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Erlkönigs Töchter

E-BookEPUBePub WasserzeichenE-Book
158 Seiten
Deutsch
FISCHER E-Bookserschienen am15.09.20151. Auflage
Sibylle Knauss zeichnet in ihrem Roman über drei Generationen einfühlsam und voller Sensibilität die Geschichte dreier Frauen nach, die im Gefängnis ihrer Sehnsüchte gefangen sind. Es sind Liebesgeschichten, die von der Macht des Mannes handeln, auch von der Macht des Mannes als Vater, der noch in seiner Abwesenheit das Leben der Frauen beherrscht. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sibylle Knauss wurde 1944 in Unna/Westfalen geboren. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Theologie, war als Lehrerin tätig und hat seit 1981 zahlreiche Romane veröffentlicht.
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Produkt

KlappentextSibylle Knauss zeichnet in ihrem Roman über drei Generationen einfühlsam und voller Sensibilität die Geschichte dreier Frauen nach, die im Gefängnis ihrer Sehnsüchte gefangen sind. Es sind Liebesgeschichten, die von der Macht des Mannes handeln, auch von der Macht des Mannes als Vater, der noch in seiner Abwesenheit das Leben der Frauen beherrscht. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Sibylle Knauss wurde 1944 in Unna/Westfalen geboren. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Theologie, war als Lehrerin tätig und hat seit 1981 zahlreiche Romane veröffentlicht.
Details
Weitere ISBN/GTIN9783105604670
ProduktartE-Book
EinbandartE-Book
FormatEPUB
Format HinweisePub Wasserzeichen
FormatE101
Erscheinungsjahr2015
Erscheinungsdatum15.09.2015
Auflage1. Auflage
Seiten158 Seiten
SpracheDeutsch
Artikel-Nr.1820740
Rubriken
Genre9201

Inhalt/Kritik

Leseprobe

II Martha

Das letzte, was man von Dorothee hörte, war, daß sie fortgezogen war. Keiner wußte wohin. Sie habe ein Kind, sagten manche. Sie sei mit einem ganz märchenhaft reichen, aber zwielichtigen Grundstücksmakler verheiratet, sagten andere. Sie sei nun ganz heruntergekommen, sagten wieder andere, die wußten, was sie damit meinten. Sie war eben einfach weg.

Jahre später ging ich in Heidelberg über die Straße und sah sie.

Ich habe sie nicht sofort erkannt. Ich sah zu ihr hin, wie ich immer zu Frauen hinsehe, die mich durch ihre Aufmachung faszinieren. Ich weiß, daß andere Frauen das auch tun. Ich sehe es an ihnen. Die Blicke. Auch wenn sie mir gelten. Übrigens ein Triumph, der weit über dem steht, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Aber man spricht nicht darüber. Nie. Auch nicht mit den Frauen, mit denen man sonst über alles spricht. Es ist so, als ob nichts wäre. Dabei wird ein Aufwand betrieben, der die Olympischen Spiele weit in den Schatten stellt. Sie trug Grau mit Pink. Ihre dunklen Haare waren noch dunkler geworden. Sie fielen glänzend und so schwer über den Rücken, wie man es nur mit unendlich viel Bürsten erreicht. Die Zeit der ganz kurzen Röcke war ihre Zeit. Sie hatte schon lange begonnen, dafür zu üben. Man konnte sie nichr übersehen. Das beste an ihr war das Band. Ein pinkfarbenes Band, das ihre Haare zurückhielt, die nicht mehr wie früher über die Stirn in die Augen hingen, sondern die Stirn freigaben, die überraschend hoch war, ein bißchen eckig und sonnengebräunt. Natürlich sonnengebräunt. Ich würde abends wie alle Frauen, die ihr am Tage begegnet waren, vor dem Spiegel stehen und mir die Haare aus der Stirn halten. Nein. Man mußte eine Stirn wie Dorothee haben. Und diesen Haaransatz, diese dunkle Spitze, die in der Mitte zusammenlief.

Wir waren jetzt beide sechsundzwanzig. Neben ihr kam ich mir wie eine typische Lehramtsanwärterin vor.

Wir tranken zusammen Kaffee. »Besuch uns doch mal!« Mit »uns« meinte sie ihre Mutter, wie sich herausstellte, und ihre Tochter. Nina war vier. Ihre Mutter kümmerte sich um sie, während sie ins Büro ging. Von einem Mann war nicht die Rede. Nina schien keinen Vater zu haben. Man konnte sich auch keinen denken.

