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Der deutsche Liberalismus

Ideenwelt und Politik von den Anfängen bis zur Gegenwart - Mit Lesebändchen
BuchGebunden
872 Seiten
Deutsch
Lau-Verlagerschienen am25.06.2019
Die Gedankenwelt des Liberalismus erwuchs während der schweren inneren Auseinandersetzungen in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Wenig später gab es auch in Deutschland erste Stimmen dazu. Ab 1720 legten dann viele Autoren das liberale Konzept dar, es hatte um 1800 eine breite Resonanz. Als Deutschland nach den Kriegen Napoleons neu geordnet wurde, geschah das nicht im Sinne der Liberalen, sie konnten ihre Ziele erst in jahrzehntelangen Kämpfen weitgehend durchsetzen. 1867/71 war das erreicht. In dem folgenden Menschenalter waren sie die relativ stärkste politische Kraft in Deutschland, dann verloren sie an Gewicht. Sie hatten sich gleichsam totgesiegt, ihre Grundideen waren weithin rezipiert worden. In der Weimarer Republik büßten sie ab 1930 das Vertrauen der Wählerschaft fast ganz ein, 1932 waren sie nur noch eine Splitterpartei. Am Widerstand gegen die NS-Diktatur nahmen auch Liberale teil. Nach deren Ende entstanden in allen deutschen Ländern wiederum liberale Parteien, in den Westzonen schlossen sie sich im Dezember 1948 zur Freien Demokratischen Partei zusammen. In den 70 Jahren seither waren die Liberalen eine politische Kraft zweiten Ranges, zeitweilig als Regierungspartei, zeitweilig als Opposition.Hans Fenskes brillante Darstellung geht dem langen Weg der deutschen Liberalen durch mehr als drei Jahrhunderte nach. Zunächst spricht Hans Fenske über Wegbereiter des Liberalismus und seine Grundlegung in England im 17. Jahrhundert und führt dann mit großer Anschaulichkeit im Detail von den ersten Darlegungen des liberalen Konzepts in Deutschland bis zum Dezember 2018, als die FDP in Heppenheim das Gedenken an ihre Gründung 70 Jahre zuvor beging. Das umfassende Werk bietet eine erste große historische Gesamtschau der Ideenwelt und Politik des deutschen Liberalismus.mehr

Produkt

KlappentextDie Gedankenwelt des Liberalismus erwuchs während der schweren inneren Auseinandersetzungen in England in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Wenig später gab es auch in Deutschland erste Stimmen dazu. Ab 1720 legten dann viele Autoren das liberale Konzept dar, es hatte um 1800 eine breite Resonanz. Als Deutschland nach den Kriegen Napoleons neu geordnet wurde, geschah das nicht im Sinne der Liberalen, sie konnten ihre Ziele erst in jahrzehntelangen Kämpfen weitgehend durchsetzen. 1867/71 war das erreicht. In dem folgenden Menschenalter waren sie die relativ stärkste politische Kraft in Deutschland, dann verloren sie an Gewicht. Sie hatten sich gleichsam totgesiegt, ihre Grundideen waren weithin rezipiert worden. In der Weimarer Republik büßten sie ab 1930 das Vertrauen der Wählerschaft fast ganz ein, 1932 waren sie nur noch eine Splitterpartei. Am Widerstand gegen die NS-Diktatur nahmen auch Liberale teil. Nach deren Ende entstanden in allen deutschen Ländern wiederum liberale Parteien, in den Westzonen schlossen sie sich im Dezember 1948 zur Freien Demokratischen Partei zusammen. In den 70 Jahren seither waren die Liberalen eine politische Kraft zweiten Ranges, zeitweilig als Regierungspartei, zeitweilig als Opposition.Hans Fenskes brillante Darstellung geht dem langen Weg der deutschen Liberalen durch mehr als drei Jahrhunderte nach. Zunächst spricht Hans Fenske über Wegbereiter des Liberalismus und seine Grundlegung in England im 17. Jahrhundert und führt dann mit großer Anschaulichkeit im Detail von den ersten Darlegungen des liberalen Konzepts in Deutschland bis zum Dezember 2018, als die FDP in Heppenheim das Gedenken an ihre Gründung 70 Jahre zuvor beging. Das umfassende Werk bietet eine erste große historische Gesamtschau der Ideenwelt und Politik des deutschen Liberalismus.
Details
ISBN/GTIN978-3-95768-207-9
ProduktartBuch
EinbandartGebunden
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum25.06.2019
Seiten872 Seiten
SpracheDeutsch
Gewicht1542 g
Illustrationen19 SW-Abb.
