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Die Tochter der Hungergräfin

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
320 Seiten
Deutsch
Francke-Bucherschienen am01.11.20221. Auflage
Die Grafschaft Sayn im Westerwald, Mitte des 17. Jahrhunderts: Behütet wächst Ernestine von Sayn und Wittgenstein hinter den schützenden Mauern des elterlichen Schlosses auf, bis das Schicksal ihr Leben auf den Kopf stellt. Mit dem Tod des jüngeren Bruders endet die männliche Erbfolge und ihre verwitwete Mutter, Gräfin Louise Juliane, sieht sich einer ganzen Reihe von Feinden gegenüber: Die mächtigen Kurfürsten von Köln und Trier erheben ebenso Anspruch auf die Grafschaft wie verschiedene Mitglieder der eigenen Familie. Gefangenschaft, Hunger und Flucht bestimmen plötzlich das Leben der Gräfinnen, bis sie einen sicheren Hafen erreichen. Von dort aus startet Louise Juliane einen beispiellosen Kampf um das Erbe ihrer Töchter, der bis in die höchsten Instanzen geht. Ernestine steht jedoch vor einer ganz anderen Frage: Wen wird sie gezwungen sein zu heiraten? Dieser Roman zeichnet das wahre Leben einer außergewöhnlichen Frau nach, deren beeindruckende Haltung auch heute noch zu inspirieren vermag.

Annette Spratte lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in einem kleinen Dorf im Westerwald. Die Liebe zu Büchern begleitet sie in ihrem Leben schon länger als die Liebe zu Pferden, und Bücher waren es auch, die ihr den Weg zum Glauben gewiesen haben, als sie noch sehr weit von Gott entfernt war. Heute arbeitet sie als Autorin und Übersetzerin. Wenn sie gerade nicht am Computer sitzt, kann man sie im Garten oder im Pferdestall antreffen.
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Verfügbare Formate
BuchKartoniert, Paperback
EUR16,95
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR14,99

Produkt

KlappentextDie Grafschaft Sayn im Westerwald, Mitte des 17. Jahrhunderts: Behütet wächst Ernestine von Sayn und Wittgenstein hinter den schützenden Mauern des elterlichen Schlosses auf, bis das Schicksal ihr Leben auf den Kopf stellt. Mit dem Tod des jüngeren Bruders endet die männliche Erbfolge und ihre verwitwete Mutter, Gräfin Louise Juliane, sieht sich einer ganzen Reihe von Feinden gegenüber: Die mächtigen Kurfürsten von Köln und Trier erheben ebenso Anspruch auf die Grafschaft wie verschiedene Mitglieder der eigenen Familie. Gefangenschaft, Hunger und Flucht bestimmen plötzlich das Leben der Gräfinnen, bis sie einen sicheren Hafen erreichen. Von dort aus startet Louise Juliane einen beispiellosen Kampf um das Erbe ihrer Töchter, der bis in die höchsten Instanzen geht. Ernestine steht jedoch vor einer ganz anderen Frage: Wen wird sie gezwungen sein zu heiraten? Dieser Roman zeichnet das wahre Leben einer außergewöhnlichen Frau nach, deren beeindruckende Haltung auch heute noch zu inspirieren vermag.

Annette Spratte lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen in einem kleinen Dorf im Westerwald. Die Liebe zu Büchern begleitet sie in ihrem Leben schon länger als die Liebe zu Pferden, und Bücher waren es auch, die ihr den Weg zum Glauben gewiesen haben, als sie noch sehr weit von Gott entfernt war. Heute arbeitet sie als Autorin und Übersetzerin. Wenn sie gerade nicht am Computer sitzt, kann man sie im Garten oder im Pferdestall antreffen.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783963628245
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2022
Erscheinungsdatum01.11.2022
Auflage1. Auflage
Seiten320 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.10712694
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe




Verrat

Ich saß eng an Marlene gepresst und hielt ihren Arm umklammert. Auf ihrem Schoß saß meine kleine Schwester Johannette und starrte mich aus riesigen Augen an, den Daumen im Mund. Sie hatte die ganze Zeit gewimmert, bis unsere Mutter mit Ludwig eingestiegen war, dicht gefolgt von ihrer Zofe. Mit ihren vier Jahren verstand Nanni noch viel weniger als ich, warum wir mitten in der Nacht die sichere Freusburg verlassen und nach Hachenburg fahren mussten. Unsere Kinderfrau strich ihr mit immer der gleichen Bewegung über das blonde Haar, beinahe, als würde sie es selbst gar nicht bemerken.

Es war dunkel in der Kutsche. Die Vorhänge waren zugezogen und nur ab und zu fiel ein Strahl Mondlicht ins Innere, wenn der Wagen schwankte. Mein Blick war genauso reglos auf meine Mutter und meinen toten Bruder gerichtet wie der meiner Schwester auf mich. Die Zofe sah ich nur als Schatten in der Ecke der Kutsche und Ludwig wirkte wie eine lebensgroße Puppe in den Armen meiner Mutter, die die Augen geschlossen hatte und sich nicht bewegte.