Ich habe Frauen wie Dorothee immer ein bißchen beneidet. Die Art zum Beispiel, wie sie ihre Armreifen klimpern lassen. Oder auch nur die Kaffeetasse aufsetzen. Die langen Hände, gebräunt natürlich, der Nagellack. Und wie es dann plötzlich gar nichts mehr ausmacht, wenn er schon etwas abgeblättert ist. Ihre Mimik. Der Lippenstift. Sein Glanz. Und wie man schwören könnte, daß es gar nicht auf den Lippenstift ankommt. Sie wären auch ohne so schön.

Man sieht sie aber nie ohne. Ich fühle daneben, wie meine Lippen beim Sprechen austrocknen, wie sie spannen und sicher einen unschönen schmalen Strich bilden, den niemand anschauen mag. Dagegen sehe ich bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel, daß statt dessen meine Nase glänzt. Wenn ich ein Mann wäre, würde ich eine Frau wie Dorothee lieben. Ich würde nicht eher ruhen, bis ich sie hätte. Und dann würde ich versuchen, dem wunderbaren und ganz trivialen Geheimnis ihrer Schönheit auf die Spur zu kommen. Wahrscheinlich tun das auch viele.

Sie war übrigens das, was man in unserer gemeinsamen Heimat ordinär genannt hätte. Es war noch etwas an ihr, was früher ihre Mutter und ihre Großmutter zur Verzweiflung gebracht hatte, die nicht wußten, daß der Weg zur Schönheit, wie Dorothee sie besaß, immer über ein bißchen Zuviel führt. Ein bißchen Zuviel an Bräune und an Farbe und Locken im Haar. Es geht dafür auch etwas schneller. Man altert. Aber das fing viel später an. Wir waren erst sechsundzwanzig. Wir waren beide voller Wünsche und Hoffnungen und glaubten, daß wir unsere frühen Jahre endgültig hinter uns gelassen hatten in einer Welt, in die es aus dem Leben, das wir jetzt führten, keine Brücken zurück geben konnte.

Ich wunderte mich, daß sie ihre Mutter mitgenommen hatte in ihr neues Leben. Sie brauchte sie. Das war verständlich. Sie brauchte sie wegen Nina. Und ihre Mutter war auch auf sie angewiesen. Sie wurde von ihr ernährt.

»Du solltest uns wirklich besuchen. Mama freut sich so, wenn sie bekannte Gesichter von früher sieht. Sie fühlt sich ein bißchen einsam.« Wir verabredeten einen Nachmittag, an dem ich kommen sollte, und sie gab mir die Adresse.

Es war eins dieser typischen vierstöckigen Vorstadthäuser, in denen die Wohnungstüren kleine Glasfenster haben, vor die Gardinen gespannt sind. Es riecht in den Treppenhäusern, nicht nach Schmutz, sondern nach irgend etwas anderem, das genauso hartnäckig ist. Frau Niemeyer machte mir auf.

Als ich sie zuletzt gesehen hatte, war sie vielleicht vierzig. Sie mußte jetzt Mitte Fünfzig sein. Eine der vielen Millionen unscheinbaren und etwas zu dicken Frauen dieses Alters. Sie backen Kuchen, wenn Besuch kommt. Sie haben den Tisch gedeckt. Sie gehen vormittags einkaufen, jeden Vormittag, weil sie sonst nirgends hingehen. Wir kaufen Blumen, vielleicht, und gehen sie besuchen und denken, daß es genug ist, wenn sie Besuch von uns bekommen. Einmal im Jahr oder weniger. Oder öfter. Und sie tun alles, um uns darin zu bestärken, daß es ein Glück für sie ist, von uns besucht zu werden. Sie freuen sich. Ihre Freude ist eins mit dem Kaffeeduft, der ihre Wohnung durchzieht.

In Wahrheit glaubten weder Dorothee noch ich, daß sie eine Frau wie wir war, nur dreißig Jahre älter. Es hätte bedeutet, daß wir eines Tages wie sie werden würden. Und das würde nie geschehen.

Dorothee war übrigens gar nicht da. Zuerst dachte ich, sie käme noch etwas später. Aber sie kam nicht, und ihre Mutter schien sie auch gar nicht zu erwarten.

Nina war da und verlangte von mir die zärtlichste Aufmerksamkeit für ihre Puppen. Sie lief in ihr Zimmer und brachte sie nacheinander alle herbei, den kleinen Negerjungen, die Babys und die mit den schönen Frisuren. Sie legte sie mir in den Schoß und wartete auf meine Bewunderung und erwachende Liebe.