Artikel-Nr.46146592
Rubriken

Inhalt/Kritik

Inhaltsverzeichnis
VorwortI. Zum Begriff des LiberalismusII. Die Grundlegung des LiberalismusWegbereiterGrimmelshausen und BecherDer Beitrag Englands. Zur Verfassungsgeschichte bis 1689Die Formulierung des liberalen Konzepts im englischen SchrifttumIII. Der Frühliberlismus 1720â-â1789Wege der InformationFrühe LiberaleLiberales Denken in der Mitte des 18. JahrhundertsFriedrich Karl von MoserSchlözer und PfeifferBlick nach England und NordamerikaAnsätze zur OrganisationSchlussbemerkungIV. Der deutsche Liberalismus im Zeitalter der Französischen Revolution und NapoleonsDie Revolution in Frankreich und ihr Echo in DeutschlandLiberale WortführerNationalpolitische Wünsche und frühe VerfassungsentwürfeReformer und ReformpolitikEntscheidende Jahre: 1812â-â1815V. Ein Menschenalter voller Kämpfe: 1815â-â1848Frühe VerfassungsstaatlichkeitBurschenschaften, Wartburgfest, Beginn der RepressionBedeutende Staatswissenschaftler: Pölitz, Rotteck, List und Mohl. Das StaatslexikonDas politische Leben in Süddeutschland und Preußen nach 1820Rheinkrise 1840. Politischer Klimawechsel. Blick auf Österreich. Deutsche Frage. PreußenBilanz für die Jahre von 1815â-â1848VI. Bewegte Jahre: 1848â-â1850Revolution in Frankreich und Umbruch in DeutschlandDie Habsburgermonarchie während des RevolutionsjahresEntscheidungen im Vorfeld der NationalversammlungDie Nationalversammlung. Erste Arbeiten. Die Provisorische ZentralgewaltUm den Umfang des Reiches. Schleswig-Holstein. Die Frage an ÖsterreichDie Entwicklung in Preußen bis zur Verleihung der Verfassung am 5. DezemberVereinsbildungDas Ringen um den Umfang des Reiches. Abschluss der Verfassungsarbeit. KaiserwahlDas Ende der Nationalversammlung. Preußens Bemühen um die deutsche EinigungDas preußische UnionsprojektVII. Die Spätzeit des Deutschen BundesRahmenbedingungen des politischen Lebens. Vereinswesen. PresseÖsterreich in der Reaktionszeit. Stein und BruckDie MittelstaatenPreußen in der Reaktionszeit. Eintritt in die Neue ÄraDie Krise des Jahres 1859. Nationalverein und ReformvereinVerfassungskonflikt in Preußen. Deutsche Fortschrittspartei. Ansätze zur BundesreformStürmische Jahre. Schleswig-Holstein und der Zusammenprall Österreichs und PreußensVIII. Eine kurze Zwischenstation: Der Norddeutsche BundVerfassunggebungZum Urteil der Öffentlichkeit über die Verfassung. Die Nationalliberale ParteiDer Erste ordentliche ReichstagDas ZollparlamentZur Entwicklung in den GliedstaatenBlick auf die süddeutschen StaatenDie ReichsgründungIX. Der deutsche Liberalismus während des KaiserreichsDas Deutsche Reich. Ein kurzer ÜberblickDas deutsche ParteiensystemDie Jahre der nationalliberalen VorherrschaftDer Liberalismus in den 80er-JahrenDie Liberalen in der Wilhelminischen ÄraX. Dreißig schwere Jahre. Die Zeit der WeltkriegeDer deutsche Liberalismus während des Ersten WeltkriegesRevolution und NeubeginnDie Weimarer JahreUnter der DiktaturXI. Die Liberalen im geteilten Deutschland 1945â-â1990Besatzungszeit 1945-1949Die FDP als Regierungspartei 1949-1957Oppositionsjahre. Rückkehr in die Regierung. Erneute Opposition 1957-1969Die sozialliberale KoalitionDie Ära Kohl bis zur WiedervereinigungXII. Die Liberalen im wiedervereinigten DeutschlandDie zweite Hälfte der Ära KohlDie FDP 1998-2013Jahre der Schwäche: 2013â-â2017Die Bundestagswahl 2017. Absage einer RegierungsbeteiligungXIII. AnhangAnmerkungenLiteraturverzeichnisPersonenregister Bildnachweismehr
Leseprobe
