Hugendubel.info - Die B2B Online-Buchhandlung 

Merkliste
Die Merkliste ist leer.
Bitte warten - die Druckansicht der Seite wird vorbereitet.
Der Druckdialog öffnet sich, sobald die Seite vollständig geladen wurde.
Sollte die Druckvorschau unvollständig sein, bitte schliessen und "Erneut drucken" wählen.

Die Grünen

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
180 Seiten
Deutsch
Herder Verlag GmbHerschienen am04.11.20141. Auflage
Vor einem Jahr sah es noch so aus, als ob der Zeitgeist grün wäre. Eine missglückte Jamaika-Koalition, eine unangenehme Abstimmung über Stuttgart 21 und einige unglücklich verlaufende Landtagswahlen später ist das Bild widersprüchlicher. Wohin geht es mit einer Partei, deren Stammwähler, meist staatlich besoldete Besserverdiener, langsam ins Rentenalter kommen, und die gegen die Piraten auch sonst ziemlich alt aussieht?

Manfred Güllner, Prof., geb. 1941, Gründer und Geschäftsführer von Forsa, einem der führenden deutschen Meinungsforschungsinstitute.
mehr

Produkt

KlappentextVor einem Jahr sah es noch so aus, als ob der Zeitgeist grün wäre. Eine missglückte Jamaika-Koalition, eine unangenehme Abstimmung über Stuttgart 21 und einige unglücklich verlaufende Landtagswahlen später ist das Bild widersprüchlicher. Wohin geht es mit einer Partei, deren Stammwähler, meist staatlich besoldete Besserverdiener, langsam ins Rentenalter kommen, und die gegen die Piraten auch sonst ziemlich alt aussieht?

Manfred Güllner, Prof., geb. 1941, Gründer und Geschäftsführer von Forsa, einem der führenden deutschen Meinungsforschungsinstitute.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783451803888
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
Erscheinungsjahr2014
Erscheinungsdatum04.11.2014
Auflage1. Auflage
Seiten180 Seiten
SpracheDeutsch
Dateigrösse7783 Kbytes
Artikel-Nr.1542022
Rubriken
Genre9200

Inhalt/Kritik

Leseprobe
2. Die Wähler der Grünen
Die Wahlen in den alten Bundesländern: 1979 bis 1987

Die erste bundesweite Wahl, an der sich die Grünen beteiligten, war die Europawahl 1979, bei der in den damaligen neun Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft zum ersten Mal die Abgeordneten des Europäischen Parlaments direkt gewählt wurden. Zuvor hatten verschiedene grüne, bunte bzw. alternative Listen bei regionalen Wahlen kandidiert (so z.B. 1976 bei der Kommunalwahl in Niedersachsen, 1978 bei der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein, der Bürgerschaftswahl in Hamburg oder den Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen). Durch die hohe Aufmerksamkeit, die diese ersten Kandidaturen ausgelöst hatten, fühlte sich ein Teil der grünen Bewegung ermuntert, bei der Europawahl auch bundesweit zum ersten Mal zu kandidieren. Initiiert vom Bundesverband Bürgerinitiative Umweltschutz (BBU), dem Dachverband der Bürgerinitiativen, in dem 1978 ca. 100 Bürgerinitiativen mit ca. 300.000 Mitgliedern zusammengeschlossen waren, konstituierte sich im März 1979 ein Listenbündnis aus verschiedenen grünen Netzwerken unter dem Namen Sonstige Politische Vereinigung/Die Grünen (SPV Die Grünen), um an der Europawahl am 10. Juni teilzunehmen. (Nur am Rande sei angemerkt, dass die 300.000 Bürger, die sich irgendwann und irgendwie einmal an einer Initiative beteiligt hatten und deshalb Ende der 1970er Jahre schon als Massenbewegung gewertet wurden, sich mehr als relativieren, wenn man bedenkt, dass während einer Spielzeit der ersten Fußball-Bundesliga deren Vereine jedes Wochenende im Durchschnitt 400.000 Zuschauer mobilisieren!)

Die Rahmenbedingungen der ersten Europawahl waren für die neue grüne Gruppierung relativ günstig.

