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Landgericht

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
496 Seiten
Deutsch
Jung und Jung Verlagerschienen am17.09.2012
'Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2012Nach 'Shanghai fern von wo' geht Ursula Krechel noch einmal den Spuren deutscher Geschichte nach. Ihr neuer Roman handelt vom Exil und von den fünfziger Jahren, von einer Rückkehr ohne Ankunft. Was muss einer fürchten, was darf einer hoffen, der 1947 aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrt? Nach ihrem gefeierten, 2008 erschienenen Buch 'Shanghai fern von wo' geht Ursula Krechel mit ihrem neuen großen Roman 'Landgericht' noch einmal auf Spurensuche. Die deutsche Nachkriegszeit, die zwischen Depression und Aufbruch schwankt, ist der Hintergrund der fast parabelhaft tragischen Geschichte von einem, der nicht mehr ankommt. Richard Kornitzer ist Richter von Beruf und ein Charakter von Kohlhaas'schen Dimensionen. Die Nazizeit mit ihren absurden und tödlichen Regeln zieht sich als Riss durch sein Leben. Danach ist nichts mehr wie vorher, die kleine Familie zwischen dem Bodensee, Mainz und England versprengt, und die Heimat beinahe fremder als das in magisches Licht getauchte Exil in Havanna. Ursula Krechels Roman lässt Dokumentarisches und Fiktives ineinander übergehen, beim Finden und Erfinden gewinnt eine Zeit atmosphärische Konturen, in der die Vergangenheit schwer auf den Zukunftshoffnungen lastet. Mit sprachlicher Behutsamkeit und einer insistierenden Zuneigung lässt 'Landgericht' den Figuren späte Gerechtigkeit widerfahren. 'Landgericht', der Roman mit dem doppeldeutigen Titel, handelt von einer deutschen Familie, und er erzählt zugleich mit großer Wucht von den Gründungsjahren einer Republik.'

geboren 1947 in Trier, seit 1974 zahlreiche Veröffentlichungen - Theaterstücke, Gedichte, Hörspiele, Romane, Essays. Für ihre Romane Shanghai fern von wo (2008), Landgericht (2012) und Geisterbahn (2018) wurde sie vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Deutschen Buch­preis und dem Jean-Paul-Preis. Ursula Krechel lebt in Berlin.
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Verfügbare Formate
TaschenbuchKartoniert, Paperback
EUR16,00
E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
EUR15,99

Produkt

Klappentext'Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2012Nach 'Shanghai fern von wo' geht Ursula Krechel noch einmal den Spuren deutscher Geschichte nach. Ihr neuer Roman handelt vom Exil und von den fünfziger Jahren, von einer Rückkehr ohne Ankunft. Was muss einer fürchten, was darf einer hoffen, der 1947 aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrt? Nach ihrem gefeierten, 2008 erschienenen Buch 'Shanghai fern von wo' geht Ursula Krechel mit ihrem neuen großen Roman 'Landgericht' noch einmal auf Spurensuche. Die deutsche Nachkriegszeit, die zwischen Depression und Aufbruch schwankt, ist der Hintergrund der fast parabelhaft tragischen Geschichte von einem, der nicht mehr ankommt. Richard Kornitzer ist Richter von Beruf und ein Charakter von Kohlhaas'schen Dimensionen. Die Nazizeit mit ihren absurden und tödlichen Regeln zieht sich als Riss durch sein Leben. Danach ist nichts mehr wie vorher, die kleine Familie zwischen dem Bodensee, Mainz und England versprengt, und die Heimat beinahe fremder als das in magisches Licht getauchte Exil in Havanna. Ursula Krechels Roman lässt Dokumentarisches und Fiktives ineinander übergehen, beim Finden und Erfinden gewinnt eine Zeit atmosphärische Konturen, in der die Vergangenheit schwer auf den Zukunftshoffnungen lastet. Mit sprachlicher Behutsamkeit und einer insistierenden Zuneigung lässt 'Landgericht' den Figuren späte Gerechtigkeit widerfahren. 'Landgericht', der Roman mit dem doppeldeutigen Titel, handelt von einer deutschen Familie, und er erzählt zugleich mit großer Wucht von den Gründungsjahren einer Republik.'