I. Zum Begriff des LiberalismusDie Gedankenwelt des Liberalismus war in Europa und Nordamerika seit dem späten 18. Jahrhundert eine Kraft von außerordentlicher Bedeutung. Es ging dabei nicht nur um die politische Ordnung im engeren Sinne, der Liberalismus war stets mehr als eine Verfassungsbewegung. Da es sich bei ihm um eine breite gedankliche Strömung handelte, lässt sich nur schwer in eine kurze Formel bringen, was der Begriff meint. Er »steht im einfachsten Sinne für diejenige politische Grundhaltung, für die Freiheit der zentrale Dreh- und Angelpunkt des Menschen- und Gesellschafts­bildes ist«, hieß es jüngst an repräsentativer Stelle.1 Seine tragende Idee ist, dass die Menschen von Natur aus nach Freiheit und Selbstbestimmung streben, dass eine vernünftige gesellschaftliche Ordnung ihnen ein gebührendes Maß an Freiheit und die Möglichkeit des Mitentscheids über alle wesentlichen Fragen von allgemeinem Interesse geben muss und dass die Verfolgung des individuellen Nutzens zugleich der Gesamtheit und deren Fortschritt dient.Der Begriff des Liberalismus setzte sich in Deutschland im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts durch. Das Adjektiv liberal war den gebildeten Deutschen schon im 18. Jahrhundert gut vertraut. Es bedeutete: eines freien Mannes würdig, freimütig, offenherzig, anständig, freigebig und vorurteilsfrei. In diesem zuletzt genannten Sinn benutzte der ­bedeutende Theologe und Bahnbrecher der historisch-kritischen Methode in der ­Bibelwissenschaft Salomo Semler ab 1765 die Wörter liberal und liberalis häufig in seinen Veröffentlichungen. In den Auseinandersetzungen, zu denen seine Arbeitsweise den Anstoß gab, fasste Semler seine Gegner als »alte Partei« zusammen, während diese ihre Opponenten ­Freipartei nannten. Ein Teilnehmer an der Diskussion bezeichnete Semler und ­seine Anhänger schließlich als »die Liberalen«.2 Dieser Begriff blieb freilich auf den theologischen Diskurs beschränkt.Ab etwa 1780 wurden die bis dahin dem vorpolitischen Bereich ange­hörigen Wörter liberal und Liberalität allmählich auf den politischen Bereich übertragen. Der Publizist Wilhelm Ludwig Wekhrlin nannte 1786 die freisinnige Gedankenrichtung Libertismus, fand damit aber ­keine sonderliche Resonanz. Zur Zeit der Französischen Revolution wurde für die gemäßigt fortschrittlichen Kräfte die Sammelbezeichnung ­Moderatism oder feiner Demokratismus verwendet. Die Politisierung des Wortes liberal wurde nachhaltig dadurch gefördert, dass gegen Ende der 1790er-Jahre in Frankreich der Ausdruck idées liberales als ganz selbstverständliche Bezeichnung für die politische Gedankenrichtung der ­Mitte benutzt wurde. Das wurde in Deutschland bald von der Publi­zistik und auch im privaten Sprachgebrauch übernommen. Im Jahre 1815 stellte der Jurist und Historiker Johann Christoph von Aretin in der Zeitschrift Neue Allemannia die Frage »Was heißt liberal?« und beantwortete sie dahin, »liberal« sei ein politischer Grundsatz, der die freie Entwicklung der Geisteskräfte begünstige, die öffentliche Freiheit sichere, die Rechte der Bürger gegen Willkür schütze und das allgemeine Beste fördere. Eine liberale Regierung sah er dadurch gekennzeichnet, dass sie diesen Prinzipien folgend handelte. Die liberalen Ideen, so trug er weiter vor, seien allen guten Köpfen und rechtschaffenen Menschen gleichsam angeboren, und es sei Aufgabe der Regierungen, sie allgemein zu machen. Das Substantiv Liberale kam gleichzeitig auf. Es wurde aus Spanien entlehnt. »Liberales nannte man in Spanien seit der Restauration diejenigen, welche eine freie Staatsverfassung im Gegensatz gegen den bisherigen bürgerlichen und geistigen Despotismus einzuführen gesucht hatten«, so erfuhr man im 1817 vorgelegten fünften Band der 1798 begründeten und 1808 von Friedrich Arnold Brockhaus erworbenen Allgemeinen deutschen Realencyclopädie. Das Lexikon gab zudem eine Übersetzung: Freiheitsfreunde.3 Im anschließenden Artikel »Liberalität, liberale Ideen«, der die Gedankenwelt des Liberalismus knapp zusammenfasste, kam die Bezeichnung »die Liberalen« noch nicht vor. Liberalität habe ursprünglich den Freisinn oder die eines freien Mannes würdige Denkart und Handlungsweise bezeichnet, werde neuestens aber auch auf das bürgerliche und kirchliche Leben bezogen, so las man hier. »Die sogenannten liberalen Ideen sind daher keine anderen als die Ideen von der politischen und religiösen Freiheit, nach deren Realisierung das gegenwärtige Zeitalter mit so großer Regsamkeit strebt; weshalb man auch dasselbe das Zeitalter der liberalen Ideen genannt hat. Eine liberale Constitution ist ebendaher eine Staatsverfassung, wodurch die politische und religiöse Freiheit der Bürger anerkannt und möglichst gesichert ist, mithin eine stellvertretende oder repräsentative.