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E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
336 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am08.03.20121. Auflage
Neugier und Leidenschaft verbünden sich, wenn die Kritikerin und Philologin Ina Hartwig über Literatur nachdenkt. Ob es um zärtliche Männer geht, die Abgründe des 20. Jahrhunderts, um die amüsanten Seiten der '68er oder den Glanz der Libertinage: Ihre Essays verbinden analytische Klarheit mit sprachlicher Brillanz, intellektuelle Offenheit mit zeitgeschichtlichem Interesse. Nicht der literarische Kanon steht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, sondern die passionierte Suche nach den Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren in der Literatur. So bietet dieser Band das sehr persönliche Lektüreprotokoll einer herausragenden Kritikerin und gleichzeitig die erfrischend unkonventionelle Bestandsaufnahme einer Literatur, die hineinreicht in die unmittelbare Gegenwart

Ina Hartwig studierte Romanistik und Germanistik in Avignon und Berlin. Neben Lehrtätigkeiten an der FU Berlin, in St. Louis und Göttingen war sie viele Jahre lang verantwortliche Literaturredakteurin bei der »Frankfurter Rundschau« und arbeitete ab 2010 als freie Kritikerin, Autorin und Jurorin. 2011 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und dem Caroline-Schlegel-Preis der Stadt Jena ausgezeichnet, 2015/16 war sie als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Seit 2016 ist Ina Hartwig Kulturdezernentin in Frankfurt am Main.
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Produkt

KlappentextNeugier und Leidenschaft verbünden sich, wenn die Kritikerin und Philologin Ina Hartwig über Literatur nachdenkt. Ob es um zärtliche Männer geht, die Abgründe des 20. Jahrhunderts, um die amüsanten Seiten der '68er oder den Glanz der Libertinage: Ihre Essays verbinden analytische Klarheit mit sprachlicher Brillanz, intellektuelle Offenheit mit zeitgeschichtlichem Interesse. Nicht der literarische Kanon steht im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit, sondern die passionierte Suche nach den Möglichkeiten und Grenzen des Sagbaren in der Literatur. So bietet dieser Band das sehr persönliche Lektüreprotokoll einer herausragenden Kritikerin und gleichzeitig die erfrischend unkonventionelle Bestandsaufnahme einer Literatur, die hineinreicht in die unmittelbare Gegenwart

Ina Hartwig studierte Romanistik und Germanistik in Avignon und Berlin. Neben Lehrtätigkeiten an der FU Berlin, in St. Louis und Göttingen war sie viele Jahre lang verantwortliche Literaturredakteurin bei der »Frankfurter Rundschau« und arbeitete ab 2010 als freie Kritikerin, Autorin und Jurorin. 2011 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und dem Caroline-Schlegel-Preis der Stadt Jena ausgezeichnet, 2015/16 war sie als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Seit 2016 ist Ina Hartwig Kulturdezernentin in Frankfurt am Main.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783104012605
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2012
Erscheinungsdatum08.03.2012
Auflage1. Auflage
Seiten336 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse936 Kbytes
Artikel-Nr.1249877
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

Vorwort

In Norddeutschland, wo ich aufgewachsen bin, reden die Leute insgesamt nicht gern. Glücklicherweise sollte mein Deutschlehrer ein Sachse sein, quicklebendig, wildes Gesicht, genialer Erzähler, heimlicher Romancier. Ein Vollblut- und Sprachmensch, ganz und gar verwachsen mit der Literatur. Er war als Jugendlicher aus der DDR geflohen und statt zu unterrichten, erzählte er Anekdoten aus seinem bewegten Leben. Einmal brachte er ein Tonband mit, das spielte er der Klasse vor. Es war ein Gespräch, das er selbst mit seinem Freund, dem in der Gegend ansässigen Schriftsteller Nicolas Born geführt hatte. Der hustete wie verrückt - als wir dessen Stimme lauschten, war der Dichter schon tot. Mein Deutschlehrer hatte, wohl ausgelöst durch diesen Schock, mit dem Rauchen aufgehört und verwies mit selbstironisch versonnenem Grinsen auf seinen rundlich gewordenen Leib. Der an Lungenkrebs gestorbene Nicolas Born hatte zu Lebzeiten noch einen anderen Freund: Peter Handke, der gelegentlich im Wendland aufkreuzte und Borns Töchter zum Lachen brachte. Dem knappen, überraschend zärtlichen Briefwechsel zwischen Born und Handke gilt der erste Text der vorliegenden Auswahl meiner literarischen Essays und Kritiken aus den letzten fünfzehn Jahren.