Der in Gang gekommene europäische Vereinigungsprozess wurde zwar - wie bis heute - von einer Mehrheit der Deutschen für richtig befunden; doch konkrete, für die Menschen eingängliche und nachvollziehbare politische Konturen hatte die damalige Europäische Gemeinschaft so wenig wie heute die viel größere Europäische Union. Und über die Aufgaben, die Kompetenzen und die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments wusste - ebenfalls wie heute - kaum ein Bürger Bescheid. Zudem gab es - anders als bei Bundestagswahlen - keine den Wahlkampf (sofern er überhaupt richtig stattfand oder wahrgenommen wurde) beherrschenden Themen. Der neuen grünen Gruppierung konnte man deshalb bei der Europawahl gewissermaßen probeweise einmal die Stimme geben, ohne besonders illoyal gegenüber den bisher bei anderen, in ihrer Bedeutung für die Bürger überschaubaren und wichtigeren Wahlen gewählten Parteien zu werden.

890.000 Wahlberechtigte (2,1 %) gaben dann auch am 10. Juni 1979 den Grünen ihre Stimme. Da die Wahlbeteiligung bei der ersten Europawahl mit knapp 66 Prozent im Vergleich zur vorhergehenden Bundestagswahl 1976, als sich fast 91 Prozent der Wahlberechtigen an der Wahl beteiligten, und der nachfolgenden Bundestagswahl 1980 mit einer Wahlbeteiligung von gut 89 Prozent aus damaliger Sicht sehr niedrig war, waren 890.000 Stimmen bzw. 2,1 Prozent aller Wahlberechtigten für 3,2 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen gut. (Heute wäre man ja über eine Beteiligung wie an der ersten Europawahl froh, denn 2004 und 2009 betrug die Wahlbeteiligung an den Europawahlen nur noch 43 Prozent.) Mit 3,2 Prozent der gültigen Stimmen konnte das erste bundesweite grüne Bündnis zwar keinen Abgeordneten ins Europäische Parlament entsenden, aber man errang einen entsprechend wahrgenommenen und gewürdigten Achtungserfolg.

Noch wichtiger für die weitere Entwicklung der Grünen war aber, dass das grüne Bündnis eine Wahlkampfkostenerstattung in nicht unerheblicher Höhe kassieren konnte. Von der damals vom Bundespräsidenten berufenen Sachverständigen-Kommission zur Neuordnung der Parteienfinanzierung ist in ihrem 1983 vorgelegten Bericht vermerkt worden, dass die Grünen 1979 98,2 (bzw. unter Einschluss weiterer grüner Organisationen 96,5) Prozent ihrer gesamten Einnahmen aus der Wahlkampfkostenerstattung erhielten. Bei einer im Bericht angegebenen Gesamteinnahmesumme der Grünen 1979 von 5,990 Millionen DM macht das somit einen Betrag (bei 96,5 %) von fast 5,8 Millionen DM aus.27

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die zu erwartende Wahlkampfkostenerstattung für die damalige Führungsriege (die geistigen Führer , wie es der schon erwähnte frühe Wegbegleiter der Grünen aus dem Bereich der Wissenschaft, Peter Mayer-Tasch, auszudrücken pflegte28) des grünen Bündnisses eine wesentliche Rolle bei ihrer Entscheidung spielte, bei der Europawahl 1979 zu kandidieren. Die Beteiligung an einer bundesweiten Wahl so schnell nach den ersten Gehversuchen bei regionalen Wahlen war und ist ja riskant und eigentlich nicht üblich - trotz der beschriebenen, für die Grünen günstigen Voraussetzungen bei der Wahl 1979. Da die Führungsfiguren der grünen Szene nicht zuletzt durch ihre Verzahnung mit dem öffentlichen Dienst über alle staatlichen Regelungen bestens informiert waren, dürfte ihnen das deutsche Parteienfinanzierungssystem nicht unbekannt gewesen sein, zumal die niedersächsische Grüne Liste Umweltschutz (GLU), die am kandidierenden Bündnis zur Europawahl mit beteiligt war, schon nach der Landtagswahl in Niedersachsen 1978 über 700.000 DM Wahlkampfkostenerstattung erhalten hatte. Während die Grünen die anderen Parteien immer wegen deren Spendenpraxis heftigst kritisierten, ließ man sich selbst ohne jedwede Bedenken vom Staat alimentieren und strich schon 1979 die erhaltene Staatsknete ohne Skrupel ein.