« Die Macht der liberalen Ideen sei »keine andere als die der Vernunft selbst, des Urquells aller Ideen, folglich auch der liberalen. Die liberalen Ideen bekämpfen, heißt daher nichts anderes als die Vernunft selbst bekämpfen, also unvernünftig handeln.« Der Missbrauch, der zuweilen mit dem Worte Liberalität getrieben werde, könne »die Liberalität oder Freisinnigkeit selbst nicht in Misskredit bringen«.4Spätestens 1819 wurde die Bezeichnung Liberale auch auf die Freisinnigen in Deutschland angewandt, und gleichzeitig begegnete vereinzelt auch das Wort Liberalismus. Die Lexika nahmen das aber einstweilen noch nicht auf. Noch im Jahre 1830 wurde in der siebten Auflage des Brockhaus unter dem Stichwort »Liberalität« wiederholt, was schon 1817 vorgetragen worden war. Jetzt aber hatte der Artikel einen sehr viel größeren Umfang und enthielt erstmals auch das Wort Liberalismus. An die Feststellung, die liberalen Ideen bekämpfen heiße die Vernunft bekämpfen, schloss der Autor die Bemerkung an, auch das Edelste werde entwürdigt, wenn es sich in den Dienst der Faktionen begebe, und nahm dann eine entschiedene Abgrenzung nach links vor. Es »ist ... ein unechter ­Liberalismus, wenn man meint, dass Recht und Wahrheit schlechterdings nur durch die Zerstörung derjenigen Verfassungsformen gedeihen können, welche die Geschichte, und sagen wir lieber die Vorsehung, den Völkern als die eigentliche Bahn ihres öffentlichen Lebens vorgeschrieben hat.« Es sei unverständig, ja verbrecherisch, der natürlichen Entwicklung der Dinge vorzugreifen. Eindringlich warb der Autor für eine Politik der Reformen und legte dabei eingehend dar, was »der echte Liberalismus« in politischer Beziehung fordere, »daß die Gerechtigkeit sicher, die Wahrheit frei, die menschliche Würde auch im geringsten geachtet und ... die launenhafte Herrschaft der Willkür zu einer kraftvollen Herrschaft weiser Gesetze erhoben sei«. Die Monarchie müsse die Entstehungsur­sache ihrer Macht im Volk und dessen freiwilliger Unterwerfung sehen, ihr Gebieten »nicht weiter ausdehnen als gerade notwendig ist, und dagegen sowohl dem freien sowohl einzelnen wie vereinten Willen der Bürger so viel als möglich überlassen«. Das erste aller liberalen Bedürfnisse der heutigen Völker sei es, dass unabhängig von der ­Regierung ein Rat bestehe, bestellt aus den Einsichtsvollen des Volkes, um die öffentlichen Angelegenheiten auch öffentlich zu erörtern.5 Fünf Jahre später wurde die Thematik in der achten Auflage des Brockhaus endlich unter dem Stichwort Liberalismus abgehandelt. Zunächst wurde hier von einem ­Liberalismus der Ideen gesprochen und dargelegt, dass alle Menschen zum Streben nach echter politischer und religiöser Freiheit verpflichtet seien. Die liberalen Ideen seien die stärkste und unwiderstehlichste Macht, die es gebe. ­Sodann kam der Autor auf den »Liberalismus der Einrichtungen« zu sprechen und nannte Repräsentativverfassung, Presse­freiheit, Munizipalverfassung, Verantwortlichkeit der Staatsbeamten, öffentliche ­Rechtspflege und Rechtsgleichheit der Staatsbürger. Er beschrieb den ­Liberalismus als ­große Freiheitsbewegung, die sich mit Notwendigkeit vollzog, weil ihr Ziel von der Vorsehung vorgegeben war.6Die Verfasser der eben zitierten Lexikonartikel setzten sich nicht mit der Frage auseinander, woher die liberalen Ideen kamen, ihnen genügte der Hinweis auf die Vernunft völlig. Das gilt ebenso für andere Nachschlage­werke, gelegentlich mit dem Zusatz, dass es Liberalismus in allen Zeiten und