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New York Ghost

von
Ma, LingBeck, ZoëÜbersetzung
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
360 Seiten
Deutsch
CulturBooks Verlagerschienen am15.03.2021
Ausgezeichnet mit dem Preis der Hotlist als bestes Buch aus unabhängigen Verlagen. »Das Beste, was ich bisher über das Lebensgefühl junger Großstadtmenschen gelesen habe - über die Entfremdung und Entmenschlichung, die damit einhergehen, ein funktionierendes Rädchen im globalen Kapitalismus zu sein.« Jia Tolentino, The New Yorker Candace Chen arbeitet für einen Verlagsdienstleister am Times Square - zuständig für die Herstellung von Themenbibeln in Asien. So hingebungsvoll folgt sie ihren täglichen Routinen, dass sie erst gar nicht bemerkt, wie tödliche Pilzsporen über New York hereinbrechen - ins Land gekommen durch billige, in China hergestellte Konsumgüter. Das Shen-Fieber greift rasant um sich. Geschäfte schließen. U-Bahnen stehen still. Menschen fliehen. Bald ist sie fast ganz allein in New York. Doch dann muss auch Candace die Stadt verlassen und schließt sich einer Gruppe Überlebender an - in Sicherheit ist sie damit aber noch lange nicht, wie sie bald erfahren wird. Dieses preisgekrönte Debüt ist eine bewegende Familiengeschichte, eine originelle Endzeiterzählung und ein aufschlussreicher Pandemieroman. Die beißende Satire auf den modernen Kapitalismus entwirft eine erschreckende Vision dessen, was danach kommen könnte ... »Klug, witzig, menschlich und außerordentlich gut geschrieben.« Kirkus Review

Ling Ma wurde in China geboren, wuchs in den USA auf und lebt in Chicago. Ihr Debütroman »New York Ghost« (Severance, 2018) gewann zahlreiche Preise (u. a. den mit 50.000 Dollar dotierten Whiting Award, den Young Lions Fiction Award und den Kirkus Prize), stand auf der Shortlist des PEN/Hemingway Award for Debut Novel und auf diversen Bestenlisten.
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Verfügbare Formate
BuchGebunden
EUR23,00
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR15,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextAusgezeichnet mit dem Preis der Hotlist als bestes Buch aus unabhängigen Verlagen. »Das Beste, was ich bisher über das Lebensgefühl junger Großstadtmenschen gelesen habe - über die Entfremdung und Entmenschlichung, die damit einhergehen, ein funktionierendes Rädchen im globalen Kapitalismus zu sein.« Jia Tolentino, The New Yorker Candace Chen arbeitet für einen Verlagsdienstleister am Times Square - zuständig für die Herstellung von Themenbibeln in Asien. So hingebungsvoll folgt sie ihren täglichen Routinen, dass sie erst gar nicht bemerkt, wie tödliche Pilzsporen über New York hereinbrechen - ins Land gekommen durch billige, in China hergestellte Konsumgüter. Das Shen-Fieber greift rasant um sich. Geschäfte schließen. U-Bahnen stehen still. Menschen fliehen. Bald ist sie fast ganz allein in New York. Doch dann muss auch Candace die Stadt verlassen und schließt sich einer Gruppe Überlebender an - in Sicherheit ist sie damit aber noch lange nicht, wie sie bald erfahren wird. Dieses preisgekrönte Debüt ist eine bewegende Familiengeschichte, eine originelle Endzeiterzählung und ein aufschlussreicher Pandemieroman. Die beißende Satire auf den modernen Kapitalismus entwirft eine erschreckende Vision dessen, was danach kommen könnte ... »Klug, witzig, menschlich und außerordentlich gut geschrieben.« Kirkus Review