geboren 1947 in Trier, seit 1974 zahlreiche Veröffentlichungen - Theaterstücke, Gedichte, Hörspiele, Romane, Essays. Für ihre Romane Shanghai fern von wo (2008), Landgericht (2012) und Geisterbahn (2018) wurde sie vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Joseph-Breitbach-Preis, dem Deutschen Buch­preis und dem Jean-Paul-Preis. Ursula Krechel lebt in Berlin.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783990271001
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum17.09.2012
Seiten496 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse1641 Kbytes
Artikel-Nr.2750065
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe
Über dem See

Er war angekommen. Angekommen, aber wo. Der Bahnhof war ein Kopfbahnhof, die Perrons unspektakulär, ein Dutzend Gleise, aber dann betrat er die Bahnhofshalle. Es war ein großartiges Artefakt, eine Bahnhofskathedrale, von einem kassettierten Tonnengewölbe überspannt, durch die Fenster flutete ein blaues, fließend helles Licht, ein Licht wie neugeboren nach der langen Reise. Die hohen Wände waren mit dunklem Marmor verkleidet, "reichskanzleidunkel", so hätte er ironisch vor seiner Emigration diesen Farbton für sich genannt, jetzt fand er ihn nur herrschaftlich und vornehm, ja auch einschüchternd. Aber der Marmor war nicht einfach nur als Verkleidung auf die Wand gebracht worden, sondern ebenfalls abgesetzt, abgetreppt, so daß die Wände rhythmisch gegliedert waren. Der Fußboden blank, hinter den Schaltern ordentlich uniformierte Männer, die durch ein rundes Fensterchen blickten, davor Schlangen von Menschen, die gar nicht so schlecht gekleidet waren. (Wenn er bedachte, es handelte sich um Kriegsverlierer, um Geschlagene, trugen sie den Kopf erstaunlich hoch.) Er sah auch französisches Wachpersonal in den Nischen der Halle, das einen höflichen Blick hatte auf das Bahnhofstreiben. Die Männer trugen olivfarbene Uniformen und Waffen. Wie er mit einem Blick die vornehme Halle erfaßte, konnte er sich keinen Anlaß eines Eingreifens vorstellen, und dabei blieb es auch. Eine stille, mahnende, Gewißheit herbeizwingende Gegenwart.

Er spürte die beruhigende Zivilisiertheit, die Zeitlosigkeit dieser Bahnhofshalle, er sah die hohen Schwingtüren, sicher drei Meter hoch und ganz mit Messingblech verkleidet. Mit feiner Schreibschrift war das Wort "Drücken" in die Messingoberfläche graviert worden, etwa in Brusthöhe. Kathedralentüren, Türen, die dem Reisenden alle Allüren nahmen, das Bahnhofswesen war wichtig und bedeutend, und der einzelne Reisende würde schon sicher und pünktlich an sein Ziel kommen. Kornitzers Ziel war so lange im Ungefähren geblieben, nicht einmal ein verschwommenes Sehnsuchtsziel dachte er sich aus, so daß er diesen Widerspruch überaus schmerzlich empfand. Seine transitorische Existenz war ihm Gewißheit geworden. Alles war erhaben und auf gediegene Weise erhebend in dieser Halle, er sah sich um, er sah seine Frau, der er seine Ankunftszeit mitgeteilt hatte, nicht. (Oder übersah er sie nach zehn Jahren?) Nein, Claire war nicht da. Zu seiner Überraschung sah er aber zahlreiche Tagestouristen, die mit geschulterten Skiern aus dem nahen Wintersportgebiet kamen, freudig aufgekratzt, mit gebräunten Gesichtern.

Er stieß eine der hohen Türen auf und war geblendet. Hier lag der See, der große blaue Spiegel, nur ein paar Schritte waren es zum Kai, sanftes Wasser schwappte heran, kein Kräuseln der Oberfläche. Natürlich hatte sich seine Ankunft verzögert, um gut zwei Stunden, aber dieses Verzögern kam ihm wie eine Überdehnung vor, die Freude, anzukommen und seine Frau wiederzusehen, war in eine unbestimmte Zeit verwiesen. Hier war der Leuchtturm, der aus dem Wasser aufragte, hier war der bayerische Löwe, der mit gelassener Herrschaftsgeste den Hafen bewachte, und dort waren die Berge, die fernen und gleichzeitig nahen Berge, eine Kulisse aus Weiß und Grau und Alpenrosa, ihr Geschiebe, ihre archaische Kraft, unverrückbar, unerhört schön. Da hörte er seinen Namen rufen.