Die formale Gründung der Partei der Grünen fand dann nach der Europawahl 1979 im Januar 1980 auf einem Gründungskongress in Karlsruhe statt. Nachdem schon bei der Bremer Bürgerschaftswahl im Oktober 1979 die Bremer Grüne Liste 5,1 Prozent der gültigen Stimmen erhielt und mit vier Abgeordneten in die Bürgerschaft einzog, gelang den Grünen wenige Monate nach der Gründung der Partei auch der Einzug in den Landtag von Baden-Württemberg. Dort erhielten sie bei der Landtagswahl im März 1980 5,3 Prozent der gültigen Stimmen und schafften damit auch hier den Sprung über die 5-Prozent-Hürde. Mit sechs Abgeordneten waren sie damit im Landtag von Stuttgart vertreten.

Nach dem alles in allem respektablen Ergebnis bei der Europawahl 1979 und dem Einzug in die Bremer Bürgerschaft und den Landtag von Baden-Württemberg war es nur folgerichtig, dass die Grünen auch bei der Bundestagswahl im Oktober 1980 kandidierten. Doch bei dieser ersten Bundestagswahl, an der die Grünen teilnahmen, wurden ihre Erwartungen bitter enttäuscht: Sie wurden von deutlich weniger Wählern als bei der Europawahl 1979 gewählt. Statt 890.000 Stimmen wie 1979 erhielten die Grünen 1980 nur rund 570.000 Stimmen. Das waren nur 1,3 Prozent aller Wahlberechtigten und - bei einer Wahlbeteiligung von gut 89 Prozent - auch nur 1,5 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen.

Dass die Erwartungen der Grünen, schon 1980 in den Bundestag einziehen zu können, nicht erfüllt wurden, mag damit zusammenhängen, dass die Organisationskraft der gerade erst gegründeten Partei trotz einer durch die Wahlkampfkostenerstattung prall gefüllten Parteikasse noch nicht stark genug war, um einen gut organisierten Wahlkampf zu führen. Geschwächt wurde die Kampagnenfähigkeit der Grünen zudem dadurch, dass die Heterogenität der verschiedenen Netzwerkgruppen, aus denen sich die grüne Partei zusammengesetzt hatte, noch immer offen oder unterschwellig zu heftigen innerparteilichen Friktionen führte.

Entscheidend für die unterschiedlichen Ergebnisse bei der Europawahl 1979 und der Bundestagswahl 1980 dürfte aber gewesen sein, dass die Rahmenbedingungen beider Wahlen völlig anders waren. Die Europawahl hatte keine große Bedeutung für die meisten Bürger, zumal von ihrem Ergebnis keine unmittelbaren Konsequenzen für den Einzelnen zu erwarten waren. Letztendlich fehlten der Europawahl auch schon damals alle Elemente, die sonst eine Wahl ausmachen.

Das war bei der Bundestagswahl 1980 nicht der Fall. Hier ging es um die wichtige und für die Menschen auch mit entsprechenden Konsequenzen verbundene Frage, wer Deutschland zukünftig regieren und vor allem, wer Bundeskanzler bleiben oder werden sollte. Der Wahlkampf war damals durch die Polarisierung zwischen den beiden Kandidaten und die Frage: Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß? überlagert. Auf der einen Seite war der wegen seiner vielfach bewiesenen Führungsqualitäten und seines politischen und ökonomischen Sachverstands überaus geschätzte Amtsinhaber, auf der anderen Seite der bullige, skandalumwitterte, rabulistische aber höchst eloquente und intelligente Franz Josef Strauß. Als CSU-Vorsitzender hatte Strauß zum ersten Mal einen Vertreter der bayerischen Schwesterpartei der CDU als gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Union gegen heftigen Widerstand des damaligen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl durchgesetzt. Für grüne Experimente war bei dieser personellen Polarisierung wenig Spielraum.

Doch das änderte sich bei der nächsten Bundestagswahl, die nicht turnusgemäß im Herbst 1984, sondern schon eineinhalb Jahre früher, am 6. März 1983, stattfand. Zuvor war zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte ein Bundeskanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt worden.

Helmut Schmidt, obwohl bei den Bürgern unverändert hoch angesehen, war in seiner Partei in immer größere Isolierung geraten. Vielerorts hatten in den SPD-Ortsvereinen und -Unterbezirken die in den 1970er Jahren neu in die SPD strömenden, meist überbildeten , aus der Mittelschicht und nicht dem klassischen...
mehr