Ling Ma wurde in China geboren, wuchs in den USA auf und lebt in Chicago. Ihr Debütroman »New York Ghost« (Severance, 2018) gewann zahlreiche Preise (u. a. den mit 50.000 Dollar dotierten Whiting Award, den Young Lions Fiction Award und den Kirkus Prize), stand auf der Shortlist des PEN/Hemingway Award for Debut Novel und auf diversen Bestenlisten.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783959881791
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
Erscheinungsjahr2021
Erscheinungsdatum15.03.2021
Seiten360 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.5669640
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe


Prolog

Nach dem ENDE kam der ANFANG. Und am ANFANG waren wir acht, dann neun - das war ich -, eine Zahl, die nur abnehmen würde. Wir fanden einander, nachdem wir aus New York in die sichereren ländlichen Gefilde geflohen waren. Das hatten wir so in Filmen gesehen, auch wenn niemand sagen konnte, in welchen genau. Vieles verlief nicht so, wie wir es von der Leinwand kannten.

Wir waren Markenstrateginnen und Immobilienanwälte und Personalplanungsspezialisten und private Finanzberaterinnen. Wir wussten nicht, wie man irgendetwas machte, also googelten wir alles. Wir googelten »Wie man in der Wildnis überlebt«, was Bilder von Giftefeu, bösartigen Insekten und Bärenspuren hervorbrachte. Das war schon ganz gut, aber wir wollten wissen, wie wir uns wehren konnten. Gegen alles. Wir googelten »Wie man ein Feuer macht« und sahen uns YouTube-Videos darüber an, wie man ein Feuer mit einem Feuerstein und Metall entfacht, mit einem Feuerstein und noch einem Feuerstein, mit einem Vergrößerungsglas und der Sonne. Wir konnten den notwendigen Feuerstein nicht finden, wussten nicht einmal, woran wir ihn erkennen sollten, und bevor wir es mit Bobs Zweistärkenbrille probierten, fand jemand ein Feuerzeug in einer Jeansjacke. Das Feuer brachte uns durch die Nacht und beförderte uns in einen Morgen, der uns zu einem verlassenen Walmart führte. Wir horteten Wasserflaschen und Duschpeeling und iPods und Bier und getönte Tagescreme in unseren gestohlenen Jeeps. Hinten im Markt fanden wir Waffen und Munition, Tarnkleidung, Sucher und Griffe. Wir googelten »Wie mit Waffe schießen«, und als wir es ausprobierten, ängstigten uns der Rückstoß, der salzige Geruch und der Rauch, das ganze liturgische Drama im Wald. Aber eigentlich gefiel uns das Abfeuern der Waffen. Es gefiel uns sogar, sie falsch abzufeuern, mit einer Hand, vornübergebeugt oder aus dem Hohlkreuz. Unter unseren besonnenen Abzugsfingern starben Bierflaschen, starben Vogue-Magazine, starben Terracotta-Figuren, starben Eichenschösslinge, starben Eichhörnchen, starben Rothirsche. Wir schlemmten.

Google war nicht von Dauer. Auch nicht das Internet. Oder sonst irgendeine Infrastruktur, aber zu Anfang des ANFANGS erlaubten wir uns zu prahlen, wenngleich auch nur vor uns, in Abwesenheit anderer. Denn wer war noch da, um uns zu beneiden, um stolz auf uns zu sein? Unser Googeln wurde düsterer, nach innen gerichtet. Wir googelten »Maslowsche Pyramide«, um herauszufinden, wie viele der Bedürfnisebenen wir bereits erfüllen konnten. Die ersten beiden. Wir googelten »2011 Fieberüberlebende« in der Hoffnung, auf andere wie uns zu stoßen, und als wir nur dieselben überholten, ahnungslosen Artikel fanden, googelten wir »sieben Phasen der Trauer«, um unsere emotionale Entwicklung nachzuvollziehen. Wir waren bei Wut, die Langsameren von uns hinkten noch beim Leugnen hinterher. Wir googelten »Gibt es einen Gott«, klickten »Auf gut Glück« und wurden zu einer Selbstmordhotline weitergeleitet. Während der zwölf Freizeichen, die es dauerte, bis wir auflegten, hielten wir den Atem an, ob jemand anderes sich meldete, die Stimme eines Fremden, die uns bestätigte, dass wir nicht die einzigen Überlebenden waren, obwohl Bob dies hartnäckig behauptete. Niemand antwortete.