in allen Völkern gegeben habe. In seiner im ­Wintersemester 1817/18 in Heidelberg gehaltenen Vorlesung zur Rechtsphilosophie äußerte sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel konkreter. Er verwies auf die Franzö­sische Revolution und trug vor, dass damals erstmals die politische Freiheit als Recht benannt und damit das Selbstseinkönnen der Menschen zum Prinzip und zum Zweck der Gesellschaft erhoben ­wurde, beklagte zugleich aber ihren Umschlag ins Gewalttätige und sah sie als Irrweg. Auch relativierte er ihre Bedeutung. Das, worum es in der Französischen Revolution ging, wurde seines Erachtens in den protestantischen Ländern schon durch die Reformation vollzogen, weil sie das Prinzip durchsetzte, dass durch Einsicht und Bildung zu geschehen habe, was geschehen ­solle. Ähnlich feierte der Freiburger Jurist und Historiker Karl von Rotteck 1823 im siebten Band seiner viel gelesenen und sehr einflussreichen Allgemeinen Geschichte die Reformation. Er sah sie als Auflehnung gegen ein unerträgliches Joch und als Auswirkung der ­immer lebendigen Kraft der Menschenvernunft und bezeichnete als ihre Grundidee die Freiheit. Auch betonte er, dass sie vom Volke ausgegangen sei; Luther habe nur dem Zeitgeist gedient. Der Protestantismus »beherbergt in sich und bewahrt den kommenden Geschlechtern ein kostbares Prinzip der geistigen und mittelbar auch der bürgerlichen Freiheit«.7 Begeistert äußerte er sich auch über die amerikanische Revolution im 1826 erschienenen achten Band seiner Weltgeschichte. In Amerika ging »die Sonne einer jugendlichen Freiheit auf«, die Hauptforderungen der reinen Theorie »sehen wir dort in beneidenswerter Erfüllung«.8 Weitaus höher veranschlagte er indessen die Französische Revolution. Es gebe keine größere, ja kaum eine gleich große Begebenheit in der Weltgeschichte, mit dieser Feststellung begann er den der Zeitspanne von 1789 bis 1815 ­gewidmeten abschließenden neunten Band seiner großen Geschichtsdarstellung, setzte aber sofort hinzu, vergleichbar sei nur die Reformation. Durch den Umsturz in Frankreich, den Rotteck vor allem auf die Haltlosigkeit des dortigen bürgerlichen Zustandes zurückführte, wurde die klare Erkenntnis von bürgerlichen, politischen und Menschenrechten über alle Völker Europas und über alle Klassen der Gesellschaft verbreitet. Eingehend besprach er aber auch, dass die Revolution bald eine verderbliche Richtung annahm. Die Jakobiner nannte er eine Rotte und eine Verhöhnung der wahren Patrioten.Im Jahre 1823 brachte Wilhelm Traugott Krug, Professor der Philosophie in Leipzig, ein schmales Buch mit dem Titel »Geschichtliche Darstellung des Liberalismus alter und neuer Zeit. Ein historischer Versuch« heraus. Im Vorwort unterstrich er, dass es sich seines Wissens um die ­erste Gesamtdarstellung des Themas handelte. Das traf zu. Nach Krug zeigt die Geschichte, dass der Liberalismus nichts anderes als das Streben nach Freiheit sei, der den Menschen von Gott selbst eingepflanzte Freiheitstrieb. Deshalb sei er untadelig. Allerdings müssten die nötigen Schranken der Freiheit gesetzlich bestimmt werden, und jede Herrschaft müsse sich innerhalb solcher Grenzen halten, »mit welcher die äußere Freiheit der Beherrschten bestehen kann«. Dafür sei Bürgschaft zu geben durch eine Verfassung, die den Beherrschten die Befugnis erteile, über Angelegenheiten des Gemeinwesens mitzuberaten und mitzubestimmen. Krug hielt die gewaltenteilende Verfassung für selbstverständlich. Er betonte, dass der Liberalismus und sein Gegenpart, der Antiliberalismus, keineswegs Erfindungen »unserer Zeit« seien, sondern im ersten nachchristlichen Jahrhundert begännen und ihr Gegensatz sich als Kampf zwischen Glauben und Zweifel durch die Geschichte ziehe. Paulus nannte er den freisinnigsten unter den Verkündern des Evangeliums und das Christentum ein mit liberalen Ideen befruchtetes Judentum. Dem ­Liberalismus in Ansehung der Religion