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Der Wolf vom Bodensee

E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
352 Seiten
Deutsch
Emons Verlagerschienen am24.01.2019Auflage
Kommissar Sito will mit seiner Freundin ruhige Tage verbringen, doch plötzlich hereinbrechender Schnee macht die Halbinsel Höri zu einer weißen Falle. Ausgerechnet jetzt taucht ein Wolf auf und versetzt die Menschen in Angst - Sito fürchtet um das Leben seines weißen Schäferhundes, der dem Wolf zum Verwechseln ähnelt. Die Lage spitzt sich zu, als eine Schriftstellerin ermordet aufgefunden wird inmitten zahlloser Manuskriptseiten, auf denen immer wieder ein Name steht: Sito. Als am Neujahrstag ein Kind spurlos verschwindet, gerät Sito in einen Strudel aus Lügen, unaufhaltsamer Gewalt und der erbarmungslosen Jagd nach dem Wolf.

Tina Schlegel war Regieassistentin, Drehbuchautorin und Redakteurin, bevor sie als freiberufliche Kulturjournalistin u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die Münchner Abendzeitung arbeitete. Seit 2012 schreibt sie für die Augsburger Allgemeine über Kunst, Theater und Musik und lebt mit ihrer Familie am Niederrhein und im Unterallgäu.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR14,00
E-BookEPUB0 - No protectionE-Book
EUR10,99

Produkt

KlappentextKommissar Sito will mit seiner Freundin ruhige Tage verbringen, doch plötzlich hereinbrechender Schnee macht die Halbinsel Höri zu einer weißen Falle. Ausgerechnet jetzt taucht ein Wolf auf und versetzt die Menschen in Angst - Sito fürchtet um das Leben seines weißen Schäferhundes, der dem Wolf zum Verwechseln ähnelt. Die Lage spitzt sich zu, als eine Schriftstellerin ermordet aufgefunden wird inmitten zahlloser Manuskriptseiten, auf denen immer wieder ein Name steht: Sito. Als am Neujahrstag ein Kind spurlos verschwindet, gerät Sito in einen Strudel aus Lügen, unaufhaltsamer Gewalt und der erbarmungslosen Jagd nach dem Wolf.

Tina Schlegel war Regieassistentin, Drehbuchautorin und Redakteurin, bevor sie als freiberufliche Kulturjournalistin u.a. für die Süddeutsche Zeitung und die Münchner Abendzeitung arbeitete. Seit 2012 schreibt sie für die Augsburger Allgemeine über Kunst, Theater und Musik und lebt mit ihrer Familie am Niederrhein und im Unterallgäu.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783960414360
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format Hinweis0 - No protection
FormatE101
Erscheinungsjahr2019
Erscheinungsdatum24.01.2019
AuflageAuflage
Seiten352 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse3582 Kbytes
Artikel-Nr.4103212
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Weihnachten

Ich weiß, das sind meine letzten Tage. Schweißgebadet bin ich letzte Nacht aufgewacht. Aus einem Traum, der doch keiner war. Ich sah mich wie eine Statue am Ufer stehen, schön in Stein gemeißelt, anmutig stehe ich dort. In Ewigkeit gebannt der weite Blick über den See. Ich sehe mich dort stehen und stehe hinter mir, teile den Blick, aber nicht meine Gedanken. Schnell ein paar Zeilen, dachte ich im Traum und schrieb sie auf:


Der Anfang.

Der Anfang und der Anfang vom Ende.

Am Anfang ist alles leicht; am Ende auch. Nur das Dazwischen.


Ich sitze mit Kaffee am Tisch. Es ist Weihnachten. Meine letzten Tage. Vielleicht schon heute? Steht er draußen vor der Tür und wartet auf mich? Ich bin Jana Smetlin. Ich war hier. Ich bin nur noch ein Blick auf etwas, das weit vor mir liegt.

Immer wieder muss ich an Penthesilea denken, die Amazonenkönigin in Kleists Drama, diese tragische Figur, die ihren Geliebten tötet, weil die Gesetze es ihr vorschreiben, dabei hatte er sich ihr ergeben, aus Liebe, um sie ganz für sich zu gewinnen. Penthesilea, der Name ist wie Musik, ich sage ihn manchmal mehrmals hintereinander. Penthesilea, Penthesilea, Penthesilea. Ob ich ihm auch in den Tod folge? Heute? Ist heute schon mein letzter Tag? Das Schweigen draußen ist unheimlich. Sie werden kommen.


Am Anfang war alles leicht, am Ende erwartungsgemäß.

Das Dazwischen, ein nicht enden wollendes Intermezzo der Verwirrung. Und der Einsamkeit. Eine tragische Errungenschaft meiner Talente.

Anfangen.