Das Wiedersehen eines Mannes und einer Frau, die sich so lange nicht gesehen hatten, sich verloren glauben mußten. Das atemlose Erstarren, Sprachlosigkeit, die Augen, die den Blick des anderen suchen, sich festklammern am Blick, Augen, die groß werden, trinken, sich versenken und sich dann abwenden wie erleichtert, ermüdet von der Arbeit des Wiedererkennens, ja, du bist es, du bist es immer noch. Das ganze Gesicht, das sich in den Mantelkragen bohrt, sich dann aber wieder rasch hochreckt, die zitternde Erregung, die den anderen Augen, den zehn Jahre vermißten Augen, nicht standhält. Die hellen, wäßrigen Augen des Mannes hinter der Nickelbrille und die grünen Augen der Frau, die Pupillen haben einen dunklen Ring. Es sind die Augen, die das Wiedersehen inszenieren, aber die, die es aushalten müssen, die ihm standhalten müssen, sind veränderte, in die Jahre gekommene Menschen, etwa gleich groß, auf gleicher Augenhöhe. Sie lächeln, sie lächeln sich an, die Haut um die Augen faltet sich, kein Wimpernzucken, nichts, nichts, nur der Blick, der lang ausgehaltene Blick, die Pupillen sind starr. Dann löst sich eine Hand, ist es die Hand des Mannes oder die der Frau?, in jedem Fall ist es eine mutige Hand oder eher nur die Kuppe des rechten Mittelfingers, die Mut beweist und auch Instinkt und über den hohen Backenknochen des verloren geglaubten Ehepartners fährt. Ein vertrauter Finger, eine Nervenerregung, die von einer Gefühlsregung noch sorgsam geschieden ist. Es ist eher die empfindlich gespannte Haut über dem Backenknochen, die reagiert, die dem ganzen Körper "Alarm" meldet. Eine Vereinigung der Nervenzellen, nicht des Ehepaares, diese dauert sehr, sehr viel länger, es ist eine Empfindung, die das ganze Nervengeflecht durchrüttelt, ein "du bist's, ja, wirklich, du bist's". Das instinktive Wiederfinden der geliebten, der vertrauten Haut war ein Wunder, über das die Kornitzers später noch oft sprachen, später, später, miteinander, ihren Kindern konnten sie es nicht mitteilen. Nicht der "berührte" Körperteil (Mann oder Frau) sendete den Alarm in den ganzen Körper, es war der aktive "berührende", und nach einer halben Sekunde war nicht mehr festzustellen, wer berührt hatte und wer berührt worden war. Die noch einsame, knapp zehn Jahre lang den Ehepartner entbehrende Hand bewegte sich, zuckte, streichelte, ja umschlang und wollte nicht mehr loslassen.