widmete er in seiner Darstellung viel Platz, mehr als dem Liberalismus in Ansehung politischer Gegenstände. Die erste Anregung zu letzterem sah er im England des 17. Jahrhunderts, namentlich bei den Whigs, der einen der beiden Parteien, die sich in den dortigen heftigen politischen Auseinandersetzungen gebildet hatten. Die Whigs »leiten die königliche Gewalt von dem ursprünglichen Volkswillen ab und legen dabei dem Volke nur die Verbindlichkeit zu einem durch die Rechtmäßigkeit des Gebrauchs jener Gewalt bedingten Gehorsam auf«, erklärte er und setzte hinzu, dass in England seit 1689 insgesamt ein »moderater Liberalismus« herrsche. Auch Krug war felsenfest davon überzeugt, dass der Liberalismus die Zukunft für sich habe. Der Antiliberalismus werde ihn nie besiegen können.9In dem von Rotteck und seinem Fakultätskollegen Karl Theodor Welcker herausgegebenen Staatslexikon erläuterte Paul Achatius Pfizer, der Führer der liberalen Opposition in der württembergischen Zweiten Kammer, 1840 ausführlich, was unter liberal und Liberalismus zu verstehen sei. Er blieb weitgehend bei den grundsätzlichen Fragen und streifte die Geschichte der Freiheitsbewegungen und Freiheitskämpfe nur hier und da kurz. Für die Zeit der französischen Staatsumwälzung sagte er, dass »die Freiheitsideen ganz den Charakter unduldsamer Übertreibung« annahmen. Derart mache sich jede neue Lehre oder Geistesrichtung im Anfang geltend, ehe Erfahrung und Nachdenken sie mäßigten. Daraus ist zu schließen, dass Pfizer den Liberalismus in Frankreich sich im späten 18. Jahrhundert bilden sah, aber darüber sagte er nichts weiter. Die »erste Jugendzeit des deutschen Liberalismus, wie er aus den Freiheitskriegen sich entwickelte«, gehörte in Pfizers Sicht in die Jahre nach 1815.10 ­Diese Auffassung fand langfristig viel Zustimmung. Für die dem deutschen ­Liberalismus seither gewidmete Literatur war er größtenteils eine erst seit 1815 gegebene Erscheinung. Noch 1988 merkte Dieter Langewiesche an, die neuere Forschung wisse über die Anfänge des deutschen Liberalismus nichts Genaues zu berichten. Es sei unklar, wann »diese wirkungsmächtigste Ideologie und Bewegung auf dem Weg in die Moderne « einsetzte.11 Seines Erachtens ließ sich der Zeitpunkt aber genau bestimmen. Eine frühliberale Bewegung, die er deutlich vom Denken der Aufklärung abhob, konnte erst entstehen, als dafür mit Verfassungen und Parlamenten der institutionelle Handlungsrahmen geschaffen war. Das ist freilich eine zu enge Sicht. Warum sollte Liberalismus an die Existenz von Parlamenten gebunden sein? Diejenigen, die vor 1815 liberales Gedankengut vortrugen, waren keine politisch uninteressierten Theoretiker, sondern wollten mit ihren Darlegungen in Veröffentlichungen und Vorlesungen wirken und damit zu einer Verbesserung der Verhältnisse beitragen.Sie waren beileibe auch keine Einzelkämpfer, sondern bildeten spätestens in den drei letzten Dekaden des 18. Jahrhunderts eine beachtlich starke Gruppe. Fritz Valjavec nannte 1951 in seiner Studie über die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland August Ludwig Schlözer, der ab 1769 als Professor an der Universität Göttingen tätig war, den Erzvater des deutschen Liberalismus. Zwei Jahre später meinte Friedrich C. Sell pauschaler, der moderne Liberalismus sei ein Kind des 18. Jahrhunderts. »Im Zeitalter des Absolutismus und der Gegenwehr gegen ihn strömten die Gedanken zusammen, aus denen der Liberalismus als eine politische Weltanschauung sich formen sollte.