Aus dieser und anderen Beobachtungen schlossen wir, dass wir allein waren, wahrhaftig allein.

Nach wochenlangem blindwütigem Vor-die-Wand-Rennen und Auf-Grund-Laufen erstellten wir gemeinsam einen Schlachtplan. Unser selbst ernannter Anführer war Bob, ein kleiner, untersetzter Mann, der als Informatiker gearbeitet hatte. Er war ein wenig älter als wir, aber ihn zu fragen, wie viel genau, erschien uns irgendwie unhöflich. Mit dem Alleinsein kannte er sich aus. Er hatte jede Erweiterung von Warcraft mit fast schon religiösem Eifer durchgespielt. Als hätte er sich auf das hier vorbereitet, auf diese Sache, diese höhere Bestimmung. Seit einer verpfuschten Karpaltunneloperation trug er seinen rechten Arm in einer Schlinge eng an der Brust, ins Hemd geschoben. Das mochte ihn etwas einschränken, allerdings war er umso versierter darin, andere nach seinem Willen zu dirigieren. Dinge mussten erledigt werden, wir mussten angeleitet werden. Wir nahmen seine klaren, präzisen Anweisungen auf wie Manna.

»Ich weiß, wo wir eine Bleibe finden«, sagte Bob und paffte an seiner E-Zigarette. Der Geruch von Bourbonvanille waberte durch die Nachtluft.

Wir saßen am Lagerfeuer und hörten zu. Da gab es diese riesige, zweigeschossige Anlage in Chicago, die er und ein paar seiner Highschool-Freunde gekauft hatten.

»Wozu?«, fragte Janelle blasiert. »Falls die Apokalypse kommt?«

»Sobald die Apokalypse kommt«, stellte Bob richtig. »Wir wussten immer, sie würde kommen, auch wenn ich persönlich nicht dachte, dass es so früh geschehen würde.«

Wir warteten, während Bob noch einen Zug von seiner E-Zigarette nahm, bevor er fortfuhr. Die Anlage habe alles, informierte er uns. Große, hohe Decken. Im Dach seien Oberlichter eingebaut, deshalb gebe es viel Licht. Da sei ein Kino. Vielleicht würde der Projektor noch funktionieren. Jeder hätte ein eigenes Zimmer.

Wir stellten uns Chicago vor. Die ebenmäßige Prärielandschaft der Great-Lakes-Region, ihre langen, zähen Winter voller Gelegenheiten zum Einkochen von Wurzelgemüse und Kernobst, die Empfindsamkeit des Mittleren Westens, die im wohltuend weiten Ausmaß der Stadtanlage sichtbar wird, besonders River North und die Innenstadt, die weiträumigen Straßenblocks, die großzügigen Gebäude und bei Sonnenuntergang das satte goldene Licht auf der prachtvollen, modernen Architektur; Strukturen, die Brände und Fluten überstanden hatten, so viele Brände und Fluten.

Eine solche Umgebung, riet uns Bob, könne uns nur zu besseren Menschen machen. Wir würden unser Lager in der Seebrise aufschlagen, Wurzeln für ein neues Leben ansetzen und uns sanft untereinander fortpflanzen. Wir würden die aus unserem breitgefächerten ethnischen Angebot entstandenen Sprösslinge lieben. Chicago ist die amerikanischste aller amerikanischen Städte.

»Eigentlich ist es in Needling«, sagte Bob. »Needling, Illinois. Ein bisschen außerhalb von Chicago.«

»Ich wohne nicht in einem Vorort«, verkündete Janelle.