Sie wußte es, daß sie selber die schönste der Puppen war, mit lang herabfallenden dunklen Locken, in die ihre Großmutter Schleifen band, und dunklen Haselnußaugen. Oh, sie hatte Übung im Schönsein. Sie war schon perfekt. Ich weiß, wen du gerne auf den Schoß nehmen würdest, sagte ihr Blick, und ein bißchen Langeweile war auch schon dabei - aber was hältst du von dieser Puppe?

Sie war eine von denen, die als Prinzessinnen auf die Welt kommen und die sofort ihren Thron besteigen. Um ihre Anmut und Schönheit wird viel gezittert. Niemand, der sie anschaut und nicht die Flammen sieht, die nach ihnen züngeln, das Wasser, das um sie steigt, die Tiefe, die unter ihnen gähnt, und entschlossen ist, schmerzlich entschlossen, sie, komme was wolle, zu retten. Die Väter von solchen Töchtern sind ihnen in ungezügelter Liebe verfallen. Aber sie hatte keinen Vater.

Das Herz ihrer Großmutter besaß sie ganz. Sie war der Gegenstand ihrer ausschließlichen Liebe. Sie war dazu geboren, der Gegenstand ausschließlicher Liebe zu sein. Sie war auf bestimmte, besorgniserregende Art das Miniaturspiegelbild ihrer Mutter.

»Nina, laß die Dame in Ruh«, sagte Frau Niemeyer zärtlich und ließ erkennen, daß sie wohl wußte, es könne für mich nichts Entzückenderes geben als Ninas Aufmerksamkeit. Die sagte von da an »Dame« zu mir, indem sie die Regeln, die ihre Großmutter aufstellte, gleichzeitig erfüllte und souverän überging: »Dame, kommst du in mein Zimmer?«

Ich mußte aber mit ihrer Großmutter Kaffee trinken. Im silbernen Rahmen hing ein Foto von Herrn Niemeyer an der Wand. Es war aus der Zeit unseres Jagdhausausflugs. Ich erkannte ihn sofort wieder. Ein schöner, schwarzhaariger Mann, der die verwirrenden Augen des Verführers hatte, sieghaft und traurig zugleich, wie ich sie damals an jedem möglichen Ort wahrgenommen hätte und noch auf dem ältesten Foto wahrnahm. Es gibt sie selten. Sie streifen einen manchmal nur kurz, und dann weiß man es wieder: daß alles möglich ist.

Das war der Blick, dem vor vielen Jahren Frau Niemeyer ausgesetzt war. Warum sie? Eine Dorfmetzgerstochter. Ein bißchen zu dick. Die Wahl, die der Verführer trifft, ist manchmal rätselhaft. Unerforschlich. Warum diese eine, die, unfähig sich zu wehren, auf ihn zutritt. Sie kann nicht anders. Keine hätte anders gekonnt. Warum sie? Die gar nicht so heftig geträumt hat. Die gar nicht gemacht ist, nicht vorbereitet für die unrettbare Liebe, mit der man Verführern verfällt. Vielleicht hat sie sie gar nicht. Vielleicht spielt sie sie nur. Aber dann muß sie sie spielen. Das ist die Macht, die von dem Verführer ausgeht und der man sich nicht widersetzt: Er fragt nicht, ob er geliebt wird. Die bange Frage, die alle anderen quält, ob man wirklich geliebt wird, ist ihm ganz fremd. Er fragt nur, ob er gesiegt hat. Ob er vollkommen gesiegt hat. Was würdest du für mich tun, fragt er. Und man antwortet: alles.

Was alles? Wirklich alles? Er gibt keine Ruh. Und unter der Macht dieser Augen, die ihm, nur ihm gegeben ist, sagt man: alles. Alles. Er ist nie lange zufrieden. Er geht seelenruhig seinen Weg, und er fragt: Folgst du mir auch? Ja, ja. Er braucht sich nur hin und wieder umzublicken. Man folgt ihm immer.

Martha Niemeyer. Ausgerechnet. Martha Niemeyer hat er sich ausgeguckt unter allen. Unter allen, die fröhlich und freundlich und etwas hübsch waren für ein paar Jahre. Sie wußte ja gar nicht, wie ihr geschah! Ein Bankdirektor, ein meinetwegen angehender Bankdirektor, und dann diese Augen. Wie sollte sie sich da wehren?

So war also sie es geworden, die das Versprechen einzulösen hatte, das schon viele vor ihr gegeben hatten. Alles für ihn zu tun....
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