Ich grübelte. Über dich und den Anfang vom Ende.

Am Anfang war alles leicht.

Dazwischen.


Du wirst kommen. Ich warte. Geschrieben ist nun alles.

***

Roman Enzig verließ seine Wohnung in der Talgartenstraße und überquerte die Laube. Es war nicht viel los um diese frühe Uhrzeit am ersten Weihnachtsfeiertag, aber er hatte es in seiner Wohnung nicht mehr ausgehalten. Der Weihnachtsabend im Krankenhaus mit all seinen Freunden war schön gewesen. Sie waren einander wirklich nähergerückt in diesem letzten Jahr im Präsidium, und Enzig hatte zum ersten Mal gedacht, dass er darüber hinwegkommen würde, dass er vor knapp eineinhalb Jahren von der internen Ermittlungsbehörde als Profiler für die Mordkommission Konstanz angeheuert worden war, um Hauptkommissar Paul Sito im Auge zu behalten. Enzig hatte lange gedacht, dass dieser Makel auf ewig an ihm haften würde, doch seit er Sito reinen Wein eingeschenkt hatte, fühlte er sich nicht nur besser, sondern auch rehabilitiert. Seine Loyalität galt seinem Kollegen und Partner und inzwischen auch Freund Paul Sito, mit dem er zwei der schwersten Fälle seiner Karriere gut bestanden hatte, auch wenn er noch immer nicht hinter sein Geheimnis gekommen war. Irgendwann, so wusste Enzig inzwischen, da würde Sito ihn einweihen, und dann wäre das Band zwischen ihnen noch stärker. Enzig seufzte. Er hatte keine Freunde, auch das gemeinsame Arbeiten war ihm bislang schwergefallen. Hier in Konstanz schien sich dieses Blatt endlich zu wenden.

Halb zehn an einem Feiertag im Winter. Enzig erreichte die Fußgängerzone auf dem Weg zur Marktstätte, ohne einem Menschen begegnet zu sein. Auch mal ganz schön. Einsamkeit auf den Straßen war anders als die Einsamkeit in einer Wohnung, seiner Wohnung, die er vor einigen Monaten für sich und Anna renoviert hatte und in der er nun allein lebte.

An der Marktstätte blieb er stehen. Ein Mann stand dort und studierte die Schrifttafel. Enzig wurde bewusst, dass er zwar hier aufgewachsen war, aber noch niemals diese Tafel gelesen hatte. Er schämte sich ein wenig und erwog für einen Moment, sich dazuzustellen, ging dann aber schnell weiter. Wer weiß, vielleicht hätte der andere ihn in ein Gespräch verwickelt, und irgendwie sah dieser andere mit seinem Hut so aus, als würde das ein sehr anstrengendes Gespräch werden.

Enzig zog den Schal fester um seinen Hals. Eine Mütze wäre gut gewesen. Der Wind zog eisig vom See herauf. Vor drei Tagen war hier reges Treiben gewesen, inzwischen hatten die Buden des Weihnachtsmarktes, die sich bis vor zum Hafen erstreckten und Tausende von Besuchern durch die Innenstadt hin zum See und dort auf das Schiff trieben, wo es noch enger war, das Feld geräumt. Jetzt war wieder Platz für die Augen, freie Sicht. Den Weihnachtsmarkt hatte Enzig dieses Jahr ausgelassen. Was hätte er dort auch suchen und finden sollen? Für einen Augenblick überlegte er, bei Anna vorbeizulaufen. Zu klingeln und einfach zu fragen, wie es ihr ging, aber sie wollte ihre Ruhe haben. Zeit zum Nachdenken. Noch immer.

Seine Schritte wurden ausladender. In der Unterführung entdeckte er noch Spuren von der Weihnachtsdekoration, ein trauriger Kranz lag dort achtlos in der Ecke und der Stiefel von einem Weihnachtsmann. Wo war der zweite? Dann hatte er endlich den menschenleeren Hafen erreicht. Enzig setzte sich trotz der Kälte auf eine der Bänke und starrte auf die Anlegestelle für die Tretboote. Im Sommer war hier immer Hochbetrieb. Im Sommer ... Er erinnerte sich genau an seinen letzten Besuch hier am See. Heiß war es gewesen. Enzig schloss die Augen.

Manchmal ist da so viel Kitsch, hatte er damals gedacht, dass es schon wieder schön ist. Die »Möwe« legte damals am Konstanzer Hafen an. Die Sonne schien. Das Brautpaar, das von der »Möwe« hinunter auf dem Landgang balancierte, Hand in Hand, war im Rentenalter. Leichtfüßig trippelte sie, hielt ihre freie Hand nach oben und winkte dem Kapitän. Die Gäste folgten, alle im selben Alter.

