeÜberprüfung der Entwicklung in diesem Bereich erfolgt so wie dies in anderenBereichen (kognitive Entwicklung, visuelle Wahrnehmung, Teilleistungsstörungen)üblich ist.Für die diagnostische Überprüfung der beruflichen Eignung mit jungen Erwachsenenhat sich in den letzten Jahren das Aachener Testverfahren zur Berufseignungvon Gehörlosen (ATBG, Grote, Louis-Nouvertné & Sieprath 1997) etabliert und inder Praxis bewährt (http://www.gebaerdensprache.de/1712.html). Der Vorteil diesescomputerbasierten Verfahrens besteht darin, dass es den gl/sh Probanden die Möglichkeiteröffnet, die Testanweisungen in der von ihnen präferierten Sprachmodalität(Lautsprache, LBG, DGS) abzurufen und so einen Beitrag zu einer erhöhten Reliabilitätund Validität der Überprüfung leistet. Zudem steht eine mittlerweile große Vergleichsstichprobemit gl/sh Testpersonen zur Verfügung.Die Beurteilung der Lautsprachkompetenz bei gl/sh Kindern ist ein weiteres komplexesThema. Viele Tests sind für die Beurteilung der Lautsprache entwickelt worden,die hörende Schüler verwenden. Da sich aber die Lautsprachkompetenz gl/shKinder erheblich von der ihrer hörenden Peers unterscheidet, stellt sich die Frage,wie angemessen es ist, diese Instrumente zur Beurteilung der Lautsprachkompetenzgl/sh Schüler einzusetzen. Messen wir hier dieselben Konstrukte? WelchenWert hat es, Normen für Hörende für die Auswertung der sprachlichen Leistungengl/sh Kinder heranzuziehen? Die Antworten auf diese Fragen hängen davon ab,welche spezifische Absicht die jeweilige diagnostische Beurteilung verfolgt. Sollbeispielsweise die Lautsprachkompetenz gl/sh Kinder in Regelschulklassen beurteiltwerden, könnte es angemessen sein, Normen für Hörende heranzuziehen, selbstwenn bei der Auswertung und weiteren Verwendung des Testergebnisses einigezusätzliche Aspekte zu berücksichtigen sind. Ein paar Tests zur Lautsprachkompetenzwurden speziell für die Beurteilung gl/sh Schüler entwickelt, wie zum Beispielder Rhode Island Test of Language Structure (Engen & Engen 1984). Solche Testskönnten hilfreich sein, um gl/sh Schüler mit gl/sh Peers zu vergleichen, aber diegeringe Anzahl gl/sh Kinder in der Bevölkerung hat zur Folge, dass die Normie101Kapitel 5 Diagnostik der Sprachkompetenz und Unterrichtrungsgruppen meist relativ klein sind (siehe oben). Solange eine Lehrkraft sich mehrfür die Fähigkeiten eines individuellen Schülers interessiert als für eine Beurteilungim Vergleich zu einer Gruppe, ist das kein Problem. Wenn das Ziel der Beurteilungaber den Bezug zu einer Normierungsgruppe erforderlich macht, ist Vorsicht angezeigt.Ein weiteres Problem ist, wie gut die Items eines Tests für gl/sh Schüler zugänglichsind. Wenn man einen gl/sh Schüler in Lautsprache testet, steht unweigerlich nichtnur die Lautsprachkompetenz sondern gleichzeitig auch die auditive und visuelleSprachwahrnehmung auf dem Prüfstand. Ein bestimmtes Testergebnis spiegelt deshalbnicht unbedingt die Sprachkompetenz wider, sondern sollte als Kombinationaus Sprachkompetenz und Sprachwahrnehmungsfähigkeiten verstanden werden.Leider gibt es keinen wirklichen Weg, um dieses Problem zu umgehen. MancheLehrer oder andere diagnostisch tätige Fachleute passen die Testverfahren an, indemsie die Tests zum Beispiel in Schriftform, gesprochener und geschriebenerSprache oder in simultaner Kommunikation durchführen. Aber solche Anpassungengefährden die Validität und Reliabilität eines Tests (Cawthon 2011; Qi & Mitchell2012). Die Referenznormen sind dann wertlos, weil sie unter anderen Durchführungsbedingungengewonnen wurden. Und zudem können solche Anpassungen dasProblem womöglich gar nicht aus der Welt schaffen. Vermeidet man bei der Beurteilungder Lautsprachkompetenz die Anwendung gesprochener Sprache, weil damitauch Sprachwahrnehmung und Absehfähigkeit getestet würden, und setzt stattdessendie Schriftform ein, dann wird der Test zu einem Lesetest. Angesichts der Herausforderung,die das Lesen für viele gl/sh Schüler bedeutet (vgl. Kap. 8), schafft dieUmgehung des einen Problems schlicht ein neues. Auf ähnliche Weise wird die Validitäteines Lautsprachtests auch durch den Einsatz lautsprachunterstützenderGebärden und simultaner Kommunikation in mehrfacher Hinsicht gefährdet. Zumeinen misst der Test dann nicht nur