«12 Im Einzelnen führte er das nicht aus, sein Überblick über die »Tragödie des deutschen Liberalismus« setzte erst 1789 ein. Diethelm Klippel bezeichnete 1976 das jüngere Naturrecht ab etwa 1780 als liberale Theorie. Wenig später sagte James J. Sheehan, die geistigen Vorläufer des deutschen Liberalismus ließen sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen, und erklärte dann lapidar, für sein Vorhaben, eine Geschichte dieser Bewegung in Deutschland bis 1914, sei es am besten, mit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu beginnen. Horst Dippel charakterisierte gleichzeitig alle diejenigen, die der amerikanischen Revolution positiv gegenüberstanden, als Liberale. Kurz danach sprach Zwi Batscha für die 179oer-Jahre vom Frühliberalismus, und Axel Kuhn legte 1989 dar, dass sich unter dem Eindruck der Französischen Revolution auch in Deutschland Menschen zu politischen Gruppierungen zusammenfanden, und unterschied von den Demokraten unter Benutzung späterer Bezeichnungen Liberale und ­Konservative. Er zeigte, dass die Liberalen am wenigsten zur Organisation neigten, »weil sie die herrschende Meinung vertraten«.13 In einer breit angelegten Untersuchung wies Uwe Wilhelm 1995 nach, dass auch in Deutschland schon lange vor 1789 »ein veritabler Frühliberalismus« mit »einem nicht unbeträchtlichen Verbreitungsgrad bestand«.14 Seine Darstellung ­beruhte auf dem Studium der Werke von rund 25 Autoren, die in den knapp 70 Jahren von etwa 1720 bis zum Vorabend der Französischen Revolution erschienen waren. Ein frühliberales Denken sah er dann als gegeben an, wenn der betreffende Autor einen gewaltenteilenden Staat wollte und dafür eintrat, dass in diesem Gemeinwesen der politischen wie der bürgerlichen Freiheit breiter Raum zugestanden und die Machtausübung strikt an das Recht gebunden werde.Der britische Nationalökonom Harold J. Laski, einer der führenden frühen Politikwissenschaftler - er leistete mit seinen Arbeiten einen bedeutenden Beitrag zur Theorie des pluralistischen Staates - legte 1936 eine Studie zum Aufstieg des europäischen Liberalismus vor und sagte darin einleitend, dass das Denken in diesen Kategorien in den letzten vier Jahrhunderten eine herausragende politische Doktrin der westlichen Zivilisation gewesen sei.15 Dass dieses Gedankengebäude schon der frühen Neuzeit angehört, wird auch in Deutschland anerkannt, wie ein kurzer Blick in Nachschlagewerke belegt. In der Enzyklopädie »Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft« ordnet Volker Sellin die liberale Bewegung »in den großen Zusammenhang der Revolution des neuzeitlichen Denkens überhaupt ein« und greift dabei bis in das 16. Jahrhundert zurück. Als ersten großen Erfolg dieser Doktrin nennt er die Glorreiche Revolution des Jahres 1688 in England.16 Ähnlich ist in der 2006 erschienenen neuesten (21.) ­Auflage des Brockhaus ganz selbstverständlich die Rede vom Liberalismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Die gedankliche Arbeit, die auf ihn hinführte, war das Werk von Generationen, an dem »Männer fast aller Nationen« mitwirkten.17 Der gewichtigste Beitrag dazu wurde in England geleistet. Das Halbjahrhundert von 1641 bis 1690 war hier die Formierungsphase des Liberalismus.Eine für ganz Europa einheitliche Einteilung in Epochen des Liberalismus ist nicht möglich, weil sich die Entwicklungen verschieden vollzogen. Für Deutschland kann man generell vom Frühliberalismus, vom klassischen Liberalismus und von der Spätzeit des Liberalismus sprechen. Die erste dieser drei Zeitspannen dauerte von 1720 bis 1789. An ihrem Ende war die liberale Theorie mit allen wichtigen Aspekten voll ausgebaut und in den Kreisen der politisch Interessierten allgemein bekannt. So darf man für das 19. Jahrhundert vom klassischen Liberalismus sprechen. Die liberale Gedankenwelt fand weithin Resonanz, sie war in der öffentlichen Meinung in vielen Regionen die stärkste politische Kraft, aber der Liberalismus hatte sehr lange nicht die entsprechende Machtstellung. Das Menschenalter von 1815 bis 1850 war vom heftigen Ringen um diese Machtstellung erfüllt, es waren Kampfjahre, die schließlich eine Durchsetzung der liberalen Verfassungsvorstellungen auf breiter Front brachten. Es folgte eine Phase der Schwäche, die aber bald durch die Wiedererlangung großen Gewichts abgelöst wurde. 