Den ganzen Tag über hatte man versucht, ihr den Knaben abzunehmen, hatte auf sie eingeredet, sie zu überzeugen versucht. Es hatte nichts genützt. Allein, um sich anzukleiden, hatte sie ihn losgelassen. Sobald die Zofe ihr das Mieder geschnürt hatte, hatte sie ihn schon wieder in die Arme geschlossen und nicht einmal ihr Vertrauter Korporal Quast, der Befehlshaber ihrer Leibgarde, hatte sie davon abbringen können. Ihr Sohn würde noch lange genug im Sarg liegen, hatte sie gesagt.

Über das Hufgetrappel und das Knarzen der Räder hinweg war nichts zu hören als das leise Schmatzen von Nanni, die an ihrem Daumen saugte.

Da! Wieder rumpelten wir über eine Bodenunebenheit und schwaches Mondlicht berührte kurz das Gesicht meiner Mutter. Auf ihrer Wange funkelte ein glitzerndes Band silbern auf, dann herrschte erneut Dunkelheit. Waren das Tränen? Weinte meine Mutter etwa?

Ich spürte, wie mein Magen sich zusammenkrampfte, und auf einmal fiel mir das Atmen schwer. Ich hatte meine Mutter noch nie weinen sehen, nicht einmal nach dem Tod meines Vaters. Damals war ich sechs gewesen, Ludwig vier und Nanni noch gar nicht geboren und wir hatten viel Zeit mit Marlene verbracht. Meine Mutter hatte ich meist nur von Weitem bewundert: die schöne, starke Gräfin Louise Juliane von Sayn und Wittgenstein, die sich gegen alle machtgierigen Verwandten gestellt hatte, um Ludwigs Erbanspruch auf die Grafschaft zu verteidigen. So viel hatte ich verstanden. All diese wichtig aussehenden Männer in ihrer prunkvollen Kleidung waren gekommen, um uns zu nehmen, was uns rechtmäßig zustand.

Aber Mutter hatte nicht klein beigegeben. Sie hatte noch nie klein beigegeben. Sie jetzt so stumm und weinend mir gegenüber sitzen zu sehen, machte mir Angst. Hatte sie etwa aufgegeben, weil Ludwig tot war? Was wurde jetzt aus uns? Warum fuhren wir nach Hachenburg? War das nicht noch von den Schweden besetzt?

»Werden wir jetzt alle sterben?«, platzte es aus mir heraus. Ich fing an zu schluchzen und drückte mein Gesicht an Marlenes Arm. Plötzlich konnte ich den Anblick meiner Mutter nicht mehr ertragen.

»So ein Unfug«, hörte ich Marlene leise sagen. »Wie kommst du nur auf so etwas?«

»Die Schweden in Hachenburg werden uns umbringen!«

»Die Schweden sind schon vor ein paar Monaten abgezogen. Niemand wird uns umbringen.« Die Stimme meiner Mutter klang hölzern und wenig überzeugend. Erst dachte ich, sie würde wieder in Schweigen verfallen, aber sie redete weiter: »Wir werden deinen Bruder neben seinen geliebten Vater zur Ruhe betten. Und dann bleiben wir erst einmal in unserem Schloss.«

In unserem Schloss. Ich konnte mich kaum noch an das Schloss Hachenburg erinnern, so lange wohnten wir jetzt schon in der uralten Freusburg mit ihren dicken Steinmauern und kalten Räumen. Aber eins wusste ich noch: Ich hatte mich im Schloss viel wohler gefühlt. An diesem Gedanken klammerte ich mich genauso fest wie an Marlenes Arm.

Nachdem das erste Stück des Weges aus der Burg heraus steil bergab geführt hatte und wir durch das ständige Bremsen des Kutschers kräftig durchgeschüttelt worden waren, verlief die Strecke jetzt in sanften Windungen an der Sieg entlang. Das trockene Juliwetter hatte die Fahrspur der Straße festgebacken, sodass wir in der gut gefederten Kutsche sacht hin und her gewiegt wurden. Nach der ganzen Aufregung des Tages spürte ich, wie mein Kopf immer schwerer wog und meine Augenlider zuklappten.

* * *

Ein kühler Luftstoß weckte mich. Verwirrt rieb ich mir die Augen. Die Tür der Kutsche stand offen und Korporal Quast zog gerade seinen Kopf heraus, um hastig wieder auf sein Pferd zu steigen. Draußen erstrahlte der Himmel in kräftigem Morgenrot und aus den Bäumen ringsum erhob sich ein wahres Konzert aus Vogelstimmen. Sie konnten die sich nähernden Hufschläge jedoch nicht übertönen. Meine Mutter hielt Ludwigs leblosen Körper eng an sich gepresst. Über seinem bleichen Gesicht sah ich die Ader an ihrem Hals pulsieren. Die Zofe hatte die Hände auf den Mund gelegt und blickte zitternd auf die Türöffnung.

Von draußen erklangen Rufe und die Hufschläge verstummten. Wer auch immer dort angekommen war, es musste eine größere Gruppe von Reitern sein, denn ich hörte das unruhige Schnauben der Pferde und das leise Klirren und Krachen von Waffen und Zaumzeug. Ich erstarrte vor Angst. Wenn es nun doch die Schweden waren? Sie kannten keine Gnade.