das Lautsprachverständnis sondern auch dasGebärdenverständnis. Zum anderen kann der Sprachtest aufgrund der Ikonizitätmancher Gebärden (d. h. Gebärden, die so aussehen, wie das, was sie bezeichnen,wie zum Beispiel BASEBALL oder KAMERA in ASL, vgl. White & Tischler 1999) zueiner recht einfach zu lösenden Aufgabe werden, vor allem dann, wenn die Identifizierungvon Bildern gefragt ist (wie zum Beispiel beim Peabody Picture VocabularyTest). Es wird somit vielleicht gar nicht die Lautsprachkompetenz gemessen.Manchmal werden Tests von Lehrern im Hinblick auf die Schwierigkeit der Itemsangepasst, weil sie davon ausgehen, dass verschiedene Items für gl/sh Schüler zuschwer seien. Entweder werden dann bestimmte Items verändert, oder Lehrer lassengl/sh Schüler Tests absolvieren, die für jüngere Schüler bestimmt sind, was zumsogenannten 'out-of-level testing' führt. 'Out-of-level testing' ist in den USA weitverbreitet, gl/sh Kinder absolvieren dort standardisierte Leistungstests wie den StanfordAchievement Test und diverse schulische Tests der einzelnen Bundesstaaten.Wie gut gemeint dieser Ansatz auch immer scheinen mag, er bietet keine Garantienfür eine bessere Genauigkeit oder Validität bei der Beurteilung der Fähigkeiten gl/shSchüler. Oft fehlen empirische Belege für die Effektivität von Anpassungen, undman hat die Wirksamkeit verschiedener Tests und Testanpassungen in Frage gestellt(Cawthon 2011; Qi & Mitchell 2012).102M. Hintermair, H. Knoors, M. Marschark Gehörlose und schwerhörige Schüler unterrichtenEin weiteres Problem bei Beurteilungen der Lautsprachkompetenz ist, dass gl/shSchüler auch aus Familien stammen können, in denen eine andere Lautsprachegesprochen wird als die in der Schule verwendete Landessprache (Jamieson & Simmons2011). Das kann in den USA Spanisch sein, Türkisch in Deutschland odereine Berbersprache in den marokkanischen Familien in den Niederlanden. Um einvollständiges Bild von der Lautsprachkompetenz eines individuellen Schülers zu erhalten,sollte auch die Kompetenz in der zu Hause gesprochenen Sprache beurteiltwerden. Für manche dieser Sprachen gibt es vielleicht keine Kompetenztests odernur Tests, die anhand anderer Gruppen normiert wurden, und es kann schwierigsein, eine Person zu finden, die die Sprache beherrscht und den Test durchführenkann. Oft spielen alle drei Faktoren eine Rolle. In manchen Ländern verbessert sichdiese Situation leicht, weil spezifische Messinstrumente entwickelt oder bestimmteVerfahren und Best-Practice-Richtlinien geschaffen wurden, oder auch Dolmetscherbei der Testdurchführung eingesetzt werden (American Speech and Hearing Association2003; Blumenthal 2009).Aus all diesen bislang berichteten Problemen sollte man aber nicht schließen, dassdie Diagnostik der Sprachkompetenz gl/sh Schüler so schwierig sei, dass sie denAufwand nicht lohne oder Fachleute sich dadurch entmutigen lassen sollten. DieSprachdiagnostik ist im Gegenteil ein außerordentlich wichtiges Element im Sprachunterrichtfür gl/sh Schüler. Man muss aber bei der Durchführung von Sprachdiagnostikdie Ziele der Beurteilung sorgfältig definieren und die besten verfügbarenMessinstrumente auswählen und sollte Verfahren und Items nicht leichtfertig verändern.Wenn Testitems oder -verfahren angepasst werden, müssen die Veränderungenso genau wie möglich dokumentiert werden, damit eine Wiederholung untervergleichbaren Bedingungen möglich ist. Angesichts der komplexen Sprachsituation,in der sich viele gl/sh Schüler befinden, wäre es vielleicht besonders geschickt,ihre Sprachentwicklung auf Grundlage mehrerer unterschiedlicher Beurteilungsverfahrendarzustellen und dabei ihr unterschiedliches (multimodales und multilinguales)Repertoire zu dokumentieren und ihre unterschiedlichen Ressourcen zu berücksichtigen.Und schließlich muss man bei der Interpretation der Testergebnissebei gl/sh Schülern noch vorsichtiger sein als bei hörenden Schülern. Wenn man alldie benannten potenziellen Herausforderungen der Testdurchführung und -interpretationmit gl/sh Kindern zur Kenntnis nimmt und angemessen berücksichtigt, kanndie Diagnostik sprachlicher Kompetenzen so vorgenommen werden, dass sie größtmöglicheValidität und Reliabilität gewährleistet.mehr

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