Das ist in etwa jener Zeitabschnitt, den ich als Redakteurin für Literatur bei der Frankfurter Rundschau zugebracht habe; Jahre, in denen sich vielleicht nicht die Literaturkritik als solche, aber doch das Zeitungmachen schwindelerregend veränderte. Ich will hier nicht über die bedrohliche Lage der Tageszeitungen lamentieren, obwohl es dafür genügend Gründe gäbe, sondern nur einige Äußerlichkeiten erwähnen. Äußerlichkeiten, die so etwas wie die Hintergrundmelodie dieser Jahre waren. Als ich 1997 von Berlin nach Frankfurt kam, hatte die Zeitung ihre Adresse noch in der Innenstadt, zwischen Hauptwache und Eschenheimer Tor. Der verkehrsumtoste, L-förmige stolze Riegel war in den fünfziger Jahren errichtet worden nach dem Vorbild des Mosse-Zeitungshauses im alten Berliner Zeitungsviertel; das Treppenhaus mit den zierlich verschnörkelten schmiedeeisernen Geländern stand unter Denkmalschutz; der Paternoster im technischen Teil des Gebäudes, wo Metteure die Zeitungsseiten auf großen Schautafeln einrichteten, drehte ununterbrochen seine Runden. An der Straßenecke, die legendäre Nitribitt hatte schräg gegenüber gewohnt, wies das sechsstöckige Haus eine geschwungene, durch Messingrahmen strukturierte Fensterfront auf, eine kühne, transparente Rundung. Dort leuchtete in Grün - vielleicht die erste Leuchtschrift der Stadt - »Rundschau Haus«, darunter der Name der Zeitung, Buchstaben aus plumpen Glasröhrchen, die rührend und zäh den Jahrzehnten standgehalten hatten. Dieses Juwel der Nachkriegsarchitektur ist inzwischen abgerissen worden, verkauft in der Not, geopfert der »Krise« und gewichen einem größenwahnsinnigen Einkaufs- und Hotelkonglomerat von jener Art, wie sie überall auf der Welt entstehen. Der gnadenlose Umbau der Innenstädte, in dessen Folge die alteingesessenen Gewerbe aus den Zentren vertrieben werden, zerreißt einem das Herz.

Noch ein Detail sei erwähnt, dem ich allerdings nicht hinterher trauere: die Rohrpost. Ja, es existierte doch tatsächlich in der Frankfurter Rundschau damals ein Rohrpost-System, das die Redakteure nutzten, um die selbstverständlich noch auf Papier redigierten Manuskripte (versehen mit rosafarbenem Deckblatt) durchs Haus zu schicken. Die »Bomben«, so nannten wir die abgenutzten Plastikbehälter mit Schraubverschluss, schossen durch die unter starkem Luftdruck stehenden Rohre mit dem Geräusch eines startenden Düsenjets. Sie landeten, und hier kommt doch Nostalgie auf, bei den freundlichen Damen und Herren von der Texterfassung. Waren die Manuskripte von diesen Fachkräften sauber abgetippt und ins Computersystem der Zeitung eingespeist, ging die Korrektur darüber, erst danach hatte der Redakteur Zugriff auf den Text. Das hieß, dass der Redakteur vor der Umstellung auf internetgestützte Produktion menschliche Helfer hatte, es galt das Prinzip der Arbeitsteilung, während er heute unter gewachsenem Zeitdruck alles allein zu tun gezwungen ist, von der Textsicherung bis hin zum Layout, so dass er in manchem, ohne persönlich Schuld zu tragen, nur dilettieren kann.

»Technologien erblühen und vergehen«, schreibt Georg Klein. Und in der Spanne dazwischen, wäre zu ergänzen, verändern sie unseren Alltag, die Arbeit, den Takt der Gedanken und Tätigkeiten. Doch was dem einen Fluch bedeutet, mag dem anderen als Segen erscheinen. Die Lebenswirklichkeit des Redakteurs ist ja nicht der Maßstab aller Dinge. Für die Schriftsteller, und um sie und ihre Werke geht es in diesem Buch, mögen die neuen Aufschreibesysteme sich als Wohltat darstellen: Die Kontrolle über den eigenen Text wächst - um den Preis des Verlustes von Aura. So müssen wir alle, die wir uns in der literarischen Community zu Hause fühlen, damit fertig werden, dass die Schaffensphase in der Ära des Computers kaum noch Spuren hinterlässt: Die Werkgenese und damit den kreativen Prozess zu erforschen dürfte schwieriger werden, wenn nur noch Festplatten die Archive erreichen. Vorbei die Zeiten der Nachlässe auf Papier mit ihren charmanten, wüst oder pingelig korrigierten Manuskripten, ihren Typoskripten und x-mal revidierten Entwürfen, jenen Vorstufen des Werks, denen sich die deutende Zunft so liebevoll widmet, weil sie darin im weitesten Sinn die literarische Persona ausmacht. Und diese Persona ist es doch, zu der wir uns, aus keineswegs immer erfindlichen Gründen, magisch hingezogen fühlen.