»Ach so? Fällt dir was Besseres ein?«, spottete Todd.

Es munterte uns auf, Pläne zu schmieden, und während wir die Nächte durchwachten und tranken, stellten wir große Theorien auf. Was war das Internet anderes als ein kollektives Gedächtnis? Alles, was früher schon getan worden war, konnten wir besser. Das Heimlich-Manöver. Steißgeburten. Den Foxtrott. Sprengstoff. Die Herstellung handgerollter Kerzen. Möglicherweise lauerten in unserem limitierten Genpool metastasierende Hirntumore und jede Form von Depression und rezessiver Mukoviszidose, aber auch hohe IQs und das Talent für romanische Sprachen. Wir könnten das hier hinter uns lassen. Wir könnten uns weiterentwickeln.

Alles war besser als das, was wir empfanden. Wir schämten uns maßlos dafür, zu den wenigen Überlebenden zu gehören. Weitere Überlebende, falls es welche gab, mussten sich genauso fühlen. Wir schämten uns dafür, andere zurückzulassen, uns Trost zu holen, wo immer wir welchen finden konnten, von jenen zu stehlen, die sich nicht zu wehren vermochten. Wir hatten immer geahnt, Feiglinge und Heuchler zu sein, schändliche Lügner, um genau zu sein; und diesen Verdacht bestätigt zu finden, war keine Erleichterung, sondern reines Grauen. Falls das ENDE die Art und Weise war, auf die uns die Natur bestrafte, damit wir endlich wieder wussten, wo wir hingehörten, ja, dann wussten wir es. Falls es vorher überhaupt unklar gewesen sein sollte, jetzt war es das nicht mehr.

Die Scham schweißte uns zusammen. Am Morgen googelten wir »Tattoos selbst stechen« und kochten Nähnadeln in einem Topf. Besäuselt und besorgt stachen wir uns kleine Tintenblitze auf unsere Unterarme in der Nähe der Handgelenke, um unsere Verbundenheit zu symbolisieren. Es hieß, Crazy Horse sei prophezeit worden, er würde den Krieg nur gewinnen, wenn er niemals anhielt, um die Kriegsbeute einzusammeln, und um dies nie zu vergessen, habe er Blitze hinter die Ohren seiner Pferde gestochen. Schlag schnell zu, schlag zuerst zu.

Wir machten uns bewusst, dass es entscheidend war, niemals anzuhalten, immer weiterzumachen, selbst wenn die Vergangenheit uns in Zeiten und an Orte zurückrief, nach denen wir uns sehnten, von denen wir in stilleren Momenten noch sangen. Wie die Hochhausschluchten der Fifth Avenue. Wie die ganzen japanischen und schweizerischen Geschäftsleute, die heiße Schokolade nippend durch den Bryant Park schlenderten. Wie die Nachmittagssonne, die durch unsere innerstädtischen Bürofenster fiel, kurz bevor es an der Zeit war zu gehen, um sich den Freuden des Abends hinzugeben: einer leichten Mahlzeit im Stehen an der Küchentheke, einer Fernsehsendung, einem Treffen mit Freunden auf ein paar Cocktails.

 

In Wahrheit war ich am ANFANG gar nicht dort gewesen. Ich war nicht dabei, als gegoogelt wurde oder der Walmart geplündert oder gefeiert oder spontan massentätowiert. Ich war die Letzte, die aus New York herauskam, die Letzte, die zur Gruppe stieß. Als sie mich fanden, war die Infrastruktur bereits zusammengebrochen. Das Internet war völlig abgestürzt, das Stromnetz abgeschaltet und die Reise zur Anlage bereits im Gange.

Zuerst war der Gruppe das nostalgische Gelb des Yellow Cab aufgefallen. Es parkte auf dem Seitenstreifen einer Straße in Pennsylvania. »NYC TAXI« stand auf der Wagentür. Es handelte sich um einen Ford Crown Victoria, ein älteres Flottenmodell, das die...

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