1866/67 war mit der Schaffung des Norddeutschen Bundes das nationalpolitische Ziel zum großen Teil erreicht, und dessen Verfassung verwirklichte die konstitutionellen Vorstellungen des Liberalismus gänzlich. Das folgende Menschenalter war für den Liberalismus der Höhepunkt seiner Geltung; er war die relativ stärkste politische Kraft und sein geistiger Einfluss war noch erheblich größer. Seine verfassungspolitischen Vorstellungen waren weithin akzeptiert. Infolge der durch Industrialisierung und Urbanisierung bewirkten Veränderungen in der Sozialstruktur hatten ab 1898 die Sozialdemokratie und ihre Abspaltungen (ab 1917) den stärksten Rückhalt in der Wählerschaft, aber der Liberalismus behauptete sich bis 1920 immerhin noch auf dem zweiten Rang und hatte bei der Schaffung der Weimarer Verfassung 1919 nochmals große Bedeutung. Nach 1920 wurde er deutlich schwächer. So kann man sagen, dass jetzt seine Spätzeit begann, die noch heute andauert. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass seine Grundforderungen erfüllt sind und dass das Leben in der so geschaffenen Ordnung vom größten Teil der Bevölkerung als selbstverständlich genommen wird. Der Liberalismus war gleichsam »zum Opfer seiner eigenen Erfolge geworden«.18 Er fiel in der Wählergunst deutlich zurück und wurde zu einer vergleichsweise schwachen Kraft neben anderen politischen Lagern. Das seit 1930 entwickelte Konzept des Neoliberalismus - der Begriff wurde 1939 geprägt - änderte daran nichts. Führend beteiligt an der Ausbildung des Neoliberalismus waren deutsche Nationalökonomen, die während des Dritten Reiches im Exil waren. Ihnen ging es um einen mittleren Weg zwischen dem sozialistischen System des Kollektivismus und der kapitalistischen Wirtschaft. Die Wirtschaftspolitik sollte auf das soziale Ganze gerichtet sein und die Wirtschaft sozialverpflichtet werden. Bedeutung erlangte dies Konzept bald nach 1945 als soziale Marktwirtschaft. Ludwig Erhard, der bereits 1931 in einer unveröffentlichten Studie den Staat dazu verpflichten wollte, »die privatwirtschaftlich gewollte Entwicklung nicht zu befördern, sondern zu hemmen« und ungesunde Entwicklungen zu bekämpfen19, schloss sich nach der Wiederbegründung der Parteien nicht den Liberalen an, sondern blieb lange parteilos und ging dann zur CDU. So konnte der Liberalismus aus der sozialen Marktwirtschaft keinen Gewinn ziehen, er blieb eine vergleichsweise schwache Kraft neben anderen politischen Lagern.mehr

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Autor

Fenske, HansHans Fenske, geboren 1936 in Geesthacht, 1956 bis 1963 Studium der Geschichte, der Politischen Wissenschaft und der Geografie in Tübingen und Freiburg, Promotion 1965, Habilitation für Neue und Neueste Geschichte 1971 in Freiburg, 1963 bis 1971 Wissenschaftlither Assistent an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und bis Ende 1972 am Auslands- und Dolmetscherinstitut Germersheim. 1973 bis 1977 Universitätsdozent und danach bis 2001 Professor für Neue und Neuste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Hauptarbeitsgebiete: Deutsche Geschichte vom späten 18. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Zeit, vergleichende Verfassungsgeschichte, Geschichte der politischen Ideen, Landesgeschichte Südwestdeutschlands. Von den Buchveröffentlichungen seien genannt: Konservativismus und Rechtsradikalismus in Bayern nach 1918 (1969), Wahlrecht und Parteiensystem (1972), Der liberale Südwesten (1981), Die Verwaltung Pommerns 1815-1945 (1993), Deutsche Parteiengeschichte (1994), Deutsche Geschichte. Vom Ausgang des Mittelalters bis heute (2002), Preußentum und Liberalismus (2002), Freiherr vom Stein (2012), Der Anfang vom Ende des alten Europa. Die alliierte Verweigerung von Friedensgesprächen 1914-1919 (2013), Auf dem Weg zur Demokratie. Das Streben nach deutscher Einheit 1792-1871 (2018).

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