Das war das Ankommen. Dieses Signal der Nervenzellen bereitete dem ganzen Menschen einen Weg. Einen Weg vom Bahnhof in der Bodensee-Stadt zum Gasthaus am Hafen, das Kornitzer kaum sah, in dem er seiner Frau gegenübersaß und eine Suppe löffelte, das Gepäck rund um ihn verstreut, gestapelt. Er sah seine Frau jetzt eher wie einen Umriß, sie war knochig geworden, die Schultern vom Frieren hochgereckt, er sah ihren großen Mund, den sie nun öffnete, um den einen oder anderen Löffel Suppe hineinzuschieben, er sah ihre Zähne, das goldene Tüpfelchen, das einen ihrer Eckzähne, auf den sie einmal gefallen war, ausflickte, er sah ihre Hände, die rauher und gröber geworden waren seit dem Abschied in Berlin. Seine eigenen Hände versteckte er im Schoß. Die Suppe hatte er rasch und sachlich hinuntergelöffelt. Er sah seine Frau an, Schicht für Schicht versuchte er das jetzige Bild, das Bild der Frau, die ihm gegenübersaß, mit dem Bild, das er sich gemacht hatte alle Jahre zwischendurch, in Übereinstimmung zu bringen. Es gelang nicht. Auch das Photo in seiner Brieftasche, das er so häufig angestarrt hatte, bis er glaubte, es auswendig zu können - wenn dies bei einem Bild überhaupt möglich war -, half ihm nicht. Claire war jetzt jemand, der Suppe löffelte und sich offenkundig nicht fürchtete, einem nahezu Fremden gegenüberzusitzen. Einen Augenblick dachte er: Was hat sie zu fürchten gelernt, daß sie sich jetzt nicht fürchtet? Er unterließ es zu fragen: Claire, wie ist es dir ergangen? Die Frage setzte eine größere Vertrautheit voraus, eine Frage, die Zeit zu einer langen, romanhaften Antwort brauchte, und vor allen Dingen Zuhörzeit, ein ruhiges, entspanntes: Erzähl doch mal. Und auch sie fragte nicht: Richard, wie ist es dir ergangen? Er hätte mit den Schultern zucken müssen, ein Rafftempo, ein schneller Vorlauf und ein langsamer Rücklauf und wo anfangen?, dann hatte seine Frau endlich ihren Suppenteller ausgekratzt und den Löffel klirrend (vielleicht zitterte sie?) auf das Porzellan gelegt und fragte: Wie viele Tage bist du gereist? Darauf war eine knappe Antwort möglich: Vierzehn auf dem Schiff und drei Tage von Hamburg an den Bodensee. Das schien ihr nicht übermäßig lang, sie machte nicht den Eindruck, als wolle sie ihn deshalb bedauern. Sie nahm ihn mit in ihr Dorf, das war eigentlich nicht vorgesehen. Die Hilfsorganisation, die ihm seine Reise bezahlt hatte, die ihn an den Bodensee transportiert hatte, hatte ihm ein Merkblatt mitgegeben, in dem es hieß, daß er sich sofort nach seiner Ankunft bei der entsprechenden Stelle an dem zukünftigen Wohnort zu melden hätte. Kornitzer sagte es Claire, aber davon wollte sie nichts wissen. Die Hilfsorganisation läuft nicht weg, da kannst du auch noch morgen hin. Kornitzers Gepäck sollte nachgeschickt werden mit einem Fuhrwerk, Claire hatte mit einem bäuerlich wirkenden Mann am Bahnhof verhandelt, in einer Stunde vielleicht solle er sie abholen, und so kam der Mann ins Gasthaus. Kornitzer und seine Frau halfen ihm, die Gepäckstücke aufzuladen. Sich gemeinsam zu bücken und zu recken, zu heben und zu schieben, das war die erste gemeinsame Handlung, die den Grund hatte, eine Privatheit herzustellen. Einen Vorhang, der sich vor das Paar schob, als es sich in Claires geblümtem Zimmerchen im Haus 6 eines Weilers mit dem Namen Bettnang zurückzog, in dem ihre einzigen geretteten...
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Autor

"Ursula Krechel, geboren 1947 in Trier, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten. Sie debütierte 1974 mit dem Theaterstück "Erika", das in sechs Sprachen übersetzt wurde. Erste Lyrikveröffentlichungen 1977, danach erschienen Gedichtbände, Prosa, Hörspiele und Essays.Veröffentlichungen u. a."Erika", Theaterstück, 1974 "Selbsterfahrung und Fremdbestimmung", Essay, 1975 "Nach Mainz!", Gedichte, 1977 "Verwundbar wie in den besten Zeiten" Gedichte, 1979 "Zweite Natur", Szenen eines Romans, 1981 "Vom Feuer lernen", Gedichte, 1985 "Kakaoblau. Gedichte für Erwachsende", 1989 "Die Freunde des Wetterleuchtens", Prosa, 1990 "Technik des Erwachens"", Gedichte,1992 """"Mit dem Körper des Vaters spielen"""", Essays, 1992 """"Sizilianer des Gefühls"""", Erzählung, 1993 """"Landläufiges Wunder"""", Gedichte, 1995 """"Verbeugungen vor der Luft"""", Gedichte, 1999.Auszeichnungen2006 Hermann-Hesse-Stipendium der Stadt Calw2008 Rheingau Literatur Preis2009 Jeanette Schocken Preis - Bremerhavener Bürgerpreis für LiteraturKritikerpreis für LiteraturKunstpreis des Landes Rheinland-Pfalzd. lit. - Literaturpreis der Stadtsparkasse DüsseldorfJoseph-Breitbach-Preis2012 Orphil-Preis für Lyrik"""