»Still.« Der eisige Befehl meiner Mutter schnitt mein panisches Weinen ab, noch bevor es meinen Mund verließ. Ich musste mehrmals schlucken, wagte es aber nicht, auch nur einen Ton von mir zu geben. Neben mir hielt Marlene Nanni den Mund zu, obwohl diese schlief. Wir schienen alle die Luft anzuhalten, bis ein fremder Soldat auftauchte und in die Kutsche schaute. Sein Blick streifte kurz alle Insassen und blieb dann voll zufriedener Gewissheit an meiner Mutter hängen.

»Erlauchtigste Gräfin«, sagte der Mann, nahm seinen Hut vom Kopf und deutete eine Verbeugung an. »Der Kurfürst von Köln lässt Euch sein Beileid ausrichten.«

»Wie auch immer der Kurfürst davon erfahren hat«, sagte meine Mutter kaum hörbar und fügte dann lauter hinzu: »Wollt Ihr uns aufhalten und uns hindern, meinen Sohn in der Familiengruft zu bestatten?«

»Nichts dergleichen, Euer Gnaden. Wir sind nur Teil der kurkölnischen Reiterei auf Patrouille. Ihr habt von uns nichts zu befürchten.« Er neigte den Kopf zum Abschied, setzte den Hut wieder auf und ging zurück zu seinem Pferd.

An den zusammengekniffenen Lippen meiner Mutter konnte ich ablesen, dass dieser Soldat es an der nötigen Ehrerbietung hatte mangeln lassen.

Kurz darauf erschollen Befehle, die Reitergruppe zog an der Kutsche vorbei und galoppierte davon.

Korporal Quast erschien wieder an der Tür. »Bedauerlicherweise wurden wir verraten, Gnädigste. Wenn der Kurfürst es jetzt schon weiß, wird die Kunde vom Tod des Erbgrafen bis zum Abend die gesamte Grafschaft erreicht haben.«

»Ich weiß.« Meine Mutter schloss die Augen und stieß einen tiefen Seufzer aus. »Es ist nicht zu ändern«, sagte sie dann und sah den Korporal an. »Es war ohnehin ein wirrer Wunschtraum, seinen Tod vertuschen zu können. Setzt die Reise in größtmöglicher Eile fort. Vielleicht können wir ihn wenigstens unbehelligt bestatten.«

Der Korporal verbeugte sich und schloss die Tür, während meine Mutter die kalte Stirn meines Bruders küsste. Von den Tränen der Nacht war nichts mehr zu sehen.

* * *

Es dauerte nicht mehr lange, bis wir vor uns die Mauern Hachenburgs aufragen sahen. Seit der Begegnung mit den kurfürstlichen Reitern hatten wir die Vorhänge geöffnet, was mich sehr erleichterte. Das frühe Sonnenlicht erhellte die bedrückende Atmosphäre. Die wächserne Leblosigkeit meines Bruders war dadurch zwar deutlicher, wirkte aber längst nicht mehr so unheimlich wie in der Nacht. Er lag in den Armen meiner Mutter, als würde er schlafen, und sah dabei so friedlich aus, dass auch ich den Wunsch verspürte, ihn zu berühren.

Mein Bruder. Wie würde mein Leben ohne ihn sein? Sicherlich deutlich langweiliger. Er hatte immer viele Dummheiten im Kopf gehabt, die ich nur zu gern mitgemacht hatte, auch wenn ich meistens die Schelte kassiert hatte, weil ich die Ältere war. Andererseits war es mir immer ein Dorn im Auge gewesen, dass er von allen so verhätschelt worden war, nur weil er ein Junge war. Der Erbgraf. Der Hoffnungsträger. Das war nun vorbei. Wenn es jetzt noch etwas zu erben gab, dann war ich die Nächste in der Reihe. Nachdenklich betrachtete ich sein regloses Gesicht. War es mir das wert?

Nein, dachte ich und schaute wieder aus dem Fenster. Die Grafschaft konnte mir gestohlen bleiben. Lieber wollte ich meinen Bruder behalten. Doch das war ein Ding der Unmöglichkeit.

Ich war noch ganz in stiller Trauer gefangen, als wir durch das obere Stadttor rollten und an der Schlossmauer entlang zur Zugbrücke fuhren.

Hochrufe aus der Bevölkerung begleiteten unsere Weiterfahrt.

Ich hatte erwartet, dass die Menschen in Stille die Mützen vom Kopf ziehen würden, aber anscheinend hatte sich der Tod des Erbgrafen noch nicht bis zu den einfachen Leuten herumgesprochen, und da wir nicht mit einem Trauerzug angekommen waren, bejubelten die Hachenburger die Rückkehr ihrer geliebten Gräfin.

Vor uns ragte der Turm der Stadtkirche empor. Das Schloss zur Rechten war aus diesem Blickwinkel hinter der hohen Mauer verborgen.

Die beschlagenen Hufe der Pferde hallten in der Straße wider und wurden...


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