Ob die jüngeren Familienmitglieder wohl gegen diese Hochzeit waren, hatte Enzig überlegt und an seine eigene gedacht. Hochzeit, nicht an die Familie.

Sie trug einen Blumenkranz im Haar, Margeriten und Kornblumen mäanderten durch graue Locken, er trug einen hellen Anzug und einen Strohhut, den er zum Kapitän hin lüpfte und dabei seinen Gehstock gefährlich in die Höhe schwang. Eine echte Möwe schrie und flog erschrocken von einem Pfosten auf.

Manchmal ist so viel Kitsch wie eine Flucht nach vorn ...

Hinter Enzig, oben auf den Stufen, hatten sich damals zwei peruanische Indianer mit ihren Instrumenten positioniert, grellbunt, Panflöte und Sphäre für den Verstärker. Daneben ein provisorischer Verkaufsstand: Federschmuck und Flöten im Kleinformat. Umzingelt von verklärt dreinblickenden Touristen. »Ach, klingt die Panflöte nach Fernweh ...« Ja, dachte Enzig, fern wäre gut. Die Musik mit touristenadäquatem Sound oszillierte zwischen Schmerz- und Schamgrenze.

Wo man hinsah, hatten die Menschen ihre Schuhe abgelegt. Es war der heißeste Sommer seit Jahren gewesen, der im letzten Jahr. Der Kampf um die Steine, die im Wasser lagen, brachte Bewegung in die träge Masse. Im Panflötenrhythmus hüpften die Kinder, quakten die Enten auf der Flucht vor verschwitzten Touristenfüßen.

Manchmal ist Überleben keine Selbstverständlichkeit ...

Enzig hatte sich damals abgewandt - um dann direkt in einen Blumenkranz zu blicken. Kornblumen und Margeriten. Schön war das. Viel zu schön. So viel Glück in drei Farben.

Der schnelle grün-weiße »Fridolin« raste über den See und Enzig durch die Sicht. Wenn man mal langsam denkt, wird man prompt vom Leben überholt.

Schnell weg. Damals war Enzig geflüchtet in Eugens Café und hatte sich dort Buchweizen-Olivenbällchen und - mutig - eine Avocado-Limetten-Torte bestellt. Vielleicht ja was für die Hochzeit. Hatte er gedacht und auch: Sito würde sich freuen ...

Enzig öffnete die Augen. Alles grau. Keine Kornblumen in Sicht, auch keine Kinder. Eine Möwe spazierte vor ihm auf und ab. Langsam und stumm. Ob sie wohl fror? Enzig wusste nichts von Vögeln, nichts über ihre kalten Füße, und dennoch überkam ihn Mitleid. Am liebsten hätte er die Möwe in den Arm und mit zu sich nach Hause genommen, ihr unterwegs von Anna und den Kornblumen erzählt, jenen Kornblumen, die ihm heute gewiss nicht mehr aus dem Kopf gehen würden.

***

Später. Immer später. Alles kam immer später, sollte kommen. Er wusste nicht, wann »später« sein sollte. Irgendwann werden wir glücklich sein, hatte sein Vater zur Mutter gesagt. Später eben. »Schau dir den See nur an.« Das Argument, das für den Vater alles erklärt hatte, der See, er lag ihnen zu Füßen, dort, wo sie wohnten, oberhalb von Hemmenhofen, und die Mutter hatte spitz und pikiert erwidert: »Der Untersee ist´s, nur der Untersee«, um an ganz schlechten Tagen hinzuzufügen: »Der ist so klein, dass ihn keiner von einem Fluss unterscheiden kann.« Sie hatte schon recht, die Mutter. Und dennoch war es schön, da musste er dem Vater zustimmen. Gegenüber die Schweizer Seite, wenn die Lichter angingen, das mochte er besonders. Sie konnten Mannenbach, Berlingen und Steckborn sehen, überall Lichter und hinter den Lichtern, so stellte er sich immer vor, glückliche Familien, Eltern, die vielleicht am Tisch saßen und mit ihren Kindern Karten spielten. Er starrte dort hinüber von seinem Stuhl vor dem Fenster im ersten Stock des alten Bauernhofes, starrte hinüber und träumte sich in jedes dieser Lichter hinein.

Es ist dein Kind, Anton, hatte sie gesagt, und er hatte nicht gewusst, was er darauf antworten sollte. Es hatte nichts gegeben, das hätte gesagt werden sollen oder gar müssen. Dein Kind. Was mochte das heißen? Er wusste auch jetzt noch nichts zu sagen. Er, Anton Huber, sollte also ein Kind haben?

Sein Mund fühlte sich trocken an. Er verließ die warme Stube und öffnete die Tür nach draußen. Ein frischer Wind blies...
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