So war es denn auch ein kleiner Schrecken, als ausgerechnet die Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek plötzlich nicht einmal mehr am Medium des Buchs festhielt. Sie ließ das Buch einfach fallen wie eine heiße Kartoffel, als bedeute es ihr nichts! Ihr jüngster Roman Neid (2007), das erste umfängliche Prosawerk nach dem Stockholmer Preis, erschien ausschließlich im Internet, genau: auf der sehr professionell betriebenen Homepage der Autorin (www.elfriedejelinek.com). Bereits vor der welthöchsten literarischen Auszeichnung im Jahr 2004 hatte die eben auch in technischen Dingen avantgardistische Grande Dame der Provokation ihre Homepage zum integralen Bestandteil ihres Werks gemacht. Doch war das zunächst eine Parallelaktion von Papier und Netz. Erst das Preisgeld ermöglichte ihr den weitgehenden Rückzug aus der Welt des gedruckten Worts - ihr Verlag hatte das Nachsehen und ihre Leser ebenfalls, denn wer hat schon Lust, sechshundert Seiten am Bildschirm zu studieren? Selbst ausgedruckt, als Loseblatt-Stapel auf dem Schreibtisch, bereitet dieser »Privatroman«, wie Jelinek ihn nannte, keine sinnliche Freude.

Der Vorgang ist sowohl ein Affront - nicht zuletzt der Kritikerkaste - als auch eine Schutzmaßnahme, die sich die Autorin leistet, leisten kann. Der Rückzug ins Netz gleicht aber keinem Rückzug ins Private. Vielmehr bleibt die öffentlichkeitsscheue Autorin sehr wohl öffentlich wirksam, nur eben im Netz und natürlich auf dem Theater. Als Intellektuelle mischt sie sich dauernd ein, und manchmal merkt es sogar das Feuilleton, wie im Fall ihres messerscharfen Essays über das grausame Verlies von Amstetten. Aber der Roman einer Nobelpreisträgerin im Netz? Hier zeigt sich, wie hilflos, wie störrisch oder konservativ der Literaturbetrieb an seinen Spielregeln festhält. Das Buch ist ganz offenkundig sein Fetisch, allem Fortschrittsgeplänkel hinsichtlich elektronischer Lesegeräte zum Trotz. Wenn der Roman zwar da ist, allen frei zugänglich im Netz, aber DAS BUCH fehlt, dann passiert etwas Interessantes, nämlich - nichts. Elfriede Jelinek, Diva und Phobikerin zugleich, hat bekommen, was sie wollte: keine Kritiken, so gut wie keine Aufmerksamkeit, keine (neuen) Preise. Auch wenn sie vermutlich wenige Nachahmer finden wird, denn die Anerkennungs-Hungerkünstler sind rar gesät, so muss man diese gewollte Verweigerung einer Berühmten doch als einschneidendes Ereignis sehen, dem die Literaturkritik nicht gewachsen ist. Die in diese Auswahl aufgenommene Kritik gilt denn auch einem Roman Jelineks, der noch zwischen zwei Buchdeckeln zu haben war. Er trägt den schönen Titel Gier.

 

Es wird nun Zeit, dass sich die Kritikerin, die so etwas wie das Resümee eines Lebensabschnitts ziehen möchte, zu erkennen gibt. Das ist leichter gesagt als getan. Denn habituell verstecken Kritiker sich hinter dem Namen von Schriftstellern und Dichtern, allein bedingt durch die ihnen gestellte Aufgabe, über deren Werke freundliche oder böse Urteile zu fällen. »Ich« zu sagen gilt in Deutschland immer noch als unfein. Andere Nationen tun sich damit nicht so schwer, vielleicht weil sie zum Ich ohnehin ein spielerischeres oder distanzierteres Verhältnis pflegen als wir. In den meisten der hier versammelten Texte werden Sie, liebe Leser und Leserinnen, mit meinem Ich verschont. An dieser Stelle meine ich aber in der Pflicht zu stehen, wenigstens einmal auf die Frage zu antworten: Kritikerin, wer bist du? Da dies, wie gesagt, nicht so leicht ist, sei noch einmal ein Umweg gewählt, und der führt über einen Autor, der mich treu begleitet, von dem ich mich beschützt fühle, auch wenn ich ihm nicht alles abnehme, was er geschrieben hat, aber gerade diese Bereitschaft zum Zweifel sollte zu einer Quelle meines Entdeckerglücks werden. Die Rede ist von Marcel Proust.

»In Wahrheit ist jeder Leser, wenn er liest, der Leser seiner selbst«, lautet ein Prunkzitat aus dessen Feder. Der Satz, er steht im letzten Band des siebenteiligen Romanungetüms Auf der Suche nach...
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Autor

Ina Hartwig studierte Romanistik und Germanistik in Avignon und Berlin. Neben Lehrtätigkeiten an der FU Berlin, in St. Louis und Göttingen war sie viele Jahre lang verantwortliche Literaturredakteurin bei der »Frankfurter Rundschau« und arbeitete ab 2010 als freie Kritikerin, Autorin und Jurorin. 2011 wurde sie mit dem Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik und dem Caroline-Schlegel-Preis der Stadt Jena ausgezeichnet, 2015/16 war sie als Fellow am Wissenschaftskolleg in Berlin. Seit 2016 ist Ina Hartwig Kulturdezernentin